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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.11.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-11-02
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001102027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900110202
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900110202
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-11
- Tag 1900-11-02
-
Monat
1900-11
-
Jahr
1900
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Abend-Ausgabe. MipMer TaMaü Anzeiger. Amtsblatt des Aömglichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes nnd Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Bezug--Preis t» der HaLptexpeditton oder de« tm Stadt» bezirk und de« Bororte« errichtete« Au», aabestelle« abgeholt: vierteljährlich 4.SO, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins H<mS 5^0. Durch die Post bezöge« für Deutschland u. Oesterreich: vierteljährl. 6. Ma« abomnrt ferner mit entsprechendem Postaufschlag bei den Postanstaltrn in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem- bürg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Rußland, den Donaustaaten, der Europäischen Türkei, Egvpten. Für alle übrigen Staaten ist der Bezug nur unter Kreuzband durch die Expedition dieses Blattes möglich. Die Morgen-Ausgabe erscheint um */,7 Uhr, die Abend-AuSgaüe Wochentags um 5 Uhr. LeLartion und Expedition: Johannisgaffe 8. Filialen: Alfred Hahn vorm. O. Klemm'S Sortim. Universitätsstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, Katharinenstr. 14, Part, und Königsplatz 7. 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Sie lauten ausnahmslos zu stimmend in dem Sinne, daß sie in den beiden ersten Puncten, der Aufrechterhaltung der vollen Handels- und Verkehrsfreiheit und der Erhaltung der Integrität des chinesischen Gebietes, soweit die gegenwärtigen Wirren in Betracht kommen, dem Abkommen beitreten. In Bezug auf Punct 3 des Abkommens haben sich die Mächte freie Hand behalten oder erklären, sich amtlich dazu nicht äußern zu wollen. Das ist nur correct. Punct 3 bezieht sich lediglich auf eine Sonderverständigung zwischen Deutschland und England für den Fall, daß irgend eine andere Macht die chine sischen Wirren zur Erlangung territorialer Vortheile in China benutzen sollte. Für diesen Fall, der nach den bisherigen Er klärungen der übrigen Mächte schwerlich eintreten dürfte, haben die beiden Mächte sich Vorbehalten, sich vorher untereinander über etwaige Schritte zur Sicherung ihrer eigenen Interessen in China zu verständigen. Sie haben sich damit also auch zu einer solchen vorherigen gegenseitigen Verständigung verpflichtet und damit ausgeschloffen, daß eine der beiden Mächte in einem solchen Falle selbstständig und ohne Zuziehung der anderen vorgeht. Darin liegt, daß erst, wenn beide Mächte in einem solchen praktisch ge wordenen Falle zu einer Verständigung gelangt sind, die Frage in Betracht kommen kann, inwieweit andere Cavinete zum Bei- trittt zu dieser neuen Verständigung eingeladen werden können. Da nun nach den bisherigen Nachrichten, wie die Vereinigten Staaten und Frankreich, so auch die übrigen Mächte den Grund sätzen des Abkommens in Abschnitt I und 2 bereits zugestimmt oder sich bereit erklärt haben, zuzustimmen, so fällt damit die Voraussetzung des Abschnittes 3 von selbst zu Boden, indem festgestellt wird, daß keine betheiligte Großmacht die jetzigen Wirren zu einer Erlangung territorialer Vortheile in China be nutzen wird. Mit dieser Feststellung ist das eigentliche Ziel des Abkommens endgiltig erreicht. Daß neben dem veröffentlichten Vertrage noch geheime Ab machungen zwischen Deutschland und England getroffen worden seien, wie hier und da angenommen worden ist, wird nicht nur, wie mitgetheilt, von der „Nordd. Allg. Ztg.", sondern auch vom „Reichsanzeiger" dementirt. Nicht ganz einwandfrei ist die H a l t u n g R u ß l a n d s dem Abkommen gegenüber. Aus Petersburg wird uns hierzu be richtet: Trotz der von Rußland gegebenen amtlichen Zustimmung zu den Grundsätzen des deutsch-englischen Abkommens setzt die russische Presse anscheinend mit Genehmigung der Regierung ihre scharfe Kritisirung des Abkommens fort. Die Fiction, als stelle die Vereinbarung in ihrem innersten Wesen eine feindliche Handlung gegen Rußland dar, wird nach wie vor aufrecht erhalten und daran die Mahnung geknüpft, die russische Regierung möge ja nicht auf ihre völlige Actions freiheit verzichten. Das einzige Ziel Rußlands dürfe jetzt nur das sein, möglichst enge Beziehungen zu dem chinesischen Reiche zu unterhalten; dann werde es mehr erreichen, als diejenigen Mächte, welche fortwährend von der wünschenswerthen Einmüthigkeit der Großmächte und von der Untheilbarkeit Chinas sprechen, udn doch mit allen Mitteln das Concert der Mächte zu zerstören (!?) suchten. Die „Nowoje Wremja" giebt der Befürchtung Ausdruck, das deutsch-englische Abkommen sei die Vorbereitung eines gemeinsamen weiteren Feldzuges beider Staaten ins Innere Chinas. Hierdurch würde Freitag den 2. die Wiederherstellung der Ruhe in China und der Handel wesent lich beeinträchtigt werden. Militärische Operation. „Wolff's Telegr. Bureau" berichtet aus Peking unter dem 31. October: Die kleine deutsche Expedition nach Iangtsun, Takwantun, Hsiang-Ho-Hsien und Hohsiwa, sowie die japanische Expedition nach Aangtsun, Paotihsien und Hohsiwu haben weder Boxer noch Truppen getroffen. Ein deutsches Postamt in Peking. In Peking ist ein deutsches Postamt eingerichtet worden. Seine Thätigkeit erstreckt sich außer auf den Briefpost- und Zeitungsdienst auch auf den Postanweisungsdienst, den Austausch von Briefen und Kästchen mit Werthangabe, sowie auf den Austausch von Postpacketen mit oder ohne Werthangabe und mit oder ohne Nachnahme. Die Taxen und Versendungsbedingungen sind dieselben wie für Tientsin. Briefsendungen für Peking sind wie bisher auf das deutsche Postamt in Tientsin zu leiten. Li-Hung-Tschang als „Retter in der Noth". Aus Shanghai, 21. September, schreibt man der „Welt-Corr.": Vor 8 Tagen hat Li-Hung-Tschang das kaiserliche Edict erhalten, das ihm Vollmachten ertheilt. Das interessante Document ist aus Hsinchou in Schansi vom 8. September datirt und lautet in der Uebersetzung wie folgt: „Von der gemeinsamen Eingabe Li-Hung-Tschang's, Liu- kun-yis und Tschang-Chih-Tung's und dem Telegramm Li- Hung-Tschangs vom 2. September haben Wir an demselben Tage Kenntniß genommen. Die Schuld am 16. August (Er oberung Pekings durch die Verbündeten. Anm.) trifft uns. Wird es möglich sein, die begangenen Fehler durch Reue wieder gutzumachen? Li-Hung-Tschang und die anderen hohen Würdenträger fühlen das Wohl und Wehe des Reiches mit und versuchen Alles, um es aus seiner Noihlage zu befreien. Die hilfreichen Geister unserer Ahnen schauen sicherlich auf uns herab. Was in der erwähnten Eingabe aarsgeführt, ist Alles für die augenblickliche Lage von der größten Wichtigkeit. Prinz Tsching wird etwa am 3. September in Peking eingetroffen sein. Durch Ver ordnung von demselben Tage hat noch Aunglu Auftrag erhalten, an den Verhandlungen theilzunehmen. Das russische Finanz ministerium (?) hat jetzt in die Zurückziehung der Truppen ein gewilligt. Der günstige Zeitpunct muß benutzt werden. Man darf nicht eine Gelegenheit nach der anderen verpaffen. Li-Hung-Tschang soll sich in größter Eile nach Tientsin begeben, dort zunächst die Siegel übernehmen und dann sofort nach Peking werterfahren und nach Rücksprache mit den fremden Gesandten unverzüglich die Verhandlungen be ginnen. Meine Selbstanklage habe ich bereits am 20. August dem Reiche durch Erlaß bekannt gegeben. Der Großsekretär muß denselben jetzt bereits empfangen haben. Mit der Niederwerfung der Rebellen ist bereits vor Eintreffen Li-Hung-Tschang's auf seinem Posten Ting-Yung (Schatzmeister von Chili) beauftragt worden. An demselben Tage ist auch ein Edict erlassen worden. Im Uebrigen lverden die uns unterbreiteten Vorschläge ge nehmigt. Wir nehmen jetzt nur auf die einzelnen Acte in der Reihenfolge, in welcher sie stattfanden, Bezug. Wir haben Ihre Majestät die Kaiserin Mutter auf ihrer Reise begleitet, die bis jetzt gut von Statten gegangen ist. Augen blicklich befinden wir uns zwei Stationen von Tai-yuan-fu. Ob wir längere oder kürzer« Zeit bleiben werden, ob wir noch weiter reisen oder nicht, werden wir nach unserer Ankunft in Tai-yuan-fu nach den Umständen bestimmen. Das Unglück ist diesmal ganz plötzlich hereingeörochen. Bon der Mission des Großsekretärs Li-Hung- Tschang's hängt nicht nur unsere Sicherheit, sondern unser Sein oder Nichtsein ab. Niemand anders ist im Stande, das Gleichgewicht zwischen Himmel und Erde wieder herzustellen. Wir hoffen sehnlichst, daß es ihm gelingen wird, alle Schwierigkeiten zu beseitigen. Dieses Edict ist durch Tuan-fang Li-Hung-Tschang und den anderen Berichterstattern zur Kenntniß zu bringen." Die öffentliche Meinung und die gesammte hiesige Fremden presse stehen auf einem anderen Standpunct als der Kaiser von China. Sie glauben, daß Li-Hung-Tschang wegen seiner nahen Beziehungen zur Kaiserin-Wittwe und deren Betheiligung an der Boxerbewegung, sowie wegen seines unzuverlässigen Charakters als Unterhändler recht bedenklich ist. Das Einzige, was zu seinen Gunsten spricht, ist der völlige Mangel an anderen angesehenen Chinesen, welche die Unterhandlungen führen könnten. Die Generalgouverneure Liu-Kun-M und Tschang-Chih-Tung, die fortgesetzt mit eiserner Strenge gegen alle Verdächtigen vorgehen, haben sich bisher zwar als geeignete Leiter ihrer Provinzen und als vertrauenswürdig erwiesen, allein sie werden nicht genügend Rückhalt im Norden des Reiches be sitzen, um die Bedingungen eines abgeschloffenen Friedens auch durchführen zu können. Ein starker Repräsentant der Regierung ist in China heutzutage außer der Kaiserin-Wittwe eben nur Li-Hung-Tschang, und man wird deshalb schließlich doch auch nach der Beendigung der gegenwärtigen Wirren vielleicht auf ihn zurückkommcn muffen, — vorausgesetzt natürlich, daß die Kaiserin sich von ihren bisherigen Rathgebern lossagt und sie der gerechten Bestrafung zuführt. Tas -rutsche Ansehen ist in Shanghai in erfreulicher Weise gestiegen. Man kritisirt scharf die offenbare Uneinigkeit der militärschen Be fehlshaber in Peking und erwartet — die Mittheilung ist am 21. September geschrieben — Alles vom Grafen Waldersee und der deutschen Politik. Auch die englische Presse von Shanghai, die bis vor Kurzem immer noch von eigennützigen Sonder- bcstrebungen Deutschlands fabelt«, hebt jetzt rühmend die Festig keit der deutschen Politik hervor, während die chinesischen Blätter von der Besorgniß, die Deutschen möchten das Aangtse-Thal in Besitz nehmen, ebenfalls nach und nach zurückkommen. Der Generalgouverncur von Nanking hat auf die Nachricht von der Landung deutscher Trupppen in Shanghai eine sehr freundliche Antwort ertheilt und anerkannt, daß die Stadt großen Nutzen davon haben könne. Die Shanghaier deutschen Truppen, die gut untergebracht sind, versehen bereits einen regelmäßigen Garnisondienst und stehen mit den Abtheilungen der übrigen hier militärisch vertretenen fremden Mächte in freundschaftlichem Verkehr; insbesondere verhandeln auch die Officiere der ver schiedenen Nationalitäten in der kameradschaftlichsten Weise ihre gemeinsamen Aufgaben. Politische Tagesschau. * Letprig, 2. November. Das Hirtenschreiben -er preußischen Bischöfe in Sachen der Gewerkschaftsbewegung und die unvorsichtige Offenberzig- keit, mit welcher der Freiburger Erzbischof jenes Hirten schreiben dabin interpretirt hat, daß von den nichtkatbolischen christlichen Gewerkschaften im Grunde nichts zu halten sei, weil das Wort „christlich" hier nur leerer Schall und Aus hängeschild sei und die Bewegung nur der Socialdemokratie zu Gute kommen könne, hat nicht nur in Preußen, sondern so ziemlich im ganzen Reiche den Klerikalen wie ein Stein im Magen gelegen. Am meisten den klerikalen Socialpolitikern des Reichstags, die als Folge deS Hirten- sckreibcnS und seiner Interpretation das Abrücken der christ lichen Gewerkvereine von den katholischen fürchteten. Im Sinne dieser Socialpolitiker kanzelte bekanntlich die „Köln. VolkSztg." den Erzbischof von Freiburg ab, erklärte seinen Erlaß für eine tief bedauerliche Kundgebung, die nur durch irrige Information sich erklären lasse; zweifellos werde seine, des Erzbischofs, Ausfassung von mehreren preußischen Bischöfen entschieden abgelehnt werden. Darauf erfolgte in der badischen klerikalen Presse eine nickt minder scharfe Ent» gegnung, die höhnisch nach den Bischöfen fragte, die die Frei bürger Interpretation mißbilligten, und diese Interpretation als die allein richtige bezeichnete. Dieser fatale Streit im klerikalen Lager ist nun geschlichtet, und zwar genau auf dieselbe Weise, die wir Voraussagen zu dürfen glaubten. Erzbischof Nörber hat einer Abordnung der Mann heimer christlichen Gewerkschaften gegenüber erklärt, daß die badischen Gewerkschaften auf positiv christlichem Boden ständen und daß er sie trotz seiner Befürchtungen für die Zukunft nicht verurtheilen wolle. Fast gleichzeitig veröffentlicht die „Germania" einen spaltenlangen Artikel» der heftig gegen die „Köln. Bolksztg." loSzieht, einen Unter schied zwischen Hirtenbrief und Pastorale gemacht sehen will, >m Grunoe aber nichts Anderes bezweckt, als den geistlichen Leitern der katholischen Arbeitervereine denselben Rath zu geben, den Erzbischof Nörber in seiner Antwort an die Ab ordnung der Mannheimer christlichen Gewerkschaften befolgt hat: nämlich zwischen wirklich und nicht wirklich christlichen Gewerkschaften zu unterscheiden und demgemäß ihr Verhalten gegen die nicht katbolischen Vereinigungen einzurichten. Nach diesem zweifellos zwischen dem Freiburger Erzbischof und den Hinter männern der „Germania" vereinbarten Auskunftsmittel wird es ja wohl bald in der Centrumspresse still werden über bas Hirtenschreiben und seine Freiburger Interpretation. Trotz des scheinbaren EinlenkenS des Erzbischof« Nörber werden die päpstlichen Drreinsleiter genau wissen, daß seine Auslegung den Sinn und die Absicht des Hirtenbriefes ganz genau umschrieb, daß es sich aber auS praktischen Gründen nicht empfiehlt, die Fakne des Kampfes gegen die nicht katholischen christlichen Gewerkschaften offen aufzupflanzen. Stakt des offenen Kampfes wird ein stiller Krieg geführt uud allen etwaigen Klagen mit der Erklärung begegnet werden, man respectire die wirklich christticken Gewerkschaften, nicht aber die nicht wirklichen. Da mit können auch die klerikalen Socialpolitiker des Reichs tags zufrieden sein. Selbstverständlich haben nun die christ lichen Gewerkschaften die Augen noch mehr offen zu halten, als wenn eS bei der offenen und allgemeinen Kriegserklärung geblieben wäre, die von Erzbischof Nörber in seiner Eigenschaft als Mitunterzeichner des bischöflichen Hirtenschreibens als dessen Sinn und Zweck bezeichnet worden war. Das Polenblatt am Rhein sucht nach unglaublichen Sophismen und Spiegelfechtereien, um den Berralh, den das Zentrum unter dem Segen vr. Liebert's an -er -kutschen Sache in Mcseritz-Bomst durch die Unterstützung des pol nischen Candidaten gegenüber dem deutschen katholischen Geist lichen begeht, zu beschönigen. Von einem Kampfe zwischen deutschen und deutschfeindlichen Parteien soll hier, so wird uns vorgeredet, nicht gesprochen werden dürfen: solche Gegenüber stellung sei innerhalb der deutschen Reichsgrenzen nicht be- FerriHeton. Ni Der Sundschuh. Roman von Woldemar Urban. Nachdruck verboten.. „Ich lasse Euch allein, Herrin", fügte er nach einer Pause hinzu, „um für Eure und der Herrin von Rappoltstein Sicher heit zu sorgen. Bedenkt Euch wohl. Ich stehe Euch jeden Augenblick zu Diensten." Damit stieß er klirrend seinen Degen in die Scheide und verließ mit dröhnenden Schritten das Gemach. Tiefe Stille herrschte in dem Frauengemach, in dem die beiden Mädchen allein zurückgeblieben waren, nur von Zeit zu Zeit löste sich wie unbewußt und träumend ein schwerer, röcheln der Seufzer von Edelinde's Brust. Was Ivar aus ihr und ihrem ganzen Geschlecht geworden im Zeitraum einer einzigen, unglück seligen Stunde! Rappoltsweiler, das schöne, stille Städtchen, rin Raub wilden Aufruhrs, ihr Bruder landesflüchtig, sie selbst mit der Herrin von Rappoltstein gefangen in der Gewalt eines finsteren, leidenschaftlichen Menschen, der mit der ganzen rück sichtslosen und rohen Energie der Zeit seine hab- und herrsch süchtigen Ziele verfolgte. Und zu all' dem Unglück kam noch die Qual ihres Herzens, daß sie selbst die Entscheidung über die Zukunft ihrer Familie treffen sollte und mußte. Wenn sie nach vierundzwanzig Stunden auf ihrer Weigerung, die Frau des Junkers von Hohnack zu werden, bestand, war die Fehde zwischen ihrem Bruder und diesem eine Thatsache, und die Herrin von Rappoltstein mußte in ihrem hilflosen und kranken Zustande als Gefangene ins Verließ, wie sie selbst auch. Denn daß Junker Neidhart mit seiner Drohung Ernst machen würde, bezweifelte sie keinen Augenblick. Konnte sie das Alles verantworten? Durfte sie so unge heuerliche Folgen auf sich nehmen? Wenn die Herrin sammt ihrem Knaben im Gefängniß starb, oder ihr jetzt ohnehin macht loser Bruder in der ausbrechenden Fehde unterlag, war sie. Ede- linde, die Alles das verhindern tonnte, nicht Verdammenswerth? Mußten sie nicht die Gewissensbisse foltern ihr ganzes Leben lang, wenn sic Ansehen und Mackt, Sicherheit und Existenz ihrer Familie in so schwere Gefahren brachte? Und wenn sie andererseits einwilligte, die Frau dieses rohen Gewaltmenschen zu werden — das war noch entsetzlicher. Das war ihr sicherer Tod. Niemals konnte sie diesem Menschen an gehören, niemals vergessen, was war, was bisher ihr Herz so süß und hoffend bewegte, ihre Seele wie in einem schönen Zauber gefangen gehalten. Grübelnd starrte sie verzweifelt vor sich hin. Das Opfer bringen und dann sterben, sich dort zum Balcon hinunterstürzen in die Felsenschrirnde — war das eine Lösung? Qualvoll stöhnte sie wieder auf. Es mußte doch wohl eine sein, da sie keine andere sah. Dann wurde sie in ihrem Nachsinnen gestört. Die Thür, durch die Junker Neidhart sic verlassen, wurde von Neuem ge öffnet, und es erschien Wolf Haßflug mit einigen Söldnern In Rappoltstcin'scher Kleidung. Ein jäher Freudenstrahl durch zuckte sie, und sie glaubte zunächst, da ja Wolf Haßflug auch noch die Kleidung ihres Bruders trug, es sei ein Umschwung In ihrem Geschick eingetreten. Es war aber nur eine Täuschung. Als sie näher zusah, bemerkte sie, daß nur die Kleider der Söldner die alten, auf der Burg Hohnack gewohnten, waren, die Leute aber, die darin sich befanden, waren neu, fremde, struppige und stupide Gesichter blickten ihr entgegen. Der neue Vogt von Hohnack war ein sparsamer Mann, der die über wundenen Rappoltstein'schen Söldner ihrer Kleider beraubt und seine Leute hineingesteckt hatte. Siufzend ergab sich Edelinde in ihr Geschick und sah, wie die Leute quer durch ihr Zimmer gingen, nach dem Balcon. Dort sprach Wolf Haßflug leise mit ihnen und ließ zwei zurück. Mit den übrigen marschirte er weiter in das Zimmer der hohen Wöchnerin. Jetzt begriff Edelinde auch den ganzen Vorgang. Das nannte Junker Neidhaxj für ihre Sicherheit sorgen. Der letzte, wenn auch noch so verzweifelte Ausweg aus ihrer Lage war ihr dadurch abgeschnitten, denn die Leute hatten zweifellos den Auftrag, sic zu bewachen. „Herrin!" sagte Friedel endlich mit ihrer kindlichen, weichen Stimme wie bittend und tröstend. Edelinde sah sie betrübt an. „Es ist aus, Friedel. Unser schöner Traum ist vorbei", seufzte sie müde. „Ihr NUißt Hoffnung fassen, Herrin. Seht, es wird da draußen Heu, ein neuer Tag kommt. Wer weiß, was er uns bringt?" „Was er uns bringt? Ich will Dir's sagen, Friedel, Qual und Jammer wird er uns bringen." Plötzlich hob Friedel lauschend den Zeigefinger und sagte leise: „Horch! Eine Lerche schmettert ihr Morgenlied in die Lüfte. Wollt Ihr dem kleinen Waldvögelein nachstchen an Muth und Lirst zum Leben?" .. "I", ja, tpe kleinen Waldvögelein!" hauchte Edelinde mit Thränen im Auge und wie traumverloren. Sie dachte wieder an den Morgen des heutigen Tages, wo sie Beide mit Veit im Burghof auf dem Haubitzenrohr gesessen und Liebeslieder in die würzige Frühlingsluft gesungen hatten, wo Veit in seiner neckisch lustigen, zierlichen und poetisch duftigen Art die Geschichten von den kleinen Waldvögelein erzählt und die beiden verliebten Mädchen dem übermüthigen Gesellen andächtig gelauscht. War das möglich? fragte sich Edelinde, in so kurzer Zeit ein solch' furchtbarer, gräßlicher Umschwung in ihrer Lage? In welcher Zeit lebten sie überhaupt. War in diesem wildbewegten Wüthen nnd Ringen um neue Existenzformen des Volkes und der Nation überhaupt Raum für das zarte, frühlingsduftige, jugendschöne Träumen und Liebeln junger Herzen? Warum denn nicht? Die Gegensätze berührten sich damals wie zu allen Zeiten und überall. Damals wie immer sproßten neben den größten Lastern die besten Tugenden und wie das Veilchen unterm Schnee trieben die jungen Herzen ihre träume rischen Liebesblüthen auch in rauher Zeit. Mitten in ihrer Bedrängniß und in ihrer Verzweiflung, wie ein Sonnenstrahl durch das Gewitter, klang in der Erinnerung Edelinde's noch der Morgen von Veit gehörte Vers nach: Laß rauschen, Lieb', laß rauschen. Ich acht' nit, wie es geh. Ich hab' mir ein'n Buhlen erworben, Im Deiel, im grünen Klee. Sie wußte keinen Rath, aber im leichten Spiel der Poesie fand sie Trost. VII. Wenn Ulrich von Rappoltstein gehofft hatte, daß er nach dem Abzug der Bauern wieder Herr in Rappoltsweiler und seiner Herrschaft werden würde, so («tte er sich schwer getäuscht. Hiobs post auf Hiobspost lief bei ihm ein, oft sogar übertrieben, in« Unglaubliche und Phantastische vergrößert. Soviel aber ließ sich sicher erkennen, -daß der Bundschuh in wenigen Wochen sich mit erschreckender Wucht und Schnelligkeit über das ganze Elsaß verbreitet hatte. Von Rappoltsweiler war der unter Adolf Wagner operirende Haufen zunächst nach Reichen Weier gezogen, wo man in aller Eile zwanzig Ochsen geschlachtet hatte, die man ihnen offerirte. Nun war Kaisersberg bedroht. Ein Widerstand gegen den stündlich anwachsenden Haufen war nicht denkbar. Das ganze Münsterthal stand ihnen wehrlos offen. Aehnlich, oder vielmehr noch schlimmer stand es anderwärts. Das ganze Ried*), ebenso wie der Sundgau, stand in Hellem *) Di« Ebene zwischen Rhein und Bogesen. ' Aufruhr, und in Zabern, die Stirn -drohend nach Lothringen hinüber gerichtet, stand der gefürchtete Erasmus Gerber mit etwa zwanzigtausend Mann. Das große und mächtige Straßburg, das Gerber gern als Stützpunct seiner Unternehmungen gehabt hätte, entging nur mit knapper Noth seiner Brandschatzung und Eroberung, und Gerber war deshalb genöthigt, in Zabern zu suchen, was er in Straßburg nicht hatte haben können. Alle Haufen standen unter einander in Verbindung, so daß man mit einem Heer von etwa fünfzigtausend Menschen zu rechnen hatte, ohne die großen, vielleicht ebenso zahlreichen Haufen, die rechtsrheinisch staffelweise standen. Von Ober- und besonders von Niederdeutschland erhebt Ulrich wohl wenig Kunde, denn der Nachrichtendienst lag in jener Zeit sehr im Argen, daß aber die Bewegung des Bund schuhs auch dort um sich gegriffen, stand für ihn fest. Don Gerber erzählte man sich, daß er nicht nur Lothringen, sondern ganz Frankreich bedroht«. Bei Saargemünd in Lothringen standen bereits viele Tausende Lauern verschanzt, bereit, sich mit ihren Genossen von Salm, Saarbrücken, Bitsch und Zweibrücken aus die Hauptstandt von Lothringen, auf Nancy, zu stürzen. Und Niemand war da, der wirksam diesem Treiben gegen übertreten konnte! Von einer Reichsgewalt war nichts zu spüren, und oll' di« Fürsten und Herren, auf deren Gebieten dieser Schrecken hauste, waren zu schwach, ihm zu wehren, Ware» wohl auch von der Gewalt und Schnelligkeit, mit der sich die Bewegung ausbrvitetc, überrascht worden, und mußten sich nun entweder durch Unterwerfung anschließen, oder, wie Ulrich von Rappokt - stein selbst, sich durch diplomatische Winkelzüge zu halten suchen, so gut oder so schlecht es ging. Wie ein Fieber schüttelte Vie Bewegung des Bundschuhs das ganz« deutsche Volk, und der Mai des Jahres 1626 drohte das Reich wieder in Zerrissenheit und Schwäche zu stürzen für lange und grausame Jahre. Wenn nun auch diese betrübenden Zustände stn weiten deutschen Vaterland das Herz Ulrich's von R-appoltstein, al- den Repräsentanten eines der ältesten reichsdeutschrn Fanrilien, tief bekümmerten, so war ihm doch, wie man wohl sagt, dai Hemd näher, wie der Rock. Die eigene Noth preßte ihm das Herz zu sammen. Er hatte durch einen Uebevläufer den Fall von Whnack und den niederträchtigen Verrätst des Junkers Neüchart bereits am Tage nach -der Einnahme von Rappoltsweiler vernommen. Das Herz that ihm west, wenn er an seine Gemahlin dachte, dir in ihrer höchsten Noth mit ihrem Neugeborenen der ÄtzMe eines so verrätherfichen lÜlichts überlassen war, aber er konnte nichts, nichts unternehmen zu ihrer Rettung. Nicht nur Hohnack war für ihn momentan verloren, sondern auch Gemar,
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