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Er ist nicht so gemessen und ruhig, wie man es bet ihm gewohnt ist. Er macht einen abgekämpften Eindruck, als stände er auch am Ende seiner phnsischen Kraft. Seine Worte haben einen etwas verzagten Unterton. Man sieht eS ihm an, — er ist nicht mehr Herr der Situation. Die Rede ist inhaltlich nicht überraschend: ein Aufriss der wirtschaftlichen Verhältnisse, wie wir ihn in den letzten Wochen oft genug gehört haben. Hier und da ein etwas verkrampfter Optimismus, der nicht glaubhast wird, schliesslich Beschwörungen an die Adresse der Parteien, und am Ende nur ein drohender Satz: Wen« ihr die Deckungsvorlage nicht bewilligt, dann «erde ich von allen verfassungsmässigen Möglichkeiten Gebrauch machen. Nur dünner Beifall im Saal: bann besteigt vom Zentrum Herr Esser die Tribüne und schlägt vor, man solle sofort in die Debatte etntreten, mit viertelstündiger Redezeit den 1 der Deckungsvorlage besprechen und dann sofort eine bstimmung, also die Entscheidung, hcrbctsühren. Gegen diese Anträge wehrt sich namens der Sozialdemokraten Herr Dittmann. Er meint, dass es nicht angängig sei, das Gesetz so kurz zu behandeln, und schlägt zunächst eine cinstündigc Bertagung vor. Als dieser Antrag zur Abstimmung gestellt wird, erhebt sich im Saale die Grosse Koalition von Brcitscheiü bis Dr. Scholz. In der Wandelhalle herrscht hierüber grosse Ueber- raschung. Was plant die Sozialdemokratie? Schon heisst eS, dass die Sozialdemokratie sich doch entschlossen habe, die Re gierung zu retten, aber etwas Genaues verlautet noch nicht. Inzwischen beraten die Fraktionen. ES heisst, die Sozial demokratie wolle sich bei der Abstimmung über Artikel 1 der Stimme enthalten. Dann wäre -um mindesten dieser Paragraph der Deckungsvorlage angenommen und der Reichstag gerettet. Vielerlei Gerüchte schwirren in der Wandelhalle durcheinander. Kurz nach 5 Uhr beginnt die Sitzung von neuem. Man hat sich inzwischen auf eine halbstündige Redezeit geeinigt. Abermals sind Saal und Tribüne br-^-nd voll. Als erster spricht für die sozialdemokratische Opposition der Abg. Keil. Seine Rebe ist eigentlich schon zum Fenster hinaus gehalten, ist nichts anderes als vorwcggenommene Wahlagitation mit einigen taktischen Schlichen. Die Sozialdemokratie will offenbar noch etwas Zeit ge winnen, um möglichst gute Neuwahlbedingungen für sich zu schaffen. Ganz besonders zornig ist die Sozialdemokratie an gesichts der vom Reichskanzler in Aussicht gestellten Anwen dung des 8 48. Diese gewundene Taktik der Sozialdemokratie ruft im ganzen Hause ungetrübte Heiterkeit hervor, die bann der Redner durch besonders unterstrichenes Pathos zu über schreit» versucht. Dagegen ist die Haltung der Dcutschnationalen Volköpartei würdig. Dr. Oberfohren erhebt sich von seinem Platz und begibt sich nicht einmal zur Redner tribüne und stellt in zwei Sätzen fest, dass sich für die deutsch- nationale NcichStagssraktion die Lage nicht geändert habe und dass deshalb die Mitverantwortung für diese DcckungS- Vorlage abgelchnt werben müsse. Als dritter Redner folgt Dr. Föhr für das Zentrum, der die Parteien des Reichstages beschwört, das Rctchskabinett nicht im Stiche zu lassen. Es schließen sich die übrigen Re gierungsparteien mit meist kurz gehaltenen Erklärungen an. Hier und da werden noch Bedenken angemeldet, doch will man die Negierung nicht im Stiche lassen. Hervorzuheben ist ledig- lich die Forderung der Wirtschaftspartei, dass alsbald der Reichstag aufgelöst werde» müsste. Die ablehnende Haltung, die die Demokraten gegenüber der Anwendung des Artikels 48 einnehmen, und das Ver langen der Chrtstlichnattonalen, unter allen Umstän- den bet einer Ablehnung der Deckungsvorlage im Reichstag die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten auSzufchöpsen. Kurz vor 7 Uhr abends ruft die Glocke zur Abstimmung. Der Artikel 1 findet eine Mehrheit, da sich die Sozialdemokraten, wie angckündigt, der Stimme enthielten. Das Schicksal der Deckungsvorlage ist dadurch keineswegs in positivem Sinne entschieden. Es ist lediglich Zeit gewonnen. Spätestens beim Artikel 8. der die Ledigensteuer enthält, müssen sich die Geister scheiben. Dann muss auch die Sozialdemokratie nach ihrer heutigen Erklärung ablehnen. So ist der Dienstag nur ein ««stakt für die Entscheidungen aewesen. Wau hat sich lediglich ein Vorhutgefecht geliefert. Erst beim Art. 8 wird es kritisch, und im Reichstag rechnet man nach wie vor damit, dass dann der Reichskanzler zu den angekündigten Massnahmen schreiten wird. (Sitzungsbericht sieh« Seit« k) Brüning verbände» mit der Sozialdemokratie Berlin, 16. Juli. (Eig. Drahtmeld.j Im Anschluß an die Neichstagssitzung empfing der Reichskanzler Vertreter der sozialdemokratischen NeichstagSsraktion, darunter den frühe ren Reichskanzler Müller und den Abg. Breitschetd. Offenbar hoffte der Reichskanzler angesichts der noch nicht gefallenen Entscheidung, mit den Sozialdemokrate« doch noch auf diese oder jene Weise ins Geschäft zu komme«. An diese Unterredung schloss sich eine Besprechung der Führer der hinter der Regierung stehenden Parteien. In dieser Besprechung handelt« es sich um die Anordnung für den wetteren Äerlauf der Debatte um die Deckungsvorlage. Die Regierungsparteien haben sich heute daraus geeinigt, im Plenum nun nicht mehr bas Wort zu ergreifen. Da die Sitzung um S Uhr nachmittags beginnt, können dann bereits gegen 8 Uhr die entscheidenden Ab stimmungen stattsinden. Für Mittwoch vormittag sind Verhandlungen der Partei führer in Anwesenheit der sozialdemokratischen VcrhandlungS- sührcr geplant. In parlamentarischen Kreisen wird angenommen, dass hier bei erörtert werden wird, ob und in welchem Umfange man den Sozialdemokraten Konzessionen dafür machen kann, dass sie der Regierung zu einer parlamentarischen Mehrheit verhelfen und ihr dadurch die Anwendung des Artikels 48 er- sparen. Auf die sozialdemokratische Reichstagsfraktion wird übrigens auch von preußischer Seit« her im Sinne eines Kompromisses eingewtrkt. Die Scklachtsteuer in Bayern abgele-nt München, 15. Juli. Der Bayrische Landtag lehnte heute mit 67 gegen 58 Stimmen die Schlachtsteuer ab, obwohl der Ministerpräsident Dr. Held und der Finanzminister Dr. Schmelzle sich lebhaft dafür eingesetzt hatten. Für den Entwurf stimmten nur die Bayrische Volkspartet und die Deutschnationalen. Die Zurückziehung »er Thüringer Schulgebete Weimar» 15. Juli. In unterrichteten Kreisen verlautet, dass die thüringischen Schulgebcte, die durch das Urteil des StaatsgertchtshofeS vom 11. Juli als verfassungswidrig er klärt wurden, dadurch aufgehoben werden sollen, dass im Amtsblatt des thüringischen Ministeriums das Urteil des Staatögerichtshofes mit seiner Begründung veröffentlicht wirb. Dies werde dann als Aufhebung des Erlasses gelten. Schwere Anruhen in Alexan-rien 14 Tot« nnd 888 Verwundet« London, 15. Juli. In Alexandrien sind mn Dienstag schwere Unruhen auSgebrochen, die noch andauern. Sie be- gannen am Morgen, als von den Nationalisten ein zwei- st'ündiger Generalstreik angckündigt wurde. Demon- strantcn zogen mit dem Rnf „Lang lebe Nahas-Paschal" durch die Strassen. Eine erregte Menge griff die Polizei mit Stein- würfen an und bemächtigte sich des Mahomet-Alt-Platzes tm Zentrum der Stadt. Sie wurde aber bald von der Polizei auseinandcrgetrteben. Die Europäer suchten in der Börse «ine Zuflucht. Die Menge stürzt« mehrere Kraftwagen um nnd setzte sie ln Brand. Die Polizei zog sich «ms das Dach des Gerichtsgebändes zurück und eröffnete von dort das Fener. Rach amtliche« Mitteilungen find bei den Unruhe« 14 Personen, darunter acht Europäer, getötet und 888 »er» «nndet worden. Die Anzahl der Schwerverletzte« ist gross. Unter den acht Europäern befinde« sich auch ein Italiener. Di« Börse von Alexandrien und zahlreiche Geschäfte waren ge» schlosse«. Ms weitere Tete in üausdors geborgen Reurode, 18. Juli. Bis DtenStag abend 11 Uhr gelang eS tm Kurtschacht, fünf weitere Tote zu bergen. Die Kom munisten entfalteten tm Laufe des Tagcö eine rege Werbe- tätigkeit durch Verteilung von Flugblättern, womit sie jedoch keinen Erfolg hatten. Versuche der Kommunisten, Versamm- lungen abzuhalten, wurden dadurch unterbunden, dass ihnen die SLl« hierfür verweigert wurde«. Harakiri »er Selbstverwaltung Alle aufrechten demokratischen Männerherzen sind sehr betrübt. An allen Ecken und Enden der deutschen Republik ist der Parlamentarismus am Ende seines Lateins. Ueberall suchen die Verantwortlichen nach Auswegen, die ohne Hilfe der Vertreter des Volkes den Regierungskarren aus dem Labyrinth der Finanz- und Steuernöte führen sollen. Krise des Weimarer Systems! Die Selbstverwaltung ist in Ge fahr. Nicht nur im Reich. In den Ländern, sogar in den Städten, den Gemeinden, den Urzcllcn der Demokratie, die noch vor kurzem das unantastbare Dogma unseres aufgeklär ten Jahrhunderts waren. Das schlimmste aber ist, dass dieses Dogma nicht durch den äusseren Druck einer faschistischen Opposition zugrunde geht, sondern zum Gram aller treu besorgten demokratischen Literaten an der Schwäche derer, die das Dogma zu vertreten hätten. Nämlich der Parlamen tarier, sei es im Reich, sei cs in den Ländern, sei es in den Städten. Ihr Agitationsbcdürfnis, ihre Unentschlossenheit, als cs noch Zeit zu großen Reformen war, ihre Aengste, wenn es gilt, jetzt sich zu .unpopulären Steuern zu bekennen, an denen sie schuld sind, kurz, ihre Flucht vor der Verant wortung, der sie doch nicht entgehen können, hat die Demo kratie verderbt und ausgehöhlt. Im Reiche droht der Dik taturartikel 48 als letzte verfassungsmässige Zuchtrute, die die Negierung über den sündigen Volksvertretern schwingt, die in ihrer Ratlosigkeit den Parlamentarismus so unheil voll diskreditiert haben. In dem klügsten aller demokrati schen Blätter, in der „Frankfurter Zeitung", befürchtet man ahnungsvoll, dass der NotauSgang des Artikels 48 einem Harakiri, einem Selbstmord der Demokratie, gleichkommt. „Es liegt nahe, zu vermuten, dass die Gegner des heutigen Staates eben diesen Präzedenzfall zu schaffen wünschten", damit dann, o schrecklicher Gedanke, einmal später eine Rechts regierung diesem üblen Beispiel eines mittclpartetlichen Ka binetts folgen könnte. Entsetzlich für alle Anhänger des Parlamentarismus. Deshalb, so beschwört die Frank furterin in dieser ernsten Stunde alle Parlamentarier, alle aufrechten Republikaner: durchdenkt diese furchtbaren Aus sichten! Hört auf mit dem Harakiri! Werdet wieder ver antwortlich! Seid stark! Bleibt Männer! Führt uns wieder! Schiebt selbst, anstatt euch durch den Dikaturartikel schieben zu lassen. Aber der Reichstag ist nicht der einzige Kummer der jenigen Demokraten, die sich sonst nur um die Sorgen anderer Leute zu kümmern pflegen. Die Wurzeln der parlamen tarischen Krankheit sitzen viel tiefer. Sie ziehen sogar die Urzellcn der parlamentarischen Selbstverwaltung, die Städte selbst, in Mitleidenschaft. Immer mehr Gemeinden werden «bekanntlich unter Zwangsetat gestellt, weil die Ge- mctndeparlamentarier, von einem sträflichen AgitationS- bedürfntS ergriffen, die städtischen Gelder verwirtschaften und für eine Deckung der Ausgaben nicht sorgen wollen. Das ist natürlich sehr peinlich für alle überzeugten Anhänger des parlamentarischen Systems. Nnd so sucht man denn tn souveräner Verachtung aller Tatsachen nach einem Sünden bock, und siche da, man findet ihn auch. Die Beratungs stelle für Anleihen ist schuld, jene Behörde, bet der die Gemeinden ihre Anleihen, namentlich die Ausländs anleihen, zur Prüfung vorlcgcn müssen. Sie tötet den Geist der Selbstverwaltung, sie ist verantwortlich für die vielen Zwangsetats und sie ist die Ursache für den Niedergang des Parlamentarismus. Düster prophezeit bas demokratische „Tagebuch", man werde es künftig einmal zu den finstersten Witzen -er Reichsgeschichte rechnen, dass das erste, ernste Attentat gegen bas demokratische Prinzip erst in -er Republik unternommen, ausgerechnet in der Republik erfolgreich durchgeführt werben konnte. Zu diesem Zwecke wird sogar der Geist des VorbcretterS der Befrei ungskriege, des ReichSfrciherrn vom Stein, zitiert, der aller dings den Städten das Selbstverwaltungsrecht gegeben hat, der aber schwerlich mit der organisierten Verant wortungslosigkeit einverstanden wäre, zu der man seine gesunde Idee der Selb st vermal- tung tm Zeitalter schrankenloser Demokratie degradiert hat. Und wer ist der Schuldige, wenn nicht die linken Stadtverorbnctenmchrheiten, die mit sinnlosen An trägen und einer planlosen Anlcihepolitik die Gemetnde- finanzen ruiniert haben. Schuld ist nach demokratischer An- sicht der längst abgetretene schwarze Mann Dr. Hjalmar Schacht, der frühere Reichsbankpräsident. Wie haben sich doch die Zetten geändert? Einst sang der Parteidtchter von ihm: „Wer hat die Renten,nark erdacht? Der Demokrat, der Dok- tor Schacht." Jetzt heißt eS, er hat üte Selbstverwaltung