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Erscheint Dienstagsund Freitags. Zu beziehen durch alle Postanstalten. Weißerih-Ieitmrg Preis pro Quartal 10 Ngr. Inserate die Svalten-Zeile 8 Pfg- Amts- vnd Anzeige-Dlatt der Königlichen Gerichts-Ämter und Stadträthe zn Dippoldiswalde and /ranensteiu. verantwortlicher Nedactrur: Carl Jehne in Dippoldiswalde. Monats-Bericht. Das weitaus wichtigste Ereigniß auf politischem Gebiete war der, in den Anfang des Monats October fallende Besuch des Kronprinzen von Preußen in Wien. Die hiermit documentirte Annäherung Deutschlands und Oesterreichs betonten wir schon in unseren letzten Monatsberichten als eine politische Noth- wendigkeit, durch das wechselseitige Interesse bedingt. Oesterreich braucht, um an der Donau freie Hand zu behalten, die Freundschaft Deutschlands, und Letzteres bedarf für seine Frontstellung gegen Rußland und Frankreich, die Freundschaft Oesterreichs. Es ist erfreu lich, in welch neidloser Weise die englische Presse diese Annäherung beider Mächte bespricht. Im Verein re- präsentiren dieselben eine Bewohnerschaft von 60 Mil lionen, bilden den Schwerpunkt der Macht, und können die Politik Europa's beherrschen und den Frieden dictiren. Wenn beide Mächte in einem Bunde, ohne fortgesetzte Rivalität und Conflikte nicht bestehen konnten, so können beide als selbständige Staatencomplexe sehr wohl gute Freundschaft halten und in Nothfällen sich eine gute Stütze sein. Wir wollen heute von der immer bedenk lichen Lage in Frankreich absehen, und einmal unsere Augen nach Osten richten. Es ist keine Bürgschaft dafür vorhanden, daß die bisher guten Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland sich dauernd erhalten werden; die Russificirung der Ostseeprovinzen spricht nicht gerade für sehr freundschaftliche Gesinnungen der Russen gegen das deutsche Element, und die Möglich keit, daß sich hier der Keim eines künftigen Confliktes entwickeln kanu, ist nicht ausgeschlossen. Die gleiche Möglichkeit eines Confliktes zwischen Rußland und Oesterreich liegt in der Machtstellung beider Staaten an der unteren Donau und in ihrem Verhältnisse zu der sogen, orientalischen Frage. In solchen und ähn lichen Fällen ist es für Deutschland und Oesterreich von Werth, mit vereinter Kraft auftreten zu können. — Noch ist man nicht berechtigt, an den Besuch des Kron prinzen von Preußen in der Kaiserstadt, politische Com binationen zu knüpfen, indeß ist es immer schon von Belang, wenn die gereizte Stimmung der Cabinette von Berlin und Wien einem freundschaftlicheren Tone Platz macht. Was die verschiedenen im Gange befindlichen deut schen Landtagssessionen anlangt, so erregte zunächst allgemeineres Interesse die bairische Kammer. Selt samer Weise standen sich dort die Parteien numerisch völlig gleich und so schroff gegenüber, daß es trotz siebenmaliger Abstimmung nicht möglich war, für einen der beiden Präsidentschaft«-Candidaten eine einzige Stimme Majorität zu erlangen, und die Regierung sich genöthigt sah, die Kammer aufzulösen. Unter diesen Unständen kann man auf einen höchst intensiven Wahl kampf bei den Neuwahlen rechnen. Inden preußischen und sächsischen Kammern wendete man sich vorzugsweise der Erledigung der laufenden Geschäfte und inneren Angelegenheiten zu; nur in Baden gab die Thronrede und Adresse den Kammern Anlaß, der nationalen Strömung in den lei tenden Kreisen einen beredten Ausdruck zu geben. Man ersah indeß hieraus, daß die Erledigung der süddeutschen Frage, namentlich der vielfach in der Presse colportirte angebliche Eintritt Badens in den norddeutschen Bund, nicht gerade in naher Aussicht steht und man in dieser Beziehung auf weiteres Warten angewiesen ist. Viel leicht ist bei der, am 22. October in München stattge habten Zusammenkunft der Könige von Baiern und Württemberg die süddeutsche Frage Gegenstand der Besprechung gewesen. Es wird darüber wohl in nächster Zeit Aufschluß zu erlangen sein. Ganz besonders lebhaft und unruhig ging es während des Oktobers bei unseren Nachbarn in Frankreich zu. Der Kampf gegen das persönliche Regiment des Kaisers in der Presse und in den Volksversammlungen nahm große Dimensionen an; eine Emeute wurde für den 26. erwartet, und die Regierung traf umfassende Vorkehrungen durch Constgnation von Truppen rc. Der Tag verlief indeß ruhig; man wird den Kampf in den Straßen, wie es scheint, vermeiden, dagegen auf parla mentarischem Boden desto lebhafter aufnehmen. In teressant ist, wie der englische Unterstaatssekretär Grant Duff in einer Rede an seine Wähler über die Situation in Frankreich sich aussprach; er sagte: „Wenn Frank reich unruhig wird, so können seine Nachbarn ebenso wenig sorglos dahin leben, als die Bewohner eines Dorfes am Fuße des Vesuv, wenn ein Ausbruch bevor steht. Wer übrigens den ersten Lauten der Februar revolution im Jahre 1848 in Paris gelauscht hat, nachdem er eben erst Berlin und Wien besucht hatte, wer sich erinnert, wie damals die Revolution von Stadt zu Stadt sich wie ein Lauffeuer fortpflanzte und dann seine heutigen Hoffnungen und Befürchtungen mit seinen damaligen Gefühlen vergleicht, der hat einen Maaßstab für die Veränderung, welche die letzten 20 Jahre in dem Klima der öffentlichen Meinung hervorgerufen haben. Die ganze Situation des politischen Staaten systems ist jetzt eme viel weniger gespannte; manche« alte Unrecht ist wieder gut gemacht worden, manches glimmende Feuer ist ausgebrannt, und große Wirren dürften wohl in Frankreich die Ruhe stören, ohne daß eS über die östlichen Grenzen hinaus zu ähnlichen Creig-