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holung des Hauptsatzes) walzer- und ländlerhafte Anklänge, ein Kärntner Volks lied scheint Berg inspiriert zu haben. Der Todeskampf im zweiten Satz (Allegro) wird durch eine erregte Kadenz des Soloinstruments mit Orchesterbegleitung dargestellt. Als eine der großartigsten Stellen empfinden wir — ähnlich dem Einsatz des BACH-Themas in der „Kunst der Fuge" — gegen Ende des zweiten Satzes, im Adagio, den Eintritt des Bachschen Sterbechorales „Es ist genug" (aus der Kantate „O Ewigkeit, du Donnerwort"), der dann völlig organisch in die Zwölftonstruktur eingefügt wird. Der Gefühisausdruck dieser Stelle ist einzig artig und weist mit Entschiedenheit auf die Neuartigkeit der Bergschen Ton sprache hin, die, „eine Verschmelzung von Klangfarbe und Harmonik", in „Ver geistigung die musikalischen Elemente neu zusammenfaßt" (Wörner). Der Bach- Choral setzt zuerst in der Solovioline ein (Berg unterlegte ihm die Worte: „Es ist genug, Herr, wenn es dir gefällt, so spann mich doch aus"). Darauf erscheint er — in der originalen Bachschen Harmonisierung! — in den Holzbläsern. Diesem Gesang zwischen Violine und Holzbläsern folgt eine hymnische Steigerung, die in einem erschütternden, leidenschaftlichen Orchesterausbruch gipfelt. Der Satz ausklang — kontrastierend zu dieser Erregung — wirkt verklärt. Anton Bruckners Sinfonien, insgesamt Höchstleistungen der Sinfonik des vergangenen Jahrhunderts, weisen eine ganz unverwechselbare Organik auf. Wohl kennen auch sie die vier Sätze der Beethovenschen Sinfonie, die thematisch motivische Arbeit. Aber Bruckner stellt nicht wie Beethoven dualistische Themen, etwa ein männliches und ein weibliches, gegenüber, sondern läßt seine Themen (oft drei in einem Satz) sich gleichsam aus dem Nichts entfalten zu zwingenden Melodiebögen, ja melodischen Blöcken (diese Entwicklung hält selbst in der Durchführung an). Weniger also dialektische Auseinandersetzung, sondern mehr thematisch-geistiges Wachstum zeigen diese Werke. Bruckners musikalisches Bauprinzip, das gewaltige Klangblöcke neben Episoden von innigstem Ausdruck setzt, wird meistens im letzten Satz gekrönt, wenn alle Themen der Sinfonie in großartig-hymnischer Schlußsteigerung wiederkehren. Bruckners Tonsprache atmet echt romantischen, klangschwelgerischen Geist. Die Melodienseligkeit der Volks musik seiner oberösterreichischen Heimat hat ihn oft genug inspiriert. Monumen tal, riesenhaft sind die äußeren Formen der Brucknerschen Sinfonien, die einmal „zyklopische Orgelimprovisationen" genannt wurden, doch niemals sind sie formlos. Ihre Gesetzmäßigkeiten erschließen sich nicht auf den ersten Blick, son dern erfordern vom Hörer intensive Aufmerksamkeit und Hörbereitschaft. Die am 22. November 1874 vollendete erste Gestalt der Sinfonie Nr. 4 Es-Dur, der Romantischen Sinfonie, wie Bruckner sie nannte, wurde bald vom Komponisten verworfen, der sich erst nach mehreren Umarbei tungen zufriedengab. Verhältnismäßig spät, im Februar 1881, gelangte das Werk durch die Wiener Philharmoniker unter Hans Richter zur Uraufführung. Heute gilt die „Vierte" als die populärste unter den Brucknerschen Sinfonien. Man hat sie auch nicht zu Unrecht als die „Sinfonie des deutschen Waldes" bezeichnet. Der Begriff des „Romantischen" verband sich in der Vorstellung Bruckners zwei fellos mit dem Mittelalter, denn er charakterisierte die Stimmung des ersten Satzes folgendermaßen: „Mittelalterliche Stadt — Morgendämmerung — von den Stadttürmen ertönen Morgenweckrufe — die Tore öffnen sich — auf stolzen Rossen sprengen die Ritter hinaus ins Freie — der Zauber des Waldes umfängt sie — Waldesrauschen — Vogelgesang — und so entwickelt sich das romantische Bild." Doch wäre es entschieden zu weit gegangen, wollte man diese auf eine Grund stimmung verweisenden Worte als ein konkretes Programm auslegen. über dem Es-Dur-Tremolo der Streicher erhebt sich ein Hornmotiv, mit dem die erste Themengruppe des ersten Satzes (Bewegt, nicht zu schnell) beginnt. Gesanglich ist das zweite Doppel-Thema, das einen Vogelruf, den Ruf der Wald meise, nachbildet. In der kunstvollen, hochpoetischen Durchführung wird außer einem dritten Thema noch ein feierliches Choralthema in die musikalische Ent wicklung einbezogen. Das große Es-Dur-Hauptthema bestimmt mit seiner gewal tigen, lichtvollen Wirkung die Coda. — Zu Beginn des zweiten Satzes (Andante quasi Allegretto) stimmen die Celli zur sordinierten Trauermarsch-Begleitung der Violinen und Bratschen einen seelenvollen, traurigen Gesang an. (Der Kom ponist sprach in diesem Zusammenhang von der „zurückgewiesenen Liebe eines verliebten Burschen".) Vor dem Eintritt des den Bratschen zugeteilten, an die Stimmung des ersten anknüpfenden zweiten Themas erscheint auch hier ein Choralsatz. Liedhaft, strophisch fast ist der Aufbau dieses Satzes. — Klassische Formgestalt hat das Scherzo (Bewegt), dessen Hauptteil von fröhlichem Hörner schall erfüllt ist. Rufen die Hornsignale zur Jagd, so bringen Flöte und Klari nette im Trio eine sich anmutig wiegende Ländlermelodie, die Bruckner „erläu tert" hat als „Tanzweise während der Mahlzeit zur Jagd". Der Scherzo-Hauptteil wird sodann wiederholt. — Sehr großflächig ist die Anlage des Finales (Bewea4| doch nicht zu schnell), das zunächst mit einer Einleitung beginnt, über nimm^| müdem Pochen der Streichbässe auf einem Ton lassen die Blechbläser schließlich nochmals das Scherzomotiv erschallen. Die in dieser Einleitung enthaltenen rhythmischen Anspielungen auf den ersten Satz lassen die Einheit des gesamten sinfonischen Zyklus spürbar werden. Selbst im gewaltigen Es-Dur-Hauptthema ist keimhaft das Urthema der ganzen Sinfonie enthalten, das Hauptthema des ersten Satzes, das bald in originaler Gestalt erscheint. Während das zweite Thema stimmungsmäßig aufhellt, beginnt das dritte Thema zunächst düster. Auch der kontrapunkt- und phantasiereichen Durchführung geht — wie dann der Coda — eine Einleitung voraus. Machtvoll, mit feierlichen Choralklängen und auf rüttelnden Trompetenrufen, verklingt der Satz in strahlendem Es-Dur. Dr. Dieter Hartwig VORANKÜNDIGUNGEN: 14. und 15. Februar 1969, jeweils 19.30 Uhr, Kongreßsaal Einführungsvorträge jeweils 18.30 Uhr, Dr. Dieter Härtwig 4. ZYKLUS-KONZERT Dirigent: Lothar Seyfarth Solistin: Heidi Rieß-Berthold, Leipzig, Alt Werke von Wagner-Regeny, Haydn, Monteverdi und Beethoven 28. Februar und I.März 1969, jeweils 19.30 Uhr, Kongreßsaa! Einführungsvorträge jeweils 18.30 Uhr, Dr. Dieter Härtwig 5. ZYKLUS-KONZERT Dirigent: Lothar Seyfarth Solistin: Eva Ander, Dresden, Klavier Werke von Beethoven, Reinhold und Ravel Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1968/69 — Chefdirigent: Kurt Masur Redaktion: Dr. Dieter Härtwig Druck: Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden, Zentrale Ausbildungsstätte 40159 III 9 5 1,3 169 ItG 009.10.69 (•Nlharnnoni 3. ZYKLUS-KONZERT 1968/69