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WWMWWWWWWW Wr. »»8 - L«. Jahrgang Freitag der, «. Oktober IV1L § »scheint «Sgli« na«m. m» «uSnahuie der Sonn- und Festtag», «»-gäbe 4 m>« .Die Zeit in Wort und Bild' dierteljShrlich 2 IO 4« In Dresden durch Bote» 2,10 4t In ganz Deutschland frei Haus 2 K2 4k', in Oesterreich 4,4!» K. M»»«ab« » ohne illustrierte Beilage vierteljLdrlich I.dtN 4k, K, Dresden durch Boten 2,10 4k, In ganz Deutschland frei Haus 2,22 4k; tn Oesterreich 4,U7 L. — Linzel-Br, IO Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit Inserat« werden die »gespaltene Pettlzeile oder deren Raum mtl Ik 4, Reklamen mit 1,0 - die Zeile berechnet, bet Wiederholungen entsprechende» Rabatt, «uchdrni»errt, Redaktion nnd VeschnstSftelle, TreSden, Pilluttzrr Strafte 4!t. — Fernsprecher IllOO AUrRitlkgabe nnverlang«. Schrtststiiike keine lverbtudltchketl, RedaktionS SPrechslunde: II bis 12 Uhr, Paul lleinre Zperial-kekfvarell- uni! Mtren-kesclM Rinxstr. 26 vi-osclen -rX. unrvvit Uclce ViktorissIkLüs. llspsrLturen. Kerii8prLL>ii:r 5Y7Y. ßvgomibor cl. I.nncl 8>!incl>8clisn kllnk. ttsusnkerllgungen. Uern8prc:cli0s 5979, Konsumenten» wehrt euch! Von hochachtbarer Seite geht uns folgender Artikel zn: Alle Welt schreit über dos Notjahr; nlle Welt rnst: Grenzen auf und derweil steigen die Preise für viele Lebens mittel in einer ganz nnerhörten Weise, für die es keine Begründung gibt, nnd die den Konsumenten nur empören soll gegen den deutschen Bauer, der an dieser Preissteige rung gar nicht schuldig ist nnd der auch nicht den Nutzen da von hat. Das ganze Geschrei, das zur Teuerung führen mußte, beruht ans politischen Gründen. Angesichts der be vorstehenden Neichstagswahl sucht man durch künstliches Hinanfpeitschen der Preise die Konsumenten gegen das Schutzzollsystem ansznbrinoen und sie ins liberale und rote Lager zu führen; darum lärmen auch die farblosen Blätter am lautesten. Ist denn lOll ein Notjahr für unseren Bauernstand? Mil nichten; das ist eine ganz unbegründete tlebertrcibnng, die auch ans politische» Motiven entstanden ist. Nachrich ten aus allen Teilen des Neiches bestätigen dieses; so lesen wir eben über eine Versammlung in Soest: „Sowohl der erste Vorsitzende, Landesökoiiomierat Schulze-Henne, als auch der Geschäftsführer Oekonomierat Schultz betonen, das; lrotz der anhaltenden Dürre die Ernte des Kreises Soest in diesem Jahre eine weit über das Mittelmaß hinaus gehende, ja sogar gute Ernte sei, die sowohl in Dualität als auch in Quantität die Erwartungen bei weitem überträfe. Neben gutem Brot- und Viehkorn sei das Stroh von solch guter Beschaffenheit, daß es als gutes Viehfntter zu be werten und zu verwenden sei. Von Fntternot und -Mangel könne der Landwirt im .Kreise Soest nicht sprechen. Beide Nedner warnten deshalb vor unbedachten Beschränkungen in den Viehställen," Man könnte recht viele Gegenden nen nen, wo cs ähnlich steht nnd noch besser. Wenn auch .Kar toffeln nnd Rüben etwas versagt haben, so ist dies nicht in allen deutschen Gegenden der Fall. Die Maul- und Klauen- senclw hat mehr geschadet, als die ganze Dürre. So lange aber die gesamte Presse über das Notjahr jammert, so lange werden alle Artikel anfschlagen und der Bauer hat nichts davon. Auch darüber einige Beispiele. Einem Landwirte ans der Insel Rügen ist für Lämmer nnd sogenannte Fleisch jährlinge ein Preis von 24 Pfennig für das Pfund geboten worden. In Berlin ist das Hammelfleisch nicht unter 1 Mk. für das Pfund zu haben. Nach den öffentlichen Markt berichten beträgt der Preis für Hamiuelsleisch rund 05 Pfen nig. Man braucht bloß diese Fleischpreise mit den oben mitgeteilten Preisen für das Vieh zn vergleichen, um zn sehen, wer die Schuld an der Preishöhe trägt. Auch zn den ungewöhnlich hohen .Kartoffelpreisen, die von den städti schen Hausfrauen gezahlt werden müssen, liegt kein Anlaß vor. Tie Preise für Kartoffeln im Großhandel sinken; von den Händlern werden, wie die „Verl. Polit. Nachr." her vorheben, im Großhandel nur 1,80 bis 2,20 Mark für den Zentner gezahlt, während im Berliner Kleinhandel für den Zentner 7 bis 8 Mark verlangt werden. Einem freisinni gen Blatte, der „Voss, Zeitg", ist zn entnehmen, daß der durchschnittliche Preis für Rindfleisch an den 60 Haupt- marktorten in der ersten Hälfte des September genau so hoch war wie in der zweiten Hälfte des August, nämlich 85 Pfennig für ein halbes Kilo. TaS Hammelfleisch ist im Durchschnitte aller Orte von 01,!> Pfennig ans 0l,0 Pfennig gesunken. Eine Steigerung der Durchschnittspreise ist bei Kalbfleisch nnd Schweinefleisch eingetreten, übrigens nur bei letzterem in nennenswertem Maße, nämlich annähernd um einen halben Pfennig ans das Pfund, Eine Zusammen stellung über die gegenwärtigen Preise und die gleichzeiti gen vorjährigen Preise, die sich in der „Voss. Zeitg," findet, kann gleichfalls dazu dienen, die vielfach weit übertriebenen Vorstellungen über die Steigerung der Fleischpreise ans das richtige Maß znrückznsühren. Ein Vergleich mit den Preisen in der ersten Hälfte des September 1010 ergibt nach Angabe der „Voss, fteitg.", daß die Preise nur für Rind fleisch und Hammelsleisch gestiegen sind, bei ersterem um Pfennig, bei Hammelfleisch um 4sch Pfennig für daS Pfund, dagegen haben sich billiger gestellt Kalbfleisch um etwa Pfennig, Schinken beim Verkauf im Ausschnitt um rund 1 Pfennig, Schweinefleisch um 7sch Pfennig nnd Speck um über 0 Pfennig für das Pfund. Auch solche Zahlen wirken ernüchternd, Tie Konsumenten müssen dem Lärme der Freihändler entgegentreten, denn wenn sie dies nicht tun, wird alles noch teurer. Solvent eine Anspannung der Prelle infolge der Dürre hier und da begründet ist, müssen der Staat nnd die Gemeinden eintreten; aber der Schutzzoll ist nicht die Ursache. Wir hätten in diesem Somm-n- keinen einzigen Tropfen mehr Regen erhalten, wenn wir Freihandel ge habt hätten. Die Konsumenten müssen sich wehren gegen die unbegründete Einführung der Preise und da muß die Gemeindeverwaltung mittun. Diese erfüllt ibre Pflicht nicht, wenn sie nur Vom Reichstage fordert: Grenzen ans! Das ist heute ein internationaler Ruf, der schon darum keine Wirkung haben laim. Die großen Ansammlungen der Menschen in den Riesenstädten erfordern besondere Einrich tungen für die Versorgung mit Lebensmitteln und daran haben es die in Deutschland nahezu überall herrschenden liberalen Stadtverwaltungen fehlen lassen. Diese mögen nun zeigen, was sie Positives leisten können nnd nicht nur daß sse Resolutionen annehmen, damit andere Helsen sollen. Der italienisch-türkische Krieg. Dresden, den 5, Oktober l9tt Am Dienstag um 3'/z Uhr begann die B'lchießung der Hauptbatterien, die bis Sonnenuntergang fortgesetzt wurde. Die türkischen Batterien erwiderten daS Feuer, ohne Wirkung zu erzielen. Die Schüsse winden tn langen Zwischenräumen abgegeben, als ob der Admiral gleich twch de» ersten Schüssen die Hoffnung auf Erscheinen einer Weißen Fahne als Zeichen der Uebergabe e:w niete. Die Schiffe schossen aus weiter Entfernung von der Küste und schonten Wohnhäuser nnd Menschen. Aus Tripolis wird nach Konstantinopel gemeldet, daß das als Kügenschiff dienende türkische Kanonenboot „Sela di Doria" von seiner Besatzung versenkt worden ist, damit es den Italienern nicht in die Hände falle. * * * Rom, 4. Oktober. Der „Agenzia Stefani" wird ge meldet. daß zwischen den Häsen von Massaua und Assab ein türkisches Kanonenboot gegen den italienischen Dampfer „Amerigo Vespucci" einige Schüsse abgegeben habe, ohne jedoch eine Wirkung zn erzielen. Konstantinopel, 4. Oktober. Der russische Bot schafter hatte heute nachmittag eine Besprechung mit dem Großwesir, dem er die Antwort Rußlands auf den Appell an die Mächte mitteilte. Nunmehr sind die Antworten aller Mächte eingetroffen. Im Ministerium des Aus wärtigen verlautet, daß sie darin gipfeln, daß im jetzigen Augenblicke jede Vermittelung ausgeschlossen sei. zumal Italien sich hartnäckig weigere, auf eine Vermittelung vor der Okkupation von Tripolis einzugehen. Konstantinopel, 4. Oktober. Die Schiffahrtbkammer übermittelte den diplomatischen Missionen einen Protest gegen die von der Türkei verfügte Löschung der Leuchtfeuer und gegen das Verbot der Kohlenlieferung an fremde Schiffe, was den vollständigen Stillstand des Schiffs verkehrs an der Levante zur Folge haben müsse. Die Kammer ersucht die Pforte, das Verbot für neutrale Schiffe aufzuheben. Rom. 4, Oktober. „Giornale d'Jtalia" meldet aus Malta: Der Vizeadmiral Maravelli habe seit dem frühen Morgen die Beschießung der Stadt und der Forts von Tripolis fortgesetzt und die Wälle von zwei Forts zerstört. Aus guter Quelle verlautet, daß italienische Truppen in Tripolis gelandet seien. Die Türken hätten sich zum Teil ergeben, zum Teil seien sie tn das Innere geflohen. Pari». 5. Oktober. Der Berichterstatter des ..Matin" in Rom meldet: Die Nachricht von dem Bombardement von Tripolis hat wenig Aufregung hervorgerufen. DaS Bombardement, das mehr scheinbar als wirksam war und vor allen Dingen die Araber erschrecken sollte, wird zur Stunde wohl noch fortgesetzt. Generalversammlung der Görresgesellschast. Ops. Hildesheiin, den 3 Oktober l9ll. Tie erste allgemeine Versammlung der diesjährigen Generalversammlung der Görresgesellschast fand am Diens tag morgen 0>/, Uhr im katholischen VcreinShause statt. Ter Präsident Freiherr v. Hertling eröffnete die Versamm lung, indem er die zahlreich Erschienenen nnd namentlich den Bischof Tr. Bertram von Hildesheiin nnd den Bürger meister Tr. Ehrlicher herzlichst begrüßte. Darauf richtet Bischof Tr. Bertram an die Versammlung eine Ansprache, in der er die Frage beantwortet, warum die Görresgcsell- schast Hildesheim zn seinem Versammlungsort ansgewählt hat, „Fast glaube ich, es kommt ein tieferer Grund hinzu, nämlich eine Vorliebe der christlicl>en Wissenschaft für den Der zweite Band von Grisars „Luther-. (Schluß.) Das führt uns zu der von Luther systematisch betrie benen falschen Darstellung der Lehren der mittelalterlichen Kirche nnd ihrer Theologen, die heute noch nachwirkt, denn viele haben sich daran gewöhnt, das Mittelalter zu betrach ten nach Schilderungen des Reformators, die in den Angen seiner Verehrer den Stempel der Unfehlbarkeit tragen, nnd cs war von Tenifle mit Recht der Nachdruck gelegt wor den ans den Nachweis dieser Mißhandlung des katholischen Mittelalters nnd seiner Theologen. Daß es hier bei Luther nicht abging ohne Anssagen wider besseres Wissen, das kann schließlich nicht mehr bestritten werden, höchstens nach einer Erklärung dieses nicht allweg von der Ehrlichkeit diktierten Vorgehens kann gesucht werden, nnd da wird die Betrachtung am Ende bei einem pathologischen Haß stehen bleiben müssen. „Es ist ferner auf ein anderes psychologisches oder viel leicht richtiger pathologisches Moment zu verweisen, um die grellen, jeder vernünftigen Auffassung spottenden Un wahrheiten bezüglich der Kirche der Vorzeit zn würdigen. Die Erfahrung lehrt, daß bisweilen ein Mensch in leiden- schastlicher Eingenommenheit anfänglich -war mit bösem Willen und mit bewußter Ungerechtigkeit gegen den Feind Verleumdungen vorbringt oder unerlaubte Maßnahmen trifft, dann aber allmählich durch häufige Wiederholung des gleichen Unrechtes nnd in wachsender Glut bei der fixen Idee anlangt, es sei alles tatsächlich genau so, wie seine Ein bildung es ihm vorspicgelt. und gar kein Skrupel brauche ihm ans seinem Vorgehen zu erwachsen. Es gab immer in der Geschichte Geister von so singulärer Eigenschaft, be sonders unter denen, die in großen Kämpfen auf der Bühne der Weltbühne sich bewegten. Unrecht und Unwahrheit nehmen bei ihnen, nicht zwar überhaupt, aber nach jeder Richtung hin, in der sie kämpfen, einen ganz anderen Be- griff an, werden indifferente Mittel, oder verkehren sich in ihren Augen z» Recht nnd Wahrheit." (400.) Damit aber kommen wir dazu, daß ohne solche geistige Veranlagung das Bewußtsein von seiner göttlichen Sen dnng, von dem Luther für seine Person überzeugten Aus druck gab. nicht zn begreifen ist. Und da ist es nicht un interessant, daß der Jesuit Grisar den Reformator in Schutz nehmen muß gegen dessen Anhänger rativnalisliicher Rich tung, Während die ältere Generation den Reformator als den Gottgesandten hochgehoben hat, der mit neuen Offen barungen vor die Welt tritt, suchen ihn die Neueren zn naturalisieren, ihn auf den Boden eines von bloß mensch lichen Ansprüchen getragenen, wenn auch heroisch angelegten Mannes herabzndrncken. Als Erringer der Freiheit und Begründers des modernen Geisteslebens suchen sie den Mann z» verherrlichen. Ihnen sagt Grisar: „Die historische Figur Luthers wird hier bei aller noch so reichen Anerken i.nng seiner Kraftnatnr entschieden in religiöser Hinsicht verflacht. Ist er nicht Gottgesandter mit bindender Ver pflichtung der Welt zur Annahme der ihm vom Himmel ge gebenen Dogmen, so ist er nicht mehr Luther, Ans seiner siipranatnralistischen Selbstnnffassnng allein schöpfte er die rätselhafte Kraft des Trotzes, der in ihm wohnte. Muß er auf die dunklen mystischen Höhen, von denen ans er zn walten glaubt, verzichten, so wird seine wirklich erhobene Anforderung an de» Glauben der Menschheit »»verständlich nnd er selbst zn einer niemals zn erklärende» Erscl>ei- nnng." (87 f.) Erst recht aus diesem Sendungsbewnßtsein, diesen mystisch-apokalyptischen Ideen heraus wird der Kampf gegen das Papsttum als den „Antichrist" begreiflich. Ge wiß hat bei Luthers erster Schrift „Wider die Bulle des Endchrists" der Gedanke mitgewirkt, da ein zugkräftiges, auf die Massen wirkendes Schlagwort zn habe», aber es ist falsch, in der Wahl dieser AnSdrnckSweise nur ein Schlag wort sehen zu wollen; vielmehr handelt eS sich um eine Fdee, die ans falsch-spiritnalistisch tiefdurchtränktem Grunde bei ihm mit üppiger Kraft hervorwnclK. Sie blieb ihm immer ein heiliges Eigentum nnd fand sowohl in die Schmalkaldischen Artikel als in die Bemerkungen zn seiner deutschen Bibel Eingang. (IlO.) Es liegt nun nahe, bei der heutigen Krisis des Pro testantismus, wie sie im Falle Jatho, mehr noch in den diesem folgenden Begleiterscheinungen, sich aller Welt ge- offenbarl, zn fragen, wie dieser theologische Radikalismus und religiöse Nihilismus sich zn Luther stellt. Tenifle hatte seinerzeit kurz und bündig geschrieben: Luther hat den Keim gelegt zum protestantischen Unglauben der Gegenwart <1, 720, 2. Ausl,). Grisar weist daraus hin, wie seit l522 Luthers Stimme eine andere Klangfarbe gewinnt, wie von jetzt ab von den in ihm gärenden zwei Richtungen der ne gativen nnd der positiven, die letztere je nach Gelegenheiten stärker sich geltend macht, ohne daß es ihm gelungen wäre, die erstere znm Schweigen z» bringen „Man darf ihn wegen der Widersprüche nicht einen theologischen Nihilisten nennen, da er die wärmsten Be kenntnisse an die christlichen Wahrheiten ablegt; man darf ihn auch nicht Heros des positiven Glanbens nennen, da er doch wieder alles ans das eigene Urteil stellt. Der rich tige Name ist Mann des Widerspruchs, nicht bloß des Widerspruchs gegen die Kirche, sonder» anch des Wider- sprnchs mit sich selbst" (l5) Dabei dann jene ans den ersten Blick den Laien verblüffende Erscheinung, daß beide Richtungen innerhalb dc-S heutigen Protestantismus sich ans Aussprüche Luthers berufen können, wie das anch die negative Richtung nicht unterläßt. Wehmütig stimmt es den Leser, wenn .er sehen muß wie hier ei» gottbegnadetes Talent Grisar macht zn wie- derhalten Malen nachdrücklich darauf aufmerksam —, auf nnheilschwere Abwege gerate» ist. das berufen und befähigt gewesen wäre, feinem Zeitalter etwas ganz anderes zn » erden, als es geworden ist.