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Nle Mißtrauensanträge vor dem Landtag Stürmische Debatten - Me Begründungen der Kommunisten und Nationalsozialisten Alle Merkmale der Spannung liegen über dem Beginn der heutigen Landtagssitzung, obwohl über den Ausgang der Entscheidung nach dem Scheitern der Verhandlungen im Interfraktionelle» Ausschuß kaum mehr ein Zweifel bestehen kann. Die Tribünen sind zum Brechen voll, das HauS ist lückenlos besetzt, ebenso die Negterungsbank — also „Großer Tag". Nach Art der homerischen Helden apostrophieren sich die Kommunisten und Nationalsozialisten, bevor Präsident Wecke! mit hartem Hammerschlag das Zeichen zum Beginn der großen Auseinandersetzung gibt. Den Vorstoß gegen die Regierung eröffnet der Kom- tuuntstcnstthrer Renner, der auch bei der Einbringung der Mißtrauensanträge den Vvrtritt hatte. Er fühlt sich heute als Herr der Lage, kann spotten und höhnen nach Herzenslust, weil er durch die sonderbare Verkettung der Umstände des Erfolgs sicher ist. Aber bald schwenkt er vom Thema ab und hält die altbekannte, schon buhendmal ge hörte kommunistische Propagandarebc. Rasch erlahmt das Interesse unter dem ermüdenden Ein- Lruck ewig gleicher bolschewistischer Phrasen. Erst die Aus einandersetzung des Kommunisten mit den Sozialdemokraten bringt wieder Leben und steigende Unruhe ins Haus. Schimpf- worte und beleidigende Zurufe fliegen hin und her; ein pöbelhafter Ausfall des Redners gegen die Volkspartei bringt ihm zwischenhinein einen Ordnungsruf ein. Zum Schluß kommt noch eine formulierte Erklärung gegen die Tätig keit der Büngerregtcrung — der Ruf zur sröhlichen Hatz. Dann folgt» mit Spannung erwartet, die nationalsozia listische Begründung, vvrgetragen von dem Abgeordneten v. Killt nger. Hallo von der Linken empfängt ihn, in Scharen drängen sich die Abgeordneten um die Tribüne. Gleich die ersten Worte des Redners gehen im Lärm unter. Und der Lärm wird zum Sturm, als der Herr v. Killingcr den Gesandten in Berlin als den .»Juden Gradnauer" bezeichnet. Zwei Ordnungsrufe folgen schnell aufeinander. In seinen sachlichen Ausführungen beklagt sich der Red ner über die mangelnde Berücksichtigung der nationalsozia listischen Wünsche durch die Regierung. Besonders scharf be kämpft er natürlich ihre Abstimmung für den Boungplan im Reichsrat. Er lehnt die Verantwortung für die Folgen der heutigen Abstimmung ab und gibt dem unklugen Ver halten des Kabinetts die ganze Schuld. * Der Sitzungsbericht . S7. Sitzung Dresden, den 18. Februar 1930. Aus der Tagesordnung der heutigen Landtagssitzung stehen an erster und zweiter Stelle die Mißtrauensanträge der Kommunisten und Sozialdemokraten gegen das Kabinett Dr. Bringer. ES macht sich schon lange vor Beginn der Sitzung ein starker Andrang zu den Tribünen bemerkbar; die Karten sind natürlich längst vergrisfen. An den Regierungstischcn nehmen der Ministerpräsident und sämtliche Minister mit dem Staatskanzler Platz. Acht Minuten nach 1 Uhr eröffnet Präsident Wecket lSoz.) die Verhandlungen. Das Haus beschließt, die beiden Anträge in der Aussprache zu verbinden. Abg. Renner lKomm.) begründet den kemmunWAen RiUramaSanirag. Nach Pressemeldungen habe der Gesandte Dr. Gradnauer im Rctchöratc im Aufträge der Regierung dem Aoung- plan zugestimmt. Die Durchsührung de« Aonngplans habe eine ungeheure Belastung der werktätigen Massen zur Folge. Die Erhebung von SW Millionen Reichsmark neuer Steuern, beschleunigte Rationalisierung, Massenentlassungcn, Bankrotte einer großen Anzahl Klein- und Mittelbetriebe, Vernichtung großer Teile der Mittelschichten seien die Folgen der Ab ladung der Lasten deü Aonngplans aus die breiten Massen der Bevölkerung. Di« Regierung Dr. Bünger stehe im schärfsten Gegensatz zu der großen Masse der werktätigen Bevölkerung. Der Redner beschäftigt sich dann mit den National sozialisten» die in die politische Kinderstube gehörten. Die Angegriffenen antworten durch Zurufe. Das Rededuell ruft oft stürmische Heiterkeit hervor. Renner nennt die Nationalsozialisten die getreueste und gehorsamste Hilsstruppe des Kapitalismus. lZurufe der Nationalsozialisten: „Du weißt wohl nicht, was du sagen sollst, Nenner!"; ferner: „Das hast du gut cin- studiert, he!"i Der Volksentscheid der Nationalsozialisten und der Dcutschnationalen sei ein Versuch gewesen, die Reaktion im inneren Deutschland zu verschärfen. Der Redner befaßt sich dann auch mit den Sozialdemokraten, die eben falls mit dem Kapitalismus verbunden seien, wendet sich auch gegen die Deutsche Volkspartei, die er eine alte Bettel >nennt. Das Proletariat müsse gegen das gesamte System kämpfen. Ob ein« bürgerliche Regierung, eine Koalitionsregierung mit den Sozialdemokraten oder eine Negierung, nur aus Sozialdemokraten zusammengesetzt, die Politik des BoungplaneS werbe fortgesetzt werden, bis bas Proletariat diese Regierungen zum Teufel jage und in Deutschland die Räteherrschast errichte. Der Redner verliest zum Schlüsse eine lange Er klär u n g, die sich gegen die Büngerregicrung richtet. Diese sei das ansführendc Organ der sächsischen Industriellen und habe die Offensive der Bürgerlichen gegen die werktätige Be völkerung nicht nur begünstigt, sondern in dieser Hinsicht so gar an der Spitze gestanden. Renner mußte von dem Präsidenten Wecke! einige Male ermahnt werden, zum Schlüsse zu kommen, da ihm sonst das Wort entzogen werden müsse. Auch erhält er und andere Abgeordnete der Linken wiederholt Ordnungsrufe. Abg. ». Silliuger sNatsoz.) gibt die Begründung des nattonalWaliltlsihea MtztrmientzmIraMs. die unter großer Unruhe des Hauses vor sich geht. Oft durchbrauscn Heiterkeitsstürme das Haus, und der Präsident muß immer wieder eingreisen und Ordnungdruse austeilen, auch an den Redner» der den sächsischen Gesandten „Jude Gradnauer" nennt. Die Nationalsozialisten seien gewillt ge wesen, die Büngerregicrung bis zum letzten Moment zu stützen, aber die Zustimmung zu« Aouugpla« sei ein Schlag ins Gesicht der Nationalsozialisten gewesen. Das Maß sei nunmehr voll, der Mtßtrauensantrag seiner Fraktion werbe nicht zurückgezogen. Das Tragikomische sei, daß die Regierung Bünger mit Hilfe der Sozialdemokraten gestürzt werde, die ja die Verfechter des Aoungplanes in erster Linie seien. Der Redner gebraucht wiederholt schk starke Ausdrücke. Als er abtritt, ruft ihm ein Abgeordneter der Linken zu: „Politischer Lausejunge!" sowie der Obligationen der deutschen Reichsbahn, der deutschen Jndustrieobligationen, der Obligationen der Bank für deutsche Jndustrie obligationen, weiter in der Beseitigung aller Pfänder und Kontrollen des DaweSplancs und des gefährlichen Wohlstandsinder, ferner in der Zulassung eines Transfer- und Aus- bringungsmoratorinms, weiter in der Wiederunterstellung der Reichsbahn unter die Souveränität des Deutschen Reiches, vor allem auch in der Räumung desRheinlandes Jahre vor dem festgesetzten Termin» sowie ferner in der Aushebung des unmittel baren Sanktionsrechts des Vertrages von Versailles. Gerade an diesen letzten Punkt und die damit verbundene Frage der S a n k t i o » s m ö g l i ch k e i t hat in der Ocssent- lichkeit der Streit der Meinungen ganz besonders angeknüpft. Wenn dabei aber immer wiederholt wird, daß die Gläubigcrmachte in Deutschland wieder cinmarschieren könn ten, so erinnere ich an das Wort, das im Reichstage ein Man» von hohem Naiionalgcsühl und tiefer Sachkenntnis, das der Professor Dr. Hoetzich gesprochen hat: „Sanktivnsmöglichkeiten enthält dieser Plan nicht. Wenn der französische Ministerpräsident sich in dieser Frage in Meinungsverschiedenheiten mit Deutschland befindet, dann nehme ich die Partei meines Vaterlandes." Und trotz aller Polemik über diese Frage, so sage ich, bleibt doch als Ziel und Inhalt der hierüber ausgetauschten Erklärungen bestehen, daß dem Gegner die Handlungssreiheit nur dann wiedergegeben wird, wenn Deutschland den Ver trag zerreibt, das heißt, nicht mehr für sich als bindend an erkennt, mit anderen Worten, auch selbst für sich die Freiheit der Handlnng wieder in Anspruch nimmt. Und wenn ferner die vorzeitige Befreiung der Rheinland«:, wie es scheint, hier und da als ein zu geringes Plus in dem Vertragswerk — denn sie ist mit dem Vertragswerte tatsächlich verbunden — angesehen wird, so wird doch mancher, glaube ich, anders dar über denken, wenn einmal im Rheinlande die Glocken der Befreiung läuten. Aber das alles die oft wiederholte Abwägung zwischen den Lasten des Dawcs- und des Neuen Planes, war für das Kabinett nicht endgültig ausschlaggebend. Ausschlaggebend war vielmehr das Bewußtsein, daß das Reich sich in einer überaus schweren Zwangslage befindet, und die Uebcrzeugnng, daß wenn der eingeschlagene Weg nicht weitergegangen wird, der wirtschaftliche und politische Zn- sammenbruch des Reiches in nächste Nähe gerückt ist. Rach ernstester Prüfung ist die Regierung zu dem Ergeb nis gekommen, daß zur Zeit kein anderer gangbarer Weg ge geben erscheint und auch von niemandem bisher mit klare» Worten gezeigt worden ist, um diesen Zusammenbruch zu ver hindern. Käme der neue Plan nicht zustande, so bliebe bis ans weiteres der Dawcs-Plan i» Kraft. Kein Mensch kann glauben, daß eS die Gläubigermächte ruhig mit ansehcn würden, wenn das deutsche Volk seine unter den DaweS-Plan gesetzte Unterschrift einfach zurückzöge. Ein neuer Ruhrkamps, vielleicht in einer anderen, aber in einer nicht weniger empfindlichen Form, wäre die Folge. Ob der kranke ReichSkörpcr heute noch einmal die Krait aufbringen könnte, einen solche» Kamps durchz»kämpfe»tz be zweifle ich. In außenpolitischen Fragen muß man, nach Bis- nrarcks Vorbild, ganz nüchtern und real denke». Sicher ist aber, daß am Ende eines solchen Kampfes die Gläubtgermächte nicht einfach auf Tribute verzichten würden, sondern daß sie solche Tribute auch von dem durch de» Kamps anss neue geschwächten Deutschland verlangen würden. Ob dann diese Tribute niedriger wären, auch nur soviel niedriger, daß sic die Opfer des Kampfes airswvgen. kann kein Mensch voranssehc». Für ebenso ungangbar wie diese» Weg hielt die Regierung den anderen, zunächst die Verpflichtungen aus dem DaweS- Planc weiter zu erfüllen und daraus zu warten, daß cs z..r sogenannten Daives-Krise kommt. Ich weiß nicht, ob es sich die Besürworter dieses Weges klar gemacht habe», was diese Dawcs Krise bedeuten würde, daß mit ihr die Arbeits'osigkeit und Wirtschaftsnot, unter -er wir jetzt schon so schwer leiden, sich ins Ungcmessene steigern würde. Und wie anders würde auch solche Daweskrise endigen als wieder mit Revisivnsverhanbluiigen? Oder glauben Sie. daß sich die Gläubtgermächte oder der Wcltgläubiger Amerika zu einem Gcneralverztchte herbeikteße»? Ueber den Haupt punkt, daß es nicht beim Dawesplan bleiben kann, darin sind wir uns eigentlich alle einig. Auch darin stimmen wir überein, daß -er „Reue Plan" kein großer deutscher Erfolg ist, ja, daß er in manchen Punkten, so im Transfersystem, eine Verschlechterung gegenüber dem Dawesplan bedeutet. ES wird auch kein Mensch dafür einstehen wollen, daß wir die nns darin angenommenen JahreStribnte «ns alle Zeit leisten können. Ich wünschte auch sehr, daß nnS eine Nachprüfung unserer Leistungssählgkeit mit klare» Worten zugestanden worden wäre, daß wir nicht so sehr angewiesen wären auf eine künftige bessere Einsicht der Gegner. Daß wir aber gegen über dem DaweSpla», unter dem wir sonst weiterleben müßten, eine Minderung unserer Lasten und Leide» bekommen, das scheint mir doch unbestreitbar. Hat doch selbst Gras Westarp in seiner letzte» A ^einqndcrsetzung Regikningstcklürmig »er RjMkrvMdkalkn Dr. Bünger führte aus: Ich habe mich nicht darum zum Worte gemeldet, weil ich der Meinung wäre, damit das Ergebnis der Abstimmung beeinflussen zu können. Ich will daS auch nicht. Ich halte cs aber für meine politische Pflicht, die Haltung der sächsischen Regierung in der Tributsrage vor dem Lande und de« Landtage kurz z« begründen, wie eS auch mir persönlich ein Bedürfnis ist, meine Stellung nahme in dieser Schicksalsfrage des Reiches vor denen zu rechtfertigen, die mir bisher innerhalb und außerhalb dieses Hauses ihr Vertrauen geschenkt haben. Ich möchte hierbei davon absehen, mich mit meinen beiden Herren Vorrednern im einzelnen auSetnanderzusetzen und in eine Polemik etnzutreten. Ich möchte auch davon absehen, das Tributproblem in dieser Stunde noch einmal in seiner ganzen Brette und Schwere zu erörtern. Alle in Betracht kommenden Fragen sind schon so oft erörtert, baß sich nicht« Neue» mehr sagen läßt. Ich will — ' ' ^ keineswegs erschöpfend, nur ganz kurz ^»binett und ich Haltung begründen, die das Kabinett und ich auf der jetzt erreichten Station jenes Leidensweges eingenommen haben. Meine Damen und Herren! Das Kabinett hat in der ernsten Stunde, in der es über die Stimmabgabe im Reichs- rat zum Neuen Plan beriet, sich gänzlich sreigemacht von parteipolitische« Erwägunge«. Das Kabinett hat es auch abgelehnt, hier etwa mit einem Votum de« weder Ja- noch Netnsagen«, also mit einer Stimm enthaltung, den Schein der Unentschlossenheit oder der Hemmung durch taktische Rücksichten hrrvorzurusen. Einzig und allei« war für sedeS einzeln« Kabinettsmitglied die Frage entscheidend, ob. um das Reich ans seiner ver» weiselten Lage z« retten, die Zustimmung znm zweiten aager Abkommen «ine unabweisbare Notwendigkeit, zur Zeit die einzige »sfenstehende Möglichkeit war. Das Kabinett hat diese Frage besaht. Hierbei hat.eS sich auch alles das vvr Augen gehalten, was das Haager Abkommen mit seinen furchtbaren Lasten »ach seiner Ansicht immerhin als baS kleinere Nebel gegenüber den Daweslasten erscheinen läßt. Meine Damen und Herren, die Gründe für die Annahme, daß der Uoungplan tatsächlich das kleinere Nebel sei, sind jo oft in der Oesfentltchkett anfgefühtt morden, daß ich sie nicht nochmals zu wiederholen brauche. Sie liegen «ach meiner Ausfassuna — «nd ich darf ln diesem Punkte vorwiegend meine eigeu« Ansicht wiedergebe» — vor- »iegend in der Tatsache, daß die dentsch« Schuld setzt endgültig seftgesetzt wird, . auf eine Summe freilich, die bas dentsche Volk ungeheuer schwer «nd ««gehe««» lange belastet. aber doch t« GeaenwartSmert «nd in den Annuitäten hinter de« Letstnngen »es DawesplaneS wesentlich znrückbleidt. „ * «erntchtnng der bisher immer «och b«. stehende« dentschen Obligationen des Londoner MtimatnmS tu Hätz« 1« Milliarde« «oldmark.