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SWsche Polkszeitung Erscheint täglich «ach«, mit Ausnahme der Vom»«». Festtage. Bezugspreis» vierteljährl. 1 Mk. 80 Pf. (ohne Bestellgeld). Post-Bestellnummer 0888. Bei autzerdeutschen Postanstalten laut Zeitungs-Preisliste. Einzelnummer 10 Pfennige. Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit. vucdUniclttler, waaimon uns SrrcdaNzrtrller Dresden, Pillnitzer Straße 43. Inserate werden die 6 gespaltene Petitzeile oder deren Raum mit 18 Pf. berechnet, bei Wiederholung bedeutender Rabatt. Redaktions-Sprechstunde: 11—1 Uhr. Fernsprecher: Amt I. Nr. ISO«. Nr. 281. «»th-iu-», a»r> Bo,Mittwoch, den 4. November 1903. Protest-»,-»- <»o,reich. 2. Jahrgang. Herbstftiriimurrg im Protestantismus. Alljährlich, wenn der letzte Oktobertag übers Land zieht, erschallt freudiges Geläute von den Türmen der evangelischen Kirchen und findet manchen Wiederhall in dem Blätterwald der sächsischen Heimat. Wir wundern uns darüber nicht; sie feiern den Geburtstag, nicht der evan gelischen Kirche — dieser liegt erst einige Jahrzehnte zu rück —, sondern des Protestantismus. Am gleichen Tage im Jahre des Heils 1517 erhob ein unbotmähiger Mönch seine Stimme anfangs bloß gegen den mit dem Ablaß angeblich getriebenen Mißbrauch des ihm persönlich ver haßten Dominikanermönches Tetzel. Seine 95 Lehrsätze ent sprachen der antipäpstlichen Richtung der Zeit und flogen in 14 Tagen durch ganz Deutschland. Um den kühnen Mann sammelten sich Fürsten, die nach Kirchengut lüstern waren, Klöster und Stifte, weil sie ihr Ablaßpriveleg im Ablaßjahr nicht ausüben konnten, das gesamte Chor der Humanisten und passionierten Spötter, wie Erasmus und Hutten, und auch alle jenen Elemente, welche die Zwie tracht benützen, um bei solchen Gelegenheiten sich zu be reichern. Die Tat Luthers wäre damals als Mönchstreitigkeit, ohne größeren Schaden anzurichten, ebenso in Wittenberg wieder vergessen worden, wie es vielen anderen unruhigen Geistern vor ihm geschah, wenn nicht anderen Mächten aus materiellen Gründen die Bewegung willkommen gewesen wäre. Die in der katholischen Kirche eingerissenen Miß- bräuche konnten durch weise Fortführung der begonnenen Reformation auf dem Boden des alten Glaubens gebessert werden; die Umsturzpartei eines Hutten und Sickingen aber brauchte ein Instrument, wie es Luther war, um ihr ehr geiziges Ziel durchzusetzen. So wurde der Tag von Wittenberg zum Beginn der für Deutschland so unglücklichen Glaubensspaltung. Die Presse Pflegt zur würdigen Begehung der „großen Tat" Luthers in seinem Sinne gehässige Artikel gegen die römisch-katholische Kirche für nötig zu halten. Auch Heuer ist der Haß in einem Teile der Presse der Grnndton ge blieben. Bei Luther sowohl als bei einem Teil seiner Nachläufer gilt das, was die „Krenzzeitung" dem Evange- lischen Bunde ins Stammbuch schrieb: „Der Haß gegen Nom ist stärker als die Liebe zu Gott." Dieses „Erbe" Luthers wird daher auch alljährlich zum „Reformationsfest" dem deutschen Volke vor Augen geführt. Freilich können sie die ganze Höhe der grob strähnigen Beschimpfungen nicht gut erklimmen, welche der „Reformator" in seiner „göttlichen Grobheit" gegen Papst und Kirche, ja selbst gegen Kaiser und Fürsten zu schleudern sich erlauben durfte ; das Preßgesetz verbietet das. und auch Luther selbst wäre es nicht mehr gestattet, falls er in unserer Zeit leben würde, die mehr auf Sitte und Anstand häl^ und einen guten Ton liebt. In Anbetracht dieses Umstandes, daß die Presse heutzutage ihren Meister darin nicht zu übertrumpfen vermag, nehmen wir Abstand davon, die Angriffe seiner Epigonen zu registrieren; neues wurde seit Luthers Zeiten darin nicht erfunden. Aber noch ein zweiter Grund läßt uns davon absehen; es ist die an scheinend gerechter gewordene Stimmung in der anständigen Presse: sie hat es scheinbar satt, fortgesetzt ihre Kraft in dem Dienste einer Sache zu erschöpfen, deren Boden man oft bedenklich suchen muß. Wenn also die Bahn des Evangelischen Bundes am Tage des Rcformationsfestcs nicht weiter beschritten wurde, wenn man einen Augenblick stillstand und es sich überlegte, wohin der Weg führt, so ist das mit Freuden zu begrüßen. Die „Deutsche Wacht" kann es wohl nicht übers Herz bringen, als die größten Feinde des deutschen Volkes die „römischen und jüdischen Soldkuechte" hinzustellen, von „römischer Geistesknechtnng" zu sprechen, aber das sind Rückfälle in alte Gewohnheiten; von fixen Ideen werden Geisteskranke nicht so rasch kuriert. Aus dem Artikel selbst spricht die Verzweiflung über die trostlosen Zustände im Protestantismus: Herbststimmung ruht über ihm. Das Blatt legt sich „bangen Herzens" die Frage vor: „ob der Glaubcnssommer des deutschen Volkes schon vorüber sei und der materialistische Geist, der unsere Zeit beherrscht, einen vorzeitigen Glaubensherbst herbeigeführt habe." Und weiter heißt es: Vierhundert Jahre sind verflossen, seit Luther mit seinen Hammerschlägen die geistige Unfreiheit zertrümmerte, und doch haben wir es nicht zu einer einigen deutsch-christlichen Kirche ge bracht. Nach wie vor leuchtet über »ns das kalte Licht des Un glaubens, und mit Besorgnis scheu wir, wie man die herrliche Blume Reformation zu zerpflücken versucht, wie heute die Ausübung praktischen Christentums im Geiste Luthers nicht mehr als „vor nehm" gilt. Es ist. als ob wir Luther sprechen hörten über seine Ent täuschung, die er mit seiner Lehre und seinem Evangelium erlebt. Auch damals begannen die Zustände im deutschen Volke ärger denn je zuvor unter der katholischen Kirche zu werden. Das konservative „Vaterland" gibt dennoch die Schuld an dem Verfall des deutschen Volkes den „Giftkanälen", die „ultra mttnto8" kamen, bis Luther erschien. Ein merk würdiger Historiker! Er müßte doch wissen, daß gerade durch die Glaubensspaltung die traurigsten Tage des tiefsten Verfalles herbeigeführt wurden, daß durch sie der Unglaube so rasende Fortschritte zeitigte. Dasselbe Blatt sagt auch, in der „Reformation" sei „nicht ein Menschenwerk, sondern ein Werk Gottes zu erblicken" — eine „Gottestat". Merk würdig, daß der „Reformator" selbst sich feierlich dagegen verwahrte. Als nämlich die Widertänfer ihm die Stelle der Bibel vorhielten, nach welcher seines Evangeliums göttlicher Charakter nach den Früchten zu beurteilen sei <Matth. VII, 16—20). und dabei auf die Unordnungen in seinem Lager h'inwiesen, da erklärte Luther: „Daß man Gottes Wort und das Evangelium nicht nach den Früchten beurteilen dürfe, da dieser Spruch nur die falschen Lehren betreffe." (Lischr. L. A. 1621, s. 22 rr.) Die Früchte der Glanbensspaltung waren aber derart, daß der sonst gewiß nicht bescheidene Mann sich hütete, sie als — Gottestat hinzustellen. Dem „Vaterland" empfehlen wir die An merkung 59 ans S. 143 in Buchmann, Populärshmb. I, S. 142 ff.) zum eingehenden Studium oder die „Geschichte der Deutschen" des konservativ-protestantischen Geschichts schreibers Wolfgang Menzel. Luther hat sich durch sein lateinisches Sterbesprüchlein, das er am letzten Tage seines Lebens mit Kreide an die Türe schrieb: Dir war ich eine Pest, o Papst, im Leben, Durch meinen Tod will ich den Rest dir geben." sJena Th. ö f. 124.) als schlechten Propheten erwiesen; aber ein paar Jahre früher habe er richtig prophezeit, behauptet Aurifaber zwanzig Jahre nach Luthers Tode (Tischreden, Vorrede); er beschreibt, wie das göttliche Werk überall in Mißachtung geraten sei, „sodaß wir leider nun für Angen sehen den Untergang der Lehre Luthers". „Dieses hat," fährt er fort, „Luther vorausgesagt. Hierin ist er ein wahrer Prophet gewesen: Denn seine Lehr ist jetzt also veracht und man ist ihrer also überdrüssig, müde und satt worden im deutschen Lande, daß man seines Namens schier nicht gerne höret, noch auch die Zeugnisse ans seinen Büchern mehr hoch achtet." Wenn also die „D. Wacht" den gleichen Unglauben vor und nach der Reformation anzunehmen scheint, so ist sie von Irrtum befangen; Luther sagte schon bei Lebzeiten: „Es wird die Welt aus dieser Lehre lder „Glaube" allein macht selig), nur je länger, je ärger; jetzt sind die Leute mit sieben Teufeln besessen, da sie zuvor mit einem Teufel besessen waren; der Teufel fährt jetzt mit Haufen unter die Leute, da sic nn unter dem Hellen Geist des Evangelii sind gcitziger, listiger, fortheiliger, unbarmherziger, unzüchtiger, frecher und ärger, denn zuvor unter dem Bapstthum!" (Hauspostille, Jena 155!); Pred. 2 am 1. Sonnt. Adv.) Wir erinnern uns da lebhaft an den Ausspruch des (strafen v. Wintzingerode, den er ans dem Zwickauer „Konzil" des Evangelischen Bundes im Oktober 1395 tat: „Nicht mit sozialer Gesetzgebung und sozialen Verbesserungen ist Zufriedenheit für die ärmere Bevölkerung zu erreichen, sondern sie liegt im Bewußtsein von dem Glücke, das der evangelische Glaube gibt." Vom christlichen Glauben, wie er Katholiken und Protestanten gemeinsam sein soll, gilt dies, von den Konsequenzen aus Lehren, wie die Leug nung des freien Willens, Aufhebung aller Gebote, Ent behrlichkeit der guten Werke kann man das nicht sagen. Solche Lehren führen zu Zuständen, wie sie Luther bereits bitter beklagen mußte, und worüber die „Deutsche Wacht" in melancholische Herbststimmung gerät. Blei inr Herzen. Erzählung von I. N. von der Lans. Aus dem Holländischen übersetzt von L. van He ernst ede. <41. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) Nur seine Frau hatte die Veränderung in dem Wesen ihres Mannes wahrgenommen; sie hatte sich darauf selbst verständlich auch gefaßt gemacht und ihre Maßregeln dem nach von vornherein getroffen, um eine peinliche Szene zu verhüten. Während sie mit den jungen Damen anscheinend in unbefangenster Heiterkeit plauderte und scherzte, hatte sie dem Doktor Dinkes einen weiteren Wink gegeben, den dieser sofort verstand. „Ich muß nochmals um das Wort bitten, meine Damen und Herren", sagte er, „um Herrn Konrad zu der Ehre zu beglückwünschen, die ihm seitens seiner Commili- tonen zuteil geworden ist. Ihn sowohl, wie seine verehrten Eltern, die ihren vielverheißenden Sohn eine so glänzende Stellung einnehmen sehen in dem kleinen Studentenkreise, eine Vorbedeutung seiner dereinstigen Stellung in der großen Gesellschaft. Herr Konrad wird sich ohne allen Zweifel der ihm widerfahrenen Ehre in vollem Maße würdig zeigen und den hohen Erwartungen des Korps in jeder Weise entsprechen. Daraufhin schlage ich vor, ein Glas zu leeren auf den glänzenden Erfolg der Utrechter Studcntenfeste unter der Leitung des Herrn Konrad als Hauptperson!" „Bravo! bravo! Hoch lebe Kaiser Barbarossa!" rief man von allen Seiten, und Konrad fand nicht genug Worte, um Allen gebührend zu danken. Er war froh, daß die Sache so weit gediehen war, konnte aber nicht unter- lassen, wieder einen besorgten Blick auf seinen Vater zu werfen, der in dem allgemeinen Trubel still auf seinem Platze sitzen blieb, als wenn ihn die ganze Geschichte nichts anginge. „Was sehe ich?" rief Herr Rosiner. der Einzige, der bei all dem Lärmen von dem Herrn des Hauses noch Notiz nahm, „unser Gastherr stößt nicht mit an!" Doktor de Vries war in diesem Augenblick mit seinem Nachbarn in ziemlich scharfem Wortwechsel begriffen. „Dergleichen Ueberraschnngen liebe ich durchaus nicht, Kollege!" hörte man ihn sagen, „das hätte man mir ans andere Weise Mitteilen sollen, und ich bin durchaus nicht Willens, mich daran irgendwie zu beteiligen." „Was gibt es hier?" riefen einige, die in der Nähe saßen, während der größere Teil der Gesellschaft ahnungslos weiter plauderte und dem Champagner znsprach. „Nichts, gar nichts!" entgegnete Frau ReinderS mit ihrem gewinnendsten Lächeln, „der Doktor stellt sich böse, weil Konrad ihn nicht vorher benachrichtigt hat, aber er meint es nicht so schlimm. Nach der frohen Kunde, die er heute Abend erhalten hat, kann er unmöglich böse sein. Nicht wahr, lieber Doktor, Sie trinken mit uns auf den Erfolg des Kaisers Barbarossa!" Und mit der freundlichsten Miene hielt sie ihm ihr Glas entgegen. „Gewiß!" kam ihr von der anderen Seite des Tisches ihr Gemahl zu Hilfe, „nach der Auszeichnung, die dem Gastherrn von ihrer Majestät der Königin bewiesen, darf er sich nicht weigern, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist!" Der Doktor wehrte sich noch immer; er stand ans, winkte mit den Armen und den Händen und wollte reden, aber die Gesellschaft, die alles für Scherz hielt, ließ ihn nicht zu Worte kommen. Seine Tochter Henriette winkte und lachte ihm zu: „Komm, Väterchen, sei lieb! Du siehst, welche Freude Du uns Allen damit bereitest." Das gute Mädchen, das die strenge Art des Vaters kannte und dem vielgeliebten Bruder eine Demütigung ersparen wollte, suchte sich für Konrad in s Mittel zu legen. Auch Frau de Vries, die eine Katastrophe fürchtete, hatte sich unvermerkt ihrem Mann von hinten genaht und gab ihm, während sie ihm sanft wie ein Engel einen Kuß auf die Stirn drückte, das gefüllte Glas in die Hand. „Nein, Papa ist nicht böse", flüsterte sie. „heute Abend kann ihn nichts erzürnen." Ohne das er zu widerstehen vermochte, brachte sie ihm das Glas an die Lippen, und von dem Schauspiel ehelicher Liebe gerührt, stimmte die ganze Gesellschaft ein jubelndes Bravo an. Ans voller Brust saugen die Studenten das tradi tionelle Lied, das allen feierlichen Momenten gewisser maßen die Weihe geben muß: „.Io vivat! io vivat! U08tl'OI'IIlN 8NInti18!" Und während die herzbewegenden Töne, von allen Gästen im Chore mitgesnngen, den glänzenden Festsaal mit ihrem freudigen Klang erfüllten, stand dort der neue Ritter, von einer ganzen Schaar jubelnder Freunde gefeiert und zugejauchzt, im Arm einer zärtlichen Gattin, mit dem perlenden Champagnerwein an den Lippen, aber . . . mit Blei im Herzen! 13. Die Gäste hatten sich entfernt, und Herr und Frau de Vries befanden sich allein in ihrem Zimmer, im Begriff, sich zur Ruhe zu begeben, aber durch einen heftigen Wort wechsel noch znrückgehalten. Die zärtliche Gattin, die kurz vorher ihren Arm so liebreich um den Hals ihres Ehe herrn gelegt und ihn mit so inniger Liebe umarmt hatte, saß jetzt in herausfordernder Stellung ihm gegenüber. Sie hatte die Blumen der festliche» Toilette noch in ihrem Haar, aber ihr Gesicht, das vorhin wie eine liebliche Rose in der Fülle des Sommers geglüht hatte, war jetzt hart und kalt wie Marmor. Und ihre Angen. die den Gästen so srenndlich eutgegcngestrahlt hatten, blitzten jetzt vor Zorn und Unmut. „Es wird nichts daraus, sagst Du?" frug sie spöttisch, „was ist das wieder für ein Unsinn? Geh lieber zu Bett, der Wein redet gewiß aus Dir!" , Und um zu zeigen, daß sie nicht gesonnen war. das Gespräch fortznsetzen, begab sie sich zu ihrem Toilettentisch, nahm die Rosen aus dem Haar und legte die Dia manten ab. (Fortsetzung folgt.)