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Freiberger Anzeiger und Tageblatt. Erscheint jeden Wochentag früh S Uhr. Preis vierteljährlich 15 Ngr. — Inserate werden an den Wochentag« nur bi» Nachmittag» L Uhr' für Lie nachsterscheinende Nummer angenommen und die gespaltene Zeile mit 5 Pfmnig« berechnet. 230. Freitag, den 8. Juni 1855. Mittheilungen aus dem Gebiete der Natur, der Menschheit, der Völker und ihrer Cultur. m. Tkber die Entstehung nnd das Alter der Erde. Vulkane (Vesuv.) Lange Zeit hindurch nahm man zwei Ereignisse, zwei Epochen in der Bildungsgeschichte ter Erdkugel an: die Schöpfung und die sogenannte Sündssuth; und alle Bemüh ungen der Geologen, den gegenwärtigen Zustand der Erde zu erklären, waren lediglich auf die Erdichtung eines gewissen Ur zustandes gerichtet, der durch jene Fluth verändert worden sein sollte. Die Ursachen, die Art und Wirkung derselben Lachte sich Jeder in seiner eigenen Weise. So schuf der Engländer Wist- hon, der im Jahre 1708 seine höchst sonderbare Theorie von der Erde herausgab, die Erde aus der Atmosphäre eines Ko meten und ließ sie durch den Schweif eines anderen überschwem men; die Hitze, welche ihr vom ersten Ursprung her noch ge blieben war, verführte alle lebenden Wesen zur Sünde. Alle, mit Ausnahme der Fische, welche vermuthlich, wie der berühmte Cuvier') (-j- 1832) in seinen „Erdumwälzungen" bei dieser Gelegenheit witzig bemerkt, weniger lebhafte Leidenschaften hat ten, wurden in den Fluchen ersäuft. Andere folgten der Mei nung des als Astronom so genialen Keppler (fi 1630). Wie dieser legten sie der Erde selbst Lebenskraft bei. Eine Flüssig keit (Fluidum) circulirt ihrer Annahme zu Folge im Erdkör per, und eine Assimilation findet darinne eben so gut statt, als in belebten Wesen; jeder seiner Theile ist belebt, selbst die klein sten Elementartheilchen haben einen Willen, einen Instinkt, ziehen sich an und stoßen sich ab nur nach Antipathien und Sympathien — so dachten schon die alten Epikureer —; jedes eigenthümliche Mineral kann ungeheuere Massen in seine eigene Art umwandeln, eben so wie wir unsere Nahrung in Fleisch und Blut verwandeln; die Gebirge sind Lie Athmungsorgane des Erdballs und die Schiefer bilden die Absonderungsorgane; *) Auch Lieser geniale Naturforscher war in den, berühmten Jahre 1769 geboren. Außerdem folgende ausgezeichnete Männer: Napoleon I., Alexander v. Humboldt, Chateaubriand, Walter Scott, Maischall Soult, Marschall Ney, der Herzog v. Welling,on und der ehemalige Nieckönig von Aegypten, Mehmed Ali. Von diesen Grö ßen, welche Lie Nalur in den Vordergrund der kultivirten Menschheit stellte, lebt noch Alexander v. Humboldt: seine Werke repräscntiren den Geist und das Wissen des 18. u. 19. Jahrhunderts. durch diese zersetzten sie das Meerwasser, um die vulkanischen Ausbrüche zu erzeugen. Die Mineralgänge endlich sind der Knochenfraß, die Geschwüre des Steinreiches, und die Metalle ein Produkt der Fäulniß und Krankheit, weshalb sie fast alle so unangenehm riechen. Und es ist noch nicht viel über ein Jahr zehnt, daß ein Hr. v. Brandenburg in einer kleinen Schrift die Erde für nichts Anderes, als ein lebendiges Thier erklärte. Daß dergleichen Anschauungen nur noch historischen, aber keine« wissenschaftlichen Werth mehr haben, ist in allen Gesellschafts kreisen bekannt, die auch nur den kleinsten Anflug von wissen schaftlicher Erziehung und Bildung haben. Allein so aufge klärt und mannichfaltig auch die geologischen Systeme*) seit der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts geworden sein mö gen, so hoch auch die Dienste angeschlagen werden müssen, welche z. B. die Chemie und Paläontologie der geologischen Wissenschaft geleistet haben, so unleugbar es endlich auch ist, daß wenigstens eine kleine Reihe feststehender Wahrheiten hat aufgestellt werden können, so ist die Lösung des Räthsels von der Entstehung und Bildung der Erde noch keineswegs als vollkommen gelungen zu betrachten, zumal da jedes Land, jedeS Gebirge, jede Insel eine eigene Bildungsgeschichte hat und alle Liese Einzelheiten in ihrer Gesammtheit erst die Schöpfungsge schichte unseres ErLkörpers bilden. Wie unübersehbar ist mit hin das Feld, welches der Geolog mit seinen Beobachtungen zu durchlaufen hat, um zu sicheren und befriedigenden Ergeb nissen für seine Wissenschaft zu gelangen! Mit dem aber, waS soeben besprochen worden ist, steht natürlich die Frage: „wA alt ist die Erde" in engster Verbindung, eine Frage, übtr welche der Glaube allerdings leichter hinwegkommt, als die Wissenschaft: Lie letztere hat sich schon längst mit dem "ersteren über die 6000 Jahre des Erdalters in Folge der Wahrheiten, die ihr zur Seite getreten sind, dermaßen entzweit, daß an eine Ausgleichung zwischen denen, die nur glauben, und denen, die nur sehen wollen, nicht möglich ist. Bekanntlich spielen die religiösen Ueberlieferungen der Chinesen und Hindus in Bezug auf die Schöpfungsgeschichte mit Millionen von Jahren. Diese Millionen, bei jenen Völkern eine Ausgeburt regelloser Phan tasien, sind bei uns durch Beobachtung und scharfsinnige Com binationen, wenn auch nicht in das Bereich der Wahrheit, so *) Zur Entwickelung der Geologie haben das Meiste und Beste bcigctragen die Deutschen, die Engländer und Franzosen.