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j Erlch-iM t-den Wochentag NachmtttaaZS Uhr sür de» l UV 11 andern Tag. Preis vierteljährlich S Mark SS Pig., , j »weimonatNch 1 M. SV Pf. und emmonaüich 7Ü U 4s. Jahrgang Sonntag, den 17. Mai. Inserat« werd« bi» Vormittag l 1 Uhr angmom- mm und beträgt der Preis sür die gespaltene Zeil« 1 UH«H oder derm Raum IS Psg. und Tageblatt Amtsblatt für die königlichen nnd Mtischen Behörden zn Freiberg nnd Brand. Pfingsten 1891. die Weltanschauung geht der Kampf, der einst am großen Pfingstfest in Jerusalem entbrannte — der Kampf aller Kämpfe, der Kampf für Alle. Niemand kann in ihm neutral bleiben : je nach der Weltanschauung gestaltet sich für den Einzelnen das Leben, das gesammte Urtheilen und Empfinden, alles Reden und Handeln. Mag der E nzelne für gewöhnlich nicht viel Worte um seine Weltanschauung machen, sie ist doch da und bildet sür Alles den tragenden Hintergrund. Aber aus der angeblichen Neutralität treten Viele hervor an den hohen Festen der Christenheit. Heißer und offener brennt an ihnen der «Streit. Von Allen ohne Ausnahme werden diese Feste gefeiert. Die Frage ist: in welchem Sinne begeht sie der Einzelne. Zum Gedächtntß an .die großen Thaten Gottes" sind sie ein gesetzt: zu den Thatsachen eben muß der einzelne Stellung nehmen — sür oder wider. Um von Anderem zu schweigen und um nur auf etwas sehr nahe Liegendes zu kommen — eine rigenthümliche Erscheinung in der Presse, dieser Großmacht des modernen Lebens, sind die Festartikel, die von den Tagesblättern so gut wie ausnahmslos gebracht werden. Wir verschieden sind sie unter einander. Einer bekämpft und verhöhnt den Andern. Wenn mau nur alle Pfingstfestartikel beisammen hätte — Alles würde man neben einander finden: hier .das Eintreten für die christlichen Gedanken, dort die Abschwächung und Verwässerung derselben und Alles in Allem nur das Lob der erwachenden Früblingsnatur, dorten die direkte Be kämpfung des christlichen Pfingstens, die Leugnung des Geiste?, den Lobpreis des Materialis mus. Auch das ist ein Beweis sür Das, waS der Materialist Proudhon staunend anerkennt- ..daß wir auf dem Grunde aller Dinge die Theologie — oder wie er richtiger hätte sagen sollen — die Religion wiederfinden." Ja, nicht Gezänle nur der Theologen, nicht Sache nur einzelner begrenzter Kreise, sondern die Sache Aller ist — der Kampf um die Weltanschauung. Und zwar die Hauptsache! Gebt mir einen festen Punkt, auf dem ich stehe, und ich hebe .die Welt auS den Angeln — rief der Weise deS Alterthums aus. Wohl hat's die Antike nicht an sich fehlen lasten, nach dem festen Punkte zu suchen. Aber ihr Ende war, daß Alles schwankte und Alles in der Auslösung begriffen war. Die Jünger am Pfingstfest be weisen'- mit ihrem ganzen Auftreten, daß sie den festen Punkt gefunden. Sie nennen diesen Punkt, damit Jeder sich darauf stelle, Jesus Christus. Das ist die Bedeutung des ersten Pfingstfestes: das Christenthum trat ein in die große Welt, ein in den entscheidenden Kampf — um die Weltanschauung. Und das erste Pfingstfest bietet uns sofort auch den Hauptgegensatz dar. Die vom Geist erfüllten Jünger werden von den Spöttern für voll des süßen Weins erklärt. Was den Einen Geist von oben ist, ist den Andern bloße Materie. Noch heute hat das Christenthum seinen einzigen Gegner im Materialismus. An vermittelnden Zwischenstufen hat es nie gefehlt- Zu allen Zeiten erhoben der Rationalismus und der Pantheismus ihre Stimme, um Friedens richter zwischen den Extremen zu sein. Gewiß, verschwommen und unllar ist der Pantheismus, gefährlich in seinen Folgen, weil er den sich allmächtig fühlenden Staat erzeugt hat und den Kampf heraufbeschwor zwischen Staat und der ebenfalls allmächtig sein wollenden römischen Kirche. Dennoch — er Hat es nicht böse gemeint. Nicht stürzen wollte er den christlichen -Glauben, sondern reinigen und stärken. Ein Gottesdienst schien es ihm zu sein, wenn er sich zwar loSsagte von dem Gott der Bibel, aber Gott überall sand, in jedem Hälmchen, in jedem Menschen. Da schien ihm Gott erst recht geistig verstanden, wenn er Gott erklärte für die all gemeine Vernunft. Das war ihm die rechte Religion, daß der Einzelne sich hinzebe an das Allgemeine — alles Stimmung und Gefühl. Warmes Gefühl spricht aus seinem Osäo: Wer darf ihn nennen? Und wer bekennen: Ich glaub ihn. Wer empfinden Und sich unterwinden Zu sagen: Ich glaub ihn nicht? Der Allumfaster, Der Allerhalter, Faßt und erhält er nicht Dich, mich, sich selbst? Und hohe Geister sind seine Wortführer — ein Spinoza schon, ein Goethe, ein Hegel »Gewiß, der Rationalismus war hausbacken und trivial auf Kanzel und Katheder und wirkte seicht und verflachend im staatlichen und wirthschaftlichen Leben. Dennoch, gute Meinung und Absicht kann man ihm nicht absprechen: vom Christenthume wollte er retten, was Allen annehmbar wäre, was die Vernunft begriffe. So wenig tief und neu die .ernsten Gedanken" des Herrn von Egidy — diese Nachzügler des wissenschaftlich längst überwundenen Rationalismus — sind, sie stammen sicher aus einem wohlmeinenden, religiös bewegten Herzen: über der alten Kirche wollen sie den Dom der Zukunft bauen. Und ihre weite und rasche Verbreitung, die Thatsache, daß sie vom gebildeten Publikum fast verschlungen wurden und daß sie eine ganze Literatur im feindlichen und freundlichen Sinne hervorriefen, beweist, Masten find, die es mit jenen vermittelnden Richtungen halten. Aber der am meisten den auf lösenden Prozeß in unserm Volksleben befördert hat, David Friedrich Strauß, hat mit wuchtigen Keulenschlägen gerade jene Halbheit zerschlagen: nur den Ganzen gehört die Zukunft. Und er berührt sich hierinnen mit dem Wort des frommen PaSkal: man muß verzweifeln oder glauben. DaS ist das Entweder — oder: ein Drittes gilbt eS nicht. Und das Wort PaSkalS nennt unS auch sofort das Resultat aller Entwickelung: Materialismus und Pessimismus oder Christenthum. Das sind die beiden Mächte, um die es sich allein handelt. Ihr Gegensatz ist der Kampf um die Weltanschauung. Eines hat 'aus dem Andern sich entwickelt: aus dem Rationalismus der Pantheismus, aus diesem der Materialismus. Bei ihm ist die Gegenwart angekommen, bei der Leugnung des Geistes und der Seele, bei dem Satze: Alles ist Stoff und Bewegung deS Stoffe-, Gehirn und Geist sind eins. Ist dieser Satz auch schon uralt, oft schon eine Macht gewesen aus Ler Erde, solche Bedeutung hatte er noch nie, wie in unsern Tagen. Mundgerecht für uuser« Zeit hat ihn Ludwig Feuerbach mit seiner Philosophie gemach». Im System führte ihn .Darwin durch. Für die Volkswirthschast wandten ihn an Lassalle und Marx. Zum Pessimismus bildete ihn Eduard v. Hartmann mit seiner .Philosophie deS Unbewußten" weiter, eine« Werke, das gelesen ward von allen Schichten und Ständen des Volkes, wie sonst kaum ein pikant geschriebener Roman. Gerade der Erfolg dieses Werkes zeigt, daß die von oben aus gehende Denkweise sich durchgesickert hat auch in die Niederungen deS Volkes. Auf allen Gebieten sehen wir den Materialismus herrschend. Sein Kind ist die Sozialdemokratie. A« 1. und 8. Mai hat sie wieder Truppenschau abgehalten, und auS dem Jubel de-Weltarbeiter feiertages klang eS schon heraus wie Musik zum großen letzten Todtentanz. Das Schreckgespenst ist die Sozialdemokratie für Biele, das schreckendste vielleicht gerade für Die, die,selbst nicht lasten wollen vom Materialismus, vom theoretischen wie vom praktischen. In den oberen Ständen hat er wohl andere Formen. Aber Materialismus bleibt er. Gerade in der letzten Zeit redete man wieder einmal viel von der Börse, und Vieler Augen richteten sich dorthin, wo man mühelos in leichtfertigem Spiel im Handumdrehen Hunderttausende gewinnt. Die un aufhörlichen Massenausstände der Arbeiter, die jetzt gerade wieder drohen, bilden ein eigen- ihümlichcs Gegenstück zu jenem Treiben an der Börse. Und es ist, als ob in das Markten an der Börse wie in das Grollen der Arbeiter herein das betäubende Händeklatschen klänge, mit dem man jene französische Poste lohnte, die in Berlin am 25. April, also während der Kaiser am Sarge deS großen Moltke stand, gegeben tvard, so frech und gemein, daß selbst de« Theatcrdirektor vor ihrem Schicksal gebangt haben soll. Das ist derselbe häßlich frivole Zug, der jüngst in einem anderen Erdtheile sich offenbarte, als in New-Orleans die Damen der Aristokratie dem entsetzlichen Lynchgcricht der aufgeregten Volksmenge zusahen wie einer interessanten Vorstellung im Theater oder Zirkus. Was kann man Anders ernten wollen, als was man gesät hat?! Man nährt sich an der naturalistischen Unnatur eines Ibsen. Man bewundert einen Makart mit seiner liederlichen Kunst. Man redet viel von der Noth der Zeit und verschwendet doch große Summen an Vergnügen und Schlimmeres. Das Thier im Menschen wird immer allgemeiner und immer brutaler hervorbrrchen. Und der Ekel vor dieser Welt wird in demselben Maße vorwärtsschreiten. Wir steuern dem Pessimismus entgegen,der trostlosen Verzweiflung — wenn keine rettende Macht dazwischentritt. Welche könnte uuS retten ? Geistige Mächte verderben unser Volk: nur durch geistige Mächte kann es gerettet werden, nicht durch Bajonette und Kanonen, nicht durch Gesetze und Gesänguisse. Nach eurem bewährten Kämpen schauen wir aus. Und er ist schon gesunden , das Christenthum. ES hat den Materialismus der alten Welt überwunden. ES hat den gleichen Sieg erfochten an der Scheide dieses und deS vorigen Jahrhunderts. ES hat sich wohl gefallen lasten müssen, in beengende Fesseln gezwängt und in zerbrechliche Gefäße gefüllt zu werden. Aber e» hat die Fesseln gesprengt, und auS zerbrechenden Formen ging eS selbst hervor unversehrt und leuchtend. Am ersten Pfingstfest gleich haben die Jünger seinen Sieg verkündet, und über Trümmern von Reichen und Systemen hat cs sein Reich gebaut. Der Philosophie der Verzweiflung gegen über steht eS als die Religion der unbedingten Hoffnung da. Es gründet sich auf feste geschichtliche Thatsachen, auf die HeilSthatsachen, auf die deS Pfingstfestes nicht zum geringsten, und verkündet von da aus den lebendigen persönlichen Gott, den keine Wissenschaft der Erde noch aus der Welt fortdiSputiren konnte. ES verkündet den Schmerz und die Freude — den Schmerz mit der Predigt vom tiefsten Elend des Leben-, unserer Sünde, die Freude aber mit dem Evangelium von der Gnade: und diese Freude behält das letzte Wort, auch über allen Pessimismus. Es führt heiligende Kräfte in das Leben und weiht dieses für die Ewigkeit. ES beweist sich mit seiner beseligende» Wahrheit an den Herzen trotz alle- Widerspruch- und erringt Triumph auf Triumph. Und als Zeuge, daß eS noch nicht todl ist, steht gerade an unserm Fest vor aller Welt die Kirche, und diese schlägt für alle- Andere das Buch ihrer er- wie groß die hebende» fast zweitaufendjährigen Geschichte auf. Noch tobt draußen der Kampf. Aber Pfingsten redet unS schon vom Sieg. Wir wissen, wo wir zu stehen habe» im Kampf nur die Weltanschauung. L.