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-A D- «rfcheüu jeden Wocheillag Abaids 6 uyr für den ^S55- ! > - 'm.. .. Dienstag, den 8. März. j des Zentrums hinweg einen moäus vivenüi zu schaffen, dann hat er gegen bas Zentrum, seinen ärgsten und 'tärksten Feind, einen Hauptstreich gethan, der bei den Reichstagswahlen nothwendig seine Wirkung üben müßte. Ich habe schon in früheren Jahren mehrfach darauf hin gewiesen, daß die Existenzbedingung für die Zentrums- Partei der Kulturkampf ist. Ohne Kulturkampf kein Zentrum! Wenn derselbe beendigt ist, unter welcher Fahne oll dann Windthorst seine jetzt so getreuen Mannen ühren? Unter der Fahne der bürgerlichen Freiheit? Das wäre kein präzises Programm, denn unter diesem Banner kämpfen angeblich sämmtliche parlamentarische Parteien. Oder unter der Fahne des Partikularismus? Damit würde das Zentrum sich bald genug um Ansehen ind Anhang bringen. Kurz und gut, es scheint unmög- ich, ein Programm zu finden, welches die jetzt im Zentrum vereinigten Elemente, hannöverische Welfen, westfälische, rheinische und schlesische glaubcnstreue Katholiken und > »attische klerikal partikularistische Konservative, auch nach > dem Äufhören des Kulturkampfs zusammenhält. Der Herfall der Partei ist unvermeidlich, wenn der Kultur- ampf zu Ende geht, wenn allerorts wieder Bischöfe oder wenigstens Bisthumsverweser eingesetzt sind und diese unter Erfüllung der gesetzlichen Anzcigepflichi für eine Besetzung der vakanten geistlichen Stellen Sorge tragen. Das wissen die Führer des Zentrums, Windthorst an der Spitze, natürlich ganz genau, und ihr Bestreben muß daher vor Allem dahin gehen, daß wenigstens noch in die nächste Wahlschlacht das Zentrum als geschlossene Phalanx einrückt. Das aber ist nur zu erreichen, wenn das Zentrum in seiner Opposition, insbesondere gegen die Stcuervor- lagen, beharrt. Denn jede Annährung der Führer an die Regierung würde eine Anzahl Mitglieder stutzig machen und zum Abfall treiben, wie ja auch die Koope ration des Zentrums mit der Regierung bei der Zoll gesetzgebung im Jahre 1879 schon zersetzend gewirkt hatte und nur die stramme Oppositionsstellung der Partei im vorjährigen Reichstage die alte Einheit wenigstens äußer lich wieder herstellte und die in dem Gebäude sich zeigen den Risse übertünchte. Soviel aber scheint gewiß, daß Alle diejenigen, die aus die Erhaltung der Zentrumspartei Werth legen, dringend wünschen, daß in der Nachscssion des preußischen Landtages, wenn eine solche zu Stande kommt, nicht wie im vorigen Jahre ein versöhnlicher kirchenpolitischer Gesetzentwurf vorgelcgt wird. Nicht minder wirkt aber Fürst Bismarck für die Wahlen im Reichstage selbst. Von den vier Sitzungen, welche der Reichstag in der abgelaufenen Woche hielt, wurden drei in seiner Gegenwart abgehalten. Merk würdiger Umschwung der Dinge! Früher ließ er sich nur ganz selten sehen, in der vorigen Session erschien er nur ein einziges Mal, und jetzt, scheint es, will er seinen Sitz im Reichstage gar nicht mehr kalt werden lassen. Wenn er aber anwesend ist, dann ergreift er auch das Wort, und wenn er spricht, dann erweitert er auch das Thema, das auf der Tagesordnung steht, ins Unendliche. Was aber die Hauptsache ist, er spricht selten, ohne Jemanden zu verletzen, aber nicht etwa mit seinen Nadelstichen, nein, Mit Keulenschlägen fährt er drein und wüthet auf eine Weise, day selbst feine Freunde entsetzt bei Seite treten, wen» er auf die Gegner einhaut. Wer aber seine Gegner sind, das weiß man aus seiner denkwürdigen Reoe vom 8. Mai 1880; es sind das Centrum, die Fort schrittspartei und die Freihändler, nach dem heutigen Sprachgebrauche also die Sezcssionisten. Auf das Cen trum loszuschlagen, hatte er noch keine Gelegenheit; umso mehr kühlte er sein Müthchen an den beiden anderen Parteien. Zunächst kam der arme Lasker an die Reihe, der so viele ' Jahre die Bismarck'sche Politik so eifrig und selbstlos unterstützt hat, ohne daß es ihm gelungen wäre, die Ab neigung des Fürsten gegen seine Person zu überwinden. Der Angriff wurde geradezu vom Zaune gebrochen. Die ! Fortschrittspartei hatte den ganz harmlosen Antrag ge- , stellt, es möchte die Wahlprüfungskommission beauftragt , werden, über die bei den Reichstagswahlen am häufigsten vorkommenden Verstöße gegen das Wahlrcglemcnt Bericht zu erstatten, damit man Gelegenheit erhalte, noch vor den nächsten Wahlen das Wahlreglemcnt zu verbessern. Der Antrag hätte an sich kaum eine Debatte erregt, denn keine Partei des Hauses hatte Veranlassung, ihm entgegenzu- treten. Da war der Antragsteller vr. Mendel so unvor- ! sichtig, in seiner Begründungsrede auch von den. namcnt- , - Inserate «ormittag»l1 Uhr angenom. mm und beträgt der Wei» Pir die gespaltene Zeil« oder deren Raum 1b Pfennige. Srirfe vom Reichstage, m. dl. Berlin, 6. März. Mit einer gewissen Hartnäckigkeit erhält sich das Ge rücht, es werde demnächst zur Auflösung des Reichstags geschritten werden. Der Reichskanzler wird — so be haupten die Leute, die das Gras wachsen hören — die erste Abstimmung, die gegen ihn ausfällt, abwarten, uni beim Bundesrathe die Auflösung zu beantragen. Nur darüber ist man noch nicht einig, ob diese entscheidende Abstimmung die Ablebnung der Gesetzvorlage über die zweijährigen Etatsperiooen oder die Verwerfung der Brau- steuervorlllge sein wird. Im glücklichsten Falle prophezeit man dem Reichstage eine Lebensdauer bis Ostern. So heiß wird aber denn doch wohl die Suppe nicht gegessen werden, als sie von gewissen Leuten eingebrockt . wird. Einmal ist an einen Schluß der Session nicht zu denken, bevor der Etat festgestellt ist, und bis dahin werden etwa noch vier Wochen vergehen. Sodann aber dürste die Session wohl kaum anders als im gewöhnlichen Wege der Schließung ihr Ende erreichen. Eine Auflösung etwa um Ostern würde ja zur nothwendigcn Folge haben, daß der neugewählte Reichstag im Juli einberufen werden müßte, und nach einer Session im heißen Sommer wird weder der Reichskanzler noch irgend ein Anderer besondere Sehnsucht empfinden. Auf keinen Fall würde man doch an maßgebender Stelle den Wiederzusammentritt des Reichs tags vor Oktober d. I. wünschen. Wenn dem aber so ist, so hat cs doch wahrhaftig keinen Sinn, den Reichstag, von dem man ganz genau weiß, daß er nur noch bis zum 30. Juli zu leben hat, und dessen Erbschaft man nicht vor dem Herbst antrcten will, schon jetzt gewaltsam um's Leben zu bringen. Andererseits fehlt es aber nicht an Anzeichen, welche darauf hindeuten, daß die Auflösungspropheten wenigstens zur Hälfte Recht haben, daß die Session in der That eine kurze sein wird. Einmal ist das Gefühl, daß in dieser Session des Reichstags nichts zu Stande kommt, daß insbesondere von den sämmtlichen Steuervorlagen höchstens die kleine Börsensteucr zur Annahme gelangt, allgemein verbreitet. Mit der Börsensteucr aber, deren Ertrag auf etwa 6 — 8 Millionen jährlich geschätzt wird, wird es auch der Reichskanzler jedenfalls nicht allzu eilig haben. Daß aber im Falle des Scheiterns der Steuer gesetze dem Fürsten Bismarck auch an der Erledigung der sozialpolitischen Gesche nichts liegt, weil er darauf Werth legen muß, für die Wahlen auch außer den neuen Steuern etwas in der Hand zu behalten, habe ich schon in meinem ersten Briefe auseinandergcsctzt. Sodann hat aber auch das von einigen Preßorganen verbreite Gerücht, daß nach Ostern der preußische Landtag wieder zusammen- berusen werden soll, trotz ocs Dementis der „Post" viel Wahrscheinliches, wenigstens spricht die fieberhafte Thätig- keit, mit welcher jetzt die Grundzügc zu einem neuen Ein kommensteuergesetze ausgearbcitet und den Provinzial regierungen zur Begutachtung vorgelcgt worden sind, für die Annahme, daß man womöglich noch vor den Reichs- tagswahlen die preußische Steuerreform soweit sertigstellcu WM, daß zu ihrer Ausführung weiter nichts fehlt als eins, allerdings das Beste: das Geld. Daß durch das Scheitern des Zuständigkeitsgesetzes in der letzten La»d- tagssession Lücken in der preußischen Verwaltungsgesetz- gcbung fühlbar werden müssen, kommt jedenfalls nur nebenbei in Bettacht. Denn oa ein Minister des Innern, der zur Handhabung der Gesetze berusen wäre, gegen wärtig in Preußen nicht existirt, so dürfte dieser Ange legenheit kaum von irgend Jemand eine besondere Auf merksamkeit zugewendet worden sein. Im Nebligen rüstet sich schon Alles zu den Wahlen und nicht der Letzte, der seine Vorbereitungen trifft, is der Reichskanzler selbst. Zunächst scheint es, als ob ein wuchtiger Schlag gegen das Zentrum versucht würde, indem über die Köpfe des letzteren hinweg im Stillen neue Verhandlungen mit Rom angeknüpft werden, die auch nicht ohne Erfolg geblieben wären. Wenigstens ist nich anzunehmen, daß die Domkapitel zu Osnabrück und Paderborn so ganz zufällig zu gleicher Zeit sich getrieben gefühlt hätten, Bisthumsverweser zu ernennen und der Rcgiernng zu präsentiren. Gelingt es aber dem Fürsten Reichskanzler, mit der römischen Kurie über die Köpfe ; —^7-75 - lich in Preußen so häufig vorkommenden BeeinMsDiar von Wahlen durch BerwaltungSbeamte und von der^ lichkeit zu frechen, solche für die Zukunft durch sprechende Bestimmungen im Wahlrealentent auszup Damit hatte er in ein Wespennest gestochen. ort sprang Bismarck auf, um einmal kündzuthun, daß' er persönlich solche Beeinflussungen durch Berwaltungsbearpte, aber noch weniger durch richterliche Beamte, nicht ' , und zugleich einen besonders haarsträubenden Fall äner Wahlbeeinfluffung zu erzählen der jedoch nicht in Preßen spielte und in welchem es sich auch nicht um die Wahl eines konservativen Kandidaten handelte. Ein Kandidat hatte bei dem Landrath des Kreises nickt nur gewol nt, sondern der Landrath hatte auch den Kanoidaten m seiner ngenen Equipage im Wahlkreise herumgcfahren und zu den Wahlversammlungen begleitet. Wenn auch in den letzteren der Landrath nicht öffentlich für den Kandidaten ausgetreten war, so hatte doch, nach des Reichskanzfers Ansicht, schon seine Anwesenheit einen Druck auf die Wähler auSgeübt. Jedermann wußte, daß der betreffende Kandidat der Abgeordnete Lasker war und der Larwrath der Abg. Baumbach, Landrath des sachsen-meiningen'schen Kreises Sonneberg. Natürlich nicht der Umstand, daß des Fürsten eigener Sohn der Gegenkandidat Laskers ge wesen war, sondern der Abscheu des Reichskanzlers gegen solche unerhörte Agitationen hatte Letzteren veranlaßt, sich sofort, nachdem ihm der Fall bekannt geworden war, an die herzoglich sachsen-meiningen'schc Regierung und, als diese ihm eröffnet hatte, daß sic in der Sache nichts thun könne, an den Herzog selbst beschwerend zu wenden, an scheinend ebenfalls ohne Erfolg, denn Herr Baumbach ist noch heute Landrath des Kreises Sonneberg. Hätte Fürst Bismarck von dcn Wahlbccinflussungcn, welche sich preu ßische Landräthe erlaubt haben und die in den Berichten der Wahlprüfungskommission ausführlich auseinandergesetzt sind, Kenntniß erhalten, so würde er wahrscheinlich m derselben Weise emgeschritten sein- Aber mein Gott, wer hat denn Zeit und Geduld, alles das zu lesen, was während eines Reichstags gedruckt wird, namentlich wenn man ein so vielbeschäftigter Beamter ist wie der Reichs kanzler! Daß bei derselben Gelegenheit Fürst Bismarck auch Veranlassung nahm, die Richter zu verdächtigen, daß sie Entscheidungen nach politischen Parteirücksichten sällten, und diese Behauptung erhärtete mit Erfahrungen, hie er selbst in seinen vielen Beleidigungs- und Verleumdungs- Prozessen gemacht haben will, mag nur nebenher erwähnt sein, ist aber charakteristisch für die Art und Weise, wie der Reichskanzler sucht, auch diejenigen, die vielleicht ein mal einen Prozeß verloren haben und natürlich nicht ihrer ungerechten Sache, sondern der Parteilichkeit der Richter die Schuld zu geben geneigt sind, für die Wahlen auf seine Seite zu ziehen. Noch ärger ging cs in der Freitagssitzung' her- Nach dem eine Anzahl minder erhebliche Gesetzentwürfe in erster Lesung abaethan war, kam an die Reihe der Gesetzentwurf über die Besteuerung der Dienstwohnungen von Reichs beamten. Dieser Entwurf, welcher bestimmt, daß in den jenigen Gemeinden, welche eine Micthsteuer erheben, die Dienstwohnungen von Reichsbeamten nur mit einem auf 10 Prozent des Diensteinkommens zu bemessenden Mich io erthe zur Steuer herangezogen werden dürfen, war schon in der vorige» Session vorgeleat, aber, nachdem man ihn in erster Lesung von mehreren Seiten einer abfälligen Kritik unterzogen hatte, liegen gelassen worden. Er ist jetzt aufs Neue vorgelegt und Fürst Bismarck unternahm cs in eigener Person, m einer nahezu einstündigen Rede die Vorlage zu rechtfertigen. Aber in welcher Weise ge- schah das? Zunächst kam eine heftige Philippika gegen die Micthsteuer, deren Last nach unten wachse, dann, ein lebhafter Angriff auf die ganze Berliner Finanzverwal tung, die er der Unfähigkeit beschuldigte, und schließlich ' eine Verdächtigung der Einschätzungskommissionen, von welchen der Fürst glaubte, daß sie die Wohnungen nach politischen Parteirücksichten schätzten. Er bestand nicht . auf den vorgeschlagenen 10 Prozent des Diensteinkommens, er wollte auch auf 20 eingehen, aber er wollte einen festen Satz des Gehalts, um sich mit den Einschätzungskommis sionen für immer auseinandcrzusetzen. Namentlich die Verdächtigung der Bürger, welche sich unentgeldlich der undankbaren Aufgabe unterziehen, ihre Mitbürger zur Steuer einzuschätzen, berührte die Anwesenden ungemein peinlich. Aber Fürst Bismarck kann cs der Stadt Berlin M- Tag MM. tzMMatt für die königliche» mH WMa Behörde« zu DMvtz Md Brand Beranttvortlicher Redakteur Anlin» Brau» in Freiberg. 3S.