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geworden, obwohl es eigentlich nur im Finale ausgesprochene Virtuosität fordert. Vollen dung der Form, Tiefe und Schönheit der Gedanken, idealer Ausdruck klassischen Huma nismus - das sind Vorzüge des Werkes, das bei aller Universalität des zur Darstellung gelangenden Weltbildes jedoch mehr zu gelassener Ausgewogenheit als zur Überwindung dialektischer Spannungen neigt. Vier leise Paukenschläge, die im ganzen Satzverlauf späterhin motivische Bedeutung haben, eröffnen die Orchestereinleitung des ersten Satzes (Allegro ma non troppo), die das thematische Material mit sinfonischer Impulsivität an das Soloinstrument weitergibt. Zwei Themen werden entwickelt. In den Oboen, Klarinetten und Fagotten erklingt zunächst das gesangvolle Hauptthema, dem nach einem energischen Zwischensatz ein zweites lyri sches D-Dur-Thema der Holzbläser von bezaubernder Schlichtheit folgt. Nach der Ent wicklung dieses Themas, die zu einem kraftvollen Höhepunkt mit einer neuen, daraus her vorwachsenden Melodie führt, setzt die Sologeige, zurückhaltend von Bläsern und Pauken begleitet, mit leichter Abwandlung des Hauptthemas in hoher Lage ein. Und nun beginnt ein herrlicher Zwiegesang mit dem Orchester. In kaum zu beschreibender Schönheit fließt der Klang der Sologeige über dem Orchester hin oder begleitet es mit beseelten Passagen. Auch nach einem zweiten kräftigen Orchestertutti setzt sich der verklärte, melodische Gesang des Soloinstrumentes fort. Nach der Durchführung kehren in der Reprise die musikalischen Haupt- und Nebengedanken wieder, vom Orchester wesentlich getragen. Figurenreich ist der Part der Violine, der schließlich in die Solokadenz mündet. Der Schluß teil - mit seiner besonderen Berücksichtigung des zweiten Themas - schließt mit einem schwungvoll-energischen Aufstieg der Geige. Romanzencharakter besitzt das anschließende G-Dur-Larghetto, dessen erstes Thema, von gedämpften Streichern angestimmt, zu den Hörnern, Klarinetten und Fagotten über wechselt und von Passagen und Trillern der Solovioline kommentiert wird. Ein zweites lyrisches Thema gesellt sich nach einem Höhepunkt hinzu, von der Geige vorgestellt. Mit einer Kadenz leitet das Soloinstrument zum Rondofinale (Allegro) über und über nimmt sogleich mit einem fröhlichen, dreiklangsbetonten Hauptthema die Führung, die es nunmehr durchgehend dem „Refrain“ des Orchesters gegenüber beibehält. Der tänzeri sche Elan dieses Satzes, der formal zwischen Rondo und Sonatensatz steht, durch heitere und auch lyrische Episoden und Einfälle aufgelockert, ist von geradezu mitreißender Wirkung. Die virtuosen Lichter des beglückenden Finales erzeugen den Eindruck eines bunten Wirbels. Mit energischen Akkorden verklingt das Werk. Dmitri Schostakomtsch ist heute unbestreitbar der bedeutendste und eigenständigste sowjetische Komponist. Darüber hinaus zählt er zu den profiliertesten, führenden schöp ferischen Persönlichkeiten der internationalen Gegenwartsmusik, als Sinfoniker (mit bis her dreizehn überragenden Belegen aus diesem Schaffensgebiet) steht er einzigartig in der musikalischen Welt da. Außerdem finden sich in seinem Oeuvre, das der nationalen Tradi tion zutiefst verpflichtet und zugleich überzeugender Ausdruck echten musikalischen Neuerertums ist, sich bewußt zu einer ideelich klaren, vielfach programmatischen Ton sprache bekennt, Beiträge zu fast jeder musikalischen Gattung. Neben seinen Sinfonien stellt das heute erklingende Konzert für Violine und Orchester op. 99, mit dem die Dresdner Philharmonie einen ersten Geburtstagsgruß bringt zum 60. Geburtstag des großen sowje tischen Komponisten, den dieser am 25. September 1966 nach glücklich überstandener Krankheit feiern konnte, eine seiner hervorragendsten Schöpfungen dar. Im Jahre 1948 erstmalig konzipiert, 1955 schließlich vollendet, widmete Schostakowitsch sein ungemein dramatisches, konfliktgeladenes Violinkonzert dem berühmtesten sowjetischen Geiger: David Oistrach, der es auch erfolgreich uraufführte (in unserer Aufführung musiziert es nun sein Sohn). Oistrach, der wohl beste Kenner dieses Werkes, veröffentlichte in Heft 7, Jahrgang 1956, der Fachzeitschrift „Sowjetskaja Musyka“ eine Besprechung, die an dieser Stelle als Einführung zitiert sei: „Strenge Verhaltenheit der Gefühle charakterisiert den ersten Satz (Moderato), der den Titel,Notturno' trägt. Er entwickelt sich in breitem, melodischem Fluß, in ruhiger Bewe gung. Hier gibt es keine kontrastierenden Themen. Haupt- und Seitenthema ergänzen einander. Ein lyrischer, schwermütiger Charakter sowie die Gemeinsamkeit der rhythmi schen Bewegung verbindet sie. Adel und Herzenswärme atmet das Hauptthema. Edlen, liedhaften Charakter hat die Melodie des Seitenthemas. Der von dramatischer Spannung erfüllte Satz verläuft allmählich abgeklärter, ruhiger. Innerhalb des Konzerts erscheint er wie ein selbständiger Prolog. Der zweite Satz (Allegro) hat den Charakter eines Scherzos. Die heftige, drängende Dy namik, die komplizierte polyphone Anlage (eine Fuge im Mittelpunkt der Durchführung), die farbenprächtige Instrumentierung - das alles ist sehr eindrucksvoll. Die Musik ist stürmisch, ungestüm, sie hat etwas Dämonisches. Das polyphone Gewebe ist mit groß artigem Können geflochten, zugleich subtil in der Instrumentierung. Die mittlere Epi sode des Scherzos ist ein grotesk anmutender Tanz volkstümlichen Gepräges, von eigen tümlichem Humor und feiner Ironie. Der dritte Satz ist eine Passacaglia (Andante) voller Adel, Schönheit und Gefühlswärme. Aus ihrem majestätischen Schreiten spricht aber auch Leid und Nachdenklichkeit. Das ausdrucksstarke Thema der Passacaglia wird zu Anfang von Streichern, Pauken und Horn ausgeführt. Die bedeutsamen Pausen geben seinem stolzen und gebieterischen Charakter ausgeprägte Konturen. In der weiteren Entwicklung schichten sich immer mehr und mehr Stimmen über diesem Thema auf, und jede von ihnen ist von melodischer Bedeutung. Nach einem von Dramatik und intensiver Pathetik erfüllten Höhepunkt beginnt die Ka denz, die einen fast selbständigen Satz darstellt, so bedeutend ist ihr Gehalt und so ent wickelt ihre Form. Hier leben Nachklänge der Stimmungen und Bilder von Adagio, Scherzo und Passacaglia wieder auf. Eine ungeheure Woge dynamischer Steigerung führt die Kadenz unmittelbar ins Finale über, vom Komponisten ,Burleske' genannt (Allegro con brio). Die Festlichkeit und un gezwungene Fröhlichkeit dieser Musik bilden einen scharfen Kontrast zu den ersten drei Sätzen. In diesem Schlußsatz von betont nationaler Klangfarbe erlebt man Bilder eines fröhlichen Volksfestes. Zuweilen ist das Spiel von Skomorochen (Wandermusikanten) zu hören. Die Themen sind in der Intonation mit denen der vorhergehenden Sätze verwandt. Das Hauptthema hat tänzerischen Charakter. Es wird in der Solovioline und im Orchester breit entwickelt und dann von einer tänzerischen Episode abgelöst, die auf ein russisches Lied zurückgeht. Sodann erklingt eine Weise, aus der man das fröhliche Spielen der Wan dermusikanten heraushört. Auf dem Höhepunkt der Fröhlichkeit erhebt sich das stolze Thema der Passacaglia. Aber jetzt ist seine Bedeutung eine völlig andere: es ruft alle her bei zum frohbewegten Volksfest, mit dessen Bild das Werk schließt.“ Dr. Dieter Härtwig VORANKÜNDIGUNG: 29. und 30. Oktober 1966, jeweils 19.30 Uhr, Kongreßsaal 6. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Gerhard Rolf Bauer, Karl-Marx-Stadt Solist: Juri Bukoff, VR Bulgarien/Frankreich (Klavier) Werke von Carl Maria von Weber, Franz Liszt und Peter Tschaikowski Freier Kartenverkauf Programmblätter der Dresdner Philharmonie - Spielzeit 1966/67 - Künstlerischer Leiter: Prof. Horst Förster Redaktion: Dr. Dieter Härtwig Druck: Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft, Dresden, Zentrale Ausbildungsstätte 39/145 111 9 5 1,5 966 It G 009/52/66 DRESDNER 5. AUSSERORDENTLICHES KONZERT 1966/67