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Zweites Blatt. WMü Pir MsW Erscheint wöchentlich zweimal u.zwarDienstags und Freitags. — Abonnementspreis vierteljährlich 1 Mk., durch die Post bezogen 1 Mk. 25 Pf. — Einzelne Nummern 10 Pf. Tharandt, Men, Sikbenlehn and die UmMildtN. Imtsblatt Inserate werden Mvntags und Donnerstags bis Mittags 12 Uhr angenommen. Jnsertionsvreis 10 Pf. pro dreigespaltene Corpuszeile. für die Ugl. Amtshauptmannschaft Meißen, für das Rgl. Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff, sowie für das Rgl. Forstrentamt zu Tharandt. No. 44. Freitag, den 2. Juni 1893. Der letzte Odenstein. Originalroman von Henrik Westerström. (Nachdruck verboten.) (Schluß.) Als er am Schlüsse derselben angelangt war, das letzte Wort: „ Jener Mann in der Ahnengruft zu Falkenhagen ist nicht Magnus Odenstein, sondern der Selbstmörder Richard Drummond!" mit feierlicher Stimme unr leuchtenden Augen gesprochen hatte, da erhob sich Blanka, trat einen Schritt von chm zurück und sah ihn traurig an. Ihr Gesicht war leichen blaß, ihre feinen Lippen bebten wie im Fieberfrost und nur müh sam rang sich die Frage los: „So war die Scene vorhin, welche mir das Herz fast brach nur eine Komödie? In ihrem maßlosen Männerhochmuth führten Sie eine Scene L In Grisel dis aus und vergaßen, wie Percival dafür bestraft wurde?" Magnus Odenstein war aufgesprungen und sah sie er schreckt an. „Blanka!" rief er flehend, „so kannst Du einen Mann nicht bestrafen, der durch die grausamste Bergangenheit alles Vertrauen zur Menschheit verloren hatte. Nicht der übermüthige Percival bin ich, sondern ein Doppelwesen, das es nicht ertragen konnte, als armer namenloser Kunstreiter verworfen, als Graf Magnus Odenstein aber erwählt zu werden. Mein Herz dürstet, nicht nach dem Erben meiner Väter, sondern nur nach echter selbstloser Liebe, und ich schwöre Dir, daß ich, von Dir ver worfen, mein Erbe nicht angetreten, sondern den Wanderstab wieder unter dem amerikanischen Namen hinausgesetzt hätte. War diese Feuerprobe Deiner Liebe nicht des Preises, den ich Dir biete, werth? Hat mein Vater nicht gleichsam durch sein Testa ment unsern Bund geheiligt? — Oder muß ich Alles hinwerfen, Namen, Stand und Besitz, um Dich festzuhalten, Dich mein zu nennen fürs Leben? Sprich Theuerste, ich opfere es mit Freuden, wenn Du es forderst, und werde wieder Zirkusreiter." Blanka konnte bei diesen Worten, welche Magnus mit feierlichem Ernste ausgesprochen, ein Lächeln nicht unterdrücken. Er sah es und zog die Widerstandslose an sein Herz, seine böse Griseldis, wie er sic zärtlich flüsternd nannte. Und sie fühlte, erbebend unter seinen Küssen, daß sie erst jetzt ohne Reue und Qual sich ihrem Glücke ganz hingeben dürfe. Dr. Vogel hatte sich längst mit dem vergessenen Sonnen schirme nach dem Gartenhause begeben und zwei Stunden mochten sicher, wie Graf Braunitz, nach seiner Uhr blickend, un geduldig erklärte, schon vergangen sein, bevor das junge Paar, Arm in Arm den Pavillon verließ. „O, böse Tante!" rief Blanka, das alte Fräulein mit beiden Armen umschlingend. „Du hast Alles gewußt und mir kein einziges Wort davon gesagt. Auch Sie, Graf Braunitz und Dr Vogel haben Komödie mit mir gespielt, und am Schlimm sten war Magnus, des mich sehr, sehr schlecht behandelt hat." „Ein grausamer Percival, der um ein Haar seine Grisel dis und damit sein Glück auf ewig verscherzt hätte", sprach Magnus erregt. „Sagte ichS Ihnen nicht im voraus, daß die Probe zu gefährlich sei?" bemerkte Tante Luisa, „man darf nicht zu viel von uns schwachen Menschenkindern verlangen. Das Band, welches uns mit einem edlen Geschlechte verknüpft, läßt sich nicht so leicht zerreißen —" „Und es zerriß leider dennoch, liebes Tantchen!" unterbrach Blanka sie mit schelmischem Lachen, „ich war entschlossen, den Kunstreiter zu heirathen." „Gott im Himmel, wie schrecklich das klingt," rief die alte Dame entsetzt aus. „Wenn das Dein Großpapa hören könnte, böses Kind!" Blanka reichte dem Geliebten die Hand; er zog sie lächelnd an sich. «Recht so," sagte Graf Braunitz, „wozu die albernen Phrasen, der alte General hört es ja nicht. Tantchen, und die Sache ist außerdem programmmäßig. Haben Sie überhaupt nicht begreifen können mit Ihrer schrullenhaften Romantik, Magnus! Feuer probe echte Liebe! Und der will sieben Jahre lang unter dem nüchternsten und praktischsten Volke der Erde gelebt haben. Das ist unfaßbar!" „Schelten Sie nicht so, unbarmherziger, lieber Graf!" bat Blanka mit dem reizendsten Lächeln von der Welt. „Ach was, ich hätte Sie ohne romantischen Unsinn ge- heirathet," brummte Graf Braunitz, „natürlich sind Sie, edles Fräulein, auch nur deshalb in Amerika gewesen, um den tollen Romantiker noch zu übertrumpfen, da ich mir die Geschichte von Percival und Griseldis ganz gut erklären kann. Werden Sie vernünftig, und halten Sie sich gegenseitig nicht für Engel, das ist mein Glückwunsch, der gut und ehrlich gemeint ist." „Davon sind wir Beide überzeugt," erwiderte darauf Mag nus, ihm die Hand schüttelnd, „Sie müssen aber auch Nachsicht üben, daß wir noch nicht die Erde wieder erreicht haben." „Dann will ich doch lieber den Vermittler zwischen Himmel und Erde spielen", sagte Braunitz trocken. „Herr Doktor!" wandte er sich an Vogel, „machen Sie sich noch heute bereit, den Grafen Magnus in sein Heim zu begleiten. Ich will die hiesigen Angelegenheiten ordnen, damit wir in vier Wochen Hochzeit feiern können, thun Sie das Ihrige dazu Graf Oden stein!" „Bravo," rief Magnus, erst Blanka stürmisch küssend und dann Braunitz umarmend. „Aber, liebe Kinder, wozu diese Eile?" fragte Tante Luisa. „Wer sieben Jahre in der Fremde gewesen ist, muß end lich seßhaft werden," sprach Braunitz, „und dazu gehört eine Hausfrau, welche so fest im Sattel sitzt, wie Fräulein Blanka von Erminger. Ja, ja", setzte er lautlachend hinzu, „Sie hätten mit Ihr sogar einen Cirkus errichten —" „Wollen Sie wohl gleich schweigen," schalt Tante Luisa ernstlich böse, „er selber lebt, Gott sei gelobt dafür, aber die häßliche Vergangenheit muß für immer begraben sein." „Tantchen hat recht", sagte Magnus, der alten Dame liebe voll in die Augen schauend, „die treue Freundin meiner Kind heit soll fortan in jedem Wort, in jeder Handlung ihren Mag nus Odenstein wieder erkennen." „Drum ein Pereat der Vergangenheit!" rief Graf Braunitz, „ein Vivat der Gegenwart und vor allen Dingen der Glück und Segen bringenden Zukunft!" Die gesetzliche Anerkennung des in" so wunderbarer Weise ins Leben zurkckgekehrten jungen Erben von Falkenhagen, sowie die Regulirung des mit Hypotheken übermäßig belasteten Be sitzthums ging unter Justizrath Horns Leitung glatt und rasch von statten. Magnus wollte dabei so viel wie möglich seine Verwandten geschont wissen, obgleich die Kanaillen, wie Horn sich unwillig ausdrückle, durchaus keine Schonung verdienten. „Sie räumen damit schweigend ein, daß Ihr damaliger Geisteszustand kein normaler gewesen ist", bemerkte er achsel zuckend. „Vielleicht war es auch so", versetzte Magnus ernst, „mindestens doch eine knabenhafte Tollheit, lieber Justizrath. Die Beiden hätten mich doch nicht ganz verschwinden lassen können." „Meinen Sie, Herr Graf? Nun, Sie machtens ihnen natürlich leichter, das Verschwinden nämlich, doch meinetwegen, wenn Sie nun einmal der Sündenbock sein wollen, ich habe Nichts dagegen. Möchte Sie aber denn doch warnen, sich in Zukunft recht normal zu halten, da die Wiederkehr einer solchen Krankheit stets für möglich gehalten wird." Magnus sah sehr nachdenklich aus. „Wissen Sie was, Herr Graf?" fuhr der Justizrath nach einer Weile fort, „lassen Sie die Welt glauben und folgern, was sie will, das Gericht, dem Sie die Beweggründe Ihrer damaligen Handlungsweise natürlich und und klar darlegen müssen —" „Ist das nöthig, Herr Justizrath?" „Natürlich ist es das, dem Gesetze sind Sie die volle Wahrheit schuldig. Und weigern Sie sich dessen, nun wohl, dann geschiehts von meiner Seite, und werden mich nicht daran hindern, Herr Graf, weil ich mich Ihrem seligen Vater für verpflichtet dazu halte. Was nun die Welt anbetrifft, so hüllen Sie sich gegenüber, wenn sie diesen Punkt berührt, in ein absolutes Schweigen. Man wird es endlich müde werden, Sie damit zu behelligen." „Diesen Rath werde ich befolgen", rief Magnus, erleichert aufathmend, und damit war die Sache abgethan, da das Gericht die seltsame Geschichte zu den Akten legte, ihn einfach als den Sohn seines Vaters und damit als den Erben von Falkenhagen anerkannte. Der feierliche Einzug in das Schloß seiner Väter wurde aus Dr. Vogels Betreiben bis nach der Hochzeit, welche in Wien stattfinden sollte, aufgeschoben, doch ließ es sich Magnus nicht nehmen, sämmtliche Zimmer in derselben Ausstattung wie zu seiner Eltern Zeiten wieder Herstellen und namentlich auch die Porträts seiner Eltern der Ahnengalerie einreihen zu lassen, wobei ihm der Schloßerwalter und vornehmlich sein alter treuer Winkel, der sich im Glück der Gegenwart wieder zu verjüngen schien, treulich halfen. Der Justizrath war nicht wenig empört, als er die Rech nungsbücher über Falkenhagen, welche Büttner ihm übergeben mußte, geprüft und dabei das Fazit gezogen, daß sich fast sämmtliche Hypotheken in d-S verstorbenen Rehfeldts Händen befanden. Die unerhörten Fälschungen und Räubereien des Rechtsanwalts, welche sich aus dem Ovittungöbuch des Frei herrn klar ergaben, versetzten den rechtschaffenen Notar in die hellste Wuth. Er, als einstiger Nechtsfreund und Geschäfts führer des verstorbenen Grafen Odenstein, kannte genau den damaligen Stand des fürstlichen Vermögens und entsetzte sich über die haarsträubende Verzettelung desselben. Er konnte es sich nicht verhehlen, daß nach diesem Ausweis Falkenhagen, so mit der rechtmäßige Sohn und Erbe, vor dem Bankerott stand. Er hatte dem Grafen Braunitz bei dessen Anwesenheit be reits einige heimliche Winke darüber gegeben und dieser ihm sofort Kapitalien zur Verfügung gestellt, welche er zur Tilgung der Hypotheken verwenden sollte. „Sie brauchen dem Grafen Magnus keine Mittheilung davon zu machen," setzte er nachlässig hinzu, „da ich, unver- mäblt und ohne Erben, Fräulein Blanka von Erminger wie meine Tochter liebe und jene Kapitalien als Heirathsgut für sie bestimme." Der Justizrath erklärte sich für sehr befriedigt, ließ aber doch Hern? Alois Büttner, als den jetzigen Vertreter der Firma Rehfeldt zu sich entbieten. Er hatte zu dem früheren Schau spieler, dessen Vergangenheit ihm allerdings, wie auch den andern Bewohnern ein Geheimniß war, eine Art Zuneigung gefaßt, und zwar nicht allein für seine Begleitung bei Krauses Begräbniß, sondern auch hauptsächlich für die Pietät, mit welcher er sofort das Grab des Unglücklichen in Ordnung und ihm einen Denkstein setzen ließ. Darin erkannte der Notar das Gemüth und absonderlich auch das Gerechtigkeitsgefühl des Mannes, der wenigstens im Tode die Sünde zu sühnen suchte, welche Rehfeldt und seine Schwester an dem Todten begangen. Daß er eine solche Frau heirathen wollte, — lieber Himmel, wen ging es etwas an, ist doch ein Jeder seines eigenen Glückes Schmied. Ihn hatten jene kleinen Charakterzüge des Herrn Büttner gefreut, und er schloß daraus, daß mit ihm auch in der Falken- hageuer Geschichte gut zu verhandeln sein werde. Herr Alois war plötzlich ein wichtiger Mann geworden, da ihn die Wittwe des so jäh. dahingeschiedenen Rehfeldt zum Vormund ihrer Kinder sich erbeten, während Justizrath Horn die Nachlaß- regulirung übernommen hatte. Die Todesart des Rechtsanwalts war nicht zu ermitteln gewesen, da weder ein Raubmord noch irgend eine darauf hin zuleitende Spur zu entdecken war; er erhielt ein glänzendes Be gräbniß, ein prächtiges Denkmal, womit auch das düstere Ge heimniß, welches seinen Tod umgab, für ewig begraben wurde. Derselbe Friedhof umschloß zwei Tode zur selben Zeit, welche sich im Leben grimmig gehaßt und von denen der eine wie der andere durch eigene Schuld und Sünde verdorben und gestorben war, durch Völlerei und Geldgier. „Ja, für ewige Zeiten war das Geheimniß jetzt begraben, da wenige Wochen später auch Ruffus Gräfenreuth seinen Wunden, und damit seinem Verhängniß erlegen war. Alois Büttner hatte mit einer wahren Todesangst, bevor das Gericht die Versiegelung vorgenommen hatte, nach der ver- hängnißvollen Testamentsabschrift gesucht, doch nur den Kittschen Brief gefunden. Er allein hatte eine Ahnung der Wahrheit, welche er ebenfalls in der tiefsten Tiefe seiner Brust verschloß. Er war mit seiner Braut übereingekommen, das Trauer jahr nicht abzuwarten, sondern sich schon nach zwei Monaten in aller Stille trauen zu lassen, was in Anbetracht der vor liegenden Verhältnisse auch weiter keinen Anstoß erregen konnte. Als der Justizrath ihm die Fälschungen des Rechtsanwalts klar nachgewiesen, und von gerichtlicher Untersuchung gesprochen hatte, welche für die Rehfeldtsche Familie verhängnißvoll werden mußte, da war Büttner sofort zu einer stillen Regulirung der Sache bereit, welche er in Horns rechtschaffene Hände ver trauensvoll legen durfte. Es blieb ja noch immer ein statt liches Vermögen für die Familie des Ungerechten übrig, das sie ohne Skrupel als ihr rechtmäßiges Eigenthum betrachten durften. Ruffus Gräfenreuths Tod, der an die Behörden der Stadt L. gemeldet wurde, brachte seinem Vater als einzigen Erben ein großes Vermögen ein. Er hatte das grausige Schicksal seines Sohnes nur aus den Zeitungen erfahren, da Niemand seinen Aufenthalt kannte und es auch vorgezogen, anstatt selber zu er scheinen, um sein Erbe in Empfang zu nehmen, an den Rechts anwalt Rehfeldt zu schreiben, von dessem Tode er also Nichts zu wissen schien. Büttner öffnete den Brief und brachte ihn dann dem Justizrath Horn, der mit großen Interesse und einem verächt liehen Lächeln von seinem Inhalt Kenntniß nahm. Der Freiherr von Gräfenreuth schrieb seinem Anwalt und Verbündeten, daß er sich mit der vielfachen Millionärin, Miß Kate Drummond vermählt habe, es aber jedenfalls unterlassen hätte, wenn sein Sohn Ruffus so großmüthig gewesen wäre, einige Wochen früher zu sterben. Er — Rehfeldt — möge