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Wöchentlich erscheine» drei Nummern. PrünumerationS. Preis 22 j Sitbergr. (s Thlr.) vieneljähriich, Z TKIr. für daS ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Camp., Jagerstraße Nr. 25), so wie von allen König!. Posta Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 35. Berlin, Donnerstag den 21. März 1844. Frankreich. Jules Sandeau und George Sand. Allen.Freunden und Feinden der wunderbaren Frau, die sich George Sand nennt, ist eS wohl hinlänglich bekannt, daß sie sich diesen Namen aus dem eines geliebten Freundes gewählt, mit welchem sie eine Zeitlang gemeinschaftlich ge dichtet hat: Jules Sandeau: cS ist eine eigcnthümliche Ironie des Zufalls, daß sie ihm den wässerigen Theil (es») des Namens gelassen und so passend den Sand für sich nahm, den goldenen, glühenden, morgenländischen Wüsten sand, den der Ruhm in alle vier Winde getragen und den Leuten in die Augen gestreut hat, daß sie geblendet waren und die Moral nicht mehr erkennen konn ten. An dieser Hüterin unseres zeitlichen und ewigen Glücks, an der Moral, hat George Sand sich nur zu ost vergangen, weil sie die Gegnerin derselben, die Sünde, zu reizend, zu schön darstellte; die Apotheosen der sinnlichen Leiden schaft mögen manches junge Auge irregeleitet, manchen reinen Sinn getrübt haben. ES scheint fast, als fühlte dies die Sand jetzt selbst; sie ist älter und ruhiger geworden, der Egoismus der Jugend, der stürmische Schmerz, das heftige Genußverlangen ist überwunden, das Streben nach Sühne, nach wohl- thätiger Wirksamkeit tritt unverkennbar immer deutlicher bei ihr hervor; nicht in trockenem Moralisiren oder dunkler Kopfhängcrei, sondern in inniger Heller Begeisterung für das wahrhaft Schöne, für die Tugend. Sie stellt ein so echtes, lebendiges Vorbild derselben in ihrer Consuelo auf, sie hebt gerade die weibliche Reinheit als den höchsten Schatz hervor und fordert von ihrem Vorbild in den schwierigsten Lagen die makellose Erhaltung desselben, daß man die Aufrichtigkeit ihres Sühneversuches nicht bezweifeln kann. — Anders in der Ausführung, aber ähnlich in der Tendenz, legt Jules Sandeau seine Reue über sein Leben und Lieben an den Tag; er schildert mit ergreisender Wahrheit die traurigen Folgen unerlaubter Verhältnisse, die Versündigungen, welche sich die Liebe gegen die Ehe hat zu Schulden kommen lassen. Die vornehme Welt in Paris bietet ihm Stoff genug in dieser Beziehung und seine eigene Vergan genheit liefert unzweifelhaft die charakteristische Färbung, die erschütternde Wirklichkeit der Situationen dazu; denn es war aller Wahrscheinlichkeit nach Jules Sandeau, um deffentwillen George Sand den häuslichen Heerd verließ. Beide müssen eine harte Schule der Leidenschaft durchgemacht und den Kelch der Trübsal bis auf die Hefen geleert haben, da in ihren Schriften der bittere Nachgeschmack so deutlich vorwaltet. Die Sand hat in jedem ihrer Romane einen stehenden Liebhaber, der statt des Herzens ein Gemisch von Selbstsucht und Sinnlichkeit in sich trägt, an dem sie gleichsam das Rachegefühl ihrer ge kränkten Weiblichkeit ausläßt; sogar in den späteren Romanen findet sich dieser Typus noch vor, z. B. in Horace, wo der Held gleichen Namens mit wahrer Meisterschaft als Urbild des männlichen Egoismus dargcstellt ist, und in Con suelo ist der leichtsinnige, verderbte Anzoleto eine Abart desselben. Jules Sandeau scheint nicht minder eine kleine persönliche Rache zu befriedigen, wenn er mit grausamer Ironie die Liebe eines Weibes als eine Last und Folter dar stellt; sein Roman Marianne schildert eine Frau, die ihrem Geliebten Ehre und Gcwiffensruhe aufgeopfert hat, ohne daß derselbe es geradezu von ihr ver langte, also gleichsam ein Aufdrängen voraussetzt, wodurch die Weiblichkeit aufs tiefste geschmäht wird. Indessen wird der Gegenstand von Mariannens rücksichtsloser Leidenschaft keineswegeS geschont, sondern der Verfasser hat Billigkeitsgefühl genug, ihn als gefühlsroh und egoistisch zu bezeichnen. Die Moral dieses Romans versteht JuleS Sandeau überzeugend und ergreifend herauszuheben; es ist die, daß die unglückliche Marianne wie eine AuSgc- stoßene umherirrt und sich verzweifelnd nach dem selbst verscherzten Paradiese des Familienlebens zurücksehnt, welches sie auf ewig verloren hat. DaS Talent der Franzosen für die Detailmalerei psychologischer Wahrheiten zeigt sich in diesem Romane besonders glänzend; obwohl der Ruhm der Sand ihn hierin weit überflügelt hat, so muß man doch zugeben, daß Jules Sandeau ihr ein guter Lehrmeister gewesen seyn muß. Er weiß eine Fülle treffender Bemer kungen auf die pikanteste Weise auszudrücken; eS sey zur Probe nur eine hier angeführt, er sagt: „Gewöhnlich geht es den Männern mit ihren Frauen wie nlit der Gesundheit; sie nehmen keine Rücksicht darauf, sie schonen sie nicht und merken erst, wenn sie sie verloren haben, wie schwer es ist, ohne sie zu leben." Eg liegt in diesem Ausspruch eine heilsame Lehre und zugleich ein charakteristisches Moment des Familienlebens, das wirklich so eng mit unserem Fleisch und Blut verwachsen ist, wie die Gesundheit; wer es zerstört, hat hie- -1 Derg!. Nr. 37, I^g. 1»». nieden auf kein Glück und keine Ruhe mehr zu hoffen. Jules Sandeau's löb licher Zweck ist eine eindringliche Warnung gegen Verirrungen dieser Art; er predigt die wirksame Moral abschreckender Beispiele in seinen Romanen, Einer seiner neuesten: Fernand, führt eine besonders energische Sprache, die auch wieder reich an bitteren Sarkasmen gegen das schwächere Geschlecht ist; Fernand liebte eine junge schöne Frau, aber er fühlt seine Leidenschaft täg- lich abnehmen, während die ihre, nach den Gesetzen des Widerspruchs im Men schenherzen, zunimmt: der Geliebte vermag seine Lage nicht länger zu ertra gen; sein Gewissen erwacht in dem Maße, als seine Liebe erstirbt, er schämt sich mit edlem Schmerz der Lüge vor der Welt, Les Betrugs vor dem ehren- werthen Gatten seiner ehmaligen Geliebten, und entzieht sich ihr durch eine Reise, hat aber nicht den Muth, völlig mit ihr zu brechen, weil er fürchtet, sie zu elend zu machen, sie, die ihm so theuer gewesen, die ihm so viel geopfert. Sandeau sagt: „Man liebt noch lange mit dem Gewissen, wenn man schon längst aufgehört hat, mit dem Herzen zu lieben! Jedoch mischt sich in diese Nachliebe auch ein großer Theil von Eitelkeit; welche sonderbare Selbstüber schätzung, zu glauben, daß die Frau, die wir verlassen, nichts Anders thun könnte, als sich aus dem Fenster stürzen oder vor Kummer sterben! Die Frauen lachen unter sich darüber; sie machen sich viel weniger daraus, ver lassen zu werden, als wir so gern glauben. Der Beweis ist, daß, wenn wir ihnen treu bleiben, so sind sie die ersten, die uns verlassen. Wohl ist es schwer, diese anscheinend so süßen Fesseln abzustreifen, taub zu seyn für das Schluch zen einer Ariadne, die zerreißenden Klagen einer Kalypso, aber cs ist immer unsere Eitelkeit, die uns verblendet und verleitet, die Schmerz- und Zornaus brüche dieser verlassenen Schönen so ernsthaft zu nehmen; sie haben in der Regel guten Trost bei der Hand und wechseln ihre Liebe wie die Eichen ihre Blätter." Trotz dieser etwas rauhen Ermuthigungen, die ihm ein Freund zu ruft, kann Fernand sich nicht zu einem offenen redlichen Bruch mit seiner un glücklichen Geliebten entschließen: erzieht es vor, sie hinzuhalten und vorzu- bereitcn auf den allerdings von ihm überschätzten Verlust. Hier giebt San- dcau den Frauen eine bittere, aber sehr heilsame Lehre: die Briefe Fcrnand'S sind die tiefsten Demüthigungen der Weiblichkeit ; er sagt seinem Freunde: „Ich habe so eben an Arabella geschrieben, ich habe mein Herz so lange gefoltert, bis ich noch einige schwache Funken darin anftreiben konnte; welche Qual, ich wünsche cs nicht meinem ärgsten Feinde, einen Liebesbrief schreiben zu müssen an eine Frau, die man nicht mehr liebt." Und als Fernand nun gar einen Brief von seiner ehemaligen Geliebten erhält, ruft er aus: „O, dieser Bries ist wie ein grausamer Gläubiger, der den höchsten Preis verlangt für einen einzigen glücklichen Tag des Bergessens", Fernand ärnbtet die traurigen Folgen seines feigen Mitleids: Arabella, durch seine künstlich Lüge und Wahrheit verwebenden Briese getäuscht, glaubt sich noch wie sonst geliebt, glaubt, er leibe durch die Trennung alle die Qualen, die sie selbst empfindet, vergißt alle Pflichten, alle Rücksichten und wirst sich in Fernand s Arme in einem Moment, wo er im Begriff ist, sich mit einem schönen jungen Mädchen zu verloben, für das sein Herz, zum vierten oder fünften Male die erste wahre Liebe empfindet. Jetzt kann Fernand die Erklärung nicht mehr aufschieben, noch zwei Worte, und Arabella wird ihre ungelegene Ankunft, ihre Erniedrigung be greifen — da öffnet sich die Thür, und der betrogene Gatte tritt ein; er scheint Fernands Absichten zu durchschauen und zwingt ihm mit grausamer Ironie die unglückliche Arabella auf, als eine furchtbare, wenn auch unblutige Rache. In Verzweiflung reist das durch Schande zusammengeschmiedete Paar nach Italien; Arabella macht einen Versuch zum Selbstmord, als sie einsieht, wie unglücklich Fernand sich durch sie fühlt ; er rettet sic, obwohl er ein Frohlocken nicht unterdrücken kann bei dem Gedanken, durch ihren Tod seine Freiheit wiederzuerlangen. Endlich stirbt Arabella an der dumpfen Qual ihres elenden DaseynS; sie schreibt voll heftiger Reue an ihren verlassenen Gatten einen Abschiedsbrief, in dem sie ihm sagt, wic vollkommen seine Rache gelungen sey, wie grausame moralische Mißhandlungen sie erlitten habe. Fernand betrauert sie aufrichtig, er kehrt in seine Heimat zurück und überläßt sich wieder der Glückshoffnung in der Liebe jenes schönen Mädchens, das auch ihm treu ergeben geblieben ist. Aber die Nemesis ist noch nicht versöhnt ; am Vorabend seiner Vermählung tödtet ihn, im Duell, der beleidigte Gatte Arabellens, dessen Schmerz und Rachegefiihl durch den trostlosen AbschiedSbrics derselben aufs neue zu heftig erregt worden war. So endet eine im Uebcrmutb und Leichtsinn begonnene Jntriguc gerecht bestraft, wic es um so ergreifender wirken muß, als Fernand durchaus kein schlechter, sondern nur ein schwacher Mensch ist, in dessen Regungen, Wünschen und Handlungen sich Tausende wiederkennen könnten. ES ist in der That zu bedauern, daß fremde Ersah-