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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.01.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-01-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020124021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902012402
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902012402
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-01
- Tag 1902-01-24
-
Monat
1902-01
-
Jahr
1902
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Krause zudictirte Strafe als zu milde hinzustellen, zumal, wenn man ihn zur Verurtheilung nach Südafrika ausgeliefert hätte, er wahrscheinlich demselben Schicksale oder der scharfen Kit- ckener'schen Justiz verfallen wäre, wie sein armer Freund Broeksma. Forster wird von: „Daily Telegraph" und anderen Blättern als unschuldiges Lamm hingestellt, dem vr. Krause nach dem Leben getrachtet habe. Wer ist Forster aber In Wahrheit? Ein englischer Advoca-t, der in der Blüthezeii Kimberleys dort prakticirte, eine Zeit lang dem Thöater angehörte, und der mit dem Schwarme der Goldsucher, nachdem Kimberley aus gespielt hatte, nach Johannesburg zog. Dort war er eine Zeit lang in der Anwaltsfirma Hüll L Hofmeyer, «aber da er nicht Hollän disch lernen wollte und seinen Haß den Boeren gegenüber stets oifen zur Schau trug, durfte er nicht im hohen Gerichtshöfe prakticiren. Alle die berühmten Petitionen an die Königin von England in der Edger Angelegenheit, die Manifeste der „südafri kanischen Liga" waren von ihm unterzeichnet. Er Hatzte Vr. Krause und machte nie ein Hehl aus diesem ihn beherrschenden Gefühle, das er auch Franzosen und der größeren Masse der Deutschen gegenüber zeigte, die er durchblicken ließ, daß es nur eine Nation an der Spitze der Civilisation gäbe, nämlich die englische. Wir Augenzeugen des Einzuges der Engländer in Johannes burg Anfang Juni 1900 waren einfach erstaunt, mit dem von Lord Roberts gesandten Parlamentär gleichzeitig Adoocat Forster als Berather zu sehen, der seiner Zeit an der Spitz: der süd afrikanischen Liga gestanden hatte und deren Mitwirkung am Kriege, deren Gründe zum Kriege doch von der englischen Kriegspartei nicht anerkannt und öffentlich und in den Blättern dementirt wurden. — Und dann wurde er noch Rechtsberather der neuen englischen Regierung in Johannesburg, der schlimmer als irgend ein englischer Officier Vorgehen wollte. Seine Herrschaft dauerte jedoch nicht lange, und seiner Aemter entsetzt, wurde er Berichterstatter einer größeren englischen Zeitung. — Eines vergißt man- Doctor Krause hat unter den schwierigsten Verhältnissen die Minen Johannesburgs gerettet und ein von Lord Roberts angedrohies Bombardement verhütet. Er war es, der das Complott, die Minen in die Luft zu sprengen, vereitelte, und obwohl sein einstiger Freund, der Richter Kock (der Sohn des bei Elandslaagte gefallenen Gene rales), an der Spitze der Dynamitarden stand, ließ er ihn fest nehmen und rettet: den europäischen Aktionären das Gebiet, um das der Krieg sich dreht- Daß Krause als langjähriger öffent licher Staatsantwalt in Johannesburg viele Feinde, besonders unter den von ihm verurtheilten Desperados, hatte, ist natürlich. Aber er hatte auch viele Freunde, sicher mehr, wie Forster je gehabt hat oder haben wird. Die Unzufriedenheit der „loyalen" Farmer in Natal. I. 6. London, 22. Januar. In Durban fand eine große Protestversammlung der loyalen Farmer und Arbeitgeber gegen die neuen Erschwerungen der Reise nach Südafrika statt. Die Versammlung erklärte es für widersinnig, daß jeder in einem süd afrikanischen Hafen Landende im Besitze von 100 Pfund (2000 Mark) sein müsse. Hierdurch sei es 'den Farmern und Arbeit gebern in Natal «unmöglich gemacht, die nöthigen Arbeiter zu erhalten. Die in Durban anwesenden Flüchtlinge aus Transvaal seien für körperliche Arbeit ganz untauglich, weshalb der Zufluß fremder Arbeiter unbedingt nöthig sei. Man solle deshalb die Gesinnung der Zureisenden, nicht aber deren Geldbeutel prüfen. * Washington, 23. Januar. Im Senate besprach Senator Teller die Hinrichtung Scheepers' und erklärte, sie bedeute eineVerletzung der Genfer Convention durch die Engländer. Politische Tagesschau. * Leipzig, 24. Januar. In nächster Worbe also wird sich der Reichstag mit der Interpellation des Centrums wegen des Jesuitengesetzes beschäftigen und dabei Gelegenheit erhalten, die interpellirende Partei wieder einmal einig zu sehen. Das ist Wohl auch der Hauptzweck der Anfrage. Ober glaubt das Centrum wirk lich, man begünstige jetzt an maßgebender Stelle die Vertreter des antijesuitischen Kalholicismus (Spabn u. s. w.) und trete der vom Jesuitismus geschürten Polenbewegung energischer als früher entgegen, um die Aushebung des Jesuitengesetzes einzuleiten? Schwerlich; aber man braucht angesichts der Differenzen wegen des Zolltarifs und anderer Meinungs verschiedenheiten ein Mittel, das den von Rissen durchzogenen Cenlrumsthurm kittet, und wird im Stillen froh sein, wenn durch ein ablehnendes Verhalten des Bundesraths dieses Mittel erhalten bleibt. Immerhin wird die Debatte über die Interpellation interessant sein, indem sie zeigen wird, welche Parteien des Hauses mit dem Cent«, um den Bundesrath bestürmen zu müssen glauben, etwas zu tbun, was das Centrum im Grunde selbst nicht ersehnt. Interessant war die gestrige Sitzung, in der die Specialberathung des Etats des NeichSamtS des Innern fortgesetzt wurde, besonders durch zwei Reden, von denen die eine, die des socialdemokratischen Abg. Fisch er- Berlin, einen neuen Beleg sür die tendenziöse Unwahrbastig- keit lieferte, mit der die socialdemokratische Kritik verfährt, wo sie Widerstände gegen die Ausdehnung des Einflusses der Agitation der „Genossen" auf die Arbeiterschaft wahr nimmt. Unter Angriffen gegen die socialpolitische Thätigkeit des Staatssekretärs im Allgemeinen stellte Fischer dieBehauptuna auf, durch geheime Erlasse des Reichsamts des Innern seien die Gewerbe-Aufsichlsbeamten angewiesen worden, in ihre Jahresberichte die Fälle ungenügender Bestrafungen, sowie Mittheilungen über Volksernährungsverbältnisse nicht auf zunehmen, ersteres im Interesse der Unternehmer, letzteres mit Rücksicht auf den Zolltarif. Diesen Unterstellungen gegenüber theilte Staatssekretär Graf v. Posadowsky den Wortlaut der bezüglichen Erlasse mit, aus dem hervorgeht, daß über ungenügende Bestrafungen nicht erst im Jahresberichte, sondern sofort an die vorgesetzten Behörden zum Zwecke unverzüglicher Remedur berichtet werden soll und daß, was die ErnährungSverhältnisse und die Lebensmittelprcise betrifft, für diese, wie für die Frage der Kinderarbeit und sür all gemeine Woblfahrlseinrichtungen eine umfassendere Behandlung m Sonderberichten beabsichtigt ist. Beide Maßnahmen dienen einer vollständigeren und sachgemäßeren Berichterstattung, also I vasGegentherl der Behauptungen des socialdemokratischen > Redners istlvahr. Die ursprüngliche Anordnung, daß mit Rück-1 sicht auf die Statistik deS Statistischen Amts über Ausstände, nicht berichtet werden sollte, ist bereits im October v. I. redressirt. Man sieht aus der ganzen Kritik, wie die Social demokraten, nachdem sie die vollständige Veröffentlichung der Originalbcrichte an Stelle der Auszüge durchgesetzt haben, wieder aus der dadurch bedingten Beschränkung der Berichte Angriff: gegen die Verwaltung herzuleiten sucht. Im denkbar schärfsten Gegensätze zu dieser, nur dem Zwecke der Ver hetzung dienenden Rede stand die des Abg. Basser mann, wie man uns von mehreren Seiten aus Berlin versichert, eine der besten, die dieser nationalliberale Redner je ge halten. Wir werden sie daher, sobald uns der steno graphische Bericht vorliegt, im Wortlaute Nachträgen. Für heute sei nur hervorgehoben, daß auch sie eine ganze Reihe von Ausstellungen machte und einer ganzen Reihe von Wünschen Ausdruck gab. Alle diese Aus stellungen und Wünsche aber gründeten sich auf thatsächlich vorhandene Uebelstände und richteten sich auf erreichbare Ziele, so daß aus ihnen die Regierung eine Fülle von nutz baren Anregungen gewinnen konnte. So verwies er darauf, daß cr schon bei der ersten Berathung des Etats die Nothwendigkeit eines Gesetzes zum Schutze der Baubandwerker erneut betont habe. Er be ¬ dauerte dann namens seiner Freunde, daß die Gesetzesvorlage zur Reform der Krankenversicherung sich verzögere, auch befürwortete er die Ausarbeitung eines Normalstatuts für die Proportionalwahlen zu den Gewerbe- g erschien. Er fragte, wie es mit der Mindestruhezcit im Schifffahrtsgewerbe stehe, desgleichen mit den kaufmännischen Sondergerichten. Er empfahl, wie beim Gewerbegerichtsgcsetz vorzugehen und einen eigenen Gesetzentwurf außer der Reihe der Initiativ anträge zur Verabschiedung zu bringen. Als dringend er wünscht bezeichnete er ferner die endliche Regelung der Ver- bältnisse der Bureauangestellten der Rechtsanwälte. Weitere Forderungen stellten die vorliegenden drei Resolu tionen wegen Vorlegung einer Uebersicht über die Arbeiter-Verhältnisse in den Reichsbtrieben und in derMilitärverwaltung, sowie auf Vorlegung eines Gesetz entwurfs wegen Errichtung von communalen oder gemein nützigen paritätischen Arbeitsnachweisen. Sodann sei eS erwünscht, die Abänderung der Vorschriften über Ein richtung und Betrieb der Zinkhütten statt spätestens am 1. October 1903 schon am 1. April 1902 in Kraft treten zu lassen. Als wunden Punct charaklerisirte er die Aus verkäufe, welche das Gesetz gegen den unlauteren Wett bewerb umgehen helfen. Hierzu lägen dankenswerther Weise zwei Initiativanträge vor, welche den Ausverkäufen schwindel haften Charakters einen Riegel vorschieben wollten. Zum Schluffe kam der Redner auf das Gebiet der Frauenbewegung zu sprechen, auf dem er mit an der Spitze der Reformer steht. Er empfahl den im Reichstag bereits eingebrachten Antrag, der die für die Tbeilnahme der Frauen am Vereinsleben bestehenden Hemmnisse aus dem Wege räumen soll u. s. w. Durch die Anregungen dieses Redners kam denn auch der Staatssekretär in die Lage, aus der Abwehr herauszutreten und einige erwünschte Mittbeilungen zu machen, aus den u. A. hervorgeht, daß ein die kaufmännischen Sondergerichte be- treffender Gesetzcntwurf dem preußischen Justizministerium bereits vorliegt und auf Grund einer veranstalteten Enquete vom selben Ministerium an die Staatsanwälte die Weisung er gangen ist, auf Grund des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb im öffentlichen Interesse gegen den Ausverkaufs schwindel vorzugehen. Sollte sich, so fügte Graf PosadowSk» hinzu, die bekannte Judicatur betreffs der Nachschübe dabei als hinderlich erweisen, so würde eine Ergänzung deS Gesetzes nothwendig werden. Die Budgetcon,Mission des Reichstags wird durch die gleichzeitig tagende Tariscommission etwas in den Hinter grund gedrängt. Mit Unrecht, wie es scheinen will. Denn der Finanzausschuß des Reichstags hat gleichfalls schon sehr wichtige Dinge betrieben und dabei seine Aufgabe ernster genommen, als die Tarifcommission, wo bis jetzt die Mehrheit sich von den Vertretern einiger, jeder positiven Mitwirkung abgeneigten Parteien terrorisiren und be hindern läßt. Die Beschlüsse der Budgetcommission sind angesichts der gegenwärtigen Finanzlage bedeut sam, weil sic beträchtliche Abstriche an den Neuforde rungen, insbesondere im Marineetat, aufweisen. Wie weit dies finanziell unabweisbar und vom Standpunkte der Wehr kraft zulässig ist, darüber wird nach Abschluß der Com- missionsberathungen zu reden sein. Aber einer der ge faßten Beschlüsse verdient schon jetzt bervorgchoben zu werden. Er fällt zwar pecuniär nicht ins Gewicht, ist aber von innerpolitischem Interesse. Die Commission hat mit allen gegen sechs Stimmen die Forderung eines Stabs- officiers für das Militärcabinet abgelehnt. Der nationalliberale Abgeordnete vr. Hasse war eS, der der Bewilligung widersprach, weil er nicht wolle, daß die Selbstständigkeit des Militärcabinets noch vermehrt und gewissermaßen ein zweites Kriegsministerium geschaffen werde. Der Beschluß ist sehr zu begrüßen und wir wollen nicht hoffen, daß im Plenum Jemand die Geschmack losigkeit bekunden werde, ihn mit der berüchtigten Ablehnung eines zweiten Ministerialdirectors für den überlasteten Fürsten Bismarck zu vergleichen. Der Kriegsminister v. Goßler ver suchte natürlich, Herrn vr. Hasses Befürchtungen zu zerstreuen. Kriegsministerium und Militärcabinet, so wandte er ein, hätten zwei Gebiete zu behandeln, das eine VerwaltungS-, das andere Persvnalangelegeuheiten. Das mag formell richtig sein; was das Thatsächliche angeht, so steht so viel fest, daß der frühere Kriegsminister, Bronsart von Schellendorf, sich nicht so ausgesprochen hätte, womit nicht gesagt werden soll, daß sein Nachfolger über die Sache anders denke. Die Grenze, von der Herr v. Goßler sprach, dürfte wohl nur von der einen Seile, dem Kriegsministerium, respectirt werden. Der Reichstag hat übrigens nicht die mindeste Veranlassung, auch nur jene Trennung seinerseits gewissermaßen zu sanctioniren, denn die Einslußlosigkeit der verantwortlichen Stelle auf Personalsachen wird für schädlich gehalten. Es handelt sich aber noch um mehr, freilich zumeist um unaussprechliche Dinge. Hieraus aber darf bestimmt vermuthet werden: die große Mehr zahl der nationalliberalen Reichstagsabgeordneten, wenn nicht die Gesammtheit, würde, wenn sie jener Forderung für Erweiterung deS Militärcabinets zustimmte, das Gefühl haben, sich dadurch mit ihrer Auffassung von der Natur und Eigen art des gegenwärtigen Regiment ö in Widerspruch zu setzen. Und ihre Wähler und Freunde im Lande würben von der correspondirrndeu Empfindung ergriffen werden. Diese werden mit der jetzigen Stellung nahme ihrer Abgeordneten in dieser Frage höchlich zufrieden Fenilletsn. y Kittmeister Eckhoff. Roman von A. von Trystedt. Nachdruck «erboten. Hatte Papa sich nur, von dem Reize der Neuheit beeinflußt, zu energischer Arbeit aufgerafft, öder war meine Lieblosigkeit der Anlaß zu Unentschlossenheit und Nichtsthun, genug, mein armer Mann fand den Muth zur Arbeit nicht 'wieder. Zwar verschaffte sein bedeutendes Talent ihm hier und dort noch Beachtung, da ec aber an keiner Stelle dauernd Tüchtiges leistete, so hörte man bald auf, ernstlich mit ihm zu rechnen. Demgemäß wurde er zerfahrener und unsicherer, seine Phan tasie dagegen kühner und begehrlicher. So, wie er sich von nun ab gab, war er im 'Grunde abstoßend und verächtlich sür mich geworden, aber nicht umsonst hatte ich in einer ernsten Stunde gelobt, gut zu machen, mein Unrecht zu sühnen. Ich überwand tapfer Alles, was mir an ihm unsympathisch Ivar, blieb immer, auch bei den gravirendsten Anlässen zu Em pörung und Widerspruch, gleich gelassen, gleich liebevoll, gab mir die erdenklichste Mühe, mich in sein Wesen hineinzuleben, will fahrte auch seinen capriciösesten Launen. Anfangs ward mir dies« Sekbstbuße zu einem Martyrium, an dem ich oft zu Grunde ge'hen zu müssen glaubte, aber langsam gewöhnte ich mich an dieses verborgene Elend, und jetzt würde mir vielleicht etwas fehlen, wenn ich nicht täglich, stündlich mit den Ansprüchen Deines Papas beschäftigt wäre." Frau Martha hatte leis«, in Tönen gesprochen, die das Herz der Tochter mächtig rührten. „Mama!" rief sie in jubelndem Glück, das Haupt der Mutter f:st an sich pressend, „süße, angöbetete Mama, Du warst der gute Engel unseres unglücklichen, oft so beklagenswertheil Papas! Ach, schon als Schulmädchen haben «wir Dich heimlich bewundert und verehrt, wie unsere Gottheit, Eva und ich! Welch' ein er- babenes Beispiel rührender Pflichttreue gabst Du uns durch dieses selbstlose, edelmüthige Verhalten." Stephani« stockte verlegen. Frau Döring hatte mit heimlichem Entzücken dieses höchste Lob von den Lippen ihres stolzen, eigenwilligen Kindes entgegen genommen. „Deine Anerkennung ist ein Lohn für mich, wie ich ihn nie zu erträumen wagte", sagte sie bebend, „also Ihr Mädchen waret sehend ! Weshalb aber brichst Du ab, mein Liebling, sei ganz wahr, ganz offen in dieser Stunde zu Deiner Mutter! Was befremdet Dich trotzdem an meinem Wesen —" „O nichts, nichts, «inzig«, süße Mutti, ich fühlte es eben nur so ganz überwältigend klar, daß ich zu ähnlichem Heldenthume keine Geduld haben würde, wenigstens nicht einem ungeliebten Manne gegenüber." Die Mutter athmete erleichtert auf. „Gut, daß Dir diese Erkenntniß zur rechten Zeit noch kommt, Du Trohkopf", bemerkte sie, ihr Kind zärtlich näher zu sich «heran ziehend, „aus diesem Grund: allein lege ich Dir eine Beichte ab, die Mutter der Tochter! Ich will Dich warnen! Eindringlicher kann ich es Wohl nicht thun, als durch meine eigene Geschichte!" Stephanie schmiegte sich, als wolle sie stumm um Vergebung flehen, nur inniger in «diese treuen Arme, die sie vom ersten Dasnnstage an umhegt hatten. Eine Antwort gab «das schöne Mädchen nicht. So tief sie auch durch das Schicksal der heißgeliebten Mutter erschüttert sein mochte, das Versprechen, auf Glanz und Reichthum verzichten zu wollen, konnte sie nicht leisten, sie wußte, daß sie doch nicht Wort ge halten hätte. Frau Martha's Gedanken schweiften schon wieder weit ab. „Es brachen schwere Zetten über uns herein", fuhr sie ernst fort, „die Noth in ihrer drohendsten Gestalt hielt Einzug bei uns. Und so angestrengt ich auch arbeitete, es gelang mir nicht, auch nur das Allernothwendigste zu erringen. Aber f«st, mit dem Mnthe der Verzweiflung, harrte ich «aus auf meinem schweren Platze. Ich hatte mir diese Sekbstbuße auferlegt und handelte strenge, unentwegt darnach. Inzwischen hatte sich unsere Familie um drei liebe, herzige Köpfchen vergrößert. Du warst kaum zwei Jahre alt, als Du ein Brüderchen bekamst, und dann schenkte uns der Himmel noch die kleine, blaffe Eva. Aber «das liebe Jungchen war das elendeste unter Euch. Was ich damals erduldet und gelitten, als dieses geliebte, junge Leben vor meinen Augen dahinwelkte, wie eine arme Blume, der Licht und Sonnenschein fehlen, das ist unbeschreiblich, es war der Gipfelpunkt meiner Leiden. Er brauchte zeitraubende Pflege, der arme Klein«, und theure, kräftige Nahrungsmittel und Arzneien. Ich konnte ihm eines so wenig gewähren, wie das andere. Wer solche Stunden bitterster Seelenqual nicht kennen ge lernt hat, wo uns vorwurfsvoll und anllagend die eigene Schuld aus «den Augen eines geliebten Kindes entgegenschaut, wo wir unser Herzblut dahingeben möchten, um retten, helfen zu können, und doch unthätig zusehen müssen, wie der schwache Lebensfunke langsam erlischt — wer das nicht durchlebt hat, weiß eigentlich nicht, was Seelenqual bedeutet. Er «schwand mir unter den Händen dahin, der arme Kleine, und eines Abends schlummerte er sanft ein, um nie wieder zu erwachen. Ich konnte mich in dieses Schreckliche nicht finden. Der Tod des Kindes brachte mich dem Wahnsinn nahe, und noch drohte mir ein zweiter Verlust. Du warst immer gesund, Vie zart« Eva aber zeigte sich ebenso wenig den Entbehrungen gewachsen, die ich Euch auferlegen mußte. Auch sie begann zu kränkeln und dahinzuschwinden. Als ich eines Tages, wie betäubt von dem auf mir lastenden Geschick, meine Arbeit zur Ablieferung forttrug, wurde ich von einem Herrn begrüßt, dessen Stimme mir bekannt erschien, ohne daß ich mich seiner Persönlichkeit hätte erinnern können. Schon glaubte ich, der Gruß habe nicht einmal mir ge golten, als ich angeredet wurde. «Malchow «stand vor mir, und wahrlich, jetzt hatten wir die Rollen getauscht. «Sein ganzes Exterieur verrieth mir sogleich, daß er sich in bevorzugten Lebensoerhältniffen befinde. Mein unförmliches Packet lvar di« beste Illustration für mein Ergehen. In meiner Verbitterung sprach ich böse Worte, sagte Hans, er möge doch triumphiren über die Genugthuung, «die ihm das Geschick bereitet, und bat ihn, mich unbehelligt zu lassen. Er schüttelte nur äbwehrend sein schon stark ergrautes Haupt. „Nicht so, liebe Martha", bat er sanft, „durfte ich nicht Ihr Gatte werden, so soll doch Nichts mich zurückhalten, Ihnen ein wahrer, aufrichtiger Freund zu sein." Er gäb mich auch nicht wieder frei, Stephanie, und mein übervolles, schmerzzerrissenes Herz floß über, er erfuhr Alles, Alles, das ganze, unsägliche Elend meines verfehlten, trostlosen Daseins. Er hörte mir traurig zu. „Martha", begann er dann von Neuem, „sehen Sie mich an, Liebe, ich bin ekn alter Mann ge worden, vor der Zeit ergraut und gebrochen. Ich bleibe einsam, denn die Menschen ««nv besonders die Frauen, sind mir v leidet seit damals, Alle, Alle! Durch eine unerwartet mir zu gefallen« Erbschaft bin ich zu einem bedeutenden Vermögen gelangt. Mein« Ansprüche jedoch sind nach wie vor die denkbar einfachsten geblieben. Aber auch, wenn ich wie ein flotter Cava- lier lebte, galanten Abenteuern nachhinge, so würde doch ein be trächtlicher Theil meines Vermögens noch sür wohlthätige Zwecke disponibel sein. Lassen Sie mich vor allen Dingen für Die jenigen sorgen, liebe Freundin, die meinem Herzen nahe stehen. Weisen Sie nicht aus falschem Stolz oder Schamgefühl zurück, was ich Ahnen biete. Ich übersende Ihnen umgehend eine Pauschalsumme, mit deren Hilf« Si« Ihre Lebensverhciltmss« arrangiren können. Sodann erhalten Sie auf Lebenszeit eine Rente, die Sie und Ihre liebe Familie vor Sorgen schützt. Mein Capital ist absolut sicher gestellt. Sie machen mich glücklich, Martha, wenn Sie mir gestatten, ein wenig Vorsehung spielen zu «dürfen. Und es ist doch wohl auch Ihre Pflicht, mich in etwas zu entschädigen für das schwere Leid, das Sie mir damals an- gethan haben." Frau Martha hatte die Hände gefaltet, das Haupt leicht ge senkt. Ein paar Thränen stahlen sich in ihre Augen, aber ein Lächeln lag um ihren Mund, ein Lächeln der Erlösung, als sie sich wieder jene Stunde vergegenwärtigte, die einen so glücklichen Wendepunct i« ihrem schwergeprüftem Dasein bildete. „Ich muß gestehen", fuhr sie dann leise und zögernd, als gelte es nun erst das Eingeständniß einer Schuld, fort, „daß ich nicht einen Moment daran dachte, diese großmüthige Hilfe zu rückzuweisen. Die mageren Aermcheu Evchens, ihre dunkel umrandeten Augen schwebten mir vor, und eng zusammenge drängt jene zahllosen Stunden aufreibendster Sorge, tiefsten Jammers, folternder Demüthigung, wie sie ein Dasein ohne ausreichende Existenzmittel zeitigt. Die Bitten um Stundung der Miethe beim Wirth, um Verabfolgung von Materialien ohne Baarzahlung beim Kaufmann, die flehenden Briefe an den Kohlenhändler, um Gotteswillen uns einen kleinen Posten Feue rung zu verabfolgen — ohne Zahlung natürlich, immer ohne Zahlung —" „Entsetzlich", stöhnte das junge Mädchen. „Oh — wenn ich Vas so hier erzähle, klingt es einfach, fast belanglos, aber das Durchleben dieser Scenen, wo mau nur etwas erreichen kann, wenn man sich selbst aufgiebt, der Selbst verleugnung im höchsten Grade fähig ist, die tausend Nadel stiche, kleinlichen Gehässigkeiten, Unverschämtheiten dulden muß, ohne mit der Wimper zu zucken, und dann das Elend im Hause, der knurrende Magen, die ganze Atmosphäre erniedrigend«! Ar- muth —" Frau Martha schauerte in der Erinnerung zusammen. „Wer das durchlebt hat, lernt es, nachsichtig zu urlheilen über Diejenigen, >velche aus Noth sanken oder aus Unfähigkeit zur Arbeit verzweifeln und entarten! Scrupel, beschämende Empfindungen kanten mir erst viel später. Damals nahm ich die Begegnung mit Malchow wie eine Fügung des Himmels. Wir Alle dachten so, auch der Papa ..." Stephani« war aufgesprungen. Sie wollte nichts weiter hören. Am liebsten wäre sie ziellos hinausgestürmt, war es doch, als schnüre ihr ein Etwas die Kehle zusammen. Nie zuvor hatte sie ähnlich empfunden. Alles in ihr wogte, war leidenschaftliche, heftige Auflehnung. Ihr Papa, ihr lieber, herrlicher Papa, dem si« trotz feiner
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