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Anzeiger AmMM dki Kimgl. Bkzirk-gmchK und dtö RW dn Stadt SchM. W SSL. Mittwoch den 28. November. 1886. Bekanntmachung. Der hiesige Bürger Herr Friedrich Wilhelm Schumann ist heute von unS als Agent der Feuerversicherungs-Anstalt der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank zu München für den Bezirk der Stadt Leipzig, rmt Ausschluß der Dresdner Straße, Kurzen Gaffe, Autonstraße, deS Gerichts- und TäubchenwegeS, der Salomon-, Jnselstraße, Blumengaffe, Langen-, Kreuz- und Egelfiraße und des Marienplatzes bis auf Widerruf bestätigt und vorschriftsgemäß verpflichtet worden, wogegen Herr Johann Heinrich Hermann Taeger diese bisher innegehabte Agentur niedergelegt hat. Leipzig, am 22. November 1866. Der Rath der Stadt Leipzig. vr. E. Stephani. G. Mechler. Sitzung der Stadtverordneten. Zur heutigen Tagesordnung tritt noch hinzu: Gutachten des Verfaffungs- und EinquartierungSauSschusseS über Militairlerstungen und Masseneinquartierung. Stadltheater. Wir erzählten unseren Lesern bereits die Entstehungsgeschichte des Münchner PreiSstückeS: „Die Amnestie" (von'?Ä May) und gedachten dabei deS besondern Grundes, warum dasselbe dem Publicum der bayerischen Hauptstadt gerade interessant und be- ziehnngSreich erschienen sein müsse. Heute nun haben wir auch auS unserem Leipzig selbst, wo also jene Ursachen nicht mit wirken konnten, den sehr freundlichen, ja durchschlagenden Bühnenerfolg deS in Rede stehenden Schauspiels zu reglstriren. Verhielt sich das ganz leidlich besetzte Haus anfangs still v.nd zuwartend, so fanden wir dies gegenüber einem wohl so ziemlich durchweg noch unbekannten Autor nur natürlich; nachdem aber für ihn daS eigene Werk beredsam und eindringlich genug plaidirt hatte, da gab daS gesammte Auditorium mit offenbarem Vergnügen und in wirklich erwärmter Stimmung ein Uriheil über ihn und sein Product ab, welches unS zu der Annahme berechtigt, letztere- werde in öfteren Wiederholungen steigende Anziehungskraft bewähren. „Die Amnestie" ist ein Fammengemälde auS den höheren Ständen mtt politischem Hintergrund, doch sorgte der Verfasser tactvoll dafür, daß die der Handlung zur Basis dienende StaatS- action sich bescheiden immer noch dem Rahmen de- Genrebildes einordne und nicht allzu „historische" Dimensionen annehme, sowie daß die treibenden Motive vorwiegend gemüthlicher Art sind und so das Ganze unS menschlich interesstrt und ergreift. Die Gesinnung und Lebensanschauung deS Autors ist eine würdige und tüchtige: Der Sieg gehört dem Guten und Edlen, den Männern von Ehre und Gewissen, dem die wahre Kraft de- Lande- und dessen gei stiges, wie sittliches Sein und Können repräsentirenden, arbeitsamen und gebildeten, aufgeklärten und vorurtheilSfreien Bürgerthum. Der scenische Aufbau ist ein geschickter, eS stört fast keine Länge und der Schluß naht, kaum daß wir es schon dachten. Einige schwache Stellen in der Entwirrung des recht glaubhaft und gewandt verschlungenen FadenS laufen freilich mit unter; z B. will unS die Sache mit dem Secretair und seinem geheimen Fach, so wie mit den nicht sofort beseitigten Documevten doch nicht so ganz scheinen; auch das Verlassen des Archivs von Setten der Ministerin, während der Präsident darin zurückbleibt, kommt unS nicht so ohne Weiteres denkbar vor. Indessen — diese einzelnen Mängel können unS nicht gegen das Ganze einnehmen und sie betreffen ja auch nur das äußere Gerippe der Handlung, nicht die nähere Ausführung, die fließende Dialogisirung, die wirksame Situationszeichnung und die lebenswahre, in mehreren Haupt figuren wirklich liebenswürdige und ethisch wie ästhetisch wohl- thueude Charakteristik. Viellncht bringen wir noch einen zweiten Bericht über daS Stück, für heute nur noch soviel: die Aufnahme, welche eS fand, hat wieder einmal gezeigt, wohin der Zug unserer Jett geht hinsichtlich der Geschmacksrichtung sim Theater. DaS Zublicum verschmäht es, den Poeten in die Regionen phantastischer träume und in hyperideale Gedankevgebiete zu folge», es will sich nicht in graucS Alterthum zurückversenken und auch nicht den Fvß i» ferne überseeische unbekannte Länder setzen. Die Handlung soll in der Heimath selber spielen, man will daraus den PulS- jchlag der Gegenwart vernehmen, die eigenen Freuden und Leiden sind eS, welche das Volk dichterisch geschildert wünscht. Und wer möchte behaupten, daß dieser Trieb der Nation ein verwerflicher und unberechtigter sei? Wir thun eS nicht, wir sagen offen und frei: WaS ist unS Hekuba? und meinen, dabei sei mcht daS min deste Despectirliche! Wenn ein günstiges Geschick der darbenden Schaubühne nur mehr der „Amnestie" ähnliche Producte bescheeren wollte! Sie ist ein „Griff ins volle Menschenleben" und bewahr heitet von Neuem den Goelhe'schen Spruch: „wo ihr'S auch packt, da ist es interessant!" Wenn die Goethe und Schiller unS fehlen, so soll unS kaute äe wieur auch solch modernisirter Iffland in oesserem Sinne, mit der höheren Bildung unserer Zeit in Inhalt und Form und frei von der Sentimentalität und TugendseUgkeit deS Alten, herzlich willkommen sein! Der Darstellung deS May'scheu Stücks gebührt fast durchgängig besondere Anerkennung. Im Besitz der dankbarsten Rolle war Herr Hock (Tischlermeister Lauter) und man muß gestehen, daß derselbe sich auch nicht ein Titelchen von der freundlichen Wirkung seiner Partie verloren gehen ließ; er spielte ungemein effektvoll und doch ohne jede Uebertreibung, voller Humor, Biederkeit und Wärme. Vortrefflich waren ferner die Herren Stürmer und Deutschinger (Minister und Präsident). Elfterer ein Edel- und Ehrenmann jeder Zoll , Letzterer der geschmeidige, aalglatte Höfling, ein schurkischer Intriguant mit den feinen Manieren und Formen eines alten Galanthomme. Die gewinnende Episode de- milttairisch derben, wackern Generals kam durch Herrn Gilt nicht minder zur vollen Geltung, die Herren Herzfeld (Friedrich Lauter) und Claar (Graf Heimburg) befriedigten, nur Herr Link (Herzog Emil) war nicht, was er sollte. ES thut unS leid, von dem so fleißigen und stet- sorgfältigen Darsteller dies sagen zu müssen, aber: ultra xos8e etc. Derlei RepräfentationS- rollen sind nicht seine Sache und speciell für jenen eben erst voll jährig werdenden Fürsten ist er auch schon zu alt. Tin Tausch zwischen ihm und Herrn Claar wäre vielleicht ersprießlich gewesen. So vrel von dem männlichen Personal. WaS die Damen an langt, so gebührt der Frau Plittersdorf unser ganzes Lob für die diScrete und tactvolle, formell tadellose und innerlich durch empfundene Wiedergabe der klippenreichen Partie der Ministerin. Die Erscheinung war wieder wahrhaft adelig und eine schwarze Garderobe am Schluß rief daS bewundernde Erstaunen deS ganzen weiblichen Auditoriums hervor. Dagegen gehalten, trug sich Fräu lein Götz alS MinisterStochter etwa- zu einfach bürgerlich. Im Spiel bot Letztere, angemessen ihrer Rolle, wieder eine recht ver ständige und von Nachahmungstalent zeugende Copie der Hedwig Raabe. Zwar klingt Viele- gemacht und matt, und dem Ganzen fehlt der hinreißende Schwung, indessen eS wäre unbillig, von Fräulein Götz mehr verlangen zu wollen. Wir würden sogar die Heranziehung jener genialen Künstlerin nicht für paffend erachten, brächten die Imitation-Versuche unsrer Darstellerin fie unS nicht selber vor da- innere Auge. vr. Emil Kneschke. I» I 74 ä K