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»4» LMKilU M sichNte« NMitNS Nl. 213. zu Nr. 64 des Hauptblattes. 1925. Beauftragt mit der Herausgabe: RegterungSrat Braube in Dresden. Landtagsverhandlungen. In der letzten Beilage Nr. 212 zu Nr. 63 des Haupt blattes ist auf S- 941, mittlere Spalte oben folgender Schluß der Rede des Berichterstatters Keltisch aus- gefallen: Ursache darin, daß die übrige Fürsorge doch nur all* zusehr auf der freien Wohlfahrtspflege aufgebaut war (Sehr richtig! bei den Soz), daß die amtliche Fürsorge nicht genug verankert war und man mit dieser dürf- tigen Hilfe die Kriegsbeschädigten nicht abspeisen durfte. (Sehr richtig! bei den Soz.) Infolgedessen mußte für die Kriegsbeschädigten eine gesonderte Fürsorge in dem Maße geschaffen werden, in dem nicht die allgemeine Wohls chrtsfürsorge eine genügende Hilfe gewährleistete. In dem Maße, wie jedem einzelnen Hilfsbedürftigen die Mindestexistenz gewährleistet wird, wird sich auch das Verhältnis der Wohlfahrtspflege zu den Kriegsbeschä digten ändern müssen (Sehr richtig! beiden Soz.), und die Parteien der Linken werden nunmehr einen ihrer besten Grundgedanken wieder in den Vordergrund stellen müssen, daß die ganze Fürsorge einheitlich geregelt werden muß. (Sehr richtig! bei den Soz.) Es darf nicht dahin kommen, daß die Kriegsbeschädigten herab gedrückt werden auf die Stufe der Armenunterstützungs- empfänger, sondern es muß dazu kommen, daß die jenigen, die man früher zu Armengeldempfängern machte, emporgehoben werden auf die Mindestexistenz und daß außerdem bei den Kriegsbeschädigten das auch von diesem Gesetz unberührte Rentenverfahren un- beeinflußt nebenher geht. Jedes Mißverständnis also zwischen der sächsischen Wohlfahrtsgesetzgebung und den Kriegsbeschädigten ist objektiv betrachtet einfach künst lich konstruiert und braucht nicht vorhanden zu sein, wenn man es nicht haben will. (Lebhaftes Sehr rich- tig! bei den Soz.) So werden wir für die Kriegs beschädigten im Rahmen des sächsischen Fürsorgegesetzes weitere Arbeit zu leisten haben, und sicherlich werden uns einmal, nachdem die übergangsschnnerigkeiten über wunden sind, die Kriegsbeschädigten dafür dankbar sein. Ich bitte Sie deshalb noch einmal, die von den ver einigten Ausschüssen aufgestellten Mehrheitsanträge und auch die Entschließungsanträge, soweit sie bereits eine Mehrheit gefunden haben, ebenso wie die kleinen redak tionellen Abänderungsanträge, die ich vorhin in meinem Berichte erwähnt habe, an^unehmen. Der Antrag über die Inkraftsetzung ist, was rch hier betonen möchte, von uns zurückgezogen worden. (Bravo! bei den Soz.) In derselben Beilage ist auf S. 942, letzte Spalte am Ende in der Berichtigung ein Druckfehler unter- laufen. Es muß auf Zeile 5 von unten statt „6" heißen „b". (Fortsetzung der 124. Sitzung von Donnerstag, den 12. März.) Abg. Keltisch (Soz.) (Fortsetzung): Eine Neichsamnestie ist gerade vom sozialdemo kratischen Standpunkte aus deshalb in Deutschland jeder Landesamnestie vorzuziehen, weil wir auf dem Wege der Einzelbegnadigung in Sachsen schon eine so große Anzahl von politischen Gefangenen bereits befreit haben, daß die Anzahl derjenigen, die überhaupt noch unter eine Amnestie fallen würden, sicherlich nicht mehr groß sein wird. Ganz anders liegt es im übrigen Deutschland, insbesondere z. B. in Bayern. Es ist geradezu ungeheuerlich, was da noch in den Gefäng nissen sitzt, obwohl es nicht mehr hineingehört, und zwar lediglich deshalb drin sitzt, weil dort die Einzelbegna digung nicht in der sozialen Weise vonstatten gegangen ist, wre wir eS in Sachsen verzeichnen können. (Sehr gut! bei den Soz.) Aus diesem Grunde können wir als Sozialdemokraten den Tausenden und aber Tausenden außersächsischen Opfern der Justiz unter keinen Umstän den mit einem sächsischen Amnestiegesetz helfen, sondern nur mit einer Amnestie deS Reiches. Um aber die sächsische Amnestie nicht aufzuhalten, haben wir verlangt, daß die Strafen für im Zusammenhänge mit der Infla tion begangenen Straftaten in der weitherzigsten Weise auf dem Wege der Einzelbegnadigung erlassen werden sollen. Nun kommt aber ein zweites in unserem Anträge mm Ausdruck. Im sächsischen Justizministerium wird schon seit einer Anzabl von Jahren sowohl unter dem früheren, wie unter dem jetzigen Herrn Justizminister nach bestimmten Richtlinien begnadigt. Der Antrag der Sozialdemokratischen Fraktion geht nun über die jetzigen Richtlinien der Begnadigung hinaus und sagt, daß sei unbescholtenen Beschuldigtenauchbeifolchen Straf taten,denen ein Deliktzugrundenegt.daSansich nicht unter die Begnadigung fallen würde, dann Gnade zu ge währen ist, wenn trotz der nicht begnadigungswürdigen Tat die Person des Täters so ist, daß man eS als Akt der Menschlichkeit, der Gerechtigkeit und Billigkeit empfindet, ihm trotzdem das Recht der Einzelbegnadi gung zu teil werden zu lassen. Ich kann da einen ganz interessanten Fall aus der Praxis erzählen. Ich wurde in einer großen Arbeiterversammlung vor 14 Tagen wegen memer Stellungnahme zur Amnestie angegriffen und habe dort meine Meinung verteidigt. Unmittelbar im Anschluß an diese Versammlung kam ein .Partei- freund zu mir und bat mich, ob ich mich nicht für einen seiner Angehörigen verwenden konnte, daß er im Wege der Einzelbegnadigung frei kommen konnte. Ich konnte dem Betreffenden Zug um Zug Nachweisen, daß eine solche Begnadigung möglich sein wurde, wenn der Landtag den sozialdemokratischen Antrag annehmen würde, der mir 5 Minuten vorher in derselben Ver- fammlung zum Verbrechen gerechnet worden war Die Behandlung der Frage, wie sie hier m dem sozial demokratischen Anträge vorgeschlagen wird und zu der ich mich auch persönlich vollinhaltlich bekenne, ist der einzig mögliche Weg, um in verhältnismäßig kurzer Zeit die Leute frei zu machen, die wir aus den Ge fängnissen frei haben wollen. (Sehr richtig! bei der Mehrh. der Soz.)! Zum Schluß noch einige Worte an die Kommunisten. Die Kommunisten verfolgen, wenn sie Amnestie anträge stellen, dabei ganz andere Ziele^ Sie wollen auch Leute herausbringen aus Zuchthäusern und Gefängnissen, die im Interesse der öffentlichen Ordnung nicht befreit werden dürfen. (Pfui-Rufe bei den Komm. — Abg. Renner erhält einen Orenungsruf.) In dieser Hinsicht unterscheiden sich auch die Kom munisten von der Opposition, die in meiner Fraktion die Linke heißt. Dort sind die Beweggründe edel. Bei den Kommunisten aber handelt es sich darum, unter dem Deckmantel der Arbeiterfreundlichkeit auch noch außerdem Subjekte mit herauszubringen, an deren Unbestraftheit weder der Staat noch irgendein Bürger und zuletzt kein Sozialdemokrat ein Interesse haben kann. Ich bitte, den Antrag der Sozialdemokratischen Fraktion heute in Schlußberatung anzunehmen. Abg. Siewert (Komm.—zur Begründung der Anfrage Nr. 1167): Die Beantwortung unserer Anfrage 1167 ist sehr wichtig für die Stellungnahme zu den heute zur Beratung stehenden Amnestieanträgen und Gnaden anträgen und für die weitere Beratung der Anträge im Rechtsausschuß, und wir möchten wünschen, daß der Herr Justizminister uns auf unsere Fragen eine klare Antwort gibt. Wir haben ein Interesse daran, fest- gestellt zu sehen, ob sich das sächsische Gesamtkabinett gegen eine Reichsamnestie gewendet hat oder ob sich nur der Ressortminister, der Justizminister, gegen eine Reichsamnestie ausgesprochen hat. Die Beantwortung dieser Frage wird auf den Antrag der sozialdemokra- tischen Mehrheit ein recht bezeichnendes Licht werfen. Justizminister Bünger: Meine Damen und Herren! Um mit der letzten Anfrage anzufangen, so habe ich zu erklären, daß der Herr Reichsjustizminister unter dem 14. September — ich bitte, auf das Datum zu achten — die Landesregierungen um eine Stellung nahme zu der Frage gebeten hat, ob mit Rücksicht auf die im Londoner Abkommen für das besetzte Gebiet vereinbarte Amnestie Gnadenerweise im unbesetzten Gebiet in größerem Umfange für angezeigt erachtet würden, zutreffendenfalls, ob der Erlaß einer Amnestie oder die Gewährung von Einzelgnadenerweisen für zweckmäßiger angesehen würde, und auf welche Straf- taten eine Amnestie erstreckt werden sollte. Das Justizministerium hat dem Herrn Reichsminister am 2. Oktober 1924 geantwortet, daß der Erlaß einer allgemeinen Amnestie für politische Straftaten nach dem Vorgang des Londoner Abkommens für die be setzten Gebiete, soweit der Freistaat Sachsen in Betracht komme, nicht für erforderlich erachtet werde (Hört, hört! bei den Kommunisten) — warten Sie nur ein wenig mit Ihrem Hört, hört!, oder wollen Sie damit nur zum Ausdruck bringen, daß Sie jetzt den Irrtum einsehen, der Ihnen bei Stellung der Anfrage unter laufen ist? —; m Sachsen würden mit Zustimmung des Landtages, der in feiner Sitzung vom 9. Juli 1924 einen Antrag auf Erlaß eines Gesetzes über Straf freiheit für politische Straftaten abgelehnt habe, für diese Straftaten in weitem Umfange Einzelgnaden erweise erteilt. Die Antwort des Justizministeriums entsprach danach der Auffassung des Landtages, dem übrigens am 2. Oktober — an diesem Tage ist die Auskunft gegeben — keine Anträge auf Erlaß einer politischen Amnestie Vorlagen. Der Antrag Nr. 985 der Kommunistischen Fraktion, die Regierung zu be auftragen, sofort Vorbereitungen für eine umfassende Amnestie zu treffen, ist erst am 7. Oktober 1924, also nachher gestellt worden, und der ähnliche Antrag Nr. 1043 der sozialistischen Fraktionsminderheit erst am 11. Dezember 1924. Damit ist diese Anfrage eigentlich erledigt. Ich möchte aber doch einiges hinzusetzen. Im Zu sammenhang mit dieser Stellungnahme des Justiz. Ministeriums dem Reiche gegenüber tst in der linkst sozialistischen Presse von einem Doppelspiel und, wie es dort heißt, von „Praktiken" des Justizministers gesprochen worden, insofern ich bei den Amnestieberatungen auf die Reichsamnestie hingewiesen und mich andererseits auch dem Reiche gegenüber gegen eine solche Amnestie für das sächsische Gebiet ausgesprochen habe. Dieser Borwurf ist ganz unsinnig. Ich will Ihnen darlegen, daß er mich gar nicht treffen kann. In allen 'imnestiedebatten habe ich ganz konsequent eine Amnestie abgelehnt und mich für die Einzelbegnaoigung aus- gesprochen, zuletzt vor jener Äußerung dem Reiche gegenüber am 9. Juli vorigen JahreS; und der Landtag hat demgemäß beschlossen. Ende September, also 2Z4 Monate später, kam das Reich mit der Anfrage: Sew Ihr für Gnadenerweise in größeren! Umfange, und wenn ja, so für Amnestie oder für Einzelbegnadigung? Ist denn nun jemand so naiv, von mir zu erwarten, daß ich nun mit einem Male meine Stellung änderte und dem Reiche gegenüber erklärte: Jetzt bin ich für eine Amnestie? Mein Verhalten war doch vollkommen konsequent. Ich konnte gar nichts anderes erklären. Ich hatte die bisherige Stellungnahme des Justiz ministeriums darzulegen und diejenige des Landtages bekannt zu geben. Beides habe ich getan. Das war nickt nur konsequent, sondern überhaupt das einzige, was ich tun konnte. Ja, auch bei einer späteren Amnestieaussprache am 18. Dezember 1924, die also nach jener Auskunft an das Reich stattfand und daher für die vorliegende Anfrage an sich nicht in Betracht kommt, habe ich wieder betont: Es besteht für mich kein Anlaß, eine Amnestie zu befür- Worten, ich halte vielmehr den Weg der Einzelbegnadi gung für den besseren. Lesen Sie das im Stenogramm nach! Ich bin also in meiner Haltung durchaus konse quent gewesen; und wenn ich im Mai, Juli und De zember, wie es richtig ist, auf eine Reichsamnestie hin gewiesen habe, so habe ich das in demselben Zusammen hangs getan, wie der frühere Justizminister Zeigner es getan hat, Dieser hat gleichfalls — Herr Abg. Fellisch hat darin vollkommen recht; wenigstens wesß ick das aus einer Verfügung von ihm, die mir vorliegt; ob es auch im Landtag geschehen ist, weiß ich nicht —, er hat also in dieser Verfügung, die mir vorliegt, gleichfalls gesagt, daß er neben den sonstigen Bedenken, die er gegen eine politische Amnestie habe, der Meinung sei, daß eine politische Amnestie ohnehin nur vom Reich gemacht werden könne. Dasselbe habe ich gesagt«, und dieser Standpunkt ist meines Erachtens auch richtig. Meine Damen und Herren! Ich wünschte nur, es würde m der Politik immer so wenig ein Doppel spiel getrieben, wie es hier von mir geschehen ist. (Zuruf des Abg. Renner) Herr Abgeordneter Renner, wenn jemand in dieser meiner unzweideutigen Er klärung etwas „Diplomatisches" finden will, dann mag er es tun; mich wird das nicht weiter interessiern. Meine Damen und Herren! Jene Art, das Justiz ministerium bei jeder Gelegenheit und auf jeden Fall zu verdächtigen, es mag tun, was es will, ist mir nach gerade etwas Gewohntes geworden; ich kann derartiges täglich in den Zeitungen lesen. Die Öffentlichkeit wird m diesem Punkte teils bewußt, teils unbewußt in einem Maße irregeführt, die ich nur aufrichtig bedauern kann. Es entstehen dadurch vollkommen falsche Ansichten über die Praxis und die Einstellung des Justizministeriums, und zwar auch in denjenigen Fällen, in denen den Wünschen, die von linker Seite kommen, durch Maß nahmen des Justizministeriums entsprochen wird. Ich könnte dafür unzählige Beispiele anführen, will Sie aber heute damit nicht aufhalten. Nur eine An- gelegenheit möchte ich erwähnen, damit ich mir eine Widerlegung in der Presse sparen kann. Ich meine den Fall, der in der „Leipziger" und in der „Dresdner Volkszeitung" unter der Überschrift „Heraus mit der Amnestie" und „Ein eingestandenes Fehlurteil" abgedruckt worden ist. Die Angelegenheit betrifft einen gewissen Sachse, der wegen Landfriedensbruches ver urteilt worden ist. Da heißt es zunächst in dem Artikel der „Leipziger Volkszeitung": „Heraus mit der Am nestie" folgendermaßen: Die Anklage war ein glatter Reinfall der Staats anwaltschaft, denn von den 7 Angeklagten wurden 2 freigesprochen, bei weiteren 2 mußte das Verfahren während der Verhandlung eingestellt werden, „mußte"! — als wenn das nicht lediglich eine Billig keitsfrage war — und 3 wurden endlich zu insgesamt 19 Monaten Ge fängnis unter Zubilligung der Bewährungsfrist ver urteilt. Meine Damen und Herren! Ich frage Sie, wo bleibt da noch Raum für eine Amnestie? 2 sind frei gesprochen, bei zweien ist das Verfahren eingestellt und bei dreien Bewährungsfrist beschlossen — trotzdem steht über dem Artikel: „Heraus mit der Amnestie". (Lachen rechts) Und in dem Artikel über denselben Fall in der „Dresdner Volkszeitung": „Ein eingestandenes Fehl urteil" heißt es: Sachse hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Jetzt auf einmal erhält nun Sachse von dem Amts gerichtsdirektor Rietschel — der ihn auch verurteilt hat — den Bescheid: das Verfahren werde eingestellt auf Grund von 8 153 der Strafprozeßordnung. ES heißt weiter: Was hat nun den Amtsgerichtsdirektor Rietschel veranlaßt, das Urteil des Amtsgerichtsdirektor- Rietschel zu korrigieren? Doch sicherlich die Er- kenntnis, daß der Spruch vom 6. Januar ein Fehl urteil war. Warum kam diese Erkenntnis nicht in der Verhandlung? Bedurfte es da erst der Be rufung des Verurteilten? Daß die ganze Anklage auf sehr schwachen Füßen stand, hat daS Gericht sicherlich empfunden, was aus der Auswerfung der