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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 11.06.1912
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1912-06-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19120611024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1912061102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1912061102
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-06
- Tag 1912-06-11
-
Monat
1912-06
-
Jahr
1912
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«tu, I» , «, ,» «»» 10 «. Handelszeitunft. AWL- Ämtskkatt des Nates ««d -es Nolizeiamles -er Lla-1 Leipzig. L«zeige«-Vrei» R«d-tt »ach ÄE^^"^a«bAe «elamt» 8«ft»rt«Ut» A»sträa«"tr«s»» nickt zurück, «erd««. Für da» Erich»««» an destt«nltrn Tage» »ad Vlltt«» »trd tat»» Earaatt« id«r»»»»«. NNLLÄSi. .^KÄLL.L Elpedttt»»«» de. In» »»d «aalaad»» Dr»ck «d ««la, —» Mich« ch Kitrft«» 3nhab«r: Paul Xk^t«. MdaM»» »»» ».ichckftcht«,«: 2o-L»»i,gaIi» L La>M»SM«I» L»«d«»r Seeftraze < I lTeieph», «VQ Nr. 294. Dienstag, üen 11. Juni 1912. Die vorliegende Ausgabe umfaßt 10 Setten. Das Wichtigste. * Der englische Kriegsminister Lord Haldane ist an Stelle des zurückgetretenen Lord Loreburn zum Lordkanzler ernannt worden. sS. bes. Art.) * Auf der Insel Chios soll es zu ThristeN - massakers gekommen sein' in den Moscheen wird die Verfolgung der Christen gepredigt. sS. Letzte Dep.) - * Die Reichsbant hat den Diskont um X Prozent herabgesetzt. lS. Handelsztg.) Rückblick auf Sie Ssmlmrzer Kalonislunuhe. Von Arthur Dix-Berlin. Zwei tiefe, lebendige Eindrücke bleiben zurück von der vortrefflich verlaufenen Woche, die Hamburg der Deutschen Kolonial-Gesellschaft in gastlichster Weise aewidmet: Ein politischer und ein menschlicher. Der politische: Cs gibt reinen ernsten Streit mehr um die Berechtigung deutscher Kolonialpolitik — sie ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Und der rein menschlich«: An großzügiger Gastfreundschaft kann Deutschland» Handelsemvore an der Elbe nicht Über boten werden. In beiden Beziehungen gewährte diese Tagung volle Befriedigung und hohen Genuß. Im vorigen Jahre wollte mancher gute Patriot schier verzagen. Wir alle wissen, welcherlei Empfin dungen uns bedrückten — leise Nachklänge durch zitterten bei den Erwähnungen des Marokko-Kongo- Handel» auch die Hauptversammlung der Kolonial gesellschaft. Heute aber baden wir Mut gefaßt auf Grund neuer, tröstlicher Eindrücke. Wo die Regie rung weltpolitisch zu versagen drohte, ist das welt politische Gewissen des Volkes erwacht — den 110 roten Mandaten zum Trotz! Alle bürgerlichen deutschen Parteien haben erstmals anstandslos der doch immerhin recht umfangreichen Doppel-Wehrvor- lage zugestimmt; die deutsche Machtpolitik ist kein Gegenstand des Zwiste» mehr. Und auch die Kolonial politik al» einer ihrer Bestandteile ist insofern im Hafen, al» auch sie nunmehr getragen wird von allen bürgerlichen Parteien. Es gibt außerhalb der unfruchtbar negierenden Sozialdemokratie keine grundsätzliche Kolonial-Opposition mehr — und gerade diese Hamburger Kolonialwoche war so recht geeignet, zu ver anschaulichen, wie festgewurzelt das Bewußtsein der kolonialen Selbstverständlichkeit heute ist. Das war auch der Grundton in den großen Reden, die anläß lich der festlichen Empfänge von Hamburger Seite gehalten wurden. Und die eigentlichen Kongreß debatten? Sie zeigten die Kolonialfreunde in der Kleinarbeit, da Vie großen Prinzipien Gemeingut geworden. Wohl gab es manchen Strauß um die Wildschutzfrage und die Mischlingsehen — aber so wichtig diese Fragen auch sind, sie stellen doch keine wesentlich trennenden Prinzipienfragen dar, und ihre Erledigung konnte durchweg befriedigen. Der wesent lichste Eindruck bleibt, daß" auch die Außenstehenden vernehmbar anerkennen: Deutsche Kolonialpoli- tik ist ebenso wie deutsche Wehrmacht- volitik im ganzen bürgerlichen Lager kein grund sätzlicher Streitpunkt mehr, sondern — es mutz immer wiederholt werden: eine absolut an erkannte Selbstverständlichkeit. Vergessen wir nicht, daß es nicht immer so war, daß es noch gar nicht lange so ist. Nun aber wird und muß es so bleiben! Wenn die Hamburger Kolonialwoche so eindrucks voll und harmonisch, so anregend und genunreich verlief, so ist das nicht zuletzt zu danken der persönlichen Liebenswürdigkeit dec fürstlichen Leiter und Teil nehmer: der Herzöge Johann Albrecht und Adolf Friedrich zu Mecklenburg und des Prinzen Konrad von Bayern, die überall belebend und an regend eingriffen. Herzog Johann Albrecht präsidierte der Tagung mit gewohnter Bervc und Sachlichkeit; Herzog Adolf Friedrich hatte die außerordentlich interessante Ausstellung seiner letzten Expe- ditionsiammlung beigesteuert und Prinz Konrad personifizierte das süddeutsche Ueheriee-Interesse; auch die Expeditionsbegleiter des Her-ogs Adolf Friedrich mit ihren sehr instruktiven Vorträgen usw., obenan sein Adjutant Oberleutnant v. Wiese, sollen nicht vergessen sein! Große Anerkennung ge bührt dem Hamburger Senat und den Hamburger Reedereien für ihre geradezu mustergültige Aus gestaltung der Empfänge und Vergnügungen. Mit welcher Freude sahen wir den stolzen Rumpf des künftigen Ozean-Riesen „Imperator", welchen Genuß bereitete uns die Woermann-Linie mit der 1'/.tägigen Seereise auf ihrer „Gertrud Woermann"! 'Für die vergnüglichen Glanzleistungen der Kolonialwoche aber zeichnete verantwortlich die Hamburger Abtei lung der Deutschen Kolonialgeselffchaft, und da ge bührt an erster Stelle der Ruhm wohl Herrn Eiffe. dessen Aufmerksamkeit bei den Vorberei tungen einer so weitschichtigen Veranstaltung auch nicht die kleinste Einzelheit entgangen war. Welche Stadt kann Schöneres bieten, als den Abend im Uhlen- borster Fährhaus mit der Lampion-Regatta der Ham burger Ruder- und Sealerklubs? Das Bild, das sich hier entfaltete, unter Beteiligung einer unzählbaren Schar festlich beleuchteter Boote, überstrahlt von einem überaus prachtvollen Feuerwerk, war von der artiger Farbenfülle und Farbenpracht, daß auch die verwöhntesten Zuschauer rhres Entzückens nicht Herr werden konnten. Das war mehr als ein Venedig in Norddeutschland! Auch des alten Hagenbeck, der uns so rüstig durch seinen Tierpark führte und dem Herzogregenten Zukunftspläne eines Jünglings ent wickelte, wollen wir gedenken. Schwer genug wird die Abteilung Breslau e» haben, im nächsten Jahr» nicht im Schatten von Hamburg zu stehen! Noch ein Wort zu den Debatten in der Haupt versammlung. Eigen hervorragenden Anteil an ihnen hatte der frühere Abgeordnete Dr. Arning, nicht zum mindesten mit Etreifblicken auf die. vor jährigen Marokko-Kongo-Derhanolungen, die viel zu denken geben. Von aktiven Parlamentariern sähen wir weiter Paasche, Bassermann und Schwabach Das ist nicht viel. Nur Äationalliberale? Wohl ist die Partei, die sich am 12. Mai ausdrücklich zum imperialistischen Gedanken bekannt hat, zur Mit arbeit am kolonialpolittschen Teil des Imperialismus besonders berufen; aber hätten nicht auch die anderen bürgerlichen Parteien durch eine gleiche Zahl von Parlamentariern vertreten sein können und sollen? Gerade weil die Kolonialpolitik keine Parteisache ist, weil alle bürgerlichen Parteien gleichen Anteil an ihr nehmen sollen! Durch die glatten Wasser der Nordsee zieht die „Gertrud Woermann" ihre Bahn. Am Horizont ver schwindet das rote Band der steilen Ufer von Helgo land. Deutfche Dreadnoughts dampfen im fernen Hintergrund. Dort fährt auf dem „Kaiser" der Bayernprinz heimwärts, m seiner süddeutschen Heimat zu berichten von den Eindrücken der Nordsee, der deutschen Seewehr, der Hamburger Kolonialwoche. Und wir werden von Bord die Erinnerung mrt nehmen an herrliche Tage und die Sehnsucht, hrnaus- rudampfen nicht nur in unsere Nordsee, sondern nach den deutschen Gestaden fremder Weltteile, denen der Deutschen Kolonialgesellschaft rüstige Arbeit gilt. Deckle! im englllcken Sriegs- mlmlterrum. Eine überraschende Nachricht kommt aus Eng land: Im englischen Kabinett har ein bedeulmmer Wechsel stattgefundcn. Lord Viscount Haldane ist zurückgetreten, um den Posten des aus G:sundheits rücksichter zuxiicktretendcn Lord-Großkanzlers Lord Loreburn einzunchmcn. Das Reuter-Bureau meldet offiziös: London, 11. Juni. Der Rücktritt des Lord großkanzlers und Großjiegclbewahrers Earl of Loreburn. sowie die Ernennung Lord Haldanes zu seinem Nachfolger wird amtlich bekannt gegeben. Haldane hat sein neues Amt bereits angetreten. Lord Loreburn ist seit 190.', Lordgroßkanzler und Großsiegelbewahrer. Er steht im 67. Lebensjahre und gedenkt sich völlig vom öffentlichen Leben zurück zuziehcn. Die Ernennung Lord Haldanes bedeutet äußerlich zweifellos eine Ehrung. Er ist _numehr Präsident des obersten Gerichtshofes und Sprecher des Hauses der Lords. Es hat eine ganze Anzahl englii-ber Premierminister gegeben, die nach ihrem Rücktritt Lordgroßkanzler wurden und diese Stellung als Avancement betrachteten. Mit der Uebernahme der Funktion als Lordgroßkanzler gehör: Lord Haldane zwar dem Kabinett weiter an, das wesentliche ist jedoch, daß der Lordgroßkanzler keine politische Persönlichkeit ist, sondern nur bei allen feierlichen Anlässen eine sehr eindrucksvolle dekorativ- Rolle spielt. Warum wird nun Haldane auf diesen Posten befördert, der einer politischen Kaltstellung gleichkommt? Man ist auf Vermutungen angewiesen, und diese sind logischerweise zunächst pessimistischer Art. Ob Haldanes Rücktritt ein Aufaeben des durch seine Berliner Mission 'm März d. I. angebahnten Weges bedeutet oder ob er im Zusammenhang mit den Mittelmeerkonferenzen der englischen Staats minister zu bringe» ist. muß abgewartrt werben. Nach einer aus London verbreiteten Privatdepesche muß man eher zu der letzteren Auffassung neigen. Das Telegramm tautet: . London, 11. Juni. Die Besprechung non Malta üpd Biserta, deren Ergebnis Haldanes Ausscheiden aus dem Amte des Kriegsministers and sein Uebcr- gang in das höchste juristische Amt des Reiches ist, zeigt, daß innerhalb des liberalen Kabinetts eine Strömung herrscht, die alles andere ist denn fried lich. Hand in Hand mit der Vereinigung der gewaltigen englischen Flottenstreitkräfte in der Nordsee wird von der Spitze der englischen Armee derjenige Mann entfernt, der als größter Freund Deutschlands gilt. Als treibende Kraft dieses Wechsels kann der Sieger von Omdurman gelten, der schon lange darauf hinwirkt, den Zi vilisten von der Spitze der Armee zu entfernen, und stets für die kommende Reorganisation der Armee einen Militär verlangt. Eine weitere Meldung besagt: London, 11. Juni. Der Rücktritt des Lords Lore burn setzt die hiesigen diplomatischen Kreise in fieber 106. Jahrgang. hafte Erregung. Obgleich allgemein versichert wird, daß durch diesen Rücktritt kein Wechsel in der Haupttendenz des liberalen Kabinetts eintreten wird, so ist man doch erstaunt, daß dieser Mann, der gemeinsam mit dem Kolonialministcr Harcourt ein Anwalt der deutschen Annäherung war, plötzlich seinen Posten verläßt. Lord Haldane wird jedoch versuchen, seine Politik fortzusetzen. Haldanes Nachfolger. Lcndon. 11. Juni. Der Parlamentsuntersekretär im Kricgsamt Oberst Secly wird der Nachfolger Haldanes werden. Der Eintritt von Seely in da, Kricgsminislerium wird dem Einfluß Churchills zugcschricbcn. der mit Asquith gemeinsam vom Mittelmeer aus telegraphisch diese Ernennung vorbereitet hat. Colonel John Edward Bernard Seely steht im 45. Lebensjahr. Er hat in Cambridge studiert, trat 1897 in die Armee ein und nahm 1900—1901 am Burenkriege teil. Im Unterhaus vertritt er die Insel Wight. 1908 wurde er Parlamentsuntersekre- tär der Kolonien, seit 1910 bekleidet er dieselbe Stelle im Kriegsamt. * Asquith und Churchill wieder iu London. London, 11. Juni. Asquith, Churchill und die übrigen Mitglieder der Admiralität sind gestern von ihrer Mitteimeerreise zurückgekehrt. Premierminister Asquith begab sich sofort nach dem Buckingham- Palast, wo er eine lange Audienz beim König hatte. Der italienilck-türkilcke Krieg. Tie römische Zeitung „Tribuns" weist daraus Yin, daß der Sieg bei Zansur einer der glän zendsten Ersolge sei, und zwar sei er sowohl vom materiellen wie vom moralischen GeschitZpunkt auS bedeutsam. Einerseits habe er den Italienern wich tige Gebiete gesichert, anderseits habe der Kamps bei Zansur gezeigt, daß die italienischen Soldaten imstande seien, große Strapazen zu ertragen, selbst unter so anerkannt ungünstigen Verhältnissen, wie sie in Tripolis beständen. Ter „Torriere d'Jta- lia" hebt die Klugheit der Heeresleitung sowie die Tapferkeit der Soldaten in der Schlacht bei Zansur hervor. Tie übrigen TageSdlätter veröffentlichen lange Tepeschen aus Tripolis, die unter Hinweis auf die Schlacht zahlreiche Züge von Heroismus be richten. Vie „Giornale d'Jtalia" auS Tripoli» er fährt, sind gegen tausend in der Schlacht bei Zansur gefallene Feinde von den Italienern b'stattet worden Die Lage in Tripolis. Aus Tripolis wird gemeldet: Die Nacht und der gestrige Tag sind ruhig ver- laufen. Die Italiener sind damit beschäftigt, ihre Stellungen bei Sidi Abd el Eilil und Marsa Attigia zu befestigen. Keine Minengefahr in den Dardanellen. Aus Konstantinopel wird gemeldet: Ter französische Tampfcr „Jspayan", der unter anderen Passagieren auch ausgewiesene Italiener an Bord hatte, ist aus der Fahrt von hier vor dem Eingang der Dardanellen aus einer Sandbank fest- gekommen, was zu dem Olerücht Anlaß gab, die Dardanellen seien wieder gesperrt. Tiefes rücht ist ganz unbegründet. Mit Hilfe verschiedener „ Der bitt üu? Roman von Marie Vier». Erstes Kapitel. Kart Eggers, der Alte, war ein Mensch wie ein Baum. Wenn er in seiner ländlichen Jacke und den Kniestiefeln über seinen Gutshof ging, hatte man das Gefühl, als ob sich alle Knechte und Mägde vor dieser breiten, sehnigen Gestalt ducken müßten, und sie taten'» auch, wenn es nötig wurde. Er hatte eine harte Haut an den Händen und «ine schwer fällige Zunge, als habe der liebe Gott ihn mehr rann Dreinschlagen als zum friedlichen Reden geschaffen. Jetzt war mit der Zeit das Haar auf seinem großen, runden Wetterkopf schon dünn und grau geworden, und die Hitze in seinem Blut, die früher immer gleich überkochte, hatte sich gelegt. Man konnte schon eher einmal ein Wörtchen im guten mit ihm reden. Ader seinerzeit war er «in gefährlicher Mensch gewesen. Damals hatte er geheiratet, und all« hatten sein junge», zartes Frauchen von Herzen bedauert, ein blasses Grohstadtnnd, oas blind und ahnungslos sich in diese Löwenhöhl« begab. Man konnte weder di« junge Frau noch ibre Mutter, eine verarmte Doktorwitwe, überhaupt be greifen. Wie konnten sie sich einem so ungefügen Dickhäuter wie diesem Karl Eggers anoertrauen, zumal seine Verhältnisse damals nichts weniger als glänzend standen? Denn da» Familiengut Holz hagen war überschuldet übernommen worden. Eggers hätte ein« robust« Frau gebraucht, eine Arbeitskraft, wie er selbst war, aber nicht solch schwache», empfind liche» Pflänzchen. Die Jahre brachten aber Ueberraschungen für die besorgten Nachbarn. Nicht» Schlimmes, nichts Ge- walttattges, nicht einmal ein bißchen interessanten Gesprächsstoff liefert« da» lanae, araue Gutshau» unter dem breiten Ziegeldach. Nie horten die Dienst- boten, so sehr sie auch die Ohren spitzten, «in einzige» böses Wort de» jungen Sprudelkopfs an sein« Frau, wenn sie erst um Acht lcher Neun sich vom Schlafen erhob, nachdem draußen schon da» halbe Tagewerk vollendet war, wenn sie dann mit ihren nachlässigen, welchen Bewegungen durch die Zimmer ging, hie und da ei« bißchen Staub abputzte, sich die Mamsell kommen ließ und ihr oft recht unpraktische Befehle für den Mtttagstisch gao. „Wo is t bloß möglich?" sagten die ältesten Leute auf dem Gut, unter denen Karl Egger» von seiner ersten Kleinjungenszeit her ausgewachsen war, und die ihn aus- und inwendig zu kennen meinten. Wenn Lening Lust hatte, auszufahren, wurden die Kutschpferde, die immer Mitarbeiten mußten, vvm Feld genommen, und mochte es mitten in der Ernte sein. Wenn Lening sich ein neues Möbel wünschte, mußte Musch, der alte Kutscher, zur Stadt und es holen, und als Lening sich langweilte mit ihrem „alten Brummbär", sagte Karl Eggers auch nicht viel, sondern setzte sich an seinen Sekretär und schrieb einen Schreibebrief an die Frau Doktor, seine Schwiegermutter. Und die war eines Tags La, zur großen jubelnden Ueberraschung ihres verzogenen Töchterchens, und blieb da. Musch und ein zweiter Kutscher mußten wieder zur Stadt und die Möbel der Frau Doktor von der Bahn abholen; zwei Giebel stuben wurden für sie neu gestrichen und tapeziert, und da blieb sie, regiert« durch ihr« Tochter das Haus und den nur im tiefsten Herzensgrund leis« seufzenden Karl Eggers, wurde krank, brauchte viel Doktor und Medizinen aus der Hauskasse und starb einen friedlichen Tod. „Ist der aber verliebt in kein Lenina", lachten die Leute in der Umgegend. „Na, das wird sich schon legen, diese Sanftmut steht ihm ja ganz unnatür lich an." Vorläufig hieß es aber womöglich noch viel sanfter und behutsamer werden, denn Helene schenkte ihm zwei Knaben und starb beinah daran. Er freute sich über seine Jungens, aber Lene blieb ihm doch die Hauptsache. Er wurde ordentlich geschickt, bekam sanfte, fest« Krankenwärtergriffe aus lauter Liebe und Sorge. Nächtelang schlief er nicht, obwohl keine Nachtwachen nötig waren, und da ihn Lene nicht im Zimmer haben wollte, setzt« er sich draußen auf die Steinfließen de» Korridors. Ein verzogener, kränklicher kleiner Trotzkopf wie Len« konnte durch alle» dies keinen Nespekt vor ihrem Mann bekommen. Sie erlaubte sich alles gegen ibn, ließ sich in guten und schlechten Launen zügellos gehen. Aber da macht« sie «ine seltsame Erfahrung. Karl war immer gleich zu ihr. Ob sie lachte oder schmollte, ob sie liebreizend oder unausstehlich und wirklich kindisch ungezogen «ar — bei ihm traf sie immer auf das gleiche Wesen. Er «ar geduldig, nachgiebig, sanft, hatte immer «in halb verlegenes, halb glüÄiche« Lächeln, das ihn sehr tzibsch Neidet«, und einen herzensguten Blick in den Augen. Aber in dieser unverrückbare« Gleichmäßigkeit fühlte sie plötzlich seine Unabhängigkeit von ihren Launen, eine stille, unbewußte Ueberlegenheit. Das fing an. sie zu quälen, und da quälte sie ihn. Aber er war ja gar nicht zu quälen. Er lachte gutmütig und so recht von Herzen nachsichtig bei ihren Bosheiten. Das konnte sie, als sic noch jung und tempera mentvoll war, zur Wut, zum Fußstampscn und zu Tränenflüssen bringen. Aber mit der Zeit gewöhnte sie sich daran. Lieber Gott, im Grunde war es recht bequem, und schließlich: ob man sich verstand oder nicht verstand — wo auf Erden verstanden sich denn überhaupt Mann und Frau? Das hatte schon di« selige Mama immer gesagt: Kind, nur nicht die gleichen Gefühle, die wir haben, beim Manne voraus setzen! Ihre beiden Jungen. Wolf und Ulrich, wuchsen als fröhliche Kinder heran. Auf dem Pferderüaen und in den Ställen waren sie daheim als echte Land buben, und wenn Besuch kam, mußten sie-erst von der Häckselmaschine oder aus sonstigen Staub- und Schmutzregionen geholt, auf Schleichwegen ins Haus gebracht und dort erst von Kops bis Fuß abgeseist und gebürstet werden, ehe sic für kritische Blicke wär- dig befunden wurden. Muttersorgen machte sich Frau Lene nicht viel und hatte auch, äußerlich besehen, keine besondere Ursache dazu. Wenn sie sich mit anderen Müttern aussprach, traf sie dort ziemlich auf die gleichen Er fahrungen, im guten wie im schlechten. Wolf war vielleicht etwas klüger als der Durchschnitt. Ulrich etwas dümmer. Dieser hatte die gleiche maulfaule, ungefüge Art. die sein Vater hatte. Wolf war auch nicht von Porzellan, aber er verstand sich besser aus- zudrücken und hatte nicht den schläfrigen Blick, wie er sonst bei den Eggers erblich war. Das stehende Zeugnis seiner Lehrer über ihn war: „Er konnte schon, wenn er wollte —" Er wollte aber meistens nur. wenn ihm vom Vater einmal die Jacke ausgeklopft war. oder wenn Mama ihm irgend eine Ausfahrt oder sein Leib gericht verbürgt hatte. Al» di« Jungens aus dem Haus und auf» Gom- nasium kamen, merkte Frau Lene noch weniger von ihnen als vorher. Es war jetzt recht hübsch ruhig zu Hause, denn zwei Heranwachsende Schlingel können einer beständig angegriffenen Frau schon den Kopf wüst machen. .ihrer Pension waren sie gut auf- Uhob-n. « kamen keinerlei aufregende Neuigkeiten über sie. und die Ferien brachten immer ein« an genehm« Abwechslung. Aber cs kamen schon aufregende Neuigkeiten, nur daß Frau Eggers meist noch schlief, wenn der Post bote vom Kirchdorf Klähnen herüberkam und die Nachrichten von der Außenwelt auf den Flurtisch zu Holzhagen legte. Dann stand schon immer Karl Eggers, gewitzigt durch Erfahrung, mit Strohhalmen an der Joppe und jauchcduftcnden Stiefeln, ungedul dig über die Zeitoersäumnis, an seiner Haustür, ging mit dem Briefträger hinein, sammelte alle Post fachen mit raschem Griff und sah sie dann erst in seiner Stube durch. Die schlimmen Botschaften steckte er ohne weitere Komplimente, kaum daß er sie in seinem Kopf ausgenommen hatte, in den Ofen. Dummes Zeug! Bei den nächsten Ferien sollten vie Jungens ihre Prügel haben, aber Lene brauchte sich darum nicht erst oufzuregen. Die arme, kleine Frau! So zart und blaß sah sie jetzt wieder aus! Nein, die iollte sich um die wüsten Schlingel nicht erst plagen und ärgern. Wolf; Schufftrafen wegen Ungebühr, wegen Frech, heil, wegen Schulversäumnis. Ulrich: Sitzenbleiben wegen Dummheit und Faulheit. In den Ferien hieß cs dann: „Co, Jungens, jetzt kommt mal mit mir in den Holzschuppen. Aber Mama braucht nichts davon zu wissen, verstanden? Setz' Wolfs alte Mütze auf, Ulrich, daß sie nicht merkt, daß du nicht versetzt bist." So lernten die Eggersschen Jungen ihre Auf fassung vom Fraucngeschlecht. Mochten sie draußen herumtoben wie junge Teufel, schreien, lärmen, sich raufen, alle Prügel sich abschüttein und aus jedem Feuer ungebrochen und ungebcssert hcrvorgchen, sowie sie in den Umkreis der Mutter traten, wurden sie still und zahm, gingen auf Zehenspitzen, sprachen in Flüstertönen. Es war kaum ein äußerer Zwang, dem sie ge horchten. Di« Luft dieses Hauses war es, in der die Frau als etwa» Heilige», Zartes, unendlich Hilfloser und Schutzbedürftige» erschien. Mit ihren Freuden und Leiden, ihren knaben haften Interessen zur Mutter zu kommen, wäre ihnen niemals eingefallen. Es ging ihnen in Fleisch und «lut über, daß die Mutter nicht zu ihrem Hort und Schutz, sondern daß sie zu dem der Mutter da waren. Wenn sie bei ihren Freunden ei« anderes Ver hältnis sahen, batten sie ein leise»,.feist «och un bewußtes Gefühl der Verachtung dafür. (Fortsetzung in der Morgenausgabe.)
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