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Schönburger Tageblatt Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge stnd erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster scheinende Nummer bis Mittags 12 Ukr des vorhergehenden Tages. u«d Waldenburger Anzeiger. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. SO Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern 8 Pf. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Amtsblatt für den Stadtrath zn Waldenburg. Donnerstag, den 15. November 265. 1««3. "Waldenburg, 14. November 1883. Neuerdings wird wieder viel von Truppendis- locationen an der russischen Grenze geschrieben, und dürfte es deshalb an der Zeit sein, sein Augenmerk auf jene Verhältnisse zu richten. Bekanntlich wer den diese Dislocationen durch die russischen Trup penanhäufungen in Polen als nothwendig hingestellt. Daß die letzteren thatsächlich noch immer stattfinden, beweist eine Nachricht, nach welcher der General- gouoerneur von Polen, General Gurko, höheren Orts beantragt hat, d,ie durch die immer größere Concentrirung von Truppen in Polen gesteigerten Einquartierungskosten mögen aufs Reich übergehen, da Polen sie nicht mehr tragen könne, zumal man im Königreich noch weitere Truppen-Ansammlungen erwarte. Die deutsche Reichsregierung hat ein offenes Auge für jene Vorgänge und läßt auch den Gegner nicht in Zweifel darüber, daß man die Verhältnisse kennt. Wenn Rußland trotz alledem fortsährt, Truppen über Truppen nach Polen zu schicken, so muß dies auch den Laien bedenklich machen, und so finden Diejenigen Gläubige genug, welche behaupten, daß uns das nächste Frühjahr höchstwahrscheinlich einen Krieg bringen werde. Zwar sprechen sich alle Stimmen der russischen Regierungsblätter, selbst directe Aeußerungen in dortigen Regierungstreuen für den Frieden und für die Eintracht mit dem Nachbar aus; so wird erst heute z. B. wieder aus Petersburg folgende Mel dung durch das „W. T. B." verbreitet: „Dem Vernehmen nach sind die Redactionen der russischen Zeitungen seitens der Regierung angewiesen worden, sich jeglicher grundlosen allarmirenden Nachrichten zu enthalten, welche die guten Beziehungen Ruß- ' lands zu den Nachbarstaaten trüben könnten." Wem kommt aber beim Lesen dieser Zeilen nicht die Frage, ob nicht die Russen hier ein Doppelspiel treiben, welches gerade in der russischen Diplomatie von jeher die eifrigsten Anhänger gefunden hat? Schon die Ernennung des Generals Gurko zum Gouverneur von Polen mußte auffallen, da für die gewöhnlichen Gouvernements-Geschäfte ein weniger schneidiger General, als jener Reiterführer, vollkom men ausgereicht hätte. Hier handelte es sich aber offenbar nicht um einen Gouverneur, sondern um einen Organisator von Truppen, die für einen Kriegsfall ausersehen und an bestimmten Stellen concentrirt wurden. Aus alledem geht klar hervor, daß auf russische Friedensversicherungen nicht gar viel zu bauen ist und daß wir mit einem Feinde im Osten zu rechnen haben, sobald die europäische Constellation und un sere eigene Macht einen Angriff opportun erscheinen lassen. Wenn nun dies nicht wegzuleugnen ist, so ist andererseits eine Gefahr schon halb überwunden, wenn man sie rechtzeitig erkennt und der Leiter un serer auswärtigen Politik ist mit aller Kraft dabei, jene Gefahr durch immer neue Allianzen und Macht erweiterungen zu paralysiren oder sie womöglich ganz zu beseitigen. *Waldenburg, 14. November 1883. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Der Kaiser empfing am Dienstag die Vorträge höherer Offiziere und entsprach sodann einer Ein ladung des Großfürsten und der Großfürstin Wla dimir zum Diner in der russischen Botschaft. Nach mittags ertheilte der Kaiser Audienz. Um 5 Uhr fand engere Familientafel statt. Der Kaiser hat in Folge des Aufrufs des Centralvorstandes der „Allgemeinen deutschen Luther stiftung in Leipzig" vom 31. vorigen Monats einen Beitrag von 1000 Mark für die gedachte Stiftung mit Bezugnahme auf den 10. November gespendet. Der deutsche Kronprinz hat seine Abreise nach Genua und Madrid auf nächsten Sonnabend früh verschoben. Der deutsche Kronprinz wird, Madrider Meldung zufolge, vierzehn Tage in der spani schen Hauptstadt verbleiben. Im königlichen Palais werden 11 Zimmer im ersten Stock für ihn vorbereitet. Die in Aussicht genommenen Festlich keiten werden diejenigen, welche dem Könige von Portugal und dem Prinzen von Wales bei ihrem Besuche in Madrid veranstaltet wurden, an Glanz noch übertreffen. Bei günstiger Witterung soll eine große Jagd in San Ildefonso veranstaltet werden. Was die Erhebung der beiderseitigen Gesandtschaften in Berlin und Madrid zu dem Range von Bot schaften anbelangt, so wird bereits das nächste Budget die mit dieser Umwandlung verbundenen Mehrkosten in Ansatz bringen. Der russische Minister von Giers ist am Diens tag früh in Berlin eingetroffen und in der rus sischen Botschaft abgestiegen. Nachmittags 3^/s Uhr ist derselbe vom Kronprinzen und demnächst auch vom Kaiser empfangen worden. Am Vormittag hatte der Minister bereits eine längere Unterredung mü dem Staalüserl-.:är Gras von Hatzfeld. Nach den neueren Bestimmungen begiebt sich der Minister von Berlin über Friedrichsruhe direcl nach Mon treux. Wie der „Nat.-Ztg." mitgetheilt wird, wurde der Minister bei seiner Durchreise in Königsberg von dem Geh. Commerzienrath Siemon auf dem Bahnhofe begrüßt. Bei dieser Gelegenheit wider sprach er auf das Entschiedenste den Gerüchten von seiner beabsichtigten Demission. Ferner heißt es, daß der Reichskanzler den Minister ausdrücklich nach Friedrichsruhe eingeladen habe. Die ullramontane „Germania" hat an die ver schiedensten Adressen Beschwerden über die Lutherfeier zu richten. Sie ist höchst erzürnt 'Ober das, wie sie meint, „taktlose und unstatthafte" Telegramm des ^englischen Luther-Comitee's an den Kaiser und darüber, daß das officiöse Telegraphen bureau dasselbe verbreitet. Ferner meint sie, die staatlichen öffentlichen Gebäude hätten ohne Flaggen schmuck bleiben müssen und fährt dann fort: „Wenn dessen ungeachtet die Ministerhotels, deren Inhaber Protestanten sind, beflaggt waren und die Minister also ihre Person maßgebend für ihre Dienstwoh nungen betrachtet haben, so wollen wir dagegen nichts weiter einwenden, und wenn die katholischen Minister Maybach und Lucius durch Flaggenschmuck ihrer Dienstwohnungen ihrer persönlichen Freude über die vor 400 Jahren stattgehabte Geburt Luthers haben Ausdruck geben wollen, so wollen wir mit ihnen nicht rechten. Es ist ja nicht Jeder mann's Sache, in solchen Dingen immer das Rich tige zu treffen und muthmaßlich haben sich die Herren durch den eigenthümlichen Brief Döllinger's bestimmen lassen. Wenn aber Gebäude, wie das Reichstagsgebäude, die einen ausschließlich staatlichen Charakter haben, beflaggt werden, so wird damit der Versuch gemacht, dem Reich selbst einen con- fessionellen Stempel aufzudrücken, ein Beginnen, gegen welches wir auf das Entschiedenste protestiren müssen. Wir können es sonst in Consequenz dieses Versuchs erleben, daß in der Halle des neuen Reichs- tagsgebäudds ein Standbild Luthers aufgestellt wird." Wäre das letztere etwa so furchtbar? Der „Krzztg." zufolge wird dem preußischen Land tage sofort die Steuerreformvorlage nach seinem Zusammentritt zugehen. Ueber den Inhalt derselben schreibt das genannte Blatt Folgendes: „Daß die bezügliche Vorlage eine Verschmelzung der bisherigen Klaffen- und Einkommensteuer enthält und die Ein kommen unter 1200 Mark, soweit dieselben nicht der besonderen Capitaleinkommensteuer unterliegen, von jeder Besteuerung befreit, ist bekannt und wird uns von Neuem als zutreffend bezeichnet. Dagegen wäre die uns zugehende Nachricht, wenn sie, wie wir anzunehmen allen Grund haben, sich als richtig erweisen sollte, neu und von hohem Interesse, daß es in der Absicht der Slaatsregierung liegt, die bis her bei der Veranlagung und Einschätzung zur Klaffen- und Einkommensteuer seitens der Landräthe geübten Functionen auf neu zu creirende Kreis- Steuer-Jnspectoren zu übertragen." Einer im preußischen Kultusministerium bearbei teten Denkschrift über die öffentlichen Volksschulen im preußischen Staate entnehmen wir, daß die Volksschulen in Preußen von 4,340,000 Kindern besucht werden. Was diese Zahl besagen will, läßt sich ermessen, wenn ihr die Zahl der Schulkinder in einigen anderen deutschen Staaten zur Seite gestellt wird. Nach der Statistik des Unterrichts und der Erziehung im Königreich Bayern waren daselbst Werktagsschüler (gleichbedeutend mit Volksschüler) 632,599; das Königreich Sachsen hatte einschließlich der Kinder in Seminarschulen 474,058 Bolksschü- ler, das Großherzoglhum Baden hatte 227,065, das Großherzoglhum Hessen 150,821 Volksschüler. Hofprediger Stöcker ist am Sonntag nach Lon don abgereist. Hiernach wird er doch seine Vor träge in London hallen. Der Alderman Mr. Isa acs (Aha!) in London sollte angeblich gegen die „Schändung des Stadthauses" Einspruch erhoben haben. Graf Ledochowski hat auf ein ihm von vielen Bewohnern seiner Diözese zugegangenes Glückwunsch schreiben zum Geburtstag einen Dankbrief an die Redaction des „Kur. Poznanski" gerichtet, aus wel chem ersichtlich, daß er nicht daran denkt, auf seine Diözese zu verzichten. Bei den Stichwahlen zu den Stadtverordneten wahlen in Berlin wurden gewählt im 11. Wahl bezirk Irmer (Bürgerpartei), im 14. Tutzauer (Ar beiterpartei), im 15. Tutzauer (Arbeiterpartei), im 23. Namslau (Fortschritt), im 25. Krampf (Bürger- pariei), im 26. Limprecht (Bürgerpartei), im 27. Straßmann (Fortschritt), im 29. Vitö (Bürgerpartei), im 32. Böhme (Bürgerpartei), im 41. Schulz (Fortschritt). Aus Metz wird gemeldet: Bei der am Montag stattgehabten Wahl eines Mitgliedes zum Landes- ausschusse wurde der Weinhändler Neumann als Candidat der Vermittelungspartei mit 13 von 25 Stimmen gewählt. Das ist doch wenigstens ein kleiner Erfolg, denn bisher wurde bekanntlich von den Candidaten stets die Wahl mit dem Hinweis darauf, man sei der deutschen Sprache nicht genü gend mächtig, abgelehnt. Frankreich. Die Pariser Journale haben schon manches tolle Zeug zu Tage gefördert, aber schwerlich Unsinnige res als jetzt, wo ein chauvinistisches Blatt einen Plan über den großen im Verein mit Rußland ge führten Revanchekrieg bringt, in welchem Deutsch land jämmerliche Hiebe erhält, Elsaß-Lothringen und Ostpreußen verliert, und nach welchem der deutsche Bund vor 1866 wieder hergestellt wird. Siege im Voraus zu feiern, ist ein kindisches Vergnügen und „mancher kommt, um zu scheeren, und geht geschoren nach Hause," sagt schon Sancho Pansa's Weisheit. Auch Reuters Bureau meldet die schon vor 8 Tagen gebrachte Mittheilung, in Madagaskar sei eine Palastrevolution ausgebrochen und die Ge sandtschaft, welche Europa bereist und der Premier-