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Donnerstag. - Nr. 46. — 23. Februar 1854 Dkiilscht Wgcultiiic Zkitiig. Hlret« für da« Biertet, jahr «7, Lhlr.; jetzt ein. «Wahrheit o»d Recht, Freiheit und 8eseh!» zelne Rümmer 2 Ngr. Zu beziehen durch alle Postämter de« Zn- und Auslandes, sowie durch die Expedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). Hns«rti,n*g-dühr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. Das untere Donaubecken. Die Triester Zeitung enthält einen sehr ernst und eindringlich geschrie benen Artikel über die Nothwendigkeit eines Einschreitens von Mitteleuropa und namentlich Oesterreichs zur Regulirung der russisch-türkischen Frage. Sie schreibt: „Es ist jetzt überall hohe Zeit, die volle Wahrheit auszuspre- chen. Da müssen wir denn sagen, daß das Kricgsspiel an der untern Do nau für unser« nächsten Lebensfragen zu lange dauert. Versöhnliche Ver- sicherungen, und seien cs auch die eines so hochstehenden und ausgezeichne ten Mannes wie Kaiser Nikolaus, können nicht maßgebend sein in einem Berhältniß, welches nur ein einzelnes, aber vielleicht wichtiges Glied in ei ner Weltfrage ist, wie sie bisher noch nicht ausgetreten, in einer Frage von höchster Wichtigkeit für die ganze Menschheit und zunächst für uns Mittel- curopäer. Abgesehen davon, daß die Integrität eines Staats nicht blos dadurch leidet, wenn man ein Stück von ihm abreißt, sondern auch wol dann, wenn man durch Erschütterung seiner innern Verhältnisse und Er schöpfung aller seiner Mittel ihm die innerste Lebenskraft knickt; abgesehen also davon, daß die Pforte durch den gegenwärtigen Krieg gegen den ver sicherten Willen des russischen Kaisers an ihrer Integrität leiden muß, so weiß ein Jeder, der nur ein wenig in die Geschichte des letzten Jahrhun derts hineingesehen hat, wie Rußlands mächtiger Lebenskraft fast jedes Er- eigniß zur Förderung ausschlagen mußte, wie der einmal in Bewegung ge setzte Koloß lawinenartig wuchs, wie wenig in dieser Beziehung dann die einzelnen leitenden Persönlichkeiten bedeuten, wie Rußland von einem un ersättlichen Drange äußerer Vergrößerung getrieben ward, ohne das verliehene Pfand im Innern gehörig haben wuchern zu lassen. Wir wünschen dem russischen Kaiser das längste Leben, welches je einem Sterblichen zutheil ge worden. Aber selbst den Fall gesetzt, daß er die Strömung der russischen Politik während seiner Lebenszeit hemmen könnte, was wäre hiermit für unsere Zukunft gewonnen? Wenn wir dieselbe jetzt nicht schon zu sichern beginnen, ist Kaiser Nikolaus vielleicht wider seinen Willen in unsere näch sten Lebensgebiete überzugreifen gezwungen. Wir bewundern diese russische Politik, wenn wir sie auch nicht um alle ihre Mittel beneiden, z. B. die jenigen, welche sie vor einem Jahrzehnd in dem jungen Königreich Grie chenland und in Serbien angcwendet hat, wahrscheinlich ohne Vorwissen des ritterlichen Kaisers. Wenn man die Intentionen der russischen Politik richtig beurtheilen will — wir sprechen hier von dem bewundernswürdig aus gebildeten System der russischen Diplomatie auf Grundlage des Testaments Peter's I., fortgebildet durch den schöpferischen Genius von Katharina II., und nicht von dem Willen des jetzigen Kaisers —, so muß man wohl im Sinne haben die Aktenstücke der Friedensschlüsse von Kudschuk-Kainardschi 1774, Jassy 1791, Bukarest 1812, der Convention von Akjerman 1826 und des Friedens von Adrianopel 1829. Diese Acten reden deutlich ge nug. Bedeutende Staatsmänner, welche keineswegs für Frankreich ober England Vorliebe in sich tragen, haben schon vor einem halben Menschen alter gesagt, daß diesen Fortschritten gegenüber kein augenblickliches Sonder interesse und keine maritime Einseitigkeit die europäische Aufmerksamkeit von Rußlands orientalischer Stellung ableiten dürfe. Rußland hat ein seltenes Glück gehabt in diesen orientalischen Fortschritten, besonders im Frieden zu Bukarest 1812, wo es bei seiner Lage eigentlich Opfer hätte bringen sollen. Aber der von Katharina II. mit so viel Klugheit geförderte Kampf zwischen Mittel, und Westeuropa kam ihm zustatten, wie überhaupt nur bei den innern Zwisten des übrigen Europa Rußlands wunderbares Wachsthum im Osten, Süden und Südwest möglich war. Die Zulassung des Bukarester Friedens war ein Fehler in der allgemeinen europäischen Politik. Es fand sich in der damals sorgenvollen Lage keine über die Rücksichten des Augen- blicks sich erhebende Voraussicht. Wir finden es aber wohl begreiflich, daß man später im Westen Europas ernstlich auf den Gedanken einer Revision der russisch-türkischen Verträge kam, welche so zu sagen hinter dem Rücken des in andern Fragen solidarisch verbundenen europäischen Staatensystems geschlossen worden. In Konstantinopel hat man jetzt zum Theil ähn liche Gedanken und hofft auf deren Unterstützung durch Europa; denn ganz Europa hat in der orientalischen Krage Rußland gegenüber das gleiche Interesse. Rußland steht seit langer Zeit in dieser Beziehung isolirt, was aber seinen Maßregeln oft zustatten gekommen ist. Ein Theil des untern Donaubeckens, Bessarabien, ist Rußland incorporirt; seinem Schutzverhältniß in der Moldau und Walachei gibt Rußland jetzt unter An- derm die eigenlhümliche Erweiterung, daß die jungen Männer dieser Für stenthümer in das russische Heer gesteckt werden; in dem aufblühenden Ser bien ward im Interesse russischen Einflusses die wohlthätige monarchische Ge walt gebrochen durch eine Aristokratie, in welcher man leichter Fuß fassen kann. In dem vielbegünstigten Montenegro hatte man einen festen Punkt an der Adria gewonnen, nach welcher man mit allen Kräften drängt, in dem man zugleich das Kaspische und das Schwarze Meer zu russischen Bin ¬ nenseen machen möchte. So wird Oesterreich fast auf drei Seiten von rus sischer Herrschaft und russischem Einfluß umschlungen, hinter denen Rußlands geschlossener Handclsstaat für die Zukunft steht. Rußlands Stellung an der Donau verkümmert Oesterreichs Leben und kann seine größere Zukunft vernichten, so hoch man auch die gegenwärtige Freundschaft der beiden Herr scher anschlagen mag. Die Donau selbst bringt Rußland keinen positiven Nutzen; es müßte denn die Niederhaltung des Nachbarn als solcher ange sehen werden. Die Vorrückung seiner Grenzen an die Donau kann im Sinne seiner traditionellen Politik nur die Operationsbasis für die Ausdeh nung seiner Herrschaft über die byzantinische Meerenge sein. Wie die Dinge liegen, muß Rußland entweder weiter vor- oder zu- rückschreiten. WaS von beiden geschehen soll: diese Frage hat nun Mittel europa ernstlich an sich zu richten; denn ein Stillstand ist in menschlichen Dingen nicht möglich, am wenigsten in so schwankenden Verhältnissen, wo durch die diplomatischen Agenten die auf Schrauben gestellten Verträge in dem mannichfaltigsten Sinne ausgcbeutet werden. Mitteleuropa erfüllt aber nur die einfachste und erste Pflicht gegen sich selbst, indem es diesen viel gestaltigen Bestrebungen gegenüber seine Zukunft sicherstellt. Man wird uns nicht vorwerfen können, daß wir nicht lange genug Geduld geübt hätten mit den Vorgängen im untern Donaubecken, wo man gegenwärtig wieder un ser natürliches Handelsgebiet aussaugt und verarmen läßt, wo man durch Freischaren der mannichfaltigsten Art die Bevölkerungen im tiefsten Grunde aufwühlt. Es ist das höchste Interesse Oesterreichs, daß hier geordnete Zu stände geschaffen werden und zugleich solche, die nicht gegen seine Wohlfahrt gerichtet sind. Oesterreich will seine Herrschaft nicht über das untere Do- naubeckcn ausdehnen, sondern seine Eroberungen nur im eigenen Innern machen durch immer höhere Entwickelung der ihm anvertrauten Natur- und Mcnschenkräfte. Dies wissen auch die Völkerschaften an der untern Donau, und darum sind sie zu verschiedenen Zeiten dem Kaiserstaate mit so rühren dem Vertrauen enlgegengekommen, dem leider nur nicht immer durch ange messene Thaten entsprochen werden konnte. Oesterreich muß eine möglichst selbständige Entwickelung der unrern Donaustaaten wünschen; also dem Stre ben der dortigen Bevölkerung nur entgegcnkommen: ein sehr glückliches Ver- hältniß für seine Politik. Von sehr erfahrenen, in ganz Europa anerkann ten Staatsmännern ist für das untere Donaugebict ein Föderativwesen vor geschlagen worden, welches die Moldau, Walachei, Serbien und Bulgarien zu umfassen hätte, die Länder nördlich vom Skardus, Orbelus und Balkan, und wir gestehen, für diese Gegenden keinen bessern Vorschlag zu haben, nur daß wir die schließliche Oberhoheit der Pforte, welche aber für die in nere Entwickelung der betreffenden Länder ganz unschädlich zu gestalten wäre, noch für geraume Zeit hin mehr betonen möchten, als cs selbst von sehr besonnenen und conservativcn Staatsmännern geschehen ist. Zu diesem Zwecke müßten aber die türkisch-russischen Vertrage, wenn auch nicht revidirt, doch unter gesamml-europäischer Garantie auf ihren Buch staben zurückgeführt werben; denn die größten Mikstände sind eben durch willkürliche Deutungen entstanden. Zu dieser Feststellung wäre jetzt der rechte Augenblick gekommen. Stärker als wir drückt sich über diesen Gegenstand Hr. v. Gagern, der Vater, in seiner «Kritik des Völkerrechts» aus, wo es unter Anderm heißt: «Zur Erhaltung der Pforte müßten die letzten Frie dens- und Allianzverträge mit Rußland vernichtet und gänzlich umgemo- dclt werden, weil sie den Schwächern unter die Adlerflügel des Stärker» stellen und weil sie eine halbe Abhängigkeit und Unterwürfigkeit, und viel leicht mehr als eine halbe, begründen, was ja eben den Stein des Anstoßes und die schwere Discussion zwischen den Cabineten abgibl und als völker rechtliche Theorie oder Erscheinung meine Rüge so vielfältig auf sich gezo- gen hat.» Diese Verträge wurden nun in Konstantinopel als zerrissen an gesehen. Werden sie erneuert werden auch in Bezug auf Serbien? Soll die Pforte wirklich erhalten werden? Die mitteleuropäische Politik verlangt, daß die untern Donauländer im Innern möglichst gesund und kräftig ent wickelt werden. Nachdem deutsche Gesetzgebung und Verwaltung über das Eiserne Thor und über die Aluta vorgedrungen sind, können dieselben leicht auch den übrigen Gebieten des untern Donaubeckens zutheil werden, wen» - Oesterreich seinen starken Schirin verleiht. Und schon ist dieser Gedanke i» den Donaufürstenthümern bei Hoch und Niedrig in überraschender Weise verbreitet. Durch diese abendländischen Errungenschaften wurde aber der untere Theil unserer Donau für immer von jedem fremden Einfluß eman- cipirt. Wir müssen den Ereignissen mit großen zweckdienlichen Maßregel» enlgcgengehen, ihnen nicht nur folgen, nicht immer von andern Staate» Politik machen lassen und dann hangen und bangen in schwebender Pein, bis eine große Weltfrage, die nun einmal abgcwickelt sei» will, wieder einmal auf ein paar Jahre oder Monate vertagt ist, wo man sich dann wieder neuer Behaglichkeit und Sicherheit überlaßt. I» dieser Beziehung spielen unsere Börsen keine beneidcnswcrthe Nolle, indem ihnen aller Fern blick und Patriotismus zu fehlen scheint. Was geht meinen Gcldsack die