Volltext Seite (XML)
TUMum««- Taqctlntt und Wal'denöurger Anzeiger. Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. Erscheint täglich mit Ausnahme dec Tage nach Sonn- und Festtagen. Sonntags -ine Gratisbeilage »Der ^önhlcr - P für ^Abonnenten 7 Vf sür Nicht- Postanstalten die Ervedition und die Colvorteure dieses Blattes nehmen Bestellungen an. Jnsertwnsgebuhren pro kleingespaltene Zeile sur Ldonnenren < P!-, ^t^i abonnenten 1v Pf. Jnseraten-Annahme für die nächsterscheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. Waldenburg, Sonntag, den 11. Mai 1b«. 1879. politische Rundschau. »Waldenburg, 10. Mai 1879. Der deutsche Kaiser ist am 9. d. Vormittags 9'/- Uhr im besten Wohlsein in Berlin wieder eingetroffen. Von den Abgeordneten v. Benda, v. Bennig sen und Lasker ist folgender Antrag, betreffend die geschäftliche Behandlung der vorgelegten Zoll- und Steuergesetze, eingebracht worden. Der ReichtStag wolle beschließen: 1. aus der Vorlage Nr. 132 (betreffend den Zolltarif, die Positionen 25, Materialwaaren rc., und 29 Pe troleum) einer besonderen Commission von 28 Mitgliedern zur Vorberathung zu überweisen; 2. die Vorlage Nr. 136 (die Besteuerung und Nach besteuerung des Tabaks betreffend) einer Com mission von 21 Mitgliedern zur Vorprüfung zu übertragen; 3. einer weiteren Commission von 28 Mitgliedern folgende Positionen des Zolltarif- entmurfes zur Vorberathung zu überweisen: Position 2, Baumwolle rc., Position 5, Drogue- rien rc., Position 10, Glas rc., Position 21, Leder und Lederwaaren, Position 22, Leinen garn rc., Position 20, Seide rind Seidenwaaren, Position 38, Thonwaaren rc., Position 41, Wolle, rc. Waaren; 4. alle übrigen Positionen des Tarifs, die KZ 1—5 des Gesetzentwurfes, den Tarif betreffend, und die Vorlage Nr. 135 (wegen Erhebung und Erhöhung der Brausteuer) der Berathung im Plenum ohne commissarische Vorberathung vorzubehalten. Der Prinz von ^Battenberg ist am 8. d. Vormittags von Darmstadt wieder abgereist, um sich nach Livadia zu begeben und dem Kaiservon Rußland eine Visite zu machen. Im französischen Militär scheint es um die Disciplin noch schlecht bestellt zu sein. Ein Pariser Drahtbericht meldet darüber: „Aus der militärischen Turnschule von Joinville-le-vont bei Paris entfernten sich 100 Unteroffiziere und Sol daten einen ganzen Tag lang, angeblich, weil die ihnen gebotene Nahrung nicht substantiell ge nug sei." Dürfte bei unserem Militär schwerlich vorkommen. In Frankreich giebt es nach einer vom Unterrichtsminister veranlaßten Statistik gegen wärtig 5 katholische Universitäten mit zusammen 14 Fakultäten, nämlich 5 Rechts-, 4 staatswiffen- schaftliche, 4 sprachwissenschaftliche und 1 me- dicinisch-pharmazeutische Fakultät. Diese 5 Uni versitäten zählen zusammen 742 Hörer. Wenig genug. In Madrid ist der Kronprinz Rudolf von Oesterreich Mittwoch früh angekommen. Er wurde am Bahnhof vom Könige Alphons em pfangen. Die Heirath des Königs Alphons mit der Erzherzogin Marie Christine von Oesterreich soll im October stanfiuden. In Petersburg ist «m 6. d. im Communi- cationsministerium eine „geheime" Druckerei ent deckt worden. Neun comprimitirte Setzer und eine Setzerin wurden verhaftet. In der Druckerei waren die Proklamationen des Revolutionscom- mitä's hergestellt worden. Die russischen Staatseinnahmen stehen eben so wie die österreichischen, günstiger. Laut offi- ciellem Ausweis übersteigen die Zolleinnahmen pro 1878 den Voranschlag um 23 Millionen. Es wurden eingenommen 79,644,579 Rubel. Laut eines den „Times" aus Kalkutta zu gegangenen Telegrammes scheint das große, alle zwölf Jahre gefeiertes Fest in Hurdwar eben so schlimme Folgen im Jahre 1879 zu haben wie im Jahre 1867. Ein Heer von 750,000 bis 1,000,000 Pilgern hatte sich versammelt, und trotz der von den Behörden getroffenen Vorsichts maßregeln ist wenige Tage vor Schluß des Festes die Cholera in einer heftigen Gewalt er schienen. „Die Ströme rückkehrender Pilger" (so heißt es in dem ,,Times"-Bericht) tragen jetzt die Krankheit in den verschiedenen Richtungen nach ihrer Heimath, und bereits werden Aus brüche von Cholera aus Delhi, Umritsur, Rawal, Pindee und anderen Plätzen Nordindiens gemel det. Schöne Aussichten! Erst die Pest, nun wieder die Cholera. Parlamentarische Verhandlungen. Reichstag. 9. Mai. Der Gesetzentwurf, betreffend die Vertheilung der Matricularbeiträge pro 1979/80, wurde in erster und zweiter Berathung genehmigt. Der Gesetzentwurf, betreffend die Erwerbung der preußischen Staatsdruckerei für das Reich und Feststellung des bezüglichen Nachtrags etats, wird nach einer längeren Debatte, worin der Generalpostmeister wiederholt für den Ent wurf eintritt, in erster Lesung, hierauf unter Streichung der KZ 4 und 5 in zweiter Lesung genehmigt. Sodann folgt die Berathung des Gesetzent wurfs, betreffend die Feststellung bezüglich der Kosten für die Bstheiligung an der Weltaus stellung in Sidney. Abg. Braun bemängelt die arbiträren Be fugnisse der Ausstellungscommission und prote- stirt gegen das absprechende Urtheil des Prof. Reuleaux über die deutsche Industrie, gegenüber welchem er auf die Leistungsfähigkeit der Berliner Industrie und auf die Berliner Gewerbeaus stellung verweist. Abg. Witte (Rostock) wünscht, daß dem Aus- stellungscommiffar ein kaufmännischer Beirath beigegeben werde. Präsident Hofmann widerlegt die Bemänge lung des Abg. Braun. Die Reichsregierung habe Sorge zu tragen, daß die Betheiligung der deutschen Industrie letzterer zur Ehre und zum Vortheil gereiche, daher sei eine sorgfältige Prü fung der Anmeldungen geboten. Der Ausspruch Reuleaux's sei nicht so strenge aufzufasien, Reu leaux habe damit durchaus kein endgiltiges Ur theil über die Leistungsfähigkeit der deutschen In dustrie überhaupt abgeben wollen. Er bitte die geforderte Summe zu bewilligen. Abg. Reichensperger (Krefeld) bezweifelt den Nutzen der Weltausstellungen und beantragt die Ablehnung der Forderung. Abg. Löwe ist für die Betheiligung. Die erste Lesung wurde hierauf geschlossen; an der zweiten Berathung betheiligten sich die Abgg. Schröder (Lippstadt), Sonnemann und ; Miller. Der Entwurf wurde schließlich mit sehr großer Majorität angenommen. Bei der Generaldiscussion über die Zollvor lagen weist der sächsische Bundesbevollmächtigte v. Nostitz-Wallwitz die Behauptung, daß die Mitthätigkeit des Bundesrathes durch die Initia tive des Reichskanzlers beseitigt und nullificirt fei, zurück, es gehe aus dem Schreiben des Reichs kanzlers an Thüngen gerade das Gegentheil her vor. Ueber die Nothwendigkeit und Dringlichkeit der Zollreform seien die Regierungen einig ge wesen, es sei unrichtig, daß die Einzelstaaten in der Aufgabe der Matricularbeiträge gegen ihre Selbständigkeit gehandelt hätten, da die Matri cularbeiträge in der Verfassung nicht als defini tiv feststehend hingestellt seien. Gegenüber dem Abg. Bennigsen betont Redner, die Hauptauf gabe des Reichstages bei Feststellung des Bud gets liege in der Normirung der Ausgaben. Die Interessen der Einzelstaaten würden von den Fürsten und deren Minister genügend gewahrt. Im Laufe der Debatte bezeichnete Bundesbevoll mächtigter v. Nostitz-Wallwitz eine Auslassung des Abg. Richter als schnöde. Präsident v. Forckenbeck bezeichnete dies hinter her als unparlamentarisch. (Beifall links.) Bundesbevollmächtigter v. Nostitz-Wallwitz antwortete dem Präsidenten unter dem Beifall der Rechten, er habe den Präsidenten nur auf die kaum zulässigen Angriffe Richter's auf die Regierungen Hinweisen wollen. Graf zu Stolberg ist für die Vorlagen. Graf zu Stolberg legt auf die constitutionellen Fragen nicht so großen Werth wie Bennigsen; er glaubt, daß das Ausgabebewilligungsrecht ge nüge, doch sei seine Partei (deutschconservat.) den constitutionellen Garantien nicht principiell ent gegen, wolle aber die etwaigen Erklärungen der Reichsregierung in dieser Beziehung abwarten. Abg. Rickert kritisirt einzelne Positionen des Tarifs und polemisirt gegen die Agrarier: er er klärt sich entschieden gegen die landwirthschaft- lichen Zölle und beklagt die Nichtbeachtung der Interessen der Ostseehäfen. Abg. Rickert appellirt an die Schutzzöllner; sie möchten den Ostprovin zen keine Opfer zumuthen, die über ihre Lebens fähigkeit gingen. Bundescommissar Burgart rechtfertigt seine früheren Ausführungen gegen die Einwendungen des Abg. Rickert. Bundescommissar Meyer wendet sich gegen die Ausführung des Abg. Richter und spricht sich gegen die getrennte geschäftliche Behandlung der Finanz- und Schutzzölle aus. Bundesbevollmächtigter v. Nostitz-Wallwitz giebt eine Declaration seiner gegen den Abg. Richter gebrauchten Worte, welche der Präsident v. Forckenbeck dankend acceptirt. Die Generaldiscussion wird hierauf geschloffen. Man kommt sodann zur Abstimmung über die geschäftliche Behandlung der Vorlagen. Der Unterantrag des Abg. Rickert zum Anträge des Abg. Löwe wird abgelehnt und hierauf der erste Absatz des Antrags Löwe bez. der Zolltarifvor lage theilweise einer achtundzwanziggliedrigen Commission überwiesen, theilweise im Plenum berathen und angenommen. Die Sitzung wurde auf Sonnabend vertagt.