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Lichtmüch crswüncn drei Nummern. Pr^numerauoni- PcciS 22^ Sgr. (j Tklr.) oicrtcüäbrlich, Z Tblr. kür das ganze Jahr, chne Er- hobung, in allen Tbcilcn der preußischen Monarchie. M a g a z r n für die Man cränumerirc auf dicses >ririan der uNg. Pr. SlaaiS- geüunz in Berlin in der Ervekilien (Mohren-Straße Nr. Z4); in der Provinz so wie im AuSlanke Sei den Wohllbbl. Post - Acmtern. Literatur des Auslandes. 67. Berlin, Montag een 5. Juni 1837. Frankreich. Französische Kleinsindtercl. Luch rufe ich an, Paris, dn bcrrlichc Weltstadt, du Metropole der Geselligkeit mit deinen glanzenden Soireen, deinen seinen Salons, wo man ohne Furche und Scheu cinlrilk, wo inan frei und offen seine Meinung adgiedi, wo man sich ohne Heftigkeit und Leidenschaft über Alles aussprichl, wo man mit einem Gegner disvulirl, ohne sich auf Persönlichkeiten cinzulaffen, wo selbst der Niedrigste zu jeder Stunde Gelegenheit haben kann, mit einem großen Mann oder einer reizenden Lame zusammenzukommen, deren sreuntliche« Lächeln einem die Sinne ocrwirren könnte, wüßte man nicht, daß dies Lächeln weiter nichts ist, riS die gangbare Münze jener Pariser Freundlichkeit, die Jedem ohne Unterschied cnlgcgcnkömml, gleichwie das Sonnenlicht für alle Welt strahlt; ach ihr heiteren Soireen, >br offenen, zwanglosen Gesellschaften, die lhc dem Geichäflsmann und .Künstler Rube und Zerstreuung, dem Müßiggänger Unterhaltung und Zeitvertreib, dem Proletarier endlich Trost und Erhebung gewährt, wo ftude ich euch wieder!.... Der Leser mag mir verzeihen, daß ich mit einer etwas emphatischen AuSrusung begonnen; man weiß >a, cnie Ausrufung ist ost gar sehr be- eculungsvolt und inhaltSlchwcr, und cs müßte Liner noch nichts von dem berühmten Kommentar Paul Courrier's darüber gehört haben, nm nicht zu wissen, welch' ungeheurer Abstand cristirl zwischen den Wor ten: „Johann, gieb mir meine Pantoffeln", und: „Ach, Johann, meine Pantoffeln!" Luc Ausrusung ist der plastische Ausdruck und Träger e>ncr überströmenden Fluch von Empfindungen und Gedanken, cs ist der Schrei der Lcidenschast und Sehnsucht. Mail kann nicht lieben ohne Ansrufungszeichen; man kann nicht srehlich oder schwermütbig scvn, man kann nicht hoffen, sürchlen oder klagen ohne AusrusungSzcichcn. Wie viele junge Leute kenne ich, die von kcr großen Weltstadt nicht anders reden können, als mit einer Ausrusung. Ach, Paris! ruscn sie und wissen ost nicht mehr zu sagen, aber dieses Ach, Paris! enthält Alics. Ach, Paris, es sind nicht etwa deine lärmenden Straßen, nach denen ich mich sehne, oder deine prachtvollen Monumente, auch nicht deine Bilderläken, keine Kaffeehäuser, deine Theater, deine Lcsckabmcllc, deine lausend Journale, deine schönen Hamen und bas bumc zahlreiche Volk, das sich Tag und Nacht in deinen Mauern hcrumircibl! Nein, das ist cs Alles nicht, sondern vielmehr jene herrliche FreihciMusi, die man aus deinen Boulevards und aus deinen Straßen alhmct, jene un> vcrglcjchljchc Lust, die Einen zu Schlcnderer und Tagedieb machen kann, jene crguirkendc, einlullendc Lust, die man besonders var dem Laden eines Bilkcrbändlers oder an dem Geländer des ?nnt->eul' so gern einschlürft. Warum man sich nach Paris sehnt, ach, das ist ienes poetische Sichgehenlaffen, jenes sorgenlose Hernmschweilen eines Träu mers, der scüh morgens von einer Dachstube aus der liue ste I» Harzie herunter, vor dem Kram rines Bücker-Antiquars vorbr, nach dem Thea ter unter freiem Himmel, dann von der HanSwurstbühnc nach Eiroux's Laden, von da in die Galerieen des Palais-Royal, in die Alleen der Tuileriec» binschleudert, um endlich des Abende in einem anständigen Gesellschasls.Salon oder auf dem Sitz eines kleinen Theaters Ruhe" zu finken. Was man ferner nur in Paris findet, das ist jene Wonne, jene Seligkeit, so ganz nach Lust »„o zäune seinen Tag zu verleben, ohne daß cs Jemandcn cinsällt, sich um unser Thun und Lassen im Geringsten zu bekümmern, ohne daß so ein lästiger Beobachter mit dem solschen Sckcin des Wohlwollen« und der Freundschaft Einem Tag und Nacht auf dem Fuß folgt, um zu wissen, was man lreibt, wohin man gehl, wie man lebt u. s/w. Dich endlich frage sch, armer junger Mann, dem von Hause nur eine sehr mäßige Unterstützung gereicht wird, wo anders als i„ Paris kannst Du nach einer schlechten Mahlzeit für 18 SouS dreist und mutl'ig in der Wcl: auslreien, ohne befürchten zu müssen, daß ein reicher Kapitalist aus Dein ärmliches Aussehen einen mitleidigen Blick wirst, oder daß ein stolzer Beamter in Leiner Nähe sich voll Verachtung von Dir abwcndct. Nur in Paris ist das innere Leben so lies verschleiert: da bekümmert man sich nur um das, was Du bist und leistest, wenn man Lich sicht; denn wer sollte sich die Mühe geben, alle Personen, mit welchen man zufällig zusammenkömml, näher kennt» zu lernen: und wenn Du also nur korrekt Französisch sprichst und k>c Haupt-Essenz der zwei bis drei Journale, die Du früh Morgen« gelesen, erträglich zu resumircn verstehst, dann kannst Du noch recht gut für einen wcr weiß wie berühmten Schriftsteller oder scharfsinnigen Di plomaten gellen. In der Provinz dagegen ist das ganz anders. Da liegt das ganze Leben offen zu Tage, daS öffentliche, wie das Privatleben, die Studien wie die Zerstreuungen; da« wird Alles nach allen Seilen hi» betrachtet, untersucht und bekrittelt; da kucken Dir fünfzig Gesichter aus dem Fenster nach, fünfzig Kaffceschwcstern baden über Dich zu reden und zu klatschen. Und wcnn Lu ein Gesellschaftszimmer betrittst, da weiß man Lir aufs Haar, wer Lu bist, woher Lu kömmst, was Du für eine Be- schästigung basi, ob Lein Baler ein Adliger oder ein Emporkömmling, ob er ein Wahlbereckligier ist oder nichl. Man weiß ferner alle skan dalöse Anektolcn, die man sich einst über Leinen Großvater, Leinen Onkel und über Leine ganze Familie erzählt bat; endlich wird man Dir haarklein berichlcn, wie viel Lu von jedem Deiner Verwandten Ver mögen erwarten kannst, ob Du nicht eine Cousine hast, mit welcher schon ter Leumund zu ihun gehabt, und ob nicht Einer aus Deiner Familie vor langer Zeil einen'unangenehmen Austritt mit dem Maire gehabt oder sich die Ungnade des Herrn Präfekten zugc;ogen. Hast Lu nun kiese originelle Biographie überstanden, dann seh Dir Goll gnädig bei dem ersten Schrill in einen Salon. Wcnn Dcinc Manieren, Leine Haltung, ja selbst Dein Gesickl nichl in der vollkommensten Harmonie stehen mit Leiner gesellschaftlichen Slclltuig und Deinem Vermögen, dass» ist cs um Deinen Ruf für das ganze Leben geschehen. Bor Allem nimm Dich wenigstens davor in Acht, eine schwarze Kravatte zu tragen, wcnn klc weiße gerade Mokc ist, und laß Dir's ja nicht einsallen, Lich eben so elegant zn kleiden, wie der Sohn des Nachbar Krämers, der äWO Livres Renten bat, sobald cS sesistebl, daß Du nur Z8W bast. Man wird Lir scrner aus Heller und Psennig vorschrcibcn, wie viel Lu ausgrbcn därsst, und findet es sich, daß man Dir nur eine lombackne Uhrkcllc und die Hemdcknöpfe von Perlmutter passiren läßt, so racke ich Dir, trage ja keine andere Uhrkcllc, als eine lombackne, und keine andere Hcmdcknövse, als von Perlmutter. Hast Du diese wichligcii Präliminarien aufs pünktlichste und sorgfältigste geordnet, kann bist Du mit Leiner schwcrc» Ausgabe erst zur Halste scrlig; jetzt betrittst Du die Bühne selbst: gieb genau Acht aus jedes Wörtchen, das Lu sprichst, und studire die Personen, mit denen Du zusammenkömmst. Zuerst, was die Hausherrin betrifft, da mußt Du zwar höflich, aber nicht zu galant, zuvorkommend, aber nichl zu dienstbar sehn; die Spröde könnte sich drob erzürnen, und ihr Mann oder ihr Liebhaber würden Lich nach dem ersten Blick auf der Stelle einen Gecken nennen. Die Hulisberrin Hal vielleicht eine» Beller, dem sie heimlich ihre Gunst schenk!, während sie vor kcr Wcll ihren Gallen liebl; bringe dem Gal len Deinen Tribut, vergiß aber ja nicht den Vetter; thcile Leine HLs- lichkcilen und Komvlimcntr zwischen Beiden zugleich; mit dem Einen sprich hübsch ruhig und besonnen, mit dem Anderen plaudere wie ein junger Mensch; Du mnßl überhauvt nach den Umständen bald ernst, bald fröhlich seyn, Lu mußt den Vernünftigen, den Gesetzten, den all gemein Beliebten spielen können. Und um Gollcswillen, nimm es da mit einem Wort nicht zu genau, es hankelt sich um Lein höchstes Wohl, einige Lügen mehr oder weniger werden Dir Dein Gewissen noch nicht zu schwer belaste» und können L>r vielleicht viel Ehre machen. Nun aber kommen die allen Damen. Lie allen Damen bilde» ein sehr wichliges Elemem in der Gcsellschasl der Provinz; sie besitze» die Tradilionen der Vergangenheit, die Chroniken jedes Zeitalters, jedes Ortes, jeder Familie. Sie werden gleich alten Pergamenten und Ur kunden bcsragt, gleich altt» Möbeln respektiri; man muß ihnen huldi gen, um sic sich geneigt zu machen, um die Sckärse ihrer Zunge und keil stechenden Blick ihrer Augen zu mildern; balle Lich ja an die al ten Damcn, sie können Dein Glück machen. Es ist gewöhnlich, daß die allen Lamcn Whist oder Boston spielen, bceifere Lich, mil ihnen z» spielen, Uiik sich zu, daß Du dcr Partner kcr Bissigsten und Grämlichste» unter ihnen werden staunst.^ Lausche aus jeden Wink von ihr, ge horche den Zußstößcn, die sie Dir unter dem Tisch gicbl, spiele Deine Karlen, wie sie es wünscht, magst Lu auch dabei verlieren, immer zu. Deine Eigenliebe als Spieler mußt Du dabei ganz aufgeben, und end lich laß Dir « ja nicht einsallen, mit prahlerischer Miene füns Franken aus den Tisch zu werfen, fünf Sous ist der Einsatz. Ferner vergiß auch nicht, dcii Nidikül dcr alten Damen in Empfang zu nebmcn, wenn er sie belästigt, ihnen ihren Shaw! zu bringen, wcnn sie er wün schen, und das Glas Z-ckerwasser zu reichen, sobald der Teller an Lich kommt. Aus diese Weise, hoffe ich, wirst Lu Dich in Gunst setzen, und ich bib fest überzeugt, wcnn diese Damen Abends um zebn Ubr mil dem Lienstmädchen, kas sie, die Laterne in dcr Hand, abbolt, nach Hause kehren, dann werden sie sich gewiß über Lick äußern: „Das ist ein charmanter junger Mann, von der feinsten Erziehung, von den besten Manieren." Ja, eine von ihnen wird ganz sicher beim Schla- fengchen schon daran denken, mit wem sie Dich wohl verheirathrn könnte.