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Nummer 149 — 25. Jahrgang Smcrl wöchentl. Bezugspreis für Juli 3.00 «st einschl. Bestellgels. Anzeigenpreise: Die Igesp. Petitzelle »OL, Stellengesuche 20 Die Petitreklamezeile. 89 Milli. Meter breit, 1 ^t. Offertengebühren für Selbstabholer 20 F, bei Uebersendung durch die Post außerdem Porten schlag. E'nzel-Nr. 10 L. Sonntags-Nr. 15 L. Geschäftlicher Teil: I. Hillebrand in Dresden. — MIv-IlsliürMl! kür bsknentrAger V/i!c»eiIsr»rIiIieI i-eösibvesn XkiNkkSUgN tiossnlrägor Xsstberiitrs 1.1. Mat. Vive ültl. Mittwoch, 7. Juli 1926 Im Fall« höherer Gewalt erlischt sede Verpflichtung auf Lieferung sowie Erfüllung v. Anzeigenaufträgen u. Leistung v. Schaoenersatz Für undeutl. u. d. Fern, ruf übermitt. Anzeigen übernehmen wir keine Ver- antwortung. Unverlangt eingesandt« u. m. Rückporto nicht versehene Manuskripte werb. nicht aufbewahrt. Sprechstunde der Redaktion 2—3 Uhr nachmittags. Hauptschristleit.: Dr. Joseph Albert. Dressen. ?«lrmlils«i, llmsrbeiiung lteparatur ^uibcvnlirnng Vonien Oresäen 8treliiener8tr.8 «ui 43477 tseschäftsstrllr. Druck und «erlag- Saroma- öuchdruckerei GmbH.. Dresden-A. l, PoUerprabe 17. gernrul 21018. PoNIch-cklonlo Dresden 147»? Bankkonto: Bassrnge Nriokciie. Dresden. ^ - Redaktion der Sämtlichen «ollSzetkung Für christliche Politik und ärullur D«--.-...,.. P«-«- n. ^-»rn, -E " " " Aurkükruns sllsr Arten von klödeltrsnsoorten Lagerung Läuskll Keuvltv L 6o., 6. m. d. ll., vrescien Uernsprecker 20056 unä 2381 l krsiksrgv« Llesvs ST/SS unci Ssnieslesvs 2 LpscUrion nsck sllen krü T^en H-oknunsLtsurek Ein notwendiger Rückblick Als am 20. Juni große Teile der katholischen und Zentrumswählerschaft ihre Stimme für den Volksent scheid abgegeben hatten, glänzten viele schadenfrohe Ge sichter, und ein Chor von ehrlichen Heuchlern sagte es laut und feierlich, daß nun die letzte Stunde des Zen trums und sogar die des Katholizismus geschlagen habe. Ihr Mitleid war so groß, daß sie für einen Augenblick aus der Rolle der Schimpfenden und Polternden heraus fielen und mit „treunntionalem" Augenaufschlag sich vor diesem gewaltigen Unglück bekreuzten. Man war ja freilich immer Gegner gewesen, aber wenn der Gegner schon im Sterben liegt, dann zeigt man sich diesem Ster benden gegenüber recht fromm und kultiviert. Vierzehn Tage waren nun seit dem 20. Juni ver gangen, da trat am Sonntag in Berlin das Zentrum zu einer bedeutungsvollen Sitzung zusammen. Und das Resultat? Dr. Wirth, der große und ehrliche Republi kaner, kehrt in die Fraktion zurück, sagt seine vollste und innerste Aktivität in den zukünftigen Kämpfen des Zentrums zu, und am Abend des Sonntag steht die gesamte Partei der Mitte plötzlich so st a r k vor aller Welt da, wie kaum je zuvor. Nicht allein der unglück liche Einzelfail Wirth ist geklärt, sondern ganz allgemein tritt die innere und äußere Geschlossenheit der Partei überwältigend in die Erscheinung. Alles Mit leid der Gegner war vergebens, alle Gebete um „Erlö sung von dem Uebel der Mitte" fruchteten den frommen Heuchlern nichts. Es kam anders als man w ü nscht e. — Und nun kann der Kampf von neuem beginnen, die Maske ist überflüssig. Die Tatsache nun, daß am Sonntag in Berlin die Tagung so außerordentlich günstig verlief und stärkste Unterschiede überwand, so daß Stegerwald, Brauns und Wirth nun in einer einzigen Kampffront stehen, soll uns Veranlassung sein, einen Rückblick auf die letzte ^Vergangenheit zu werfen. Denn es sind hier für die breite Wählerschaft noch Dinge zu klären, die man nicht übersehen darf. Wir glauben, es nicht verantworten zu können, einfach mit schöner Geste den Sonntagserfolg zu registrieren und damit einen Strich unter die Vergangenheit zu machen. Das sind alte Methoden, die nie etwas getaugt haben, und wobei die Masse mit ihren Gedanken und Bedenken immer zu kurz Kain. Und so sehr mir von der erfolgten Einigung und Stärkung der Mitte Kenntnis nehmen, so fühlen wir uns doch gezwungen, restlos in die Gefühle der Masse h i n e i n z u I e u ch t e n, um eine volle Klarheit zu bewirken. Daß tatsächlich am 20. Juni eine bedeutende Zahl von Zen trumsanhün gern und Katholi ken s ü r die Enteignung der Fürsten gestimmt hat, steht fest. Und darum verlangt man nach einer doppel ten Aufklärung. Nämlich: ob in der Tat ein D i s z i p l i n b r u ch seitens der Parteimitglieder vor liegt, weil sie der Parole der Fraktion nicht folgten, und ob man von einer Auflehnung der Katholiken gegen die kirchliche Autorität der Bischöfe sprechen kann, die ja eine Erklärung gegen die völlig entschädigungslose Enteignung abgegeben hatten. Mit bedauerlichem Kleinmut geht die Zentrums- und katho lische Presse des Reiches der Erörterung solcher Dinge aus dem Wege, geflissentlich darauf bedacht, ja nirgends anzustoßen, keinem Fraktionsmanu zuuahe zu treten. Rein statistisch ist folgendes zu sagen: Von ins gesamt 35 Wahlkreisen sind in 21 Wahlkreisen am 20. Juni mehr Stimmen für die Enteignung ab gegeben worden, als bei den letzten Reichstagswahlen die vereinte Linke samt Demokraten an Stimmen aufgebracht hatten. Gerade in den Bezirken, in denen die Zen trumspartei ihren Haupteinfluß hat, sind hundert- tausende von Mehrstimmen abgegeben worden. So z. B. in Westfalen-Nord 86 000 Stimmen, in Westfalen-Süd 173 000, in Köln-Aachen 104 000, in Baden 178 000. Na türlich wäre es falsch, wollte man all diese Mehrstimmen — in anderen katholischen und Zentrumsbezirken liegen die Dinge ähnlich — ohne jede Einschränkung auf das Konto der katholischen und Zentrumswählerschaft setzen. Die durch die übermäßigen Forderungen der Fürsten ver bitterten Anhänger der Rechtsparteien sind genau so gut an diesen Stimmen beteiligt. Immerhin aber bleibt der zweifellose Anteil für Zentrum und Katholiken so ge- .valtig groß und beachtenswert, daß man darüber nickt zur Tagesordnung überacben kann. Don unserem Pariser Derlreler Paris, 6. Juki. Das französische Bvlk scheint jetzt entschlossen zn sein, ein Ende mit dein Franksturz zn machen. Sollte die jetzige Regierung ein Mißtrauensvotum erhalten oder zu einem Mißerfolg gelangen, dann würde das Volk die Auflösung der Kammer verlangen und ein großer Teil der Nation nach einem Diktatur schreien. Uebrigens, was das Publikum jetzt will, ist dvch schon eine Art Diktatur, d. h. eiire Regierung, die ohne die Kammer» regiert und energische Maßnahmen ergreift, eine Regierung mit Voll machten versehen, ähnlich der deutschen Regierung, die Ende des Jahres 1023 die Rentenmark eingeführr har. Frankreich will also eine Währung,lösiing. Nun die Regie rung will es auch. Welche aber, das ist die Frage! Allem Anschein nach wird also Caillanx die Sta bilisierung des Franken mit einem Kurs von 170—175 für das Psnud und 30—32 siir den Dollar Vorschlägen. Ge wissen Informationen nach hatten die Sachverständigen de» Kurs von 176—20« für das Pfund und 36—40 für den Dollar angegeben. Das s oll nicht richtig sein und nur unter Vorbehalt nennen nur daher den ">w,i ono"gebenen Kurs von 170—176 für das Pfund resp. 30—32 für den Dollar. Wie kann aber die Stabilisierung erreicht werden? „Nur durch innere Maßnahmen", sagen zahlreiche Abgeord nete, Politiker und Wirtschaftler; höchstens dürfte die Re gierung ihre Sparsamkeits- und Einschränkung-,Maßnahmen und sonstige Mittel durch sehr geringe ausländische Kredite unterstützen. Die Angst vor iw» Anleihen hat die für die Regierung nnangenehme Intervention von Tardieu am letzten Dienstag hervorgcrnsen. Die Gefahren solcher Kredite sind zwar nicht zu unterschätzen, sie können leicht, und d as ist schwer zn vermeiden, zu einer Abhängigkeit Frankreichs dem Auslände gegenüber führe» und das will die öffentliche Meinung absolut nicht. Deswegen ist sie gegen die Ratifikation ohne weiteres des Abkommens Mellön- Beranger. Nun, ohne diese Ratifikation kann Frank reich keine Kredite von Amerika bekommen und ohne ein Finanzabkommen mit England ähnlich dem amer« anischen kann es keine Anleihe in England erhalten. Könnte es etwas mit Spanien erreichen? Vielleicht, es würde aber jedenfalls nur eine beschränkte Hilfe sein können. Soll man hier erwähnen, daß einem Gerüchte nach, Deutschland Briand und Caillaur angcboten hätte, Frankreich finanziell zn unterstützen, falls es den Rhein räumen würde? Ist dieses Gerücht ernst zu nehmen? Es ist nicht das erste Mal, daß man so etwas hört. Die öffentliche Meinung in Frankreich würde ein solches Ab kommen, vor allem unter einem Ministerium Eaillaux, schwerlich aiinehmen und wir glauben kaum, daß dieser Minister cs wagen würde, dies zu tun. Seine Lage ist schon ohnedies schwierig genug. Was wird nun die französische Regierung tun? Sie wir- wahrscheinlich einige Maßnahmen ergreisen, wie das ita. Iieni - s ch e Kabinett dies gemacht hat. Sie wird, dem Ratschlage der Sachverständigen folgend, ausländische Kredite zur Stabilisierung des Franken aufnehmen wollen. Wird sie aber dabei bestehen können oder nicht? Das ist schwer vor auszusehen. Jedenfalls läßt das neue Ministerium Vriand er klären. um die öffentliche Meinung vorzubereiten, daß das Gold der „Bangne de France" als Sicherheit für eine Anleihe dienen kann, aber ohne aus Frankreich herausgehen zn sollen, und daß dieses Gold nicht als einziger Faktor für die Regulierung des Devisemvechsejs betrachtet werden soll. Man wird ihm vorwer- sen.daß er einen inneren Bankerott Frankreichs hervorruft, wenn er den Franken zu einem so niedrigen Kurs wie 170—176 stabili siert, daß er Frankreich unter die Abhängigkeit Englands und Amerikas stellt, daß er das Gold der „Bangne de France" in Gefahr setzt. Der Kampf wird schwer lein. Aber nur wenn die Regierung fest ist und bleibt, wird sie Aussicht habe», eine Mehr, hcit für ihre Entschlüsse zu bekommen. Was man jetzt von einer französischen Regierung erwartet, ist die F e st i g k e'i t. Sie kann zwar dabei gestürzt werden, si« muß aber das Risiko annehmen. Ihr S t n r z w ü rde sicher sein, entweder gleich oder nach einiger Zeit, wenn sie keine bestimmte Lösung vorschlagen würde. Frankreich erivartet jetzt Tatsachen, Entschlüsse und energi» s ch e M aßna h m e n. Das Volk ist bereit, Opfer anzunehmen, wenn es fühlt, daß das Kabinett einen festen Plan hat: es wird nicht ohne Kritik gehen; es würde aker mit Resig nation und Selbstzucht zielbewusste Verfahren annehmen und der Regierung Vertrauen für einige Zeit schenken, bis es sieht, wi« die Ergebnisse sind, Alan erkennt, daß die Lage sehr ernst ist und nur durch einen Harle» Kampf verbessert werden kan», Alan hört überall diese Mahnung: „Negierung werde Hartl", und das ist für das Kabinett Briand eine gute Unterlage, Ein gewisser Fortschritt ist also inzwischen eingctreten, indem die öffentliche Meinung immer mehr Festigkeit verlangt. Dagegen wird der weitere Sturz des Franken als ein Zeichen der Unsicherheit der Pläne der Negierung betrachtet. Die Spannung ist groß. Fernand Osänne. Wir müssen die Dinge also ganz öffentlich beim richtigen Namen nennen: Es liegt seitens der Zentrums wühlerschaft ein direkter Vorstoß gegen die offizielle Parteiparole vor. Diese Tatsache, die wir zunächst ohne Tadel oder Gutheißung feststellen, ist nicht aus der Welt zu leugnen. Wie war der Vor stoß möglich? Wir wiesen schon am Tage nach der Abstimmung darauf hin, daß die gewaltige Zahl der In-Sager der Reichsregierung ein ganz unzweideutiges Mißtrauensvotum ausgesprochen hätten. Und an dieser gewaltigen Zahl ist das Zentrum in starkem Maße beteiligt. Das Vertrauen zur Führung war nicht mehr vorhanden und zwar — was uns hier am meisten interessiert — nicht allein zur obersten Führung des Reiches, sondern auch zur obersten Führung d e r Z e n- trumspartei selbst. Sonst wäre es undenkbar, daß inan einen Befehl dieser Instanz einfach außer Acht lassen könnte. Manche Vorkommnisse der letzten Monate waren dazu angetan. Unzufriedenheit im Lande erstehen zu las sen. Man könnte hier vieles aufzühlen: Das Verhalten der Zentrumsminister im Kabinett Luther bei der Flag genfrage. Unter Zustimmung Marx' hat Luther bekannt lich die völlig unnütze und so viel Aerger erzeugende Flaggenverordnung erlassen. Und als Luther gestürzt war, hielt es Marx als Kanzler noch für notwendig, im Reichstag in breitester Form nochmals die Recht mässigkeit der Verordnung zu betonen. Wenngleich einer der Meinung sein konnte, daß man die Verordnung nicht aufzuheben brauche, weil sie sich von selbst bis zur Schaf fung der neuen „Einheitsflagge" erledige, so Hütte man doch eine andere zurückhaltendere und das Empfinden des Volkes nicht verletzende Form der Kanzlerrede in dieser Frage erwartet. Und schließlich kam auch noch unter dem Kanzler Marx die Verordnung des Auswär tigen Amtes heraus, wonach so schnell wie mög lich — noch schneller, als man es hätte von Luther vermuten sollen — die ausländischen Konsulate die neue Verordnung zur Durchführung bringen sollen. In alle Oeffcntlichkeit wurde das hinausposaunt. — Und dann beispielsweise das Verhalten des Kanzlers Marx in der Affäre des Hindenburg-Briefes. Marx hielt es im Reichs tag nicht für nötig, in aller Offenherzigkeit gegen die Auffassung des Reichspräsidenten, der dem Herrn Loebell den Mißbrauch seines Briefes gar nicht übel nahm, vor- zngehen. Ja, er stellte sich sogar noch schützend vor diese Dinge. So daß die eigene Fraktion gegen diese Auffassung des Kanzlers eine unzweideutige Erklärung abgeben mußte. — Und weiter hat der Umstand, daß die Reichsregierung den Kompromißantrag in der Für stenabfindung für v e r s a s s u n g s ä n d e r n d erklärte, und dadurch sein Zustandekommen erschwerte, gerade nicht beruhigend im Volk gewirkt. Und nicht zu ver gessen jene andere Tatsache, daß das Kabinett Luther — zu dem ja Marx auch gehörte — eine so mangelnde Initiative in der Fürstenabfindung an den Tag legte, mit anderen Worten: fast völlig tatenlos zuschaute. Man könnte »och weitere Vorkommnisse anführen, die alle in der gleichen Richtung liegen. Aber die ge nannten allein genügen schon, um zn verstehen, daß all mählich das Vertrauen zu der Regierung und — weil der Kanzler gleichzeitig Führer des Zentrums ist — das Vertrauen zur Initiative und Aktivität der Z e n t r u m s l e i t n n g in nicht unbedeutendem Maße schwinden konnte. Wenn wir diese Mängel hervorheben, so soll damit nicht gesagt sein, daß nun wirklich die Politik des Zentrums schlechthin nichts mehr getaugt hätte. Davonüst gar keine Rede. Im Gegenteil: noch niemals ist die Erkenntnis, daß einzig und allein die Politik der Mitte uns dem allmählichen Aufstieg wieder zuführt, so groß gewesen wie heute. Das Gute an einer Partei aber fällt bekanntlich erst immer zu letzt in die Augen, zuerst fallen die Fehler auf und stoßen ab. Wenn so herzerauickende Sachen wie