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Verantwortlicher Redakteur: In Stellvertretung Ferdinand Beygang in Freiberg. 42. Jahrgang. Tonntag, de« 11. August. OH/» Erscheint jeden Wochentag Nachmitt. ff,6 Uhrsürden -MIO IOHU^^ andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 2S Pfg., zweimonatlich 1 M. SO Pf. und einmonatlich 7ü Ps. rciö erger und Tageblatt. Amtsblatt für die kömglichea und städttschm Behörden zu Freiberg und Brand. Inserate werden bis Vormittag 11 Uhr angenom- inen und beträgt der Preis sür die gespaltene Zelle lOO oder deren Raum 1ü Psg Die Woche. Ursprünglich sollte die Reise des deutsche« Kaisers nach England einen privaten Charakter tragen und nur als ein Faniilienbesuch bei der Königlichen Großmutter unseres Kaisers gelten. Aus diesem Grunde lehnte Kaiser Wilhelm auch die dringende Einladung des Lord-Mayors ab, nach London zu kommen und der Bevölkerung der Weltstadt Gelegenheit zu geben, ihm ihre Verehrung zu bekunden. DaS Verbrüderungs fest, welches die Offiziere des deutschen und des englischen Ge schwaders am Abend des 3. August in der Victoria-Hall zu Southsea feierten, der Jubel, mit dem die massenhaft nach Ports mouth und der Insel Wight geströmte englische Bevölkerung, sowie die Mannschaften der im Solent versammelten mächtigen englischen Flotte und die bei Aldershot vereinigten Linientruppen und Freiwilligen den deutschen Kaiser und die anderen deutschen Gäste begrüßten, trugen wesentlich dazu bei, der Anwesenheit des Kaisers in England mehr und mehr einen hochpolitischen Charakter zu verleihen. Auch in der englischen Presse kam unter solchen Verhältnissen immer mehr die Anschauung zum Durchbruch, daß der Premierminister Salisbury im Sinne der Mehrheit des britischen Volkes handle, wenn er fich mit dem für den Weltfrieden so nützlichen mächtigen Dreibund ver ständige, dessen starker Mittelpunkt Deutschlands Militärmacht ist. Selbstredend kann ein stets von den Parlamentswahlen abhängiges englisches Ministerium keine auf lange Zeit hinaus bindenden Verpflichtungen eingehen, aber es scheint doch über jedem Zweifel erhaben, daß während der Anwesenheit unseres Kaisers in Osborne ohne jeden Bündnißvertrag eine Richtung der englischen Politik vereinbart wurde, die völlig im Einklang mit den friedlichen Zielen des Dreibundes ist. Die Freude über diese Wirkung seiner Anwesenheit in England klang unverkennbar hindurch, als der Kaiser bei den Festmahlen des Regatta-Klubs und nach der Truppenschau die Großartigkeit der englischen Flotte und die Tüchtigkeit der englischen Linientruppen und Milizen in herzlichen Worten anerkannte. Von der Königin von England vorher zum britischen Ehrenadmiral ernannt, hatte der deutsche Kaiser am Montag Nachmittag die vor Spithead aufgestellte prachtvolle englische Flotte besichtigt und dann sämmtliche Admirale und Kapitäne an Bord der königlichen Mcht empfangen, um ihnen seine hohe Befriedigung auszu drücken. Dem in seiner Großartigkeit bisher unerreichten Schauspiel dieser Flottenschau wohnte die Königin von England absichtlich unbemerkt an Bord der Dacht „Albert" bei. Dabei trug die hohe Frau aus der Schulter die Schleife mit den Farben des ihr kurz vorher verliehenen preußischen 1. Garde-Dragoner- Regiments. Am Dienstag Vormittag war der deutsche Kaiser mit dem Prinzen von Wales bei der alljährlich um den Preis eines von der Königin von England für den Sieger ausgesetzten Pokals statt findenden Wettfahrt des Aachtgeschwaders anwesend und erfreute die Theilnehmer an der sich daran anschließenden Tafel durch die Erklärung, daß die englische Flotte die schönste der Welt sei. An der Truppenschau zu Aldershot nahmen am Mittwoch 30000 Mann aller Waffengattungen Theil und begrüßten den deutschen Kriegsherrn bei seinem Erscheinen mit einer wahrhaft unbeschreiblichen Begeisterung, die sich auf die zusammen geströmten zahllosen Zuschauermafsen übertrug. Der Kaiser beglückwünschte den Herzog von Cambridge und den Komman danten von Aldershot, General Wood, zu dem trefflichen Aus sehen und der guten Haltung der Truppen, sprach sich über die Letzteren nochmals bei dem darauf folgenden Frühstück sehr an erkennend aus und betonte dem Herzog von Cambridge gegen über, den er vorher zum Chef des preußischen 28. Infanterie- Regiments ernannt hatte, die alte deutsch-englische Waffenbrüder schaft in herzlichster Weise. Bei der am Donnerstag früh im Schloßgarten von Osborne vorgenommenen Besichtigung der Mannschaften des deutschen Geschwaders durch die Königin von England führte der Kaiser selbst das Kommando. An Bord der Mcht „Hohenzollern" trat der Kaiser, nach freundschaft lichster Verabschiedung von der englischen Königsfamilie, am Donnerstag Abend die Rückreise über Portsmouth, Dover und Wilhelmshaven an, um sich von dort mittelst Sonderzuges nach Berlin zu begeben, wo am 12. dieses Monats die Ankunst des Kaisers von Oesterreich und des Erzherzogs Franz Ferdinano von Oesterreich-Este erwartet wird. In den politischen Kreisen Deutschlands begrüßt man die durch die Kaiserfahrt wesentlich geförderte Annäherung Englands an den Dreihund um so freudiger, als jede neue Bürgschaft für die Erhaltung des Weltfriedens gerade jetzt doppelt willkommen ist. Wie sich aus den ernsten Aeußerungen der preußischen Regierungs presse entnehmen läßt, hält man die Unruhen auf der Insel Kreta deshalb für recht bedenklich, weil erfahrungsgemäß bei den Orient-Angelegenheiten belanglose Vorkommnisse sehr leicht kritische Wendungen zu nehmen Pflegen. Zudem haben das Verhalten des russischen Konsuls in Canea und eine neuerdings von dem Kabinet von Athen in der kretensischen Sache an die Großmächte gerichtete Note die unerfreuliche Aussicht aus eine diplomatische Aktion eröffnet, welche die Aufständischen er- muthigen und die ganze Frage noch mehr verwickeln dürste. — Die württembergische Stadt Reutlingen beging am Dienstag den hundertjährigen Gedenktag der Geburt ihres berühmten Sohnes, des Volkswirthschaftslehrers Friedrich List, mit einer Festfeier, die einen glänzenden Verlauf nahm. Von dem größten Theil der deutschen Presse wurde bei dieser Gelegenheit der hohen Verdienste Friedrich List's um das Eisenbahnwesen, um die Begründung des deutschen Zollvereins und um die Schaffung einer erst in unserer Zeit zur Geltung gelangten nationalen Wirtschaftspolitik dankbar gedacht. Durch das in Prag erfolgte plötzliche Hinscheiden des Feld zeugmeisters von Phiuppovic erlitt die österreichische Armee einen herben Verlust, der um so mehr beklagt wird, als auf den dahingeschiedcnen Landeskommandirenden in Böhmen und Kommandanten des 8. österreichischen Armeekorps, der sich bei der Okkupation Bosniens als ein schneidiger Führer bewährt hatte, für den Fall eines Krieges große Hoffnungen gesetzt wurden. Der am Mittwoch von Ischl nach Wien zurückgekehrte Kaiser von Oesterreich ließ sich von dem Erzherzog Albrecht über die von ihm in Siebenbürgen vorgenommenen Truppenbesichtigungen und von dem Reichsfinanzminister von Kallay über die Inspektion Bosniens eingehende Berichte erstatten. Unter dem Vorsitze desProfessor Virchow-Berlin warvom 5. d.M. aninWien der Anthropologen-Kongreß versammelt, an dem sich zahlreiche hervorragende Gelehrte Oesterreichs und Deutschlands bethelligten. Am vergangenen Sonntag haben die italienische« Truppen in Afrika den für die Verthewigung gegen die Abessynier be sonders wichtigen, hochgelegenen Ort Asmara ohne Widerstand besetzt. Das Vorgehen des Generals Baldiffera, der diese Be setzung von Ghinda aus mit vier Bataillonen und zwei Ge birgsbatterien bewerkstelligte, und sofort mit der Befestigung Asmaras beginnen ließ, wird von allen regierungsfreundlichen Blättern Italiens gepriesen. In Neapel verstarb am Donners tag im Alter von 63 Jahren der frühere Ministerpräsident Cairoli, der im Jahre 1878 bei dem Attentat Passanantes gegen den König Humbert verwundet wurde und sich stets persönlich der größten Werlhschätzung seines Königs erfreute, seine als Freiheitskämpfer und als Staatsmann erworbene Volksthümlichkeit aber durch seine übergroße Schonung der Irredentisten und durch den Verlust des italienische« Einflusses in Tunis vollständig emgebüßt hatte. Nicht den französischen Senat, sondern das französische Volk als Richter über sich anerkennend, hat Boulanger trotz des Drängens seiner treuesten Freunde der gerichtlichen Ladung keine Folge geleistet und von seinem sicheren Versteck in England aus Millionen von Exemplaren eines Manifestes nach Frankreich gesandt, in dem er sich gegen die beschimpfenden Anklagen des Generalstaatsanwalts Qnesnoy de Beaurepaire sehr geschickt vcr- theidigt. Die boulangistische Sache, welche bei den am letzten Sonntag in Frankreich stattgefundenen Stichwahlen für die Generalräthe abermals große Verluste erlitt, wird von dem Hochverrathsprozesse, mit dem sich der französische Senat seit dem 7. d. M. als Staatsgerichtshof beschäftigt, kaum besonderen Schaden erleiden. Nach Allem, was die öffentliche Diskussion über die Boulanger zur Last gelegten Verbrechen bisher zu Tage gefördert hat, müssen die Republikaner das Gefühl haben, daß es würdiger, klüger und nützlicher gewesen wäre, Frankreich und dem eben jetzt von der französischen Republik zu Gaste geladenen Europa das unerquickliche Schauspiel dieses Prozesses zu ersparen. Die von Boulanger zum Zwecke seiner Vertheidigung in seinem Manifeste gemachten Enthüllungen haben doch vielfach über rascht. Boulanger behauptet u. A-, daß er die an die deutsche Regierung gerichteten Briefe eines Militär-Attachös habe stehlen, abschreiben und heimlich wieder an die frühere Stelle legen lassen, daß er ein Pariser Blatt lediglich zu dem Zwecke unter stützte, um mit den deutschen Sozialisten Fühlung zu erhalten u. A. m. An der Verurtheilung Boulangers ist bei der Zu sammensetzung des Staatsgerichtshofes kaum zu zweifeln, aber es giebt nicht wenige Mitglieder der Rechten des Senats, welche bereit sind, die Zuständigkeit des letzteren in dieser Sache öffent lich anzuzweifeln. Die Hoffnung der französischen Republikaner, die Monarchisten sich von dem ebenso gefährlichen wie zwei deutigen Verschwörer zurückziehen zu sehen, dürfte sich nun erst recht nicht verwirklichen. Für den e«glifche« Kriegsminister Stanhope war es kein geringer Triumph, dem britischen Unterhause die Einzelheiten des glänzenden Sieges des die englisch-egyptische Armee kommandir- enden Generals Grenfell über die Derwische mitzutheilen. Der Sieg von Toski, bei dem Wad el Njumi fiel, die Derwische sämmtliche Emire bis auf einen und außerdem 1500 Mann einbüßten, ist von englisch-egyptischer Seite mit dem Verlust von 17 Todten und 131 Verwundeten nicht zu theuer erkauft worden. Das Heer der Derwische ist zwar völlig zersprengt und zunächst der ganze Feldzug beendet, dennoch erklären die englischen Regierungsblätter eine Wiederkehr der Gefahr für möglich, damit Niemand auf den Gedanken komme, für die ihnen unerwünschte Zurückziehung der englischen Truppen aus Egypten die Ansetzung einer bestimmten Zeitfrist zu fordern. Die verwandtschaftlichen Beziehungen, welche das rusfisch« Kaiserhaus mit dem „einzigen aufrichtigen Freunde Rußland-" dem Fürsten von Montenegro, verknüpfen, werde« immer enger. Gleichzeitig mit der am 7. d. Mts. stattgehabten Vermählung des Großfürsten Peter mit der Prinzessin von Montenegro fand die Verlobung der Prinzessin Anastasia von Montenegro mit dem Herzog Georg von Leuchtenberg statt. Ueber den Verlauf der Reise des deutschen Kaisers nach England äußern sich die russischen Blätter sehr mißvergnügt, doch scheint es, daß der rus sische Kaiser nun erst recht den für den 23. d. Mts. angekün digten Gegenbesuch in Berlin, ahstatten will, um daS diploma tische Gleichgewicht möglichst ^tvh:der herzustellen. Die türkische Regierung beschloß, über die Insel Kreta den Belagerungszustand zu verhängen. Die damit verbundenen strengen Maßregeln sollen nach der Lage der einzelnen Punkte der Insel eingerichtet werden. In verschiedenen Theilen Kreta- kamen neuerdings schlimme Ruhestörungen vor; insbesondere war dies bei Rethymo der Fall. Die Aufständischen drohen die Vereinigung mit Griechenland mit Gewalt durchzusetzen und die griechische Flagge zu hissen, wenn ihre Forderungen nicht Bewilligung finden. Die Türken auf dem Lande, wo die christliche Bevölkerung weit überwiegt, -flüchten sich in die Städte, während die griechischen Familien dagegen in die Gebirge ziehen. Die Unthätigkeit der türkischen Truppen und die aus der den Mächten überreichten Note scheinbar hervorgchende Absicht Griechenlands, sich der Aufständischen anzunehmen, ermuthigen die Letzteren zur Fortsetzung des Widerstandes. Tagesschau. Freiberg, den 10. August. Während des Aufenthalts des deutsche« Kaisers auf der Insel Wight hat, wie die „Rh. W." mittheilt, ein sehr lebhafter Depeschenwechsel zwischen dem Schloß Osborne und dem Hom burger Schloß staltgefunden. Kaiser Wilhelm gab seiner erlauchten Mutter gegenüber seiner hohen Freude über den ihm in England zu Theil gewordenen Empfang lebhaften Ausdruck. Die Königin Vittoria dagegen meldete ihrer Tochter, wie hoch erfreut sie über den Besuch ihres Kaiserlichen Enkelsohnes sei, und die Kaiserin Friedrich hat beiden Theilen für ihre Depeschen gedankt und dazu bemerkt, wie tief und freudig sie durch die ihr gewordenen Mittheilungen bewegt wurde. Als Kaiser Wil helm am Donnerstag Abend 8 Uhr Osborne verließ, nahm er von der Königin von England einen äußerst innigen Abschied. Die übrigen Mitglieder der englischen Königsfamilre begleiteten den Kaiser nach Cowes, wo ein Bataillon irischer Füsiliere auf gestellt war und Salven abgab. Die im Hafen liegenden Kriegsschiffe hatten die Raaen besetzt; das massenhaft versammelte Publikum brachte dem Kaiser die herzlichsten Huldigungen dar. Nach innigem Abschied von den Prinzen und Prinzessinnen bestieg der Kaiser mit dem Prinzen von Wales eine Dampfpinasse, die ihn nach der Mcht „Hohen zollern" brachte, wo auch der Prinz von Wales sich aufs Herz lichste verabschiedete. Unter dem Donner der Geschütze und von einer kleinen Flottille von Privatdampfern begleitet, setzte sich die Mcht „Hohenzollern" in Bewegung und erreichte das Vorgebirge Nab nach neun Uhr. Das Geschwader bildete dann zwei Linien, zwischen denen die „Hohenzollern" Ausstellung nahm. Unter dem Donner der Geschützsalven des nahen Forts und unter den Hurrahs der Passagiere der Privatdampfer steuerte das deutsche Geschwader heimwärts. Kaiser Wilhelm traf mit dem Prinzen Heinrich von Preußen, von seiner Reise nach England heimkehrend, heute Mittag wieder in Wilhelmshafen ein, wo jeder offizielle Empfang ver beten war und von wo der Kaiser nach kurzem Aufenthalte mittelst Sonderzuges nach Berlin weiter reiste. — Bei der am Montag erfolgenden Ankunft des österreichischen Kaisers in Berlin wird das dortige Rathhaus mit österreichischen, ungarischen und deutschen Fahnen geschmückt sein. In Folge dieser An ordnung beabsichtigen die Anwohner derjenigen Straßen, durch welche der österreichische Kaiser seine Durchfahrt halten wird, ihre Gebäude mit reichem Flaggenschmuck zu versehen. — Wie die „Köln. Ztg." erfuhr, gedenkt das deutsche Kaiserpaar in der Nacht zum 17. August nach Bayreuth zu reisen, am 19. in Liebenstein zu sein, am 21. über Karlsruhe nach Straßburg, am 23. nach Metz, am 24. nach Münster und am 25. nach Berlin zurückzufahrcn. Ueber die geplante Orientreise des deutschen Kaiserpaares verlautet Folgendes: Bekanntlich wollen die Majestäten, bevor sie sich zu der Vermählung der Prinzessin Sophie mit dem Kronprinzen von Griechenland nach Äthen be geben, dem italienischen Hofe in Monza anfangs Oktober einen Besuch völlig intimer Natur abstatten und sich dann zu der griechischen Reise in Genua einschiffen. Ursprünglich war als Einschlffungshafen Neapel in Aussicht genommen, weil eine Zeit lang die Absicht bestand, auch einen mehrtägigen Inkognito-