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rMzerMici^ und Tageblatt -- - - Erscheint jeden Wochentag Abends 6 Uhr für den 1 " / andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 2S Pf., * * zweimonatlich 1M. SV Pf. u. einmonatl. 7d Pf. Inserate werden bis Vormittags 11 Uhr angenom ¬ rate werden bis Vormittags 11 Uhr angcnom- a und beträgt der Preis für die gespaltene Zelle 1 oder deren Raum 1S Pfennige. , mm 31. Jahrgang. Donnerstag, den 5. Jnni. Amtsblatt für dir königliche uud stiidttsche Behörden zu Freiberg und Braud. Beraotwortlicher Redakteur Julius Braun in Freiberg. Vie französische Sriür. Es glebt keine zwei große» Rationen auf der Welt, die sich so mißtrauisch und lauernd beobachten, als die fran zösische und die deutsche. Andere Regiemngen, wie die englische und russische, mögen sich wegen ihrer politischen Absichten und Ziele nach einer bestimmten Richtung hin mit noch so tiefem Mißtrauen gegenseitig beobachten — es ist dieser mehr diplomatische Argwohn doch nicht mit dem allgemeinen nationalen zu vergleichen, welchen man jenseits der Vogesen gegen die Deutschen im tiefsten Herzen birgt. Auch wir in Deutschland find nicht frei davon, weil wir mit Recht annehmen, daß uns in Frank reich ein Nationalhaß belauert und für uns kein gefähr licherer Feind existtrt, als der französische Patriotismus. Man muß nur die krampfhafte Art verfolgen, mit der in Paris jede Gelegenheit benutzt wird, diesen so schwer von Deutschland gedemüthigten Patriotismus aufzustacheln, zu beleben, zu trösten und seine vergifteten Spitzen immer gegen dies verhaßte deutsch« Reich zu richten. Darin ist die Presse aller Parteien einig, weil sie hiermit dem innersten Empfinden der französischen Nation Rechnung trägt. So ist denn natürlich die neueste Wendung der poli tischen Parteikämpfe im deutschen Reichstage gelegentlich der Zollfragen nicht erfolgt, ohne daß die Franzosen mit ihrer blinden Brille auf der Nase diesem Vorgänge mit einer sichtlichen Schadenfreude gefolgt sind. Die Demis sion Forckenbecks, seine wahrscheinliche Stellung als Führer einer neuen liberalen Opposition gegen Bismarck, ist ihnen Grund genug, sich innere Verwicklungen in Deutschland zu versprechen und den Fürsten Bismarck nunmehr in jene unheilvollen Wege einlenken zu sehen, die Deutschland wieder von seiner Größe und Macht herabbringen werden. Mit einem unverhohlenen Jubel wird heute dem fran zösischen Volke gepredigt, daß Bismarck von seinen bis herigen Helfern und Freunden verlassen worden; daß die jenigen, die das deutsche Reich mit gründen halfen, die es ideell vorbereiteten, sich jetzt lossagen von dem allmäch tigen Reichskanzler, um sich gegen ihn zu richten ; daß dieser „deusche Richelieu" nunmehr mit Konservativen und Ultramontanen sein Werk fortsetzen muß, das heißt mit Denjenigen, die niemals Freude am deutschen Reich hatten und folglich nicht patriotische, sondern ihre egoistischen Zwecke in dem neuen Allianzverhältniffe und in dem herrschenden Einfluß auf die Regierung verfolgen werden- Schon sieht man denn voraus, daß die Konsequenzen dieser Schwenkung der BiSmarck'schen Politik die Jsoltrung ihres Meisters sein müssen oder dessen vollständige Hingabe an eine Reaktion, wie sie seinen neuen Freunden und Genoffen am Herzen liegt. „Unglück dem Einsamen!" ruft z. B. der alte, feinspürige und immer noch scharfblickendste Girardtn in seiner „France" au». V»v soll, wie das Evangelium sagt. In Frankreich die Freiheit, in Deutschland die Re aktion. „Jeder hat seine Rolle wieder." „Die Zeit bringt den Deutschen die Verlegenheiten über ihre Größe ; denn es genügt nicht, den Glanz zu besitzen, ihn erobert zu haben, sondem man muß davon Vortheil für das Wohl der Menschheit ziehen, für die moralische und materielle Verbesserung der Nationen." Gott sei Dank also — so denkt denn auch richtig heute die französische Nation — daß Bismarck als Apostel der Reaktion seine bisherigen Ideen und Prinzipien verläßt, daß Deutschland wieder wie Rußland als ein Staat des BarbarenthumS in der Ach tung der Welt niedergeht und desto strahlender die Sonne der Freiheit in Frankreich am Himmel emporsteigt, als eine Hoffnung der Völker und natürlich der Zivilisation. Nun hat es zwar mit der Freiheit in Frankreich seine eigene Bewandnifle. Die Royalisten, Bonapartisten und Radikalen verhöhnen die jetzige Republik wegen ihrer lüg nerischen Freiheit. „Republikaner seiv ihr, ja," sagte jüngst der Bonapartist Paul de Caffagnac, als man die Anklage wegen Preßvergehens gegen ihn in der Kammer forderte „aber liberal, nein!" Für die Radikalen ist die Ungiltig- keitserkläruug der Wahl Blanqui'S durch die Kammerkom- miffon nicht minder ein neuer Beweis, daß in der jetzigen Republik mit der wahren Freiheit nichts zu prahlen giebt. Und in der That, sind die jetzt allmächtigen Gambettisten mit den gemäßigten Republikanern auch sehr zufrieden, zufolge des schönen Verses: ,.Freiheit, die i ch meine", so ist doch gewiß, daß die Regierung in ihren Maßregeln und Preßverfolgungen nichts weniger als ein freisinniges System darstellt. Gegenüber den unheilvollen Ausschreitungen, die man von einer Herrschaft der radikaleren Elemente erwarten muß, ist auch bei allen Freunden der Ordnung das Be gehren sehr lebendig, daß sich die Regierung in etwas Reaktion stark zeigen möge ; und ginge es nach dieser, so zöge sie wohl Manche Zügel politischer Freiheiten noch etwas straffer an- WaS heißt dies nun, daß in Frankreich die Freiheit, in Deutschland wieder die Reaktion ihre Rollen spielen? Eine Gaukelei, wie man sie eben nur den Franzosen vormachen kann! In Ermangelung von etwas anderem Ruhm wird denn z. B. auch dieser noch immer blutende französische Patrio tismus damit gesalbt, daß er der Vater der neuen groß artigen Idee des Durchstichs der Meerenge von Panama, eines neuen großartigen Werkes der Zivilisation, sei. Eine Kommission unter Leffeps, dem Erbauer des Suezkanals, tagt jetzt in Paris deswegen und dies genügt, alle Tage den Franzosen zu sagen, sie seien wieder an der Spitze der Zivilisation, obwohl es wahrscheinlich mit dem Panama- Projekt so gehen wird, wie mit dem des Meertunnels zwischen Frankreich und England, der bis auf Weiteres jnur eine schöne Idee ist. Kann man nun den Deutschen fortan wieder nachsagen, daß sie in der Welt nicht mehr viel wegen ihrer Reaktions- Politik bedeuten, so wird um so widerwärtiger denjenigen Mächten geschmeichelt, die man gelegentlich eines Krieges mit Deutschland, auf den man sich rüstet und den man womöglich schon im nächsten Jahre glänzend durchzuführen denkt, als Alliirte zu angeln hofft: Oesterreich und Rußland. Die Katastrophe von Szegedin wird bis zum Aeußersten ausgebeutet, um in Oesterreich- Ungarn bemerkbar zu machen, wie inbrünstig die französischen Sympathien für diesen Staat und seine Schicksale sind- Der „Figaro" setzt jetzt sogar ein förmliches Pariser Fest großartig deswegen in der neuen Oper in Scene. Anderer seits verlautete nicht so bald, daß der Czarewitsch sich mit seinem Vater deswegen überworfen habe, weil er nicht zur goldenen Hochzeit des deutschen Kaisers nach Berlin reisen wolle, als die Pariser Presse sogleich diesem Czarewitsch mehr als die Hände deswegen küßte und daran erinnerte, wie dieser brave Feind der Deutschen 1870 in Kopenhagen mit seiner jetzigen Gemahlin, der dänischen Prinzessin Dagmar, über die „Majestät" des französischen Kriegsunglücks bei Metz tief betrübt und ergriffen war. Daran knüpft man die Hoffnung, daß einst dieser Prinz als Herrscher mit den Franzosen zusammen die verhaßten Deutschen auS- rotten werde! Man muß doch solche Fieberkrankheit verfolgen, gleich viel wie die Brille ist, durch welche der Kranke sich die Welt betrachtet! Tagesschau. Freiberg, 4. Juni. Ueber den gestern schon telegraphisch gemeldeten Unfall des Kaisers Wilhelm auf Schloß Babelsberg bei Potsdam wird heute von Berlin berichtet: Am Jahrestage deS zweiten Attentats ist dem Kaiser auf Schloß Babelsberg leider ein Unfall zugestoßen, indem er auf dem Parquet des Fußbodens, als er sich von einem Stuhle erheben wollte, ausglitt. Der Kaiser fiel auf das rechte Knie, welche» glücklicherweise nur leicht gequetscht wurde, so daß der Ge- heimrath Dr. v. Lauer nach wenigen Stunden seinen hohen Patienten wieder verlassen konnte. Die Regierungsgeschäfte sind durch den Unfall nicht unterbrochen worden und hat Se. Majestät schon am folgenden Vormittag die regel mäßigen Vorträge wieder entgegen genommen. Gestern nahm der Kaiser die Vorträge der Grafen Pückler und Perponcher, sowie des Geh Raths Borck entgegen und ar beitete mit dem Chef des MilitärkabinetS, Generalmajor Albedyll. — Der Kaiser von Rußland wird nach den bis herigen Dispositionen am 14. Juni von Berlin nach EmS abreisen, wohin ihm Kaiser Wilhelm am 15. Juni nach- zufolgen beabsichtigt- Zuvor wird voraussichtlich die Taufe der Tochter des meiningtschen Erbprinzenpaares stattfinden. — Gegenüber einem von der „Augsb- Allg. Ztg." unter der Uederschrift: „Das neue Reichsgericht" von sächsischen Juristen veröffentlichten Aufsatz, worin darüber geklagt wird, daß das Reich bei Besetzung der Reichsgerichtsstellen keinen Theoretischen in das Reichsgericht berufen hätte, kann die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" erklären, die Reichsjustizverwaltung, die nur als Landesjustizverwaltung für Elsaß-Lothringen die Besetzung einer Rathsstelle vor zuschlagen hatte, war bemüht, hierzu einen angesehenen Richtslehrer einer deutschen Universität zu gewinnen. Für die aus persönlichen Gründen erfolgte Ablehnung dieser Berufung könne man die Reichsjustizverwaltung nicht ver antwortlich machen. — Weiter schreibt die „Nordd. Allgem. Zeitung": Zu den von dem Kaiserpaar am 11. Juni zu empfangenden Deputationen gehöre unter der ausdrück lichen Genehmigung des Kaisers auch eine Deputation des Bundesraths. Bei den Betrachtungen über unsere wirthschaftliche Lage wird unsers Erachtens viel zu sehr übersehen, daß wir zur Zeit vor einer Umwandlung unserer ganzen Produk tions-Verhältnisse stehen, deren Folgen sich noch nicht völlig übersehen lassen. Wir begnügen uns für heute, die ein fache Thatsache zu konstatiren, ohne Folgerungen daran zu knüpfen. Die letzten Jahrzehnte standen unter dem Ein flüsse von zwei maßgebenden Faktoren in unserem wirth- chastlichen Leben: der Einführung der Dampfkrast als Betriebsmittel für unsere Industrie und der Entwickelung unseres Eisenbahnnetzes. Es ist hier nicht der Ort, den totalen Umschwung zu skizziren, welchen diese beiden Fak toren in dem Wirthschaftsleben der Völker hervorgebracht haben; keine andere Epoche kann sich bezüglich der An- pannung aller Kräfte mit den letztvergangenen Jahrzehnten neffen. Aber schon auf den ersten Blick leuchtet ein, daß riese riesige Entwickelung nicht in alle Ewigkeit in gleichem Tempo fortgehen kann. Die Anlegung von Eisenbahnen und Dampfmaschinen haben alljährlich Millionen von Ka- rttal verschlungen und Hunderttausend« von Arbeitskräften reschäftigt ; aber nun muß selbstverständlich auch einmal der Zeitpunkt eintreten, an welchem dem Bedürfniß nach Eisenbahnen und Dampfmaschinen im Wesentlichen grnügt ist und die Nachfrage, wenn auch natürlich nicht aufhört, aber doch schwächer wird. Und dieser Zeitpunkt ist ge kommen. Soweit sich das beurtheilrn läßt, werden große durchgehende Eisenbahnlinien kaum mehr gebaut werden und ebenso wird sich das Maschinenwesen, da die Konsum tion mit der Produktion nicht Schritt hält, nur ganz lang sam weiter entwickeln. Das muß zurückwirken aut alle Verhältnisse. Die ganzen Ersparntsie des Volks sind in den letzten Jahrzehnten, direkt oder indirekt, in Maschinen und Eisenbahnen angelegt worden. Es war dies gleichsam die Festlegung von Kapitalien, wie sie jeder Privatmann bei Neugründung von Geschäften vornehmen muß. Jetzt kommt die Zett, in welcher eS sich in der Hauptsache nur um Ergänzung der vorhandenen Anlagen handelt und die Ansammlung von Kapital beginnt. Das muß von tief greifender Wirkung werden; die Kapitalien werden flüssiger