Volltext Seite (XML)
Wchnitz -ZeitW Mr „Weißeritz-Zeitung" erscheint wöchentlich drei mal: Dienstag, Donners tag und Sonnabend. — Preis vierteljährlich I M. 25 Psg., zweimonatlich 84 Pfg-, einmonatlich 42 Psg. Einzelne Nummer« 10 Pfg. — Alle Postan kalten, Postboten, sowie di« Agenten nehmen Be- Amtsblatt für die Königliche Amishauptmannschaft Dippoldiswalde, sowie für die Königlichm Amtsgerichte und die Stadträthe zu Dippoldiswalde und Irauenstein Inserate, welch« bei der bedeutenden Auflage des Blattes eine sehr wirk same Verbreitung finden, werden mit 1v Psg. di« Spaltenzeil« oder vereu Raum berechnet. — Ta bellarische und complicirt« Inserate mit entsprechen« dem Aufschlag.— Einge sandt, im redaktionellen Theile, die Spaltenzeil« SV Pfg. rill' bis JUpiÜppib-D-ilnnn" nehmen an: in Dippoldiswalde: die Expedition, — in Altenberg: Buchbindermstr. Schütze, — in FrauenKrin: Nadlermstr Hardt. AUflIU« fllk All mann, — in Glashütte: Buchbindermstr. Schubert, —in Kreischa: Buchbinder Berger, — in Potschappel: Kaufmann Theuerkauf. 56. Jchrgang Nr. 141. Sonnabend, dm 29. November 1890. Verantwortlicher Redacteur: Paul Ikhne in Dippoldiswalde. Mit achtseitigem „Jllustrirten Unterhaltungsblatt." Mit land- und hauSwirthschastlicher MonatSbeilage. Abonnements auf die „Weißeriß-Zeitung" für Monat Dezember nehmen alle kaiserlichen Postanstalten, Briefträger, unsere Zeitungsboten und die unterzeichnete Expedition entgegen. Inserate werden in unserer Expedition und in allen unseren Annoncen-Annahmestellen angenommen und finden die weitgehendste Verbreitung. Die Expedition der „Weißeritz»Zeitung". Lokales «nd Sächsisches. Dippoldiswalde, 28. Novbr Die bevorstehende Volkszählung macht uns in der jedem HauShaltungs- oorstande einzuhändigenden Haushaltungsliste diesmal mit der ehrenwerthen Musterfamilie Schulze bekannt. Ein Buch über dieselbe zu schreiben, gleich dem, in welchem Julius Stinde die Familie Buchholz in Deutschland bekannt gemacht und verewigt hat, dazu haben wir weder Raum noch Zeit, aber aus den in den 15 Spalten der Liste gegebenen kurzen Notizen eine kleine Biographie zusammenzustellen, dürfte ebenso unterhaltend als lehrreich sein. Karl Schulze erblickte am 5. September 1831 zu Chemnitz das Licht der Welt. Am Tage vorher war sein Vaterland Sachsen in die Reihe der konstitutionellen Staaten getreten, so daß ihm also das Patent als neubackener konstitutio neller Staatsbürger in die Wiege gelegt werden konnte. Wenige Tage nachher in einer der lutherischen Kirchen seiner Vaterstadt getauft, wuchs Karl zur Freude seiner Eltern heran und erwählte zu seinem Lebensberufe das Bäckerhandwerk, ging nach be endigter Lehrzeit auf die Wanderschaft und kam als schmucker Wanderbursch auch nach Dresden, wo er beim Bäckermeister Wilhelm am Dippoldiswaldaer Platze in Arbeit trat, um sich hier mit der Herstellung der weitberühmten Dresdener Christstollen vertraut zu machen. Unter den hübschen Bauermädchen, die an Markttagen Meister Wilhelms scharfgebackene Semmeln gern mit nach Hause brachten, zeichnete sich ganz be sonders eine gewisse Johanne aus Boderitz aus, an die der muntere Gesell bald sein Herz verlor. Erst 22 Jahre alt, führte er 1853 die 17jährige Johanne als Gattin heim und machte sich, indem er die von seinem Vater ererbte Bäckerei mit Landwirthschaft übernahm, in Chemnitz selbstständig. Bereits im Jahre 18 54 wurde dem jungen Ehepaar die erste Tochter Sophie, 1857 ein Sohn Emil, 1865 eine zweite Tochter Anna geboren, letztere zum großen Kummer der Eltern leider taubstumm. Bei den ganz erfreulichen Vermögensverhältnissen der Familie ist es zu verwundern, daß Sophie, jetzt bereits 36 Jahr alt, noch nicht unter die Haube gekommen ist, obgleich sie sich schon längst, da sie als Strohhut fabrik-Arbeiterin einen schönen Groschen verdient, eine gediegene Ausstattung verdient hat. Ob vielleicht ihr jetziger Ausflug nach Stöckigt bei Plauen ihr Schicksal entscheiden wird? — Wer will es wissen? Wäre"der in Aftermiethe bei Schulzens wohnende Nähmaschinen-Buchhalter Paul Meier nicht erst 24 Jahre alt und gehörte derselbe nicht dem Stamme Sem an, wer weiß, ob derselbe nicht Anstalt machte, bei Schulzens um Sophie anzuhalten. Haden eS doch die ehrenwerthen Meistersleute verstanden, etwas vor sich zu bringen. Zwar hat Schulz« in der Regel immer nur einen Gesellen (zur Zeit einen gewissen Hermann Gebauer aus Breslau — einen ziem lich reifen Knaben won 37 Jahren, der bereits ver- wittwet ist) in Arbeit, aber aus der zweckmäßigen Verwendung seines nicht allzu geräumigen Hauses möglichst viel herauszuschlagen verstanden. Da wohnen der schon genannte Meier, der 54jährige verwittwete Steinkohlenbergbausteiger August Martin — gegenwärtig allerdings nach München verreist — in Aftermiethe, da ist der reformirte Gewerbeschüler Oskar Kretzschmar aus Ronneburg, ein hübsches Bürschchen von 16 Jahren, in Kost und Logis ge nommen, ja, da giebt's sogar noch Platz zu einer Schlafstelle für einen geschiedenen Bruder Bam berger mit dem seltenen Namen August Müller, der als Bauhandarbeiter und Dissident in Chem nitz den geeignetsten Schauplatz seiner Thätigkeit ge funden zu haben glaubt; da — sollte man's für mög lich halten? — da findet auch noch der einquartirte aktive Unteroffizier Franz Schubert vom 106. Infanterie-Regiment ein ganz leidliches Unterkommen. Natürlich wirft solch' wackeres Haushalten einen ganz erklecklichen Profit ab, so daß, wie gesagt, Meister Schulze gar nicht so ohne ist, seiner Sophie ein paar Groschen mitgeben, und seinem Emil, dem Herrn Bank- geschäftskassirer, kräftig unter die Arme greifen kann, wenn er mal selber anfangen will. Auch kommt's ihm nicht darauf an, bei alledem noch ein paar feine Gastzimmer bereit zu haben. Dem Zähler wird die Bewohnerin des einen als Fräulein Martha Giebe, Verkäuferin aus Copitz bei Pirna, 28 Jahre alt, nur über Nacht da, vorgestellt werden, der Bewohner des andern als Herr Julius Schulz-, der um 2 Jahre ältere Bruder des Herrn Bäckermeister Schulze, der als armer Bäckergesell über's Meer gezogen und als reicher New-Uorker Rentier jetzt mal zum Besuch herüber gekommen ist. Auf ihn, der zwar verheirathet, aber kinderlos ist, setzen die Schulzen's weitgehende Hoffnungen, besonders das Brautpaar. Das Braut paar? Allerdings. Gleich den Tag nach der Volks zählung wird man im „Chemnitzer Tageblatt", wie uns das Dienstmädchen, die schwatzhafte Emma Rich ter aus Seidau bei Bautzen verrathen hatte, lesen: Martha Giebe Emil Schulze e. s a. V. Hofft doch das 24jährige muntere Ding für sich selbst auf gleich angenehme Veränderung. Wenn sich nur dec „Schlesinger" erklären wollte! Das Religions- bekenntniß bildet kein Hinderniß; sie sind beide römisch- katholisch. Mögen sich die Verlobten in ihren Hoff nungen auf den amerikanischen Onkel nicht täuschen und die Familie Schulze sich bis zur nächsten Volks zählung immer erfreulicher entwickelt haben. — 28. November. Astronomisch gerechnet, leben wir noch im Herbste; aber der natürliche Winter ist bereits mit einer Strenge eingetreten, die überraschend ist und wesentlich wohl nicht überschritten werden dürste. Gestern früh 7 Uhr zeigte bei uns das Thermometer 16° 6. Dazu schien um 8 Uhr die Sonne mit un getrübtem Glanze auf die glitzernden Schnee- und Eis- krystalle, die Bäume und Sträucher, Felder und Wiesen in blendendes Weiß gehüllt und die Fensterscheiben mit phantastischen Blumengcstalten geschmückt hatten. Die mit großem Wasierreichthum rasch dahinfluthende Weißeritz dampfte wie ein Braukessel, die Wagenräder knarrten, Schlitten mit bereiften Pferden und Insassen flogen dahin — kurz, wir hatten einen Wintertag, wie er im Buche steht. Ganz besonders werden unsere Kürschner und Filzschuhmacher mit solcher Witterung und den dadurch eröffneten Aussichten auf die Weih nachtszeit sich einverstanden erklären. Aber auch andere Handwerksleute und Händler hoffen auf den Verdienst, zu dem die Gunst der Witterung und das bevorstehende Fest Gelegenheit geben. Bieten sie doch in ihren Ge schäften dar, was der Bedarf in bürgerlichen Verhält nissen irgendwie erfordert: ja, auch weitergehenden An sprüchen können die Meisten genügen. Bald werden wir uns in den verschiedenen in Vorbereitung befind lichen Weihnachtsausstellungen von der Reichhaltigkeit und Preiswürdigkeit der angebotenen Waaren über zeugen können. Was außer den schon genannten Kürschnern und Hutmachern, Schneider, Schuhmacher, Sattler, Riemer, Klempner, Buchbinder, Tischler, Schnitt- und Kurzwaarenhändler, Uhrmacher, Gold arbeiter, Bäcker, Materialwaarenhändler u. s. w. an zu Weihnachtsgeschenken geeigneten Gegenständen darbieten können, daran wird es nicht fehlen, und unsere Mit« bürger und unsere Nachbarn in der Umgebung finden also hier sicher Gelegenheit, sich mit ihrem Bedarf bei uns zu versehen, ohne deswegen ihren Tribut der Residenz zusühre« zu müssen. So viel Lokalpatriotismus und HeimathSliebe sollte doch Jeder habe«, daß er das, was er in seiner Heimath gut und preiswerth erhalten kann, nicht von auswärts herbeiholte, und daran zu erinnern fordert gerade die bevorstehende Festzeit wieder auf. Möchte unsere Mahnung nicht ungehört ver hallen und der nunmehr beginnende Weihnachtsverkehr von hier und auswärts ein recht flotter und erfolg reicher sein. — Nächsten Sonntag veranstaltet im hiesigen Schiebhaussaale Herr Emil Helmert unter Mitwirkung verschiedener bedeutender Kräfte ein Solisten- und Ensemble-Concert. Aus den uns vorgelegten Be- urtheilungen der Leistungen der Künstler ersehen wir mit Freuden, daß alle in ihrem Fache als sehr tüchtig bekannt sind, so daß ein Besuch des Concertes sich recht wohl als lohnend und genußreich erweisen dürfte. — In Nr. 13S dieses Blattes wurde die schon viel beregte Postbau-Angelegenhett erörtert und sprach Einsender den Wunsch aus, daß im Interesse der Bürgerschaft und Geschäftswelt die Post im Cen trum der Stadt bleiben möchte. Biele Bürger und Geschäftsleute fühlen sich zu einer Entgegnung ver anlaßt, da der jetzige Platz durchaus nicht als Centrum unserer Stadt angesehen werden kann, selbst wenn man alle dahinterliegenden unbewohnten Gebäude, welche doch wohl hier nicht in Frage kommen, dazu rechnet; ebenfalls ist es der höchste Punkt und müssen alle Geschäftsleute, mit wenig Ausnahmen, diese Höhe erklimmen. Es wäre auch in Erwägung zu ziehen, ob nicht die Bürger jenseits der Weißeritz mit in den Bereich unserer Bürgerschaft zu rechnen find, da sich dort eine beträchtliche Anzahl Geschäfte befinden und kann somit von einer Rücksicht auf die Bürgerschaft und Geschäftswelt nicht die Rede sein. Erfahrungs gemäß vergröbert sich ein Ort, wenn es die Terrain verhältnisse gestatten, stets mehr nach der vorhandenen Verkehrsader, wie man dies bei vielen Orten mit Bahn wahrnehmen kann; dadurch wird dann aber auch da- Centrum nach dieser Seite verschoben und würde in unserem Falle der gefürchtete Platz jenseits der Weißeritz oder wenigstens der nach der Weißeritz zu mehr in Frage kommen. Schon unsere Nachbarstädte Glashütte und Dohna haben in richtiger Erkenntniß obenbezeich- neter Thatsache gehandelt und hoffen wir, daß diese Thatsache auch in unserer Stadt bei einer Platzwahl mitsprechen wird, denn will man den Wünschen einer Seite der Bürgerschaft nachkommen, so wird man die andere Seite gegen sich haben.