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Ottendorfer Zeitung. Die „Dttendorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners tag und Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich , Mark. Durch die Post bezogen 1,20 Mark. Annahme von Inseraten bi, vormittag io Uhr. Inserate werden mit m Pf. für die Spaltzeile berechnet Tabellarischer Satz nach be sonderem Tarif. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Moritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode" Druck und Verlag von Hermann Rühle in Groß-Mkrilla. Für die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Gkrilla. Nr. 74. Mittwoch, den 21. Juni 1906. 4. Jahrgang. Verttiches und Sächsisches. Dttendorf-Dkrilla, 20. Juni igos. — Wir leben jetzt bereits auf der Höhe des Jahres, in der Zeit der Hellen Nächte; denn selbst in der mitternächtlichen Stunde weicht die Dämmerung nicht der eigentlichen Nacht. Die Sonne sinkt nach ihrem Untergange "Ht mehr unter den astronomischen Dämmerungskreis, der 18 Grad unter dem Horizont liegt, hinab. Sie verweilt in der Zeit von -ihrem Untergange bis zum Wieder oustauchen über dem Horizont in der sogenannten Dämmerungszone: ihre Strahlen treffen dann Noch die oberen Schichten der Atmosphäre unseres Gesichtskreises. Die Periode, während weicher das Licht unseres Tagesgestirneö leibst um Mitternacht in dämmernden Strahlen um den nördlichen Horizont spielt, sodaß es bei klarem Himmel nie ganz dunkel wird, dauert bis Mitte Juli Das ist die Zeit der Hellen Nächte. Am wenigsten ttef unter dem Horizont steht die Sonne am 21. Juni, nämlich nur 14 Grad. So ist es natürlich, daß an diesem Tage das interessante Phänomen der Verschmelzung von Abend- und Morgen dämmerung — klaren Himmel vorausgesetzt — am besten beobachtet werden kann. — Am Donnerstag begeht die katholische Christenheit einen ihrer höchsten Feiertage, das Fronleichnamsfest. — In der staatlichen Fürsorge für Idioten steht im Königreich- Sachsen ein Fortschritt bevor, der von großer Bedeutung ist und in den Kreisen der deutschen und ausländischen Plychiatria mit großem Interesse beobachtet Wird. Während nämlich bisher aus räumlichen und anderen Gründen erziehungssähige und nicht erziehungsfähige Schwachsinnige in gemeinsamen Anstalten untergebracht werden wußten, wird -S nunmehr in nächster Zeit durch die Fertigstellung einer neuen großartigen Anstalt für Blinde und Schwachsinnige in Chemnitz möglich, die nickt erziehungSsähigen Moten von den erziehungsfähigen zu trennen. Bei der Behandlung der Vollidioten wird die Medizinische Wissenschaft vorherrschen, dagegen sollen die ErziehungSsähigen in der Hauptsache pädagogisch behandelt werden. Damit wird für da» Königreich Sachsen die Streitfrage ob die Jdiotenanstalten vorwiegend unter ärztliche »der unter pädagogische Leitung zu stellen sind, tu*gültig auf einer Mittellinie entschieden, die vielleicht auch für andere Staaten vorbildlich werden dürste. Zu der erschreckend großen Zahl der noch unversorgt umherlaufenden Moten im Deutschen Reiche stellt Sachsen so Sut wie keine. Die Errichtung der neuen Erziehungsanstalt für Blinde uad schwachsinnige Zöglinge in Chemnitz, welche demnächst bezogen Werden soll, erfordeite die Summe von rund 4500000 Mk. Mit der Anstalt ist eine Ökonomie verbunden. Dresden. Di» Klempner und Installateure MIofsen am Freitag abend in einer im Drianonsaale abgehaltencn Versammlung, sofort w den Streik einzutreten. Davon sollen jedoch we Verheirateten ausgeschlossen sein. Den Arbeitgebern kommt dieser Beschluß um so verwarteter, als sich am Tage vorher ein kerneinsamer, aus Meistern und Gehilfen zu- wmmengesetzter Beratungsausschuß über viele Punkte des neuen TarifeS einig geworden war vud deshalb eine Beilegung der Differenzen iu erwarten stand. — Auf der Elbstreckc Tetschen —Nieder - grund—Schandau hat der Wasserstand des Bromes in den letztvergangenen Tagen Wesentlich abgenommen, doch gestaltet sich der Elbverkehr stromabwärts noch immer sehr ^bhaft. Vom 1. bis 15. Juni d. I. sind 508 beladene Schiffe und 156 Flöße nact Deutschland eingefahren, mährend es seit b- Januar d. I. deren 3601 Schiffe und Prahmen waren und kamen im gleichen Zeiträume am Hauptzollamte Schandau an 4400 hefrachtete Elbfahrzeuge zur zollamtlichen Abfertigung. — Ausstand der Bootsleute. Auf der Elbe brach ein Ausstand der Bootsleute der Privatschiffergenostcnsckaft aus, der eine ernste Störung des Schiffahrtsverkehrs nach Deutschland herbeiführte. Die verlangte Lohn erhöhung wurde bisher abgelehnt. 900 Schlepper dürften still liegen. — Ein schwerer Unfall, dessen Ursache noch nicht aufgeklärt ist, ereignete sich am Montag nachmittag in der fünften Stunde in der Mühlenbauanstalt und Maschinenfabrik vor mals Gebrüder Seck an der Zelleschen Straße. Das Vorgelege des Fahrstuhls löste sich und traf vier Arbeiter. Die Verunglückten wurden zunächst nach der nahen Kinderheilanstalt ge- wacht, wo ihnen die erste Hilfe zu teil wurde. Während bei drei Verunglückten die Ver- etzungen nicht bedeutend waren, hat der vierte einen komplizierten Sckädelbruch und Ver- etzungen beider Augen erlitten, die das chlimmste befürchten lasten. Der Verunglückte wurde alsbald durch den Unfallwagen dem Stadtkrankenhause zugeführt. — Der frühere Lehrer, jetzige Agent Hennig von hier, hat am 14. d. M. in der Nähe des Schandauer Bahnhofes einen Raubanfall ver übt. Er ist daselbst mit dem in Krippen wohnhaften Holzhändler Drechsel wegen Geld angelegenheiten in Differenzen geraten, hat ihn schließlich angefallen und mit einem Steine niedergeschlagen. Drechsel ist schwer verletzt am Tatorte aufgefunden worden. Der Täter ist noch in der Nacht zum 15. d. M. von der hiesigen Kriminalpolizei ermittelt und fest genommen worden. Weißer Hirsch- Hier hat sich ein Ans chuß gebildet, um den um Weißer Hirsch hoch verdienten verstorbenen Dr. Lahmann einen Gedenkstein zu errichten. Weißig bei Bühlau. Am Sonntag ver suchte hier ein Luftballon zu landen, ging aber obschon der Anker den Boden berührte, noch bis Kunnersdorf, dort entstiegen dem Ballon 5 Mann von der preußischen Luftschiffer abteilung. Der Ballon war in Berlin auf- gesahren. Radeberg. Zwei gefährliche Wilddiebe sind am Sonntag auf Ullersdorfer Staats forstrevier in Sagranti ertappt und fest genommen worden. Schon seit langer Zeit wurde in der Dresdner Heide angeschostenes Wild aufgefunden. Es gelang aber nicht, die Wilddiebe zu überraschen. Am Donnerstag fiel abermals in der Dresdner Heide ein Schuß. Sonntag früh postierten sich in der Nähe dieser Stelle Försterkandidat Seibt und Wildwärter Angermann aus Ullersdorf. Sie waren der Ueberzeugung, daß die Wilddiebe mit dem Wechsel des Wildes rechnen und wiederkommen würden. Man faßte den wegen Wilddiebereien bereits schwer vorbestraften Strumpfwirker Beutel, als er mit scharf ge ladenen Gewehr pirschte. Ein Begleiter floh Beutel wurde nach harter Gegenwehr ge bunden und dem Königlichen Amtsgericht Radeberg zugeführt. Sein Begleiter, Glas schneider Oswald Kretzschmar von hier, wurde später ebenfalls verhaftet und nach Dresden abgeliefert. Kötzschenbroda. Der Gemeinderat hat in seiner letzten Sitzung gegen drei Stimmen die Errichtung und Unterhaltung einer Real schule mit Progymnasium durch die zu einem Verbände vereinigten Gemeinden Radebeul, Kötzschenbroda und Oberlößnitz ausgesprochen, gleichzeitig aber auch den Wuusch zu erkennen gegeben, daß die Anstalt in der Nähe der Haltestelle Weintraube, also etwa im Mittel punkte der drei interessierten Gemeinden, er richtet werden möchte. Potschappel Von dem vormittag 8 Uhr 25 Minuten vom Oppelschachte fälligen Kohlenzuge ist am Montag kurz vor dem Bahn- Hofe ein beladener Wagen aus noch unbekannter Ursache entgleist. Infolgedessen mußten die Reisenden des vormittags 9 Uhr 9 Minuten von Mohorn hier eintreffenden Personenzuges vor der Unfallstelle aussteigen und den kurzen Weg zum Bahnhofe zu Fuß zurücklegen. Personen sind bei dem Unfälle nicht verletzt worden. » Tharandt. Das Bad-Hotel ist für 99000 Mark aus dem Besitz des Rechts anwalts Dr. Julius Bondi, der es im Dezember des Jahres 1904 in der gerichtlichen Subhastation erstand, in das Eigentum der Stadt Tharandt übergegangen. Die Stadt wird das Bad renovieren und weiter in Betrieb erhalten. Bautzen. Freitag früh brannte das geräumige Maschinenhaus in dem Dampf- ägewcrk der Firma Gebrüder Mörbitz inner- >alb einer Stunde völlig nieder. Meißen. Der Unfall am Meißner Bahn- wfe hat noch ein zweites Opfer gefordert: die gleich dem Geschirrführer Krause infolge Durchgehens der Pferde unter einen mit Roggen beladenen Wagen gekommene Tochter des Gärtnereibesitzers Born ist ihren Ver ätzungen ebenfalls erlegen. Chemnitz. In einem unbewachten Augen- >lick nahm ein 2*/, jähriger Knabe einen Topf mit aufgeweichtem Soda aus dem Ofen und trank von der Flüssigkeit. Das Kind starb trotz sofortiger ärztlicher Hilfe an Lungenvergiftung und Verätzung der Mund höhle und Speiseröhre. Plauen i. V. Hier wurde der 13 jährige Sohn des Bauunternehmers Mottl von einem Pferd seines Vaters dermaßen an den Kopf geschlagen, daß er bewußtlos und blutüberströmt von der Stelle getragen werden mußte. Der Vater brach beim Anblick seines lebens gefährlich verletzten Sohnes bewußtlos zu sammen. Nus der Woche. Rascher als zu erwarten war, hat die ent scheidende Niederlage Roschdjestwenskys in der Tsuschimastraße ihre weitertragenden Folgen ge zeitigt. Präsident Roosevelt hatte eine glückliche Hand, als er die beiden Kriegführenden auf- forderte, Bevollmächtigte zu ernennen, die über die Friedensbestimmungen beraten sollen. Daß Japan ohne großes Zureden sich bereit erklären würde, seine Vertreter zu schicken, war voraus zusehen, denn auf der ganzen Linie, zu Master und zu Lande, ist die „aufgehende Sonne" das Siegeszeichen. Anders stand es mit Ruß land. Die Frage: „Wird Rußland sich auf Friedensverhandlungen einlasten?" fand die verschiedenartigsten Antworten. Die einen wollten misten, daß die KricgSpartei am Hofe des Zaren mächtiger denn je ihr Haupt erhebe die andern konnten aus „bester Quelle" be richten, daß der Zar den Friedensfreunden sein Ohr neige. Verständtgerweise hat nun die russische Regierung eingewilligt, in Friedens unterhandlungen einzutreten. Der Zar mußte dabei mehr „der Not gehorchen als dem eigenen Triebe." Wenn auch die große Hoffnung Rußlands" wie die baltische Flotte unter Roschdjestwensty genannt wurde, zum Teil in japanische Kriegsschiffe umgewandelt worden ist, zum Teil auf dem Grunde des Stillen Ozeans ruht, so hat doch Rußland immerhin noch ein ungeheures Heer in der Mandschurei zu stehen. Die Fortsetzung der Feindseligkeiten mit diesen entmutigten, in der Disziplin schwer erschütterten Truppen aber könnte nur dem Ziele dienen, günstigere Zeiten für einen Friedensschluß abzuwarten. Gewiß würde Rußland noch imstande sein, den Knex mit Japan fortzuführen. Die passive Energie war ja von jeher Rußlands Stärke, die Un empfindlichkeit gegen die Stöße von außen, die wenn sie auch noch so stark und scharf trafen, doch nie das Herz des Riesen zu erreichen ver ¬ mochten, nie den sich aus der unermeßlichen Tiefe und Weite immer erneuernden Lebens quell zu unterbinden imstande gewesen waren. Vielleicht könnte Rußland, wenn es allein gegen Japan fechten würde, den Kampf noch eine Weile aushalten. Da« offizielle Rußland hat aber einen weit gefährlicheren Gegner; die ich gegen das heutige Regierungssystem auf- ehnenden Masten! Seit den ersten Nieder« agen der russischen Waffen in dem jetzigen Kriege befindet sich das Riesenreich in einem ortdauernden Revolutionszustande Putsche, Streiks, Attentate, Reservistenausschreitungen krawalle, Bauernunruhen wechseln in bunter Reihenfolge ab. Wohl vermag die eisernste Polizeigewalt hier und dort das Feuer zu öschen oder zu verschütten, aber sie vermag nicht zu verhindern, daß die Flamme an andrer Stelle um so gewaltiger ausbricht. Alle noch so dringenden Bitten, alle Gesuche und Petitionen der verschiedensten russischen Gesellschaftsklassen fielen stets in den Papier« der russischen Minister. Jeder Appell an den Zaren verpuffte wirkungslos in der Luft. Nach diesen Erfahrungen der letzten Monate bedarf 'es eines großen, großen Optismismus, um von der jüngsten Adresse an den Zaren irgendwelche Erfolge zu erwarten. — In Schweden-Norwegen haben sich die Dinge während der Berichtswoche nur wenig vom Flecke bewegt. König Oskar hat zwar an den Präsidenten des norwegischen Parlaments, das etzt die Rechte eines Königs ausüben darf, ein Schreiben gerichtet, in dem er in energischem Tone darauf hinweist, daß es nur Schweden und ihm als Unionskönig allein zustehe, zu entscheiden, ob der Angriff Norwegens auf die Union zur gesetzlichen Aufhebung derselben übren soll oder nicht. Auf die phlegmatischen Norweger scheint das Schreiben ihres bis herigen Königs indessen keinerlei Wirkung aus geübt zu haben. Sie sind froh, endlich der ihnen nicht besonders angenehmen Union mit Schweden los und ledig zu sein. Wie ttef die Abneigung der Norweger gegen ihr Brudervolk die Schweden ist, zeigt schon eine Auslastung des vor einem halben Jahrhundert verstorbenen norwegischen Politikers Jakob Aall. Aall, der 1814 Mitglied der Nationalversammlung zu Eidsvold war, die die Frage der Union mit Schweden beriet, meinte, daß in den Herzen der Norweger, gleichsam wie mit der Mutter milch eingesogen, eine natürliche Abneigung gegen jede Zusammenschmelzung der beiden Reiche liege. Da Norwegen jetzt aber um keinen Preis mit Schweden länger uniiert sein will, so wird auch der energische Protest de» „abgesetzten" Königs Oskar und auch di» Stellungsnahme des schwedischen Reichstag», der am 20. d. M. sich mit der LoStrennung Norwegens zu befassen gedachte, an der Gesamtlage wenig ändern können. — In Marokko haben sich die Dinge nun doch etwa» anders entwickelt, als man bisher anzunehmen geneigt war. Der Sultan hatte bekanntlich die in Marokko interessierten Mächte zu einer Konferenz eingeladen, die die Madrider Ueber- einkunft von 1880 revidieren sollte. Während nun Deutschland, Oesterreich-Ungarn, Italien und die Vereinigten Staaten sich dem Vor schläge des marokkanischen Herrschers an- schlossen, hat England in letzter Stunde seine Beteiligung an der Konferenz abgelehnt. Da aber einzelne Mächte, wie Oesterreich-Ungarn, Spanien und die Ver. Staaten die Konferenz nur beschicken wollten, wenn alle interessierten Mächte sich an derselben beteiligten, so ist mit der Ablehnung Englands der ganze, schöne Plan des Sultans ins Master geplumpst. England hat offenbar auf Zuflüsterung Frank reichs den Konferenzplan durchkreuzt, um so Frankreich aus der Patsche zu ziehen. Es bleibt den französischen StaatSleitern, dank dem Ungeschick Delcastbö, schließlich nichts andre- übrig, als sich in betreffs Marokkos mit Deutschland zu verständigen.