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Mittwoch. Nr. 238. II October I8S4 ^eiPzib Pi« Zeitung erscheint mit Ausnahme de« Montag« täglich und wird Nachmittags I Uhr aus- gegeben. Deutsche Allgemeine Zeitung. Drei» für da« Biertel jahr I'/, Thlr.; jede ein zelne Nummer 2 Ngr. »Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz I» Zu beziehen durch alle Postämter de« In- und Auslandes, sowie durch die Erpeduion in Leipzig (Querstraße Nr. 8).; Hnfertionlgedühr für de» Raum einer Zeile 2 Ngr. Eine Frage an Oesterreich. S Leipzig, 10. Oct. Nachdem wir durch die telegraphische Depesche der London Gazette und durch die über Marseille nach Paris gelangte (Nr. 235 und 236), welche vor Sewastopol bis zum 27. und 28. Sept, reichen, wieder auf den Boden der Thatsachen versetzt worden sind, so haben wir eine Rüge dagegen auszusprechen, daß sich die gesammte wiener Presse durch die selbstgemachte Vervollständigung und Ausschmückung einer der officiellen Bestätigung entbehrenden Nachricht zu einem Schwindel sonder Gleichen batte fortrelßen lassen. Auch wir spähen ungeduldig nach den Fortschritten der französischen, englischen und türkischen Fahnen; aber Zeit will erst ge wonnen und Anstrengungen wollen erst gemacht sein; denn für so schwach halten wir die Russen nicht, wie wir sie wünschen. War die Mystification planmäßig und berechnet, so wurde zwar der Zweck, eine große Aufregung durch Deutschland, England und Frankreich zu verbreiten, erreicht; allein mit Lügen ist der Sache, welcher wir anhängen, nicht gedient. Die Gegner sahen sofort, wie viel selbst die wahrscheinlich falsche Nachricht ihnen schade, und griffen, obwol blaß bis in den Fingerspitzen, ebenfalls zu einer Fäl- schung der Depesche aus Petersburg, welche vor Sewastopol bis zum 26. Sept, reichen sollte, aber, wenn nicht ganz fingirt, höchstens vom 20. Sept, datirte. Fort mit Effekthascherei, Betrug und Hinterlist! Vergessen wir nicht, daß selbst dann, wenn Sewastopol genommen, die russische Flotte des Schwarzen Meeres erobert und Rußlands Stolz und Ansehen damit auf das empfindlichste getroffen sein wird, die Alliirten damit immer erst am Ufer eines gewaltigen Reichs stehen, das noch manche Kräfte im In- nern birgt, dessen einziger, aber mächtigster Verbündeter der Winter ist und das deshalb noch lange nicht um Frieden bitten wird. Viel wichtiger und uns viel näher angehend erscheint Oesterreichs Wacht- entfaltung, vor der die Rüssen, wie es Graf Buol mit Satisfaction aus sprechen konnte, hinter den Pruth zurückwichen. Das Einrücken der Oester- reicher in die Donaufürstenthümer, die Sprache des wiener Cabinels, die kein Hehl mehr daraus macht, daß der Krieg mit Rußland unmittelbar be vorstehe, bedeutet mehr als die einzelnen Erfolge in der Krim. Solange Oesterreich mit dem Degen in der Scheide Erfolge erzwingt, braucht es denselben nicht zu ziehen; es wird seine Spitze aber zeigen müssen, sobald die Bürgschaften, welche Rußland gegen künftige Uebergriffe geben soll, ge nauer formulirt sein werden. Daß sich Oesterreich vorher Preußens und Deutschlands vergewissern will, ist von der Klugheit geboten. Daß Preu- ßen und Deutschland ihm den Schutz seiner Grenzen im Fall eines An griffs von Seiten Rußlands zusagten, soll nicht gering angeschlagen wer den. Daß Preußen aber Schwierigkeiten macht, das Schutz- und Truh- bündniß auch auf den möglichen Conflicl der österreichischen und rus sischen Waffen in der Moldau auszudehnen, oder zur Herbeiführung eines gesicherten Friedens und zur Wahrung der österreichischen und deutschen Interessen an der Donau aggressiv aufzutreten, liegt zum Theil an der (allerdings absichtlichen) Unbestimmtheit der bekannten vier Punkte, zum Theil an der Undeutlichkeit, womit sich Oesterreich über seine speciellen Ab sichten ausspricht, wenn wir auch zugeben, daß diese Unklarheit wieder in Preußens Unentschiedenheit ihren Grund hat. Wenn es heißt, Deutschland und Preußen sind nicht minder als Oesterreich dabei interessirt, daß das Protektorat über die Donaufürstenthümer nicht wieder ausschließlich in Ruß lands Hand komme, sie alle sind dabei interessirt, die Freiheit des Donau- Händels zu erzwingen, so sind das Dinge, die erst einer genauen Formuli- rung bedürfen, damit wir sehen, wo das unmittelbar betheiligte Oesterreich dem mittelbar interessirten Deutschland Platz läßt. Mehr, eigentlich Alles kommt darauf an, was unter jenen Garantien zu verstehen ist, die Ruß land gegen fernere Anmaßungen und Uebergriffe aufzuerlegen sind. Sollen die Garantien nicht bloS für die Türkei, die Westmächte und Oesterreich etwas bedeüten, sondern auch Deutschland vor dem russischen Hochmuth schützen, so dürfen dieselben nicht blos an der Donau und dem Schwarzen Meere, sondern auch an der Nordsee genommen werden. Soll das nörd liche Deutschland für die Donaumündung kämpfen, so muß Oesterreich auch dafür eintretcn, daß Ki(l ein deutscher Hafen bleibt. Noch verlautete nichts darüber, ob Oesterreich bereit ist, den Verlust, welchen Preußen und Deutsch land hauptsächlich auf Rußlands Betrieb in den Händeln mit Dänemark erlitten, wiedergutzümächen. Wird Oesterreich das Seinige dazu beitra gen wollen, das Londoner Protokoll in Bezug auf die dänische Erbfolge, die vom Deutschen Bunde genehmigten Stipulationen der dänischen Gesammt- verfaffung, die Unterwerfung Schleswig-Holsteins unter die russisch-dänische Herrschaft rückgängig zu machen? England und Frankreich bedürfen der dcut- schtn Hülfe zu sehr, als daß sie nicht Oesterreich und Preußen jeden Vor- theil.gewähren möchten. Sprech- also Oesterreich für Preußen, da dieses bedenklich und unentschlossen ist, seine, wenn auch Rußland nicht mehr zu- ! gethanc, demselben noch keineswegs abgeneigte Politik zu ändern, und Preu ßen wird nicht umhinkönncn, sich aufzuraffen, sich als Großmacht zu zeigen und die wiederholten Drohungen Rußlands, Ostpreußen besetzen zu wollen, wcttzumachcn. Spreche Oesterreich ein großes, ein die Eifersucht gegen Preußen wahrhaft aufopferndes Wort, und die, liberale Presse Norddeutsch, lands und Preußens wird sofort im Stande sein, für Oesterreich und seine Machtentfaltung an der Donau viel rüstiger und viel zuversichtlicher zu werben als es bisher der Fall war. Deutschland. Frankfurt a. M., 8. Oct. Die Ereignisse in der Krim werde» nicht verfehlen, auf die Berathungen deS Deutschen Bundes über die von demselben in der orientalischen Angelegenheit zu wählende Politik einen großen Einfluß zu üben. Zuvörderst kann von einer Aneignung oder mo ralischen Unterstützung der bekannten vier Friedenspropositionen, die dem Bunde von Oesterreich und Preußen vorgeschlagen wurde, nicht mehr die Rede sein. Dieselben sind jetzt durch die Ereignisse aufgehoben. England und Frankreich erklärten bereits bei ihrer Aufstellung, daß sie sich vorbehiel ten, die Fricdensbcdingungen von dem Gange der militärischen Ereignisse abhängig zu machen; Rußland appellirte ebenso an die Chancen des Kriegs. Diese wenden sich nun überall auf dem südlichen Kriegsschauplatz gegen die Russen; die Krim ist für sie mit der Herrschaft deS Schwarzen Meeres verloren; bald dürfte dies auch mit Kaukasien, Georgien und Bessarabien der Fall sein. So große Erfolge, die bei dem täglich wahrscheinlicher wer denden Beitritt Oesterreichs zur europäischen Allianz sich noch steigern müs sen, werden zur Folge haben, daß man Rußland nicht bloS zum Verluste gewisser Ehren und Rechte, wie bisher, sondern zu Länderverlusten und zur Zahlung der Kriegskosten auffodert. Darauf wird aber der Zar nicht eingehen, ohne vorher die passive Widerstandskraft, welche für ihn in dem Klima und in der unermeßlichen Ausdehnung seines Reichs liegt, versucht zu haben. So wird sich denn der Krieg verlängern. Er kann und wird wahrscheinlich eine große Territorialveränderung im östlichen Europa und damit eine völlige Umgestaltung der europäischen Politik herbeiführen. So großen Ereignissen gegenüber kann der Bundestag sich nicht mit Berathun- gen über antiquirte Friedensbedingungcn beschäftigen, sondern er wird die Maßregeln ins Auge fassen müssen, welche das Wohl Deutschlands bei einer ganz veränderten Weltlage erheischt. Preußen. Berlin, 9. Oct. Welchen Eindruck werden die über raschenden Erfolge der Alliirten in der Krim auf die preußische Politik ma chen? Offenbar einen ermulhigenden auf die nationale Partei, welche Preußen in dem großen europäischen Konflikt gern einen seiner Stellung als Großmacht würdigen Platz einnehmen sähe und wünscht, daß dasselbe durch Anschluß an die Politik der Westmächle den Gefahren entginge, welche es offenbar bedrohen, sobald es bei fcrnerm Glück der Alliirten und bei dem Anschluß Oesterreichs an dieselben isolirt und ohne Einfluß bei einer künftigen Neu gestaltung des östlichen Europa dastände. Auf der andern Seite müssen die Erfolge der Alliirten in der Krim auf unsere Ruffenfreunde einen enl- muthigenden Eindruck machen. Der Nimbus, welcher die russische Macht so lange umgab und sie zum Schiedsrichter in Europa machte, schwindet immer mehr. Nachdem die russische Armee vor den Türken an der Donau hat weichen, ihre Flotte ohne Widerstand den Seemächten die ganze Ostsee hat preisgeben müssen, nachdem sie auch in Asien in die Defensive zurück geworfen worden, läßt sie sich jetzt in wenigen Tagen in der Krim ver nichten. Unter diesen Umständen laßt sich der Furchtsamste durch die Macht Rußlands nicht mehr schrecken und nur die größte politische Verblendung könnte Preußen dazu rächen, für dessen Sache zu den Waffen zu greifen oder durch Neutralität sie zu begünstigen. Offenbar wird, was auch im Interesse der Menschheit läge, Oesterreich durch seinen offenen Beitritt zum Bunde der Westmächle die Gräuel des Kriegs abkürzen, und Preußen dürfte dann nicht mehr zaudern, seinem Schutz- und Trutzbündniß mit demselben praktische Folge zu geben. Nur dann könnte es sich eine Stimme beim künftigen Frieden und die daraus für seinen Handel und seine Stel lung in Europa entspringenden Vortheile sichern. — In Betracht der österreichischen Note vom 50. Sept. (Nr. 236) schreibt man dem Dresdner Journal aus Berlin: „Uebcr eine von Seiten' unsers Cabinets zu erlassende Anwort auf diese letztere ist zur Zeit noch kein Beschluß gefaßt, wol aber darf man annehmen, man werde es be dauern, daß Oesterreich keine Veranlassung nimmt zu nähern Erläuterungen über die von Preußen angeregten Fragepunkte bezüglich der österreichischen Auffassung des an der Donau zu wahrenden deutschen Interesse, sowie über die Art und Weise, wie Oesterreich dieselbe zu schützen beabsichtigt. Preußens Regierung wird vermuthlich auch nach der österreichischen Depesche