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ÄMGbcilU M AWn AMiiW Nr. 141. zu Nr* 6!- des Hauptblattes. 1924. Beauftragt mit der Herau-gabe: Regierungsrat Brauße in Dresden. Landtagsverhandlnngen. 99. Sitzung. Donnerstag, den 2«. März 1924. Präsident Winkler eröffnet die Sitzung 1 Uhr 12 Minuten nachmittags. Am Regierungstisch Ministerpräsident Heldt, die Minister ElSner, I>r. Kaiser, Müller (Chemnitz- und Dr. Reinhold und Regierungsvertreter. Der Präsident teilt mit, das; folgender Dringliche keitsantrag Bertz (Kom.) n. Gen. eingegangen ist: Der Landtag »volle beschließen: die Regierung zu beauftragen, die in Hirschfelde gegen die Arbeiter eingesetzte Sipo und Technische Nothilfe sofort zurückzuziehen. DaS Hans lehnt es ab, diesen TringlichkeitSantrag heute zu behandeln. (Lärm bei den Kom.) Der Präsident gibt dann einige Veränderungen bei der Besetzung der Ansschüsse bekannt. Abg' Böttcher (Kom.) beantragt zur Geschäfts ordnung, das; als erster Punkt der heutigen Sitzung der Antrag, betr. die Auflösung des Landtages, der nach dem Borschlage des Präsidiums erst hinter Punkt 3 behandelt werden soll, verhandelt wird. Dieser Antrag wird abgelehnt und in die Tages ordnung cingetrcten. Punkt 1: Strafverfolgung von Abgeordne ten. (Drucksache Nr. 755 und 756.) Die Strafverfolgung der beiden kommunistischen Abgg. Schneller und Cllrodt werden auf Antrag des Rechts- ansschusses (Berichterstatter Abg. I>r. Weigel sDem.s) nicht genehmigt. Punkt 2 der Tagesordnung: Erste Beratung über die Borlage Nr. 122, den Entwurf eines Gesetzes über die Aufnahme einer Anleihe zur Wetterführung stillgclegter Wohnungsbanten betr. Der Cntwnrf lantet: 8 1. Die Staatsregierling wird ermächtigt, bei der Reichs regierung ein vom 1. April 1924 ab mit 6 v. H. jährlich zu verzinsendes, an; 1. Oktober 1927 zurückznzahlendcs Darlehn von 2228 5,00 Goldmark aufznnehmen. 8 2. Der Darlehnsbetrag ist von dein Ministerium des Innern und dem Arbeitsministerium gemeinsam dazu zu verwenden, stillgelegte Wohnungsbanten des Jahres 1923 als kleine Notstandsarbeiten nach den näheren Bestimmungen der Reichsregierung zu Ende zu fuhren Aus der Begründung ist hervorzuheben: DasReichsarveitsministcrinm hat sich durch Erlas; vom 20. Februar 1924 damit einverstanden erklärt, das; die wegen Mangel an Geldmitteln ftillgelcgten Wohnungs- bauteil der Jahres 1923 nunmehr als kleine Notstands- arbeiten zu Ende geführt werden, wenn die Vollendung der Bauten nicht Erwerbszwecken dient. Tie Reichs regierung hat zu diesem Zwecke dem sächsischen Staate einen Kredit in Höhe von 2 228 500 Goldmark eröffnet, der vom 1. April 1924, bei später abgerufenen Be trägen vom Tage des Empfanges ab mit 6v. H. jährlich zu verzinsen und spätestens bis zum 1. Oktobor 1927 wertbeständig znrückzuzahlen ist. Aus diesen Mitteln sind den Bauenden Darlehen zu gewähren, die gleich falls bis spätestens den 1. Oktober 1927 zurückzuzahlen sind; die Zinsen sind von den Bauenden zu decken. Der Bauende hat ans den ihm gewährten Darlchn diejenigen Beträge an die Gemeinde znrückzuzahlen. die ans Mitteln der Erwerbsloscnfürsorge für die Vollendung der Bauten aufgewendet werden und ist berechtigt, sie außerdem zur Beschaffung der etwa noch fehlenden Baumaterialien zu verwenden. Der Bauende hat die Verpflichtung, den Unterschicdsbetrag zwischen derjenigen Summe, die tatsächlich an die gemäß Zifs. 3 beschäftigten Erwerbs losen gezahlt ist (Unterstützungssatz, Zn-chläge, Prämien sowie etwaige Naturalzulagen) und derjenigen Summe, die bei tariflicher Entlohnung an sie hätte gezahlt werden müssen, zugunsten des ErwerbSloscnfürsorgefond.' nach näherer Bestimmung der obersten Landcsbchörde zu zahlen. Der Unterschiedsbetrag ist in der Regel bei Rückzahlung des Darlehns fällig: die Fälligkeit kann auch auf einen späteren Zeitpunkt, jedoch nicht später als 5 Jahre nach Rückzahlung des Darlehns, festgesetzt werden. Abg. Rammeisberg (Dtschnat.): Wir stimmen der Vorlage im allgemeinen zu, möchten aber bemerken, daß die Verquickung mit der Arbeitslosenfrage nia-t ganz unser Einverständnis findet. Auch möchte mau eine Übersicht über die Bauten und voraussichtlichen Kosten haben. Abg. Siewert (Kom): Wir haben an der Vorlage auszusetzeu, daß den erwerbslosen Bauarbeitern nicht die Tariflöhne gezahlt werden müssen, sondern daß sie nur eine Unterstützung bekommen, daß sie also als Pslichtarbeiter kbeschäftigt werden sollen. Wir er blicken darin eine Gefahr für die gesamte Bauarbeiter, schäft, die sich mit aller Entschiedenheit gegen eine solche Vorlage aussprechen muß, nämlich die Gefahr, daß alle liegengebliebenen Bauten, die nicht fertig geworden Hind, nunmehr im Wege von Rotstandsarbeiten durch Arbeitslose fertiggestellt werden und daß sich dadurch die Arbeitslosigkeit verewigt. Wir beantragen daher, daß in 8 2 dle Worte von „als" bis mit „Reichsregie rung" gestrichen werden. Tann bestünde auch für uns die Möglichkeit, der Vorlage zuzustimmen. Abg. Noack (Ttsch. Vp.): Wir bitten, der Vorlage zu zustimmen. Es ist gar keine Frage, daß die Bauten unter allen Umständen so schnell wie möglich fertig gestellt werden müssen. Tic Mittel der Erwerbslosen fürsorge bekommen wir aber nur unter den Bedingungen, wie sie hier im Gesetzentwurf und in der Begründung zum Ausdruck gebracht worden sind, und so bleibt uns nichts weiter übrig, als die Sache in dieser Form an zunehmen. Wir hoffen, daß das Arbeitsministerium und auch die Gemeinden, die diese Gelder bekommen, sie so ausgeben, daß kein Schaden sür die Bauarbeiter- schast und die Unternehmer entsteht. Arbeitsminister Elsner: TasArbeitsministerium hat durchaus ein sehr großes Interesse daran, die Arbeits losigkeit zu vermindern. Es handelt sich in der Vorlage darum, 838 Wohnungen in Sachsen fertigzustellen, die im Rohbau fast fertig gestellt sind. Tic Mittel dazu hat das Reich dem Lande Sachsen zur Verfügung ge stellt, wir müssen uns deshalb ganz zwangsläufig an die Vorschriften des Reiches halten. Ich darf aber er klären, daß sich das Arbeitsministerium bemühen wird, Erleichterungen zu schaffen, soweit es irgend erträglich ist. Ich hoffe, daß mit dieser Zusicherung die Bedenken des Herrn Abgeordneten Siewert lind seiner Fraktion zurücktreten können. Abg. Jähnig (Dem.): Wir lönnen die Absicht der Vorlage nur begrüßen. Gern stimmen wir zu, den von der Reichsregierung zur Verfügung gestellten Betrag voll aufzunehmcn, und es wäre zu wünschen, daß ein Weg gesunden würde, diesen Betrag auch restlos aus- znnützcn, und zwar auf dein schnellsten Wege. (Bravo!) Ter Antrag Siewert, im 8 2 der Vorlage die Worte „als" bis mit „Reichsregierung" zu streichen, wird ab- gelehnt und die Vorlage darauf in sofortiger Schluß, beratung gegen 10 Stimmen unverändert angenommen. Punkt 3: Erste Beratung über die Vorlage Rr. 123, den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung einiger Vorschriften des Staatsrechnungshofs und des Staatswirtfchaftsgeseyes sowie des Peamten- pftichtgesetzes betr. Durch rechtskräftiges Urteil des Slaalsgelichtshofs vom 29. September 1923 in Sachen der Teutschnatio nalen Fraktion des sächsischen Landtags gegen die Re gierung des Freistaats Sachsen ist sestgestcllt worden, das; die 88 6 und 11 des sächsischen Gesetzes über den Staatsrechnungshof vom 4. Juli 1922 mit Art 48 der sächsischen Verfassung in Widerspruch stehen. Tiefer Widerspruch wird für § 6 darin erblickt, das; die Mit glieder des Staatsrechnungshofs entgegen der Bestim mung in Art. 48 Abs. 2 der Versagung, wonach die Rechnungen durch eine unabhängige, nur dem Gesetz unterworfene Behörde zu prüfen sind, nicht wie die Richter mit den Garantien persönlicher Unabhängigkeit ausgcstattet worden sind. Hinsichtlich des 8 11 vertritt der Staatsgerichtshof die Meinung, daß die Vorschrift im 2. Satze gegenüber der allgemein gefaßten ange führten Verfassungsbestimmung eine unzulässige Ein schränkung der Prüfungsbefugnisse des Staatsrech nungshofs enthalte. Da dieses Urteil zwingendes Recht schafft und eine Änderung der Verfafsungsbc stimmungen, auf denen es fußt, zurzeit nicht in Frage kommt, muß nunmehr auf entsprechende Änderung der angefochtenen Bestimmungen des Gesetzes über den Staatsrechnungshof zugekommen werden. Diese Ände rungen wcrdcir durch die Vorlage hcrbcigeführt, indem die ursprüngliche Gesetzesvorlage Nr. 56 vom 4. Juni 1921, die den nunmehr maßgebenden Anforderungen des er gangencn Urteils entsprach, wiedcrhergestellt wird. Tic ergangene Entscheidung wirkt ohne weiteres auch auf die jetzige Fassung von § 18 des Staatsbankgcsetzes vom 25. Juni 1921 sowie der Anlage zum Gesetz über Pflichten der Beamten und Lehrer usw. vom 26. Juli 1923 zurück. Auch die Abänderung dieser Besinn mungen bringt die Vorlage; sowie gleichzeitig eine An derung der Grenzbeträge, die im Gesetz über den Staatsrechnungshof und im StaatSwirtschasts^csetz für gewisse Fülle in Mark festgesetzt und die infolge des Währungsverfalls ganz unzulänglich geworden sind. Abg. Ander» (Dtsch. Vp): Die Begründung des ganzen Gesetzes ist so übersichtlich und überzeugend, das; ich beantrage, die Vorlage heute gleich in Schluß- beratlmg anzunehmen. Abg. Beutler (Dtschnat.): Ich erkläre mich damit einverstanden, daß die Vorlage Nr. 123 sofort in Schlußberatung genommen wird. Wir werden dieser Vorlage zustimmen. Ich kann mir aber nicht versagen, meine Genugtuung darüber auszusprechen, daß infolge der von uns angestrengten Klage der Staatsgcrichtshof sich doch bewogen gesunden hat, zu entscheiden, daß die aus rein politischen Rücksichten hier von einer Mehrheit gefaßten Beschlüsse ungültig sind. Das ist ein Zeichen dafür, daß doch nicht die politische Mehr heit immer alles das machen kann, was sie für gut findet. Tie Reichsversassung und die Verfassung des Landes bieten dagegen doch eine gewisse Schranke, und ich bitte, das auch in Zukunft zu berücksichtigen. Ta die Kommunistische Fraktion gegen die sofortige Schlußberatung ist, soll die Angelegenheit in einer im Laufe des Tages noch stattsindenden zweiten Lesung erledigt werden. Als nächster Punkt wird der deutschnationale Antrag auf Auflösung des Landtags (Trucksache Nr. 775) beraten. Ter Antrag lautet: 1. Der Landtag löst sich auf; 2. die Regierung wird criucht, die Neuwahlen für den Tag anzuberanmcn, an welchem die Wahlen zum Reichstag siattsinden. AbgBeutler,Dtschnat.—zur Begründung»: DerAntrag auf Auflösung des Landtages, nachdem der Reichstag seine Auflösung beschlossen hat, kommt Ihnen sicher nicht un erwartet. Ich kann wenigstens scststellen, daß dieser Antrag im Lande von vielen Seiten erwartet worden ist. Es sprechen zunächst äußerliche Momente für die Auflösung des Landtages und die Verbindung der Neuwahl mit der Reichstagswahl. Tas sind, wie ick zugebe, Momente von untergeordneter Bedeutung. Es ist billiger und für die Wähler bequemer, wenn sie nur einmal zu wählen haben, als wenn auf die Reichstags wahl vielleicht kurze Zeit danach die Landtagswahl folgt. Tenn wir stehen wohl heute alle auf dem Standpunkt, wenn der Reichstag neu gewählt ist und er bringt, wie wohl kaum zu bezweifeln, eine ganz wesentliche Ande derung in der Struktur der Volksvertretung und der Reichsrcgicrung, so wird sich als Folge für die Länder eine Neuwahl zwingend ergeben. (Sehr richtig! bei den Ttfchnat.) Aber das ist nur ein äußerlicher Grund. Ein äußerlicher Grund ist endlich auch der, daß wir, so viel ich höre, zwei Anträge auf Volksentscheid und Volksbegehren haben, die die Landtagsauflosung herbei führen wollen. Ich weiß nickt, welche Aussichten formal dieser Entscheid hat, jedenfalls steht uns über kurz oder lang die Entscheidung darüber bevor, ob wir auflösen wollen oder nicht. Aber auch das betrachte ich nicht als den maßgebenden Grund. Ter maßgebende Grund für uns ist ein ganz anderer als der maßgebende Grund sür die Herren Kommunisten und den linken Flügel der Sozialdemokratie. Für uns ist der maßgebende Grund der, daß wir die Überzeugung haben, daß eine Wahl, wenn sie jetzt vorgenommen wird, die sozial demokratisch kommunistische Mehrheit endgültig in Sach sen beseitigt. (Sehr richtig! bei den Dtschnat.) Wir halten es beinahe sür unbegreiflich, daß insbesondere die Deutsche Volkspartei, die einmal daS Lied sang: Vom roten Lande macht uns irei allein die Deutsche Volkspartei (Sehr wahr! rechts.), daß diese Deutsche Vvlkspartei heute in diesem entscheidenden Moment ver sagt. Ich möchte, wenn die Deutsche Volkspartei gegen die Landtagsauslösung stimmt, ihr Verhalten öffentlich brand marken als ein Abrücken von ihren früheren Grundsätzen. Tas Land wird die Omttung für diese Haltung der Deutschen Volkspartei bei den Reichstagswahlen geben. (Unruhe iin Saale.) Wir sind also überzeugt, es bietet sich sür die bürgerlichen Parteien — von den Demo kraten will ick nickt reden, denn sic betrachten sich nicht als bürgerliche Partei — die beste Gelegenheit. Sie selbst (zu der Dock. Vp.) sühlen sich in die»er Mehrheit und Rcg'.erungskoalition nach unterer festen Überzeugung nicht wohl, und Sie müßten die erste beste Gelegenheit ergreifen, um diese Regrerungskoalition, in der Sie auf die Tauer nicht glücklrch werden können, zu zerstören. Wir erwarten von den bürgerlichen Parteien, daß sic diese Gelegenheit benutzen und mit uns sür die Auf lösung des Landtages stimmen. (Andauernder Lärm.) Abg.Evct (Minderheit d.Soz.): Jin Namen der Mm dcrheit der sozialdemokratischen Fraktion habe ich zu er klären, daß wir dem Anträge der Teutschnationalen Partei zustimmcn werden. Ich bin allerdings der Meinung, daß die Blütenträume nickt reifen werden, die sich der Herr Abg. Beutler von der Auflösung des Reichstages versprochen hat. Es muß einen Grund haben, weshalb die Deutsche Polkspartei entgegen den Wünschen der Teutschnationalen Rachbarvartei nicht auf die Auslösung des Landtages entgeht. Tiefer Grund liegt unseres Erachtens darin, daß die wesentlichen Wünsche der Deutschen Voüspartci befriedigt worden sind (Sehr richtig! bei der Minderheit d. Soz ), rind das ist sür uns der maßgebende Grund für das Verlangen nach Land- tagsauflösung. Wenn der dcntscknationale Redner betont hat, daß eine »eltene Gelegenheit verpaßt werde, die sozialistisch kommunistische Mehrheit dieses Hauses zu beseitigen, so sind wir davon überzeugt, daß durch die Politik der letzten Monate in diesem Landtage diese sozialistische Mehrheit praktisch bereits beseitigt ist. (Sehr richtig! bei der Minderheit d. Soz.) Wir sind aber auch davon überzeugt, das; den Machtansprüchen der Deutsch nationalen Partei und aller derjenigen, die mit diezer Partei an einem Strange ziehen, am besten dadurch begegnet wird, daß die Arbeiterklasse den Fehdehandschuh