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Der erste Satz von Johann Sebastian Bachs Konzert für Vio line und Streichorchester a-Moll (BWV 1041) zeigt besonders eindringlich die für den Konzertstil dieses Meisters typische geniale Verschmel zung, motivische Verzahnung von Soli- und Tuttipartien. Ein energisches Thema prägt den Charakter des Einleitungstuttis. Das erste Motiv davon greift der Solist variiert auf, um im Verlaufe des Satzes noch weitere motivische Gedanken ins Spiel zu bringen. Der unerhört straffe, logische Aufbau des Ganzen, die ge drängte, dichte motivische Arbeit der Komposition, von der ein Eindruck geball ter Energie ausgeht, faszinieren den Hörer spontan. Im langsamen Mittelsatz wird ein eindringlich wiederholtes Baßmotiv (Basso ostinato) vom Orchestertutti allein siebenmal vorgetragen. Weitere sechsmal erscheint es als Untergrund eines gefühlsreichen Themas, das die Solovioline figurativ ausbreitet. Zügig drängend gibt sich der Schlußsatz, eine stilisierte Gigue. Eine Steigerung des musikalischen Geschehens ist von der Satzmitte bis zum letzten virtuosen Violin- solo zu beobachten. Die Cäcilien-Ode komponierte Georg Friedrich Händel in nerhalb von neun Tagen im September 1739 in London, wo er seit 1712 fast ohne Unterbrechung lebte und wirkte. Schon 1736 hatte er ein oratorisches Werk, das „Alexanderfest", unter denselben Textgedanken gestellt: Verherrlichung der Schutzpatronin der Musik, der heiligen Cäcilia, an derem Gedächtnistag, dem 22. November 1739, auch die Uraufführung der Cäcilien-Ode erfolgte. Literarisch liegt dem Werk John Drydens „Ode auf den St.-Cäcilien-Tag" von 1687 zugrunde. Händel huldigte mit der Cäcilien-Ode der englischen Tradition, denn schon Henry Purcell und der in England lebende Italiener Antonio Draghi komponierten derartige Stücke zu Ehren der Schutzheiligen der Musik. „Mit echt Händelscher Plastik wird die Erschaffung der Welt geschildert, wobei die himm lische Harmonie die Hauptrolle spielt, ebenso wie der Schlußchor den Jüngsten Tag ankündigt — beides gehört zu den eindrucksvollsten Musikbildern Händels, zumal die Gegenüberstellung einfachster Harmonie- und Melodienbildung zu kompliziertester Kontrapunktik das Ganze stark belebt. Die eigentliche Feier zu Ehren der Cäcilia läßt die Kerninstrumente solistisch aufs eindrucksvollste hervor treten, vom seeienvollen Violoncello über Trompete, Pauke, Flöte, Laute, Violine und Orgel bis zur Orpheus-Leier, wobei aber der höchste Preis dem Gesänge selbst zukommt" (W. Siegmund-Schultze). Indem Händel und sein Textdichter die im Kosmos waltende Harmonie besangen, trugen sie zur Neubelebung des uralten Harmoniebegriffes der Antike bei, der in der Aufklärungsphilosophie des 18. Jahrhunderts, wo die harmonische Aus bildung des Individuums zur Debatte stand, eine große Rolle spielte. Des Philo sophen Leibniz Begriff der „praestabilierten Harmonie" gewann so in Händels künstlerischer Phantasie neue Gestalt. Entsprechend dem Text betont auch die Musik der Cäcilien-Ode die lyrisch-epischen Momente vor den dramatischen. Das beglückende, (eingliedrige Werk, das nur drei Chöre, allerdings von zünden der Schwungkraft, aufweist, ist ganz auf den melodischen Sinnenreiz seiner Arien (insbesondere des Soprans) und die koloristische Wirkung der Soloinstrumente gestellt. Fryderyk Chopin, ein Verehrer der Cäciiien-Ode, äußerte einmal: „Die ses Werk nähert sich am meisten dem Ideale, das ich von erhabener Musik in den Tiefen meiner Seele hege." GEORG FRIEDRICH HÄNDEL: CÄCILIEN-ODE Rezitativ (Tenor) Durch Harmonie, des Himmels Harmonie entstand dies weite Weltenall. Ein Chaos war noch die Natur; verworrnen Mißklangs voll, ganz lag gefesselt sie. Da tönte laut des Schöpfers Ruf: „Erwach' aus starrem Tod!" Und kalt und heiß und dürr und feucht zu fester Ordnung schieden sich, zu größter Harmonie. Chor Durch Harmonie, des Himmels Harmonie entstand dies weite Weltenall. Von Harmonie zu Harmonie durchlief die Schöpfung aller Töne Reich und schloß im Vollklang ihrer höchsten Macht. Arie (Sopran) Wie hebt und senkt Musik der Seele Flug I Als Jubal einst die Saiten schlug, da lauschten alle ihrem Sang, und staunend sanken sie ins Knie, zu preisen diesen Wunderklang. Einzig ein Gott schien solcher Stimme Herr, die sanft aus jener Höhlung sprach, sie klang so lieblich und so schön. Wie hebt und senkt Musik der Seele Fiug I Arie (Tenor) Der Schall der Trompete, er ruft uns zur Schlacht mit schrillem Getöse und schrecklichem Klang. Der Trommel donnerndes Geröll, ihr grollender Schlag schreit: Auf, stürmt auf den Feind, auf, bis der Ruf, bis der Siegesruf schallt. Chor Der Schall der Trompete, er ruft uns zur Schlacht, der Zorn in dem Busen, der Kampfmut erwacht. Der Trommel donnerndes Geröll, ihr grollender Schlag schreit: Auf, auf an den Feind, bis der Siegesruf schallt. Arie (Sopran) Der Flöte Klageton hinsterbend singt vom Jammer der hoffnungslosen Liebe. Ihr Grablied sanft flüstert in der Laute Schlag. Arie (Tenor) Hell singt der Geige Ton von Eifersucht und von Verzweiflung, singt von Qual und heißer Liebe zu der schönen stolzen Frau, Zorn und Qual und Qual und Liebe zu der schönen stolzen Frau, singt von Qual und heißem Glühn für die schöne stolze Frau. Aiie (Sopran) Doch ach, wess' Stimme gleicht und welche Kunst erreicht erhabner Orgel Klang? Ihren Klang, der Liebe singt und sich auf zum Himmel schwingt, zum Engelchor, dem Himmelschor, vereint dem Himmelschor. Arie (Sopran) Orpheus bezwang die wilde Brut; der Baum, entwurzelt seinem Grund, er folgt der Leier Klang. Rezitativ (Sopran) Und doch, Cäcilia wirkt noch größ're Tat, als sie zur Orgel fügte den Gesang! Ein Engel lauscht und hält entzückt die Erde für den Himmel. Sopran und Chor So, wie durch heil'ger Lieder Macht der Sphären Lauf begann, und sie des großen Schöpfers Preis lobsangen durch das All, so, wenn die letzte Stunde schlägt und ganz dies Erdenrund zerfällt, tönt der Posaune lauter Schall. Was stirbt, ersteht, was lebet, vergeht, und der Sphärenklang verhallt im All. Programmbiätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1971/72 — Chefdirigent: Kurt Masur Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Druck: veb polydruck, Werk 3 Pirna - 111-25-12 3 JtG 009/89/71 Hi i I Hi a nnm om i 1. ZYKLUS-KONZERT 1971/72