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Schwere deutsche Anklagen im Polen-Senat. Auftrag Hlndenburgs an Müller-Franken zur Bildung der Weimarer Koalition. Ungesiihnle Terrorakte. Warschau, 22. Juni. Bet der heutigen Aussprache deS Senats über bas Budget nahm auch der in Ostoberschlesien gewühlte deutsche Senator Pant das Wort. Er betonte, datz in Ostoberschlesien gegenüber der deutschen Minderheit bloß die brutale Kraft in Anwendung gelange, und daß auch die Justiz nur dem einen Ziele diene, das Land zu eutdeutschen. Die Zahl der terroristischen Akte gegenüber den Deutschen betrüge einige hundert, und es mühte hervorgehoben werden, daß diese Terrorakte größtenteils ganz straflos blieben oder nur ganz lächerliche Strafen verhängt wür den. Kein einziger Dynamttanschlag, der gegen die Deutschen verübt wurde, sei bestraft morden, weil man angeblich die Täter nicht entdecken konnte. Am 6. November v. I. sei der Sejmabgcordnete Irans fast zu Tode ge- prügelt worden. Der Nedner wies noch darauf hin. das; die polnischen Richter bet den Gerichtsverhandlungen aus ihrer feindseligen Einstellung gegenüber den Deutschen kein Hehl machten. Wenn die polnischen Gerichte jede strafwürdige Tat, ohne Rücksicht darauf, wer sie begangen hatte und gegen wen sie gerichtet war, ahndeten» würden in Polen rnhige «nd friedliche Zustände herrschen. Deutsche Blätter, die sich maßvollster Sprache be fleißigen, schon deshalb, um nicht mit den Pressegesetzen in Konflikt zu geraten, werden trotzdem ununterbrochen drang saliert und schikaniert. Ein einzelnes Blatt ist binnen ver hältnismäßig kurzer Zeit mehr als hundertmal beschlagnahmt «nd verboten worden, nur weil cs wahrheitsgetreue Berichte über Vorkommnisse im oberschlesischcn Schulstreit und über die beim Völkerbundsrat eingereichtcn Beschwerden gab. Polnische Blätter, die gegen die deutsche Minderheit zu Gewalt und Aufruhr gehetzt haben und immer weiter Hetzen, gehen nicht nur straflos aus, sondern sie werden »och von den polnischen Behörden in ihrem Tun und Treiben gestärkt und ermuntert Jeder Deutsche, namentlich, wenn er zu einer beut, schen Organisation aehört, ist so gut wie vogelsrei. Wer dagegen zn dem Verband der Ansständische» oder znm polnischen Mestmarkcnvcrcin gehört, besitzt in seiner Mitglieds karte einen Freibrief für alle Ausschreitungen, die er sich mit voller Kenntnis der polnischen Behörden und der polnischen Polizei gestatten dars. So wird die deutsche Bevölkerung nach der Schilderung ihres Vertreters im Senat verfolgt. Eine Besserung wird durch diese mutigen Darlegungen natürlich nicht cintreten. Alle bisherigen Anklage» im Parlament haben ja nichts gebessert. Immerhin werden aber die unerschrockenen Worte -cs deut sche» Abgeordneten dazu beitragen, der Welt zu zeigen, wie in Polen die Freiheit der Persönlichkeit aufgesaßt wird. Auch können sie die Beschwerde, die der Präsident Calonder dem VölkerbundSrat selbst gegen das Verhalten der polnischen Be hörden einreichen mußte, stützen. Gegen Zaleskis Aheinlan-wünsche. Ansichten des „Manchester Guardia«". London, 22. Juni. Etwas seltsam befaßt sich in letzter Zeit der „Manchester Guardian" mit der Rheinlandfrage. Vor kurzem stellte das Blatt fest, daß die Nheinlanbfrage die deutschen Gemüter nicht mehr in Erregung bringen könne: in seinem Donnerstag-Leitartikel vergleicht das Blatt die gegenwärtige Nheinlandbesatzung mit den Ketten eines Gefangenen, der nur durch ein gelegentliches Zerren an der Kette überhaupt merke, datz er nicht frei ist. Bis zu seiner Befreiung werde dem Gefangenen noch manches Versprechen durch ein Zerren an der Kette entlockt werden. Ein solches Zerren sei die Haltung des polnischen Außen ministers in der Rheinlanbfrage, eine Haltung, die wohl auf französische Einflüsse zurückgehe. Englischcrseits müsse Zaleskis Verlangen nach einem Ost locarno abgclehnt werden. Wenn Polen sich auf seine Eigen schaft als alliierte Macht berufe, so teile es diese Ehre auch mit anderen Staaten wie Kuba, Siam. Liberia und Haiti. Auch diese Staaten könnten die Rheinlandbcfreiung von der Erfüllung ihrer Ansprüche abhängig machen wollen. Zaleskis Wünsche nach einem Ostlocarno seien albern. Schon der Begriff Ostlocarno sei absurd. Locarno sei Locarno. Die an Polen verlorenen Gebiete könnten niemals mit Elsaß- Lothringen verglichen werden. Eine Neuregelung der dcntschen Ostgrenze sei allein schon ans Gründe» der Zweckmäßigkeit wünschenswert. Eine Revision von Vertragsabmachungen bedeute hier die Wiederherstellung eines im Interesse beider Länder wünschenswerten Zustandes. Unter der gegen wärtigen Grenzziehung litten nicht nur Dcutsche sondern auch Polen. Groß-Brttannien habe mit der Garantie der deutschen Westgrenze schon genug getan. Die bloße Feststellung, daß ein Engländer das Leben einsetzen soll, um Polens Grenzen vor einer dringend notwendigen Abänderung zu bewahren, sei schon albern. Oder, so fragt der „Manchester Guardian", glaubt Zaleski wirklich, daß englische Soldaten bereit sind zn sterben oder sich zu Krüppeln schießen z» lassen, daß englische Familien und bas britische Schatzamt schwere Verluste zu erleiden gewillt seien, nur um polnischer Wünsche willen, die nicht einmal vernünftig sind? Jede Macht, die es versuche, die Rheinlandbefreiung zu verzögern, um für sich noch eine Sondergarantie zu erhalten, solle über Englands Haltung dazu nicht im unklaren gelassen werden. Das nationale Ziel der Kuomintang. Vlin-e Nachahmung Europas abgelehnk. IDrahtmeldung unserer Berliner Schrtftlettung.s Berlin, 22. Juni. Der frühere Pressechef des politischen Büros der chinesischen Nationalregierung, Mitglied des Exe kutivkomitees der Kuomintang. Minister Hu Han-Mtn, warb auf einem Presscempfang für ein gutes Verhältnis zwischen Deutschland und dem durch die letzten Vorgänge «n China offenbar der Einigung ziemlich nahcgekommenen Nicsenreich des Ostens. Hu Han-Min wies darauf hin, daß die Abhängigkeit der europäischen Presse von den Nachrichten agenturen, die oftmals absichtlich falsche Nachrichten lancierten, viel dazu beitrüge, eine weitgehende Verständigung über die wahren chinesischen Verhältnisse zu verhindern. China habe die erste Periode seiner nationale« Ncvolntion abgeschlossen. Hu Han-Min schilderte den Sturz der MandschuS in der ersten chinesischen Revolution vom Jahre 18l1 durch die Kuomintang unter der Führung Sunyatsens. Dieser habe in seiner Lehre hinterlassen, baß die chinesische Nationalrevolution drei Perioden durchzumachcn habe. Die erste werde militärischer Natur sein mit dem Ziel, die Macht der Fremden und die monarchistischer Militärkrcisc niederzukämpfen. Hieran werde sich die Periode der BolkSerziehung knüpfen, in der das Volk sür eine moderne Staatsform reif gemacht werden soll nnd in der die Wirtschaft Chinas entwickelt werden solle. Die dritte Periode sei dann der Abschnitt der Verfassungsgebung, in der das Volk, reis geworden durch die Erziehung zum modernen StaatSdcnken, sich bann die neue Verfassung geben könnte. Jetzt sei die erste Periode zn Ende nnd man bedürfte der Hilfe deutscher Techniker und deutscher Maschinen. Die Beziehungen beider Länder seien in ihren Boraussetzungcn deshalb besonders günstig, weil zwischen Deutschland und China keine Verträge bestünden, die gegen den Gedanken der Gleichberechtigung gerichtet wären. Die Kuomintang werde so lange, bis die drei Entivick» lungsperiobc« nach dem Programm SunyatsenS abgeschlossen seien, China diktatorisch regieren. Die Finanzverwaltnng werde zentralisiert werden. Die Binncnzollverwaltung werde durch Verhandlungen mit den betreffenden Mächten abge- schasft werden. Ans die Frage, wie sich die Kuomintang zum Gedanken des modernen Parlamentarismus stelle, erwiderte Hu Han-Min. daß ei« Parlamentarismus «ach europäischem Muster t» »er setzt begirmeudcn Periode der SrziehungSverwalt««g nicht t« Frage komm«. Auch die Frage der Frauenemanzipation werde und könne nicht im europäischen Sinne gelöst werden, da die Ge sellschaftsbildung Chinas ans dem Gundsatz patriarchalischer Familicnherrschaft und einem Europa ganz fremden Kollektiv geist beruhe. Eine fortschreitende Industrialisierung Chinas werde voraussichtlich an Stelle dieser althergebrachten pariar- chalischcn Verhältnisse andere Formen setzen. Indessen werde der Kollektivgcdanke-gewahrt werden. Recht interessant waren schließlich die Grundwahrheiten, die Hu Han-Min über das Gleichberechtigungsidol der Demo kratie anssprach. Er erklärte, wo Ungleichheit künstlich ge macht würde, müsse sic abgcschasft werden, aber in dem Men schen sei eine natürliche Ungleichheit, die anzutasten niemals der Sinn des demokratischen Gedankens sein könne. Der moderne europäische Parlamentarismus srage viel zu kehr nach den Rechten deS einzelnen als nach besten Fähigkeiten. Grundsatz der Kuomintang sei. erst die Fähigkeiten bei den Menschen zu entwickeln «nd ihnen erst dann Rechte znzu- billigen. Pelping statt Peking. Die Neuordnung in China. Paris, 22. Juni. Der Berichterstatter des „Petit Parisien" in Schanghai meldet, daß zwischen den Nationalisten und den Delegierten von Mulden über ein Kompromiß verhandelt werde, das der Mandschurei die Führung der nationalistischen Flagge und die Wiederherstellung des allgemeinen Friedens ermöglichen soll. Die Nankingregierung habe beschlossen, Nanking als Hauptstadt beizubehalten. Peking werde unter dem Namen Peipink (Stadt des Friedens) Provinzial» hanptort «erden. Die Provinz Tschilt sei umgetauft worden in Hopat (Land jenseits deS Gelben Flusses). Außenminister Wang habe das diplomatische Korps aufgefordert, offizielle Vertreter nach Nanking zu entsenden. Wegen des Verfalls von Nanking glaube man aber, daß die Entthronung Pekings nur eine vorübergehende sein werde. Das Eisenbahnunglück von Dottnüs. Stockholm. 22. Juni. Nach de« bisherige« Srmitt- lnnge« beträgt die Zahl der Todesopfer der Visenbahnkata« ftroph« bei vollnäS 1«. dt« der Verletzte« 20. Slick nach Osten! NingS um Deutschland spinnen die Kanzleien der Staaten wieder Fäden zu neuem politischen Netzwerk. In Bukarest konferieren die Außenminister der Kleinen Entente. Nom und der Quai d'Orsay verfolgen mit gespanntem Interesse die Verhandlungen. Und Zaleski, Polens Außenminister, ist dabei, bas mit Poincars in Parts abgekartete Spiel zu Ende zu führen. Wahrlich Vorgänge, denen Deutschland größte Aufmerksamkeit schenken sollte. Doch in Berlin hat man etwas anderes zu tun. Die Außenpolitik t st aktions unfähig, da das „geschäftssührende" Kabinett nicht mehr im Namen des Volkes regiert und Herr Müller-Franken mit seinem 22köpsigen Gremium immer noch ans der Suche nach einer neuen Negierung ist. So raffte sich denn die Wilhelm straße nur dazu auf, Herrn Zaleskis bekanntes Essener Inter view über die Verbindung von Rhcinlandräumung und Ost- sragen in schön gesetzten Worten als „wenig glückliche Sclbst- interpretation" abzuweisen. Sehr bedauerlich ist eS, daß das Außenamt nicht mit einem offensiven Propaganba- feldzug geantwortet hat, um die deutsche Öffentlichkeit auf die Gefahren hinzuweisen, die dem Deutschtum im Osten seit der Zaleski-Neise in wachsendem Maße drohen, und um der Welt- mcinung zu zeigen, daß die neuen politifchen Pläne Polens eine Gefährdung des europäischen Friedens bedeuten. Tic Pariser „Volonts" hat die wirklichen Absichten des Zaleski- Besuches besser erkannt als die Berliner offiziellen Stellen. Sie schreibt: „Das wahre Ziel seiner Reise sei nicht gewesen, Worte des Friedens und der internationalen Ein tracht zu sprechen, sondern zu sondieren, welche Unterstützung seine Expansionspolitik bei den Negierungen finden könnte, die ein Interesse daran hätten, seine Pläne zu för dern." Diese Pläne laufen ans Schaffung eines Groß-PolcnS hinaus. Sie als phantastische Bestrebungen auf die leichte Achsel zu nehmen, wäre sehr unpolitisch gehandelt, Senn des Polen Zähigkeit in der Verfolgung einmal gesteckter Ziele ist bekannt. Leider hat die Sorge um bas Rheinland und die Räu mung der besetzten Gebiete den Blick der deutschen Nation von dem Osten abgelcnkt. Obwohl gerade die Probleme der Ostgrenzcn sür Deutschlands Zukunft von größter Bedeutung sind. Depn die Wunden, die dort in den Leib des Vater landes gerissen wurden, müssen geheilt werden, weil sonst Nation und Staat daran verbluten. Die Oesfentlichkeit kann daher nicht genug mobil gemacht werden gegen das nachsichtige und nachgiebige Verhalten dem polnischen Nachbar gegenüber, das die Linke in politischen und wirtschaftlichen Dingen immer wieder predigt. Die Presse und Politiker dieser Richtung leugnen absichtlich die polnischen Expansions bestrebungen, weil sie nicht in das von ihnen vertretene Pro gramm der Weltverbrüderung Hineinpassen. Diese Illusions- Politik ist um so gefährlicher, als sich Polens Land hunger ganz besonders auch aufdie deutschen Grenz marken richtet. Was ein Ostlocarno bedeuten würde, das weiß heute jeder politische ABC-Schütze. Nicht nur würde es den Raub der östlichen Gebiete gntheißen, sondern für immer der Nation die Möglichkeit nehmen, den Weg zu gehen, den ihr die Geschichte seit 1000 Jahren vorschreibt — den Weg nach dem Osten. Ostpreußen, jetzt schon vom Mutterland getrennt, würde der polnischen Umklammerung dann schnell erliegen. Danzig, das Warschau am liebsten schon jetzt sich einverleiben möchte, wie die Sejmmitgliedcr auf ihrer Hafen- besichtigungsreise unmißverständlich äußerten, wäre ebenfalls verloren. Aber Polen streckt nicht nur verlangende Hände aus nach der ostpreußischen Küste, sondern drängt auch nach der Gewinnung der Oderlinie, „der natürlichen Grenze des Landes". Die friedliche Durchdringung der „»«erlösten" Gebiete, an der Warschau seit Jahren mit allen Kräften arbeitet, und durch die eS sich Rechtstitcl zu schaffen sucht, ist Beweis genug. Und die besorgniserregende Ab wanderung der Deutschen aus der Ostmark — die Zahlen gehen jährlich in die Hunderttausende — erleichtert den Polen durch das bedauerliche Einströmen ihrer Saisonarbeiter sowieso schon die Situation beträchtlich. Kommt es noch zu einem Handelsvertrag auf dem Boden der „Verständi- gungspvlitik" der Linksparteien, der Ostpreußens Landwirt schaft einfach die Existenzmöglichkeit rauben würde, dann dürfte die Abwanderung katastrophal werden. Wahrlich, es wird höchste Zeit, daß das deutsche Volk endlich einmal die Zufammenhänge erkennt und die Gefahren richtig einschätzen lernt, die ihm im Osten drohen, um auch eine Linksregierung dazu zu zwingen, die Wahrung deutscher Lebensnotwen dtgkeiten nicht einfach dem Grundsatz „billige Nahrungs- mittel" zu opfern. Unverantwortlich ist die Bcrbunke- lungSpolitik, die die Linke in den Ostsragcn treibt. Anstatt die Korriborfrage im Volke lebendig zu erhalten und zum Problem der europäischen Politik zu erheben, versuchen sozialdemokratische Führer, den Korridor für die Augen der Nation „unsichtbar" zu machen. Hat doch Löbe bet seinem