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Mochmbiati für Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Sicbcnlchu und die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath dOselbst. ^>7 82. Freitag den 20. October 1871. Die gegenwärtigen Erscheinungen auf kirchlichem Gebiete hervorgerufen durch die Unfehlbarkeitslehre.*) Lange vor Beginn des momentan vertagten ökumenischen d. i. allgemeinen Concils sah jeder vornrtheilsfrcie Beobachter voraus, daß die Lehre der päpstlichen Unfehlbarkeit, falls dieselbe in der That verkündigt werden sollte, unabsehbare Umwälzungen auf reli giösem, politischem und socialem Gebiete Hervorrufen müßte. Es richteten daher nunmehr vor zwei Jahren Frankreich und im An schluß an d' ses Preußen Noten an die päpstliche Negierung, in denen beide Staaten in höflicher aber fester Sprache auf die in Folge solchen Beschlußes dem Papste erwachsenden Nachlhcile auf- mcrksam machten. Wie bekannt prallten diese wohlgemeinten War nungen an dem von den Jesuiten hcrvorgerufenen vaticanischen Starrsinne ab, und so wurde denn im vorigen Jahre, zu einer Zeit, wo die Aufmerksamkeit der Bewohner der ganzen Erdkugel auf den gewaltigsten Kampf, welchen die Geschichte ausweist, ge richtet war, die Unfehlbarkeit über einen altersschwachen, dem Jrr- thnme unterworfenen Greis ausgesprochen. Obwohl eine nicht un beträchtliche Minorität von Bischöfen mit „Nein" (k§on xlacet) gegen das neue Dogma gestimmt hatten, so kehrte doch die über wiegende Mehrzahl dieser Minorität allmälig den Spieß um, um nachträglich reumüthig ihr „Ja" (xknoot) abzugeben. Am auf fälligsten sührtcn di se Manipulation die deutschen Bischöfe auf der Fuldaer Conferenz aus; die Herren versuchten in gewohnter Manier in einem Hirtenbriefe die Lehre der Unfehlbarkeit dem Volke plau sibel zu machen und ein kaih. Pfarrer in Dresden wagt sogar in seinem „Wochenblätlchen" mit ächt jesuitischer Stirn den Beweis zu liefern, daß das gegenwärtige Verhalten der deutschen Bischöfe ihrem damaligen in Nom durchaus nicht entgcgenstreite. Die Kirchenfürsten sind der in Beziehung auf sie selbst allcra'ngs praktischen Ansicht, da man einmal den Papst zum Gotte erhoben und da von dessen Existenz auch die ihrige abhängt, so müsse man das neue Dogma nach Kräften vertheidigen d. h. dem Volke gehörig Sand in die Augen streuen. Zu diesen conventirten deutschen Bischöfen gehört auch der apostolische Vicar für das Königreich Sachsen Titularbi- schof Forwerk in Dresden. Alle Welt war hocherfreut, als im vo rigen Jahre der Vertreter Sachsens auf dem Eoncile sein Kon xiaeot, abgegeben, bis uns die Vorgänge in Fulda eines Andern belehrten. Wir wollen hierbei.zu erwähnen nicht unterlassen, daß die Verkündigung der Unfchlbarkcitslchre, was an vielen Orlen in Oestreich nnd Bayern mit großem Gepränge von den Kanzeln herab geschehen, im Königreiche Sachsen, wo nach der Verfassung kirchliche Neuerungen nur mit Beobachtung der bestehenden Gesetze eingeführt werden dürfen, vom Cultusministerium untersagt worden. Ohne Umstände aber und geradezu den Landcsgesctzen zuwider verkündete, wie schon angedeutet, der östrcichische und insonderheit der baierische ülerus die neue Lehre von der Kanzel herab und fand Anhänger und Verächter des Dogmas. Unter Letztere gehört der vielgenannte Slistsprobst I)r. Döllinger und der ordentliche Pro fessor der Theologie an der Münchener Hochschule Dr. Friedrich. Da diese erklärten, das neue Dogma als gegen die Sätze der hei ligen Schrift und der Ucberlieferungen anstrcitend unmöglich aner kennen zu können, wurden Beide cxcommunicirt d. h. aus der Ge meinschaft der allein fcligmachenden Kirche ausgestoßen und ihrer geistlichen Functionen beraubt. Ja, die Kühnheit des Erzbischofs ging soweit, daß er dem Professor Friedrich sein Hofstipendium, welches derselbe seit einigen Jahren unter Zustimmung des Königs Ludwig erhielt, ohne Genehmigung des Letzteren entzog. Die Sache ist nun von Friedrich dem Münchener Gerichtshöfe übergeben worden, von dem in nächster Zeit die Entscheidung, ob das Vorgehen des Erzbischofs rechtskräftig ist oder nicht, zu erwarten steht. Friedrich *) Da dieser Aussatz längere Zeit vor demMünchcnerKatholikcncongrcß geschrieben, so behalten wir uns vor, in nächster Zeit einen eingehenden Artikel über die dort geführten Debatten und gesagten Beschlüsse, sowie über die hervor ragenden Persönlichkeiten, welche ausgetreten, zu bringen. hat noch dadurch den Haß der Römlinge nnd Jesuiten ganz besonders auf sich geladen, weil er einem sterbenden College», dem Professor Zenker, welcher gleichfalls das neue Dogma verwarf und deshalb keinen Beichtvater fand, die Sterbesacramente gereicht und die Leichenrede gehalten. Obwohl auch niedere Geistliche in Bayern ihrer Abneigung gegen die neue Lehre in Wort und Schrift Ausdruck ge geben, so sind dies immer nur vereinzelte Stimmen und es wird der Streit wegen Nichtanerkennung des neuen Dogmas von Seiten dieser Männer, sofern sich nicht zur tüchtigen Leitung desselben die Kraft eines neuen Lulher's findet, eine theologische Meinungsver schiedenheit bleiben und allmälig im Sande verlaufen. Selbst der eben geschehenen Wahl Döllingers > zum Rector der Münchener Uni versität darf man nicht allzuhohe Bedeutung beilegen. Es ist nun vorerst abzuwarten, wenn die bairische Regierung aus ihrer Unthütigkeit heraustreten und ob dieselbe mit der nöthigen Energie gegen die Willkür des Klerus Vorgehen wird. Zeigt sich die Negierung in diesem Punkte schwach, so ist es um ihr Ansehen ge schehen und die Pfaffen werden, wie einst die Lcrmäische Schlange, mit neuer Kühnheit ihr giftiges Haupt erheben. Was Preußen betrifft, so ist man in diesen Tagen insofern gegen den Klerus vorgegangen, daß das Cultusministerium die beiden geistlichen Abtheilungen, die evangelische und die katholische, nach Pensionirung mehrerer höherer Beamten der Letzteren, welche mit der berüchtigten nltramontanen Centrumspartei des Reichstages in engster Verbindung standen, in eine verschmolz. Natürlich schreit der Klerus Zeter und Mordio über diese Vergewaltigung und hat sogar zu ver stehen gegeben, daß, falls Preußen so sorlfahre die Interessen der katholischen Kirche zu schädigen, eine Aufmunterung an Frankreich zu einem neuen also Religionskriege zu gewärtigen sei! Ein anderes rühmcnswerthes Vorgehen des vielangefochtnen preußischen Unter- richtsministcrs von Mühler ist das, daß er den ostgenannten Priester Kaminski in der Diöcese Posen, und den Gymnasiallehrer vr. Wollmann im Regierungsbezirke Elbing, über welche gleichfalls wegen Nichtanerkennung des Unfehlbarkeildogmas die Excommunica- tion ausgesprochen, in Schutz nahm, so daß Ersterer eine andere Kirche zur Abhaltung des Gottesdienstes an Stelle der ihm vom posncr Erzbischof genommenen erhielt und Letzterer in seinem Amte verblieb. Ob nun aber die preußische Regierung gemeinschaftlich mit der bairischen, wie man aus der Reise von. Mühlers nach München schloß, gegen das neue Dogma vorgehen wird, muß die Zukunft lehren. Allerdings wäre es sehr wünschenswcrth, daß zur Züchtigung und Beschränkung der maßlosen Ueberhtbung dieser Herren — wie Lasker im Reichstage sehr richtig bemerkte — ein Nachtrag im deutschen Strafgefetzbuche angebracht würde. Wir sehen also allenthalben das eingefleischte Bestreben des Klerus, die Menschheit am Gängclbande zu führen, zu Tage treten; darum rufen wir noch mals: ein tüchtiges Schulgesetz und Trennung der Kircbe von der Schule! " 6. löpkor. Aus der bayerischen Abgeordnetenkammer. München, 14. October. In der heutigen Sitzung der Abgeordnetenkammer war die Gallerte überfüllt. Zunächst beantwortete der Minister des Innern die neuliche Interpellation deS Pfarrers Mahr. Die Negierung dulde keine polizeilichen Eingriffe in die Preßfreiheit. Die Bewilligung der Eolportage sei nach dem Art. 38 des Preßgesetzes von der vorgängigen Erlaubnitz der Polizei abhängig, gegen deren Bescheidung man Beschwerde fuhren könne, doch sei feder einzelne Fall eigens zu prüfen, daher müsse er auch die Frage, ob die Eolportage aller Blätter freigcgeben werde, verneinen. Der Eultusminister besteigt hierauf unter allgemeiner Spannung die Nednerbühne, um Namens GesammtministeriumS auf die Interpellation des Abg. Herz und Genossen bezüglich der Stellung der Regierung zur Lehre der Päpst lichen Unfehlbarkeit zu antworten. (Wir haben dieselbe seiner Zeit mitgetheilt D. R.) ES werde jetzt oft die Behauptung ausgestellt, besonders in Blättern, die die katholische Sache zu vertreten vorgeben, daß durch das Verhalten der Regierung gegenüber den Concilsbeschlüssen die katholische Religion gefährdet werde und die Regierung eine den Katholiken feindselige Politik verfolge. Jene Blätter rufen so gar, die Religion sei in Gefahr und die Katholiken sollen es nicht leiden, daß man sie zu Parias herabdrücke. Dergleichen Auslassungen seien nichts als eine Ent stellung der Wahrheit, ein Agitationsmittel von Parteimännern, um die Religion zu ihren Absichten zu benützen. (Rechts oh! Links Bravo!) Die Regierung habe