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Sächsische DolksMung Erscheint täglich «achm. mit Ausnahme der Soun. u. Festtage. Bezugspreis: Vierteljahr!. 1 Mk. SO Pf. (ohne Bestellgeld). Post-Bestellnummer G858. Bei autzerdeutschen Postanstalten laut Zeitungs-Preisliste. Einzelnummer 1« Pfennige. Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit. vucdilrucittttl. HeaalMon una SercbSNrrttNe: Dresden, Pillnitzer Straße 43. Inserate werden die 6gespaltene Petitzeile oder deren Raum mit IS Pf. berechnet, bei Wiederholung bedeutender Rabatt. RedaltionS-Sprcchstunde: 1t—1 Nhr. Fernsprecher: Amt l. Nr. 15 66. Nr. 175. Katholiken r Dominikus. Dienstaq, den 4. August 1903. Protestanten: Dominikus. 2. Jahrgang. Neue Freunde der Sozialdemokratie. Von den 81 sozialdemokratischen Neichstagsabgeordneten sind nur zwei, nämlich die beiden Münchener Birk und v. Vollmar, in allsgesprochen katholischen Wahlkreisen ge wählt worden; 16 weitere sozialdemokratische Abgeordnete wurden von konfessionell gemischten Wahlkreisen, d. h. in Kreisen mit etwa 25—50 Prozent Katholiken, in den Reichstag entsendet. Die übrigen 63 Sozialdemokraten kommen ans rein protestantischen Wahlkreisen, darunter 22 aus dem Königreich Sachsen, dem Hauptquartier des Evangelischen Bundes. Diese Zusammenstellung sagt genug. Die' Tatsache steht fest, das; die protestantische Bevölkerung dem Eindringen der Sozialdemokratie ungleich schwächeren Widerstand entgegengesetzt hat als die katholische. Auch die orthodox Protestantische Zeitschrift „Der alte Glaube" gibt die Tatsache offen zu in einer Weise, die nichts anderes bedeutet als die vollständige Abdankung des protestantischen Kirchentnms in der Bekämpfung der sozialdemokratischen Gefahr. Dasselbe Geständnis inachte der protestantische Pastor Ine. tlieol. Schiele im „Tag" (Nr. 330), allwo er u. a. schrieb: „Wer die roten Stimmen der Reichstagswahl mit der Zahl der evangelischen Bevölkerung vergleicht und dabei bedenkt, daß Katholiken nur selten Sozialdemokraten sind, der muff sich gestehen, das; in sehr vieleil protestan tischen Gegenden die Sozialdemokraten, wenn sie es der Mühe für wert hielten, schon heute rote Kirchenwahlen haben könnten." Sie könnten in die protestantischen Pres byterien und Synoden siegreich ihren Einzug halten und sehr bald auch ans die Wahl der Pfarrer einen bedeutenden Einfluß ansüben. Die Gemeindevertretung, so sagt Herr Ine. ttrool. Schiele, das Presbyterium, das Pfarramt (wo Pfarrwahl gilt), die Synoden «soweit ihre Mitglieder nicht ernannt werden), alles das steht unter dem Belieben der Mehrzahl der evangelischeil Kirchenwähler. Und die Mehr zahl der berechtigten evangelischen Kirchenwähler ist — sozialdemokratisch. Ans Herrn Pastor Schiele hat diese Tatsache einen so tiefen Eindruck gemacht, daß er flugs der sozialdemokratischen Znkuilftsmacht sich zu Füßen wirft und ihr nahelegt, den Protestantismus zur Staatsreligion des sozialdemokratischen Zuklmftsstaates zu machen. Ganz ohne Religion, meint er, könnten die sozialdemokratischen Massen ans die Dauer doch nicht bleiben, die Parteiführer müßten sich also bei zeiten nach einer Religion für ihre Gefolgschaft Hinsehen. Dazu eignet sich also nach Ansicht des Herrn Schiele einzig und allein der Protestantismus, und wir Katholiken »vollen nicht so unbescheiden sein, ihm hierin zu widersprechen. Es ist aber auch nichts einfacher, als den Protestantismus mit dem Sozialismus zu vereinigen: „Die Sozialdemokratie braucht sich nur in die Kirche hineinznwählen, und sie be sitzt, was sie nötig hat." So Herr Schiele. Die Sozial N<rch geschiedener Ehe. Ein Sittenbild cms dem heutigen Frankreich. Von Comtesse de Veanrepaire. — Deutsch von Helene Krcmbs. <42. Fortsetzung.) <Nachdruck verboten.) Marzel hatte, wie »vir scholl angedeutet haben, den ganzeil Morgen in seinen peinvollcn Betrachtungen znge- bracht. Er fürchtete sich vor dem bescheidenen zurückge zogenen Leben, das für ihn der Armut gleichkam; ander feits aber blieb ihm doch noch ein Rest Geivissensskrnpel, welche ihn keinen Entschluß fassen ließen, so groß auch immer die Versuchung war, sich zu ergeben. Als er seine Frau aufsuchte, schien diese ganz vertieft in ihre neue Beschäftigung zu sein. Der außergewöhnliche Anzug und die noch nie bei ihr gesehene merkwürdige Handarbeit erregteil seine Aufmerksamkeit. „Was ist denn das für eine Tracht?" fragte er und zog die Brauen zusammen. „Wir feiern doch nicht Fast- nacht? Habe ich Dich nicht gebeteil, dieses Kleid, das ich nicht anssteben kann. Deinem Kammermädchen zu geben?" Regina hob ganz schwermütig den Kopf und sah ihn traurig an. „Sei nicht böse, lieber Freund, ich wollte Dir nicht mißfallen; im Gegenteil möchte ich mich schmücken und putzen, soviel Du es gerne hast. Darum zürne nicht, sondern beklage mich lieber!" „Spielst Du Komödie?" „Ach nein! Wie könnte ich!" „Herr des Himmels! Mach mich nicht rasend! WaS gibt's denn?" „Du bist nicht vernünftig, lieber Marzel. Der Um schlag in unseren Verhältnissen ist mir bekannt, obgleich Du es nicht der Mühe wert erachtet hast, mich darüber aufzu- klären. Muß ich mich denn jetzt nicht einschränken und meine besseren Anzüge, die sobald nicht erneuert werden können, schonen, um wenigstens nach außen hin noch etwas anständig zu erscheinen? Ich weiß, daß Du mich deshalb nicht verachten wirst, wenn ich mich zu Hause auch wie ein Dienstmädchen kleide und dessen Arbeit tue, da ich dasselbe demokraten werden dieser freundlichen Einladung allerdings wohl nicht so bald Folge leisten. Herr Schiele steht mit seiner Meinung durchaus nicht vereinzelt da. Auch die „Ehristliche Welt", Hanptorgan der Ritschlianer, der kirchlich Liberalen, predigt (Nr. 30) ebenfalls Versöhnung mit der Sozialdemokratie. Und während der Wahlen hat man Schlagworte gehört, die programmatisch ein Hinneigen znm Sozialismus in Aussicht stellen. Die meiste Schuld daran trägt offenbar die künst lich angefachte Knlturkampfstimmnng. Leider — so bemerkt die konservativ-protestantische „Kreuzzeitnng" — erfreuen sich die Sozialdemokraten in diesem Kampfe (gegen das Zentrum) wirklicher, nicht bloß bramarbasierender Sym- pathien selbst ans der politischen Rechten. Zwar sind es nicht konservative Männer in führender Stellung, sondern die „wilden" Politiker auf unserer Seite, von denen man hören muß, die schwarze Gefahr sei größer als die rote. Die „Kreuzzeitnng" ist so verständig, dieser kurzsichtigen Meinung entschieden zu widersprechen und die Knltnr- kämpferei zu bedauern, welche nur der Sozialdemokratie znm Nutzen gereicht habe. Aber was bedeutet die Stimme dieser ruhigen Leute noch? Die Liberalen kümmern sich nicht um die „Kreuzzeitnng", die Orthodoxen aber schwören eher ans den „Reichsboten" mit seinem Nomkoller als ans die friedliebende „Kreuzzeitnng". Und so rückt die Gefahr einer großen Sezession ins sozialistische Lager immer näher. Von der Los von Rombewegnng in Asch i. B. In den „Leipziger Neuest. Nachr.", „Hofer Anzeiger" — und vermutlich noch in vielen anderen Blättern des Auslandes — steht folgendes Telegramm: „Wien, 22. Juli. In Asch haben unmittelbar nach dein Schnlschlns; 17 Abiturienten des dortigen Gymnasiums ihren Austritt ans der katholischen Kirche angemeldet, und siitd znm Protestantismus übergetreten. („Voss. Zeitung.") — Darauf zur Antwort: In Asch gibt es keilt Gymnasium und infolgedessen auch keine Abiturienten des Gymnasiums. Gibt es aber keine Abiturienten, so können auch keine ans der katholischen Kirche ansgetreten und znm Protestantismus übergetreten sein. Dem „Prager Tagblatt" soll ans Asch mitgeteilt worden sein, daß unmittelbar nach Schnlschlns; 17 Kinder, die eben erst ihrer Schulpflicht Genüge geleistet haben, zur evange lischen Kirche nbergetreten seien, und das; seit Beginn des Jahres im Ascher Bezirke -18 Uebertritte erfolgten. — Darauf zur Antwort: Kein einziges Kind ist nach Schnl- schlnß übergetreten; wohl aber -1, sage -1 und nicht 17, während des Schuljahres nach vollendetem 1-1. Lebens fahre. Die katholischen Väter von zwei dieser Kinder — die Mütter beider sind protestantisch — sind früher in dem großen, „Los von Nom"-Nnmmel abgefallen und konnten damals den Austritt ihrer Kinder ans der Kirche wegen wohl werde entlassen müssen. Aber die Welt würde mit Fingern auf mich zeigen, wenn ich verblaßte und verschlissene Toiletten trüge." „Liebe Regina!" sagte Bertinet, „ich habe luc-lang noch kein Opfer von Dir verlangt." „Ich weiß, ich weiß — aber es stehen mir doch solche, und zwar bedeutende, bevor. Zwar behandelst Du mich noch oft als ein Kind, doch kann ich auch ernst und ver ständig sein. Wie man über Leute denkt, die Schiffbrnch gelitten haben, ist mir zur Genüge bekannt. Wir müssen deshalb alle nur möglichen Anstrengungen machen, das; Misere Lage nicht lautbar wird — wenigstens nicht mehr, als sie es schon ist, und dazu werden Selbstverleugnung und Entbehrungen aller Art nnnmgänglich fein." „Aber Geliebte", cntgegnete Bertinet, erstaunt ob dieses Opfermutes und überlistet durch den geschickten Bühnen effekt, — „was hat Dich so ansgewcchselt, so ruhig und vernünftig gemacht?" „Mit dieser Vermutung bist Du allerdings auf dem Holzwege. Ich ruhig? Nein, keineswegs. Aber man muß sich in sein Schicksal ergeben, es bleibt nichts anderes übrig. Wenn wir es nur so lange wie möglich vor der Oesfent- lichkeit verbergen könnten, das; wir ruiniert sind! Ich möchte um alles nicht das schadenfrohe Bedauern der Menge, ihr Achselzucken und die höhnischen Bemerkungen erleben. Hier und da hat man mir schon so leise angedentet, das; nur nicht mehr hoch stehen in der Meinung des Publikums." „Wer hat es gewagt?" fragte Bertinet, dessen Eigen dünkel sich anfbänmte bei diesem Hieb. „Wer? Nun, jedermann. Die Frau des Ministers selbst, erst gestern noch. Ach. wie bald werden wir gar nicht mehr initzählcn!" lind Regina schilderte jetzt mit einer gewissen bitter» Aufrichtigkeit und mit schmerzlicher Ruhe, welche Ersahrnngen sie in dieser Hinsicht gemacht. Jedes Wort war darauf berechnet. Marzels Eitelkeit zu verwunden. Und das ge lang ihr über Erwarten. Die Wut in seinem Innern erstickte alle Bedenken, allen Widerstand. Jetzt war er entschlossen, zu handeln. Nichterreichnng des II. Lebensjahres nicht anmelden. Der Vater des dritten Kindes ist schon über 13 Jahre tot. Die Protestantische Mutter wollte dieses Kind, trotzdem sie mit dem Manne vor der Training den Vertrag, alle anznhoffen- den Kinder katholisch erziehen zu lassen, unterzeichnet hat und trotzdem das Kind auch katholisch getauft war, gleich bei Beginn der Schulzeit protestantisch erziehen lassen, wurde aber durch die staatlichen Bestimmungen daran ge hindert. Die Mutter des vierten Kindes lebte schon vor der Geburt des Kindes von ihrem Gatten getrennt und lebt noch bis zur Stunde getrennt. Sie ist mit dem. dem sie die Wirtschaft führt, im Jahre 1800 an ein und dem selben Tage vom Glauben abgefallen. Wie dein „Prager Tagblatt" berichtet worden sein soll, sind seit Beginn des Jahres im Ascher Bezirke 18 Uebcr- tritte erfolgt. Viel wird berichtet, viel wird geschrieben; aber wahr ist es nicht. Im Ganzen kamen 6 Uebertritte von Er wachsenen vor. Uebergetreten sind 3 Frauen. 2 von ihnen haben protestantische Männer, die dritte dürfte auch pro testantisch verheiratet sein; ferner ein Mädchen, das einen Protestantischen Bräutigam und zwei Männer, die protestan- tische Bräute hatten. Hätte inan alle Abfälle, - von denen die Zeitungen von Asch berichteten, zusammengezählt, man hätte viel leicht doch eine größere Zahl znsainmengebracht, als manches Fürstentum Einwohner hat. In Asch und im ganzen Bezirk Asch ist während der ganzen „Los von Rom"-Hetze, obwohl die Agitation hier mit furchtbarer Heftigkeit betrieben wurde — wer so etwas nicht mit gemacht hat. hält es gar nicht für möglich — wir hatten harte, harte Tage — keine einzige Persönlichkeit abge- salle», die im Bezirke eine besondere Achtung hatte; die meisten Abfälle lieferten die gemischten Ehen, und unter denen die meisten mit protestantischer Trauung und pro testantischer Kindererziehnng. Rein katholische Familien sind durch die lange Zeit der Verfolgung, die ununter brochen weit über drei Jahre andanerte, im Ganzen 8 abgefallen. Zn der Riesenagitation, die herrschte, nm die Katholiken vom Glauben abwendig zu machen, kommen noch die Broschüren, die vom Anslande in förmlichen Wagenladungen hcreinbesördert wurden, Broschüren, in denen die katholischen Lehren so verzerrt und entstellt werden, und in denen über sie solche Unwahrheiten. Lügen und Verlenmdnngen enthalten sind, daß ein förmlicher in fernaler Haß ans ihnen weht. Leute, die solche Bro schüren schreiben, müssen die Unzerstörbarkeit der katho lischen Kirche fühlen, fühlen, das; sie auf dem Felsen gebaut ist, sonst würden sie zu so nnlanteren Mitteln nicht greifen. Wenn die Religion dieser Broschürenschreiber solche Mittel erlaubt, so ist das traurig, und selbst ein Heide wird sie nicht um ihre Religion beneiden. Ein Abfallsagent äußerte sich gleich bei Beginn der „Liebe Frau," rief er beinahe heftig, „auf der Stell^ I ziehe Deine gewohnten Kleider an. Und nach dein Früh stück »vollen wir ein neues Pferd kaufen, das ist die beste Antwort auf all das unsinnige Oierede. Was Deine so zartfühlenden, liebenswürdigen Freundinnen anbetrifft, so magst Du sie versichern, das; wir niemals reicher gewesen sind, als eben jetzt." „Ist das wahr?" „Sehr wahr?" „O, welche Freude! welche Ueberraschnng!" „Und ein anderes mal mußt Du nicht so voreilige Schlüsse ziehen, sondern mich erst fragen, was von dem Geschwätz der Menge zu halten sei!" Bei diesen Worten sah Regina ihren Gatten mit wirk licher Bestürzung an. Das; er es zu einem solchen Grade von Verstellung bringen könne, hatte sie doch nicht ge ahnt. Immerhin war es ratsam, die Leichtgläubige zu spielen. „Ja, aber . . ." sagte sie, „Du brnmmtest immer über jede kleine Rechnung." „Das wird nun nicht mehr Vorkommen. Nächsten Winter werden »vir einen großen Ball geben. Das soll meine Strafe sein dafür, daß ick» manchmal verdrießlich war. Hast Du mir denn auch verziehen?" Regina belohnte ihn mit ihrem holdseligsten Lächeln. „Und min," fuhr Marzel fort, „kleide Dich schnell an. Ich habe »och eben ein geschäftliches Telegramm anf- zngeben." Er ging. Die junge Frau sah ihm triumphierend nach. „Das war geschickt!" murmelte sie. „Boivin wird mit mir zufrieden sein." Marzels Depesche war kurz. —„Ich nehme an." — Das war alles, was das blaue Blättchen enthielt. Natürlich trug cS die Adresse Boivins. Bertinet schickte eS »»verweilt ab. (Fortsetzung folgt.)