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Oertliches und Sächsisches. MttenLorf-Gkrilla, 9. Aprils 904. — Der erste Schritt- Für viele Mutter söhnchen und Vaterstöchter bringt die Zeit nach Ostern eine gar trübe Stunde: Der erste Schritt aus dem Vaterhause wird getan und die engen Beziehungen zu den Angehörigen werden ge lockert. Der Junge kommt zu einem Hand werker in die Lehre, geht in die Fabrik oder wendet sich als „Stift" dem kaufmännischen Berufe zu, das Mädel geht als Ostermädchen in fremden Dienst, besucht ein Lehrinstitut usw- In der Grotzstadt haben es diese Lehrlinge in sofern noch b.sser, als sie meistens zu Hause schlafen können und auch daheim beköstigt werden; in den kleinen Städten aber und auf dem Lande bedeutet der verhängnisvolle erste Schritt zugleich einen Umzug mit Sack und Pack und nur zu den grohen Feiertagen gibt es einen kurzen Ur laub, um die Fleischtöpfe der Mutter einer gründ lichen Revision zu unterziehen. Die jungen Menschenkinder, die jetzt vielleicht zum ersten Male vom Schicksal hart angefaßt werden, glei chen jungen Bäumchen, die in einen neuen Baden verpflanzt werden und nun unter anderen Lebens- bedingungen weiter gedeihen sollen. Ihr Wachs tum gleicht genau demjenigen in der Natur: Viele, ja die meisten kommen gut fort und ent wickeln sich prächtig weiter, aber nicht wenige verkümmern auch, vegetieren eine Zeitlang dahin und gehen dann schließlich ganz ein. Das liegt zum Teil daran, daß sie schlechten Nährboden gefunden haben, schlechte Lehrherren, schlechte Gesellschaft, zum anderen Teil daran, daß sie schon angekränkelt ins neue Erdreich verpflanzt wurden als ungehorsame, störrige lügenhafte Kinder, denen es an der gehörigen Zucht im Elternhause gefehlt hat. Wohl denen, die schon daheim an Gehorsam und Pünktlichkeit gewöhnt worden sind. Sie werden desto leichter die Lehrzeit bestehen. Niemals rächt sich eine falsche Erziehung so sehr als jetzt, wo so viele Kinder den ersten Schritt ins Leben tun. Den Meistertitel in Verbindung mit der Bezeichnung eines Handwerks dürfen nach Z 133 der Gewerbeordnung Handwerker nur dann führen, wenn sie in ihrem Gewerbe die Befug nis zur Anleitung von Lehrlingen erworben und die Meisterprüfung bestanden haben- Es ist nun mehrfach die Beobachtung gemacht worden, daß Personen die diesen Anforderungen nicht genügt haben, sich gleichwohl zur Führung des Meistertitels dann für befugt halten, nachdem sie an einem der sogenannten „Meisterkurse" teilgenommen haben, wie solche von Handwerks kammern u. s. w. vielfach veranstaltet werden. Diese Auffassung ist natürlich eine irrtümliche. Die Führung des Meistertitels ist auch in diesem Falle eine unbefugte und zieht die Bestrafung aus Z 148 Nr. öc der Gewerbeordnung (mit Geldstrafe bis zu 150 Mark und im Unver mögensfalle mit Haft bis zu vier Wochen) nach sich. — Für Deutsch-Südwestafrika werden Eisen bahn -Beamte und -Handwerker schleunigst ge sucht. Die Bewerber sollen möglichst 25 bis 30 Jahre alt, unverheiratet und gesund sein; sie müssen sich zu einer mindestens dreijährigen Dienstzeit verpflichten. Die Bezüge betragen 3000 (für Schlosser und Schmiede) bis 4800 Mark (für Telegraphenmeister) Mehrere Hand werker der Spandauer Militärwerkstätten, die sich gemeldet hatten, traten am Donnerstag mit den letzten Verstärkungen für die Schutztruppe (26 Offiziere und 350 Mann) auf dem Ham burger Dampfer „Lucie Wörmann" die Aus reise nach Südwestafrika an. — Die Volksbewegung über die Aufhebung von 8 2 des Jesuitengesetzes geht, wie sich immer deutlicher herausstellt, auch an Katholiken nicht spurlos vorüber und hat in Dresden eine Stei gerung der Überinstsbcwegmig schon jetzt zur Folge gehabt. Ein großer Teil der Katholiken stimmt mit den Protestanten in der Verurteilung des J-suitiSmus überein; und aus solchen re krutiert sich die wachsende Zahl derer, die der römischen Kirche jetzt den Rücken kehren. Selten haben so viele Katholiken, Männer und Frauen, bei den evangelischen Pfarrämtern um Auf nahme in die Landeskirche nachgesucht, wie gerade jetzt. — Schonzeit für Fische. Vom Sonntag, den 10. April an beginnt nach sächsischem Fischereigesetze die Schonzeit für die sogenannten Sommerlaichfische, die bis mit zum 9. Juni dauert. Während dieser Zeit dürfen in fließen den Gewässern diese Fische weder gefangen, noch auf den Märkten usw. feilgeboten und ver kauft oder auch zum Zwecke des Verkaufes ver sendet werden. Zu den in die Schonzeit tre tenden Sommerlaichfischen gehören: Stör, Zander, Rapfen auch Ranpfen, Rapf auch Schied, Blei, auch Brechse oder Brasse, Maifisch, auch Alse, Aland, auch Nerfling genannt; ferner Finke, Barbe, Döbel, Schleie, Äsche, Karausche, Rot feder, Barsch, Rotauge, auch Plötze genannt, Schmerl, Zehrte und Weißfische. Es dürfen demnach von den Süßwasserfischen vom Montag an nur noch gefangen und auf den Märkten verkauft werden: Lachse, Bachforellen, Karpfen, Hechte, Aalranpen und Aale. — Die Schonzeit der Krebse, welche am 1. November begonnen hatte, geht mit Schluß des Monats Mai erst zu Ende. — Die Aerzte in Sachsen haben sich in den letzten Jahrzehten verhältnismäßig weit stärker vermehrt als die Bevölkerung. Wäh- nd im Jahre 1885 noch 3200 Bewohner auf einen Arzt kamen, ist diese Verhältniszahl im Jahre 1903 auf eiwa 2100 zurückgegongen. Dresden. Ein herbes Schicksal hat die hochbctagten Eltern des jetzt im hiesigen Unter suchungsgefängnis befindlichen Defraudanten und ehemaligen Fabrikdirektors Hüttig heimgesucht. Die Eltern Hüttigs sind durch des Sohnes ge wissenlose Spekulationen ebenfalls um Hab und Gut gebracht. Direktor Hüttig hatte den be deutendsten Teil des Vermögens seines Vaters in Verwaltung genommen. Anstatt es anzu legen, verwendete er das Geld —gegen 70 000 Mark — zu.seinen wahnwitzigen Spekulationen- Die Eltern Huben aus dem Schiffbruch ihres Sohnes fast nichts zu retten vermocht; sie haben sich jetzt gezwungen gesehen, ihre Zuflucht zum Dresdner Bürgerhospital zu nehmen. Dort hat Hüttig ssn-, der bekanntlich die jetzige Hüttig gesellschaft aus eigenen Mitteln ins Leben ge rufen und zu hoher Blüte gebracht hat, für sich und seine Frau zwei Plätze erworben. Direktor Hüttig hat aber auch seinen Schwiegervater nicht verschont. Letzterer, der frühere Aufsichtsrat Fichtner der Hüttiggesellschaft, hatte seinem Schwiegersöhne 60 000 Mk- anvertraut; auch diese Summe haben Hüttigs Spekulationsunter nehmungen verschlungen. Die gegen ihn er hobene Anklage lautet auf Untreue, Unter schlagung und Unterdrückung von Geschäfts papieren. Die Höhe der Unterschlagungen soll gerichtsseitig auf 405000 Mk. bemessen worden sein. Was endlich die Hüttiggesellschaft selbst betrifft, so ist das Fortbestehen derselben unter allen Umständen gesichert. — Angeblich wegen eines körperlichen Leidens tötete sich am Dienstag im Kgl. Großen Garten zu Dresden ein 19jähriger dortiger Handlungs gehilfe durch 2 Schüsse in den Kopf. — Ein Opfer seiner Grundstücksspekulationen ist der Direktor der Dresdner Müllabfuhr- Gesellschaft Franz Josef Steinwald, der früher auch Stadtverordneter war, geworden. Ec ist seit voriger Woche verschwunden. St. war Besitzer einer großen Anzahl Grundstücke, die sämtlich zur Zwangs - Versteigerung gelangen. Kurz vor seiner Abreise gelang es dem ehe maligen Stadtvater noch, einen hiesigen Bürger mit 5000 Mk. hereinzulegen. — Der an der Augustusbrücke havarierte Feachtdampfer „Prag" ist am Freitag früh auf der Werft in Neustadt-Uebigau auf Stapel genommen worden. Nur durch fortgesetztes Äuspumpen der eindringenden Abwassers Die „Dttendorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners- tag und Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich t Mark. Durch die Post bezogen 1,20 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Moritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode". Annahme von Inseraten bi, vormittag w Uhr. Inserate werden mit 10 Pf. für die Spaltzeile berechnet. Tabellarischer Satz nach be sonderem Tarif. Druck und Verlag von Hermann Rühle in Groß-Gkrilla. Für die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Dkrilla. Nr. 43. Sonntag, den 10. April 1904. 3. Jahrgang. konnte das Schiff, das mit 5000 Zentnern Metallwaren belastet war, von den Sinken bewahrt werden. — Ein hübsches Geschichtchen erzählt man- sich in Kötzschenbroda von der Osterprüfung einer mittleren Mädchenklaffe einer Bürgerschule. Gegenstand der Examina war Geschichte. Alles klappte vortrefflich. Auch als die Regententafel der europäischen Fürstenhäuser an die Reihe kam, erfolgten prompte Antworten, bis auf eine, an der wohl die Aufregung der Schülerin die Schuld trug. Als nämiich der Herr Oberlehrer wissen wollte, welchen Namen eine spanische Königstochter führe (also „Infantin"), da kam es zögernd von den Lippen: „Elefantin von Spanien". Der erheiternden Wirkung dieser Antwort soll sich kaum eins von den im Prü fungssaale Anwesenden haben entziehen können. Wilsdruff. An den Vorsitzenden des Holz- arbeiterverbandeS richtete der Bürgermeister van Wilsdruff ein Schreiben, wonach die Unter nehmer beschlossen haben, in ihren Betrieben zu keinen anderen, als den von ihnen gestellten Bedingungen die Arbeit wieder aufnehmen zu lassen. Die Führer des Streiks sollen nicht wieder eingestellt werden, ebenso diejenigen Ar beiter die innerhalb eines Jahres"einen Betrieb verlaffen. Der Streik scheint demnach noch nicht zu Ende zu gehen. — Die Kunde von einer Mordtat durcheilte in den gestrigen Abendstunden die Wilsdruffer Vorstadt. Im Hause Nr. 10 der Schützengaffe war die Ehefrau des Bierkutschers E. Winkler eines plötzlichen Todes gestorben. Der Tod war nach einem Wortwechsel mit dem nach Hause gekommenen Ehemanne erngstreten. Letz terer wurde in polizeilichen Gewahrsam ge nommen. Der sofort erschienene Polizeiarzt stellte aber einen natürlichen Tod, der wahr scheinlich infolge Herzschlags erfolgt war, fest. Die Wohnung wurde polizeilich versiegelt. Pirna. Unter donnernden Getöse stürzte in der Nacht zum Karfreitag von höchster Höhe des Großen Bärensteins bei Naundorf ein los gelöster großer Felsblock in die Tiefe. Die geborstenen Felsmassen erreichten ziemlich die von Naundorf nach Weißig führende Straße. Ottendorf. Große Aufregung herrschte am zweiten Feiertage abends um die 10. Stunde hier. Auf der Straße von dort nach Sebnitz hatte der Dienstknecht des Ecbgerichtsbesitzers Michel einer Magd seines Herrn eine starke Kopfwunde beigebracht und sie in einen nahe an der Straße gelegenen Teich geworfen. Müh- sam kam die Magd wieder aus dem Teiche und wendete sich in ihrer schlimmen Lage an Verwandte ihres Dienstherrn in Hertigswalde, die ihr den ersten Beistand leisteten. Der freche Straßenräuber aber ging seines Weges weiter und fiel nun eine Frau und ein Mädchen aus Sebnitz an, die auch nicht ohne Wunden davon gekommen sein sollen. Nicht ganz so günstig schnitt der freche Geselle mit dem Ottendorfer Fleischermeister Meitzschel ab, der mit seiner Frau aus Sebnitz gefahren kam. Er hielt das Pferd an, soll es auch mit einem Stocke geschlagen haben, und verlangte von den Insassen des Wagens das Geld. Der Besitzer des Wagens sprang schnell ab und brachte den Straßenräuber auf andere Gedanken als auf Geld. Nachdem Herr Meintzschel schnell aus dem nahen Gast hofe einige Leute herbeigeholt hatte, gelang es, den frechen Tschechen zu fangen und der tele phonisch herbeigerusenen Gendarmerie zu über geben. Meißen. Ein tragikomisches Vorkommnis hat sich am Abend des ersten Osterfeiertages zu getragen. In einer im erhöhten Unterstock wohnenden Familie hatte ihren elfjährigen Sohn zu Bett gebracht, und als es anfing, zu regnen, verließ sie die Stube, um einen unter dem Fenster befindlichen Gegenstand ins trockene zu bringen. Dies verursachte aber ein eigen tümliches Geräusch, welches dem noch wachen Knaben Furcht einslößte. Er verließ rasch das Bett, riß das Fenster auf und sprang hinaus und der darunter gebückt stehenden Mutter auf den Rücken. Zum Tode erschrocken, lief die Frau, so schnell sie kann, ins Haus, der Junge hinter ihr her. Erst in der Stube, als sie sich erkannten, verwandelte sich die Furcht in ebenso heftige Heiterkeit. Chemnitz. Die hiesige Polizei verhaftete in der Nacht zum Mittwoch einen etwa 20 Jahre alten Eisenbohrec und einen etliche Jahre älteren Schmiedegesellen in dem Augenblicke als sie falsches Geld verausgaben wollten. In ihrem Besitz befanden sich falsche Zweimarkstücke, Fünf markstücke. Zehnpfennig- und Fünfpfennigstücke. — Kürzlich beschloß eine in Chemnitz ab gehaltene Versammlung der Einkaufsgesell schaft Deutscher Konsumvereine, eine Konsum genossenschaftsfabrik zu gründen. Diese Gesell schaft, die seit zehn Jahren besteht, in Hamburg ihren Sitz hat und den Einkauf der Konsum vereine zentralisiert, machte schon 1902 einen Umsatz von 21^ Millionen Mark. Jetzt geht sie — nach englischen Vorbilde — zur Eigen produktion über. In Aken a. d. Elbe, Re gierungsbezirk Magdeburg, einem kleinen Städtchen, hat die Gesellschaft nicht weniger denn 28 400 gm Bauland gekauft; hier sollen die Fabriken der Gesellschaft entstehen. Die erste ist eine mit den besten technischen Ein richtungen und den leistungsfähigsten Maschinen aus gestattete Seifenfabrik, die vor Schluß dieses Jahres in Betrieb genommen werden soll. Das zur Realisierung des Projektes benötigte Kapitat 300000 M. ist bereit gezeignet. Bis in die letzte Zeit lieferten etwa vierzig Seifen fabriken an die Großeinkaufsgesellschaft, die in Seife und den Neb'enfabrikaten einen großen Umsatz macht. Durch die Eigenproduktion dieser Waren erwächst nun der deutschen Seifen industrie eine empfindliche Konkurrenz. „ Leipzig. Vom „Kriegsschauplätze" zwischen Ärzten und Ortskrankenkasse ist zu melden, daß offenbar die Beschwerden über unzulängliche Behandlung der Patienten sich häufen, sodaß ein Eingreifen der Regierung wahrscheinlich wird. Durch dasselbe würden aber die Ärzte nichts gewinnen, den in dem Augenblicke, in welchem die Regierung die vorhandenen 71 Ärzte, zu welchen nächster Tage noch weitere 12 treten, als nicht hinreichend erklärt, wird die Orts krankenkaffe die Familienbehandlung der Mit glieder sistieren. Durch eine solche Maßnahme vermindert sich die Kopfzahl der in der Orts- kraukenkaffe Versicherten sofort um rund 200000 und zur Behandlung der wirklichen Mitglieder (136 000) würden dann die vohandenen Ärzte ausreichen. Letztere scheinen wirklich merkwürdige Herren zu sein, denn sie erklären feierlich und öffentlich, daß sie für ideale Ziele kämpfen und das Tun ihrer Kollegen verabscheuen. Die Kaffenverwaltung scheint aber von der festen Gesinnung ihrer Ärzte so wenig überzeugt, daß sie jedem derselben „auf Schritt und Tritt" ei nen Beamten beigeordnet hat, um die Herren vor den „verführerischen Lockrufen" der früheren Kassenärzte zu behüten. — Der in Leipzig-Plagwitz wohnhafte 27 Jahre alte Arbeiter Richard Haarfeldt versuchte am Donnerstag abend seine Geliebte namens Dathe in ihrer Wohnung in Großzschocher zu erschießen. Ec verletzte das Mädchen aber nur an der Hand. Noch in der vergangenen Nacht wurde er in Großzschocher verhaftet. Plauen i. V- Durch die Explosion der Petroleumlampe wurde die Familie des Fuhr werksbesitzers Thoß in Ellefeld, fünf Personen, schwer verletzt. Ein dreijähriger Knabe erlitt schwere Brandwunden, denen er bereits erlegen ist. Die Familie Thoß saß beim Abendbrot. Von der sächsisch-bayrischen Grenze. Vom Schnellzug Leipzig—Hof—München wurde in der Station Windischeschenbach (Bayern) der Oberbauinspecktor Weingart über- fahren und sofort getötet.