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Nr. «L. Sonnabend den 14. März 1V118. 7. Jahrgang. Mchslsche PolkszeitiMA I AlllloyllUglgtS CllgtmM iUkWüvkhklt,MÜ!!ll.§ltlytll^ t^ZZf-d>ZllI'5toff <8. gescd.) seit tabr- retmten bev/aht uncl erpsodl, macht <tas Oaar -— ^—-——— —— seidenweich, vo!l uns ^sn-en^. beseitigt prompt iin-t sicher OsarausksII uncl 8Uiui>nkn HÄ»«<te Atteste aus höchsten Kreisen! greis: '/zf!. S /VH, >/, /, /gh. ^ dnpsNL(^LL I-Z^orslosjum On» ^Do^HviBSdTlSl, vvoi'g Kühne, tuscht., Ougsöur^er Htrsöe /»I vepots: ckermann 9och, öresöen, Oltmartit, George öaumann, Dresden, grayer 5traÜe /»0. Zentrum und Papsttum. U«ber den in Leipzig und Dresden gehltenen Vortrag dos Herrn Grafen Paul Hoensbroech „Zentrum und Papsttum" haben wir gestern in einer Art Generaldebatte gesprochen, heute wollen wir darüber zur Spezialdebatte ubergehen. Wir tun dies mit Rücksicht auf den von ihm selbst genannten praktischen Zweck seines Vortrages, für den „Antiultramontanen Neichsverbanb" in Berlin Propaganda zu machen. Wir sehen zwar nicht ein, warum er da nach Sachsen kommt, wo doch keine ultramontane Gefahr existiert, uud warum er nicht lieber in einem Zentrumstvahlkreise 'eine Netze auswirft. Das Jnvasionsgebict der „Deutschen Vereinigung" in Köln wäre z. B. sehr zu empfehlen; er möge dort mal behaupten, das; die Katholiken antinational sind. In der vorsichtigen Form eines akademischen Vortrages gegcm Konzerteintrittspreise ,väre Graf Hoensbroech nicht der Gefahr ausgesetzt, daß ihn ein Gegner in offener Rede schlacht zu Boden streckt, weil die Debatte ausgeschlossen ist. Daher gibt es auch keine vollen Häuser. Wir raten ihm, seinen Vortrag also zu inserieren: „Ich stelle es den Geg nern frei, mir zu entgegnen." Dann hätte er bestimmt ein volles Haus — freilich bei den denkenden Zuhörern kaum den gewünschten praktischen Erfolg. Doch gehen wir auf sein« Ausführungen selbst ein. Graf .Hoensbroech baute seinen Vortrag aus folgendem Syllogismus aus: Das Papsttum verlangt d i e A b- hangigkeit und den Gehorsam der Katho liken nicht nur in religiöser, sondern auch s>o«?ell3n Majolika Mit grof-er Naivität sagt übrigens der antiriltramon- tane Graf: „Der Syllabus ist keine neue Lehre; er ist die sentenzartige Zusammenfassung uralter intrainontaner Theorie und Praxis und unverändertes Zutunftspro- graurm." Redner sagte auch mit klaren Worten, daß er unter Ultramontanismus nichts anderes als die „uralte katholisch Kirche" versteh. Denn der Geist eines Pins X. sei genau jener eines Papstes des Mittelalters, eines Gre gor Vit., Bonisaz VIII. Aber diese päpstlich .Kirche sei eben dos, lvas er bekämpfe. Zwar beteuerte er, sein Kamps gelte: nicht der katholisch» Religion, sonderu nur der Kirche, die ultramontan sei. Nach seiner langen Begriffsbestim mung ist, kurz gesagt, Mkramontanismns die Verquickung, das Hineintragl-ii der Neügion in die Polibik. Das geschh -aber im syllabus, der für jeden Katholiken bindend ist, also ist jeder Katholik ultramontan. Ans Leos Xl'll. Negierung bob .Hoensbroech beson ders die Enzyklika Jrnmortalc Dci vom 1. November 1886 heraus, die über die Kirche und die christlich Staatsordnung lxmdelt. Darin lehre der Papst, das; sich der Staat der Kirch auch in weltlichen Dingen nnterzuordnen habe. Zwar hißt cs dort: „Jede (der bei- 'den Gewalten, dH geistliche und »ixltlich) ist in ihrer Art die höchste; beide Hahn bestimmte Grenzen." Ahr „es kann Vorkommen, daß ein- und dieselbe Sache in den Machtbereich beider gehört". Und hier entschide die Kirch mittels der Brücke, die sh überall durch Hereinziehen von Moral und . 1 m Sittlichkeit zu bauen versteh — so iveit Hoensbroech. Also, in sozialer und politischer Beziehung, z schloß Hoensbroech, es ist sittlich Pflicht für die Kathliken, Nu a aber ist das Zentrum eine a " " ch e u katholisch-konfessionelle P hamgt sie vom Papst 1 umauch in politischen Dingen vollständig ab; sie ist somit eine aniinationale Partei und böch st gefährlich snr den Staat. Den Obensatz suchte Redner ans der Regierung der letzten drei Päpste Pius lX., Leo Xlll. und Pius X. zu beweisen. Von Pius IX. führte er den Syllabus als Beleg an, dessen Bewertung einen breiten Raum ein- nahm. Hier Vierden bekanntlich auch Sätze über die bürger liche Gesellschaft in Bezug auf die Kirch' als irrig erklärt. Sähe, die Kirche und Staat zugleich berühren, also in das (hbiet der Politik und Religion zugleich gehören. Selbst bewußt behauptet nun Hoensbroech von sich selbst, daß er es war, der erst die Welt auf die große Tragweite des Sylla bus hingÄrüesen babe. In der Tat hat er eine tendenziöse antisyllctbistische Schrift geschrieben, nämlich „Der Sylla bus, ferne Autorität und Tragtveite", Münchn 190k. Den Syllabus nannte der Redner eine Kriegserklä rung und ein Verdammungsnrteil über den moder nen Staat und die moderne Kultur. Redner ver gißt, dos Wörtchen „modern" zu erklären. Wenn er Atheismus, Materialismus, Pantheismus, Asfeuthorie ans philosophisch-religiösem Gebiete, Irrt inner über natürlich und christliche Moral, znm Beispiel die Zerstörung der christ lichen Eh auf moralischem Gebiete, die Lehre der heidni schen Staatsomnipotenz, des Sozialismus uud Kommunis mus auf sozialem und politischem Gebiete, d i e „moderne Kultur" nennt, so ist allerdings der Syllabus gegen sie ge richtet. Wir verstehn aber unter „moderner Ztznltnr" etwas ganz anderes. Nach dieser falschen Behauptung geht Hoensbroech einen Schritt weiter nnd sagt: „Der Syllabus ist bindend für alle Katholiken; er ist die wichtigste neuzeitliche päpstliche Kund gebung, er ist das Programm Hs Uktramontanismns, das zu kennen gebieterisch Pflicht sei." Zu diesen Sätzen wollen wir nur benierken. daß der Syllabus wohl wichtig sei. , aber kaum die wichtigste päpstliche Kundgebung, und daß wir es nur mit Genugtuung begrüßen würden, wenn jeder deutsche Patriot die Wahrhit über den Syllabus kennen würde; — aber natürlich nicht aus der oben zitierten Ten denzschrift. Der Syllabus ist bindend, trotzdem er kein ^eigentliches Derwerfungsnrteil der darin enthaltenen 80 s Sätze ist Denn wehr die Enzyklika noch der Text Hs Syllabus selbst enthält eine solche Verurteilung. Kardinal Antonelli sagt in seinem Begleitschreiben ausdrücklich, daß der Syllabus nur eine Zusammenstellung solchr Sätze ist. denen früher bereits eine Rüge zu teil wurde, welche aber dnrch die jetzige Vereinigung keinen höheren Grad von Ver werfung erhielten: es sind darunter GlanbenSirrtümer nnd verderbliche Lehren (crrnrcm ot swrnicivftaa cknetrinnn). In Bezug auf die Grnph von Sätzen, die Glaubensirr- tümer enthalten, ist der Syllabus dogmatisch unfehl bar. in Bezug auf eine andere Grnph ist der SyllabnS kirchlich unfehlbar, das hißt die Kirche hat sie verwor fen. weil sie logisch notwendig zur Leugnung von Glaubend- lehren fuhren. ausgespro- H hx politischen Weishit der Kirchngewalt zu gehorch'», k Zarter, also vx>nn h es dekretiert, selbst in militärischen Sachen. Hier - ist dein Herrn dock) ein großer Irrtum unterlaufen, denn Leo XIII. meint, daß in allen strittigen Fragen dnrch die Natur der Sach und die E i n s i ck t der beiderseiti- ! g e n V e r t r e te r die Aussonderung ermöglicht vx'rde. — Die Leser werden darin den Trick des geschickten Jongleurs bewundern! Pins den X. nannte Hoensbroech den mittelalterlichsten aller Papste. Als Bevxüs führt er die Kundgebung gegen die katholisch demokratische Bewegung an — also Einmischung in Politik. Die Bulle Xon ,>x;>cck>t Ist»»' IX. will den Protest über den geraubten Kirchnstaat znm Ausdruck bringen; das weiß natürlich Hoensbroech nicht, sonst würde er nicht so einfältig bemerkt hben: Wie der Papst in Italien durch die Bulle „Non erhdit" die Katholiken ihres Wahlrechtes ent eignet ht. könne es, »venn er will, auch bei uns in Deutsch land geschehen und die Katholiken würden sich dieser Wahl- entrechtnng fügen. — Sodann brachte Redner des Kardinals Vannntelli verstümmelte Ansprache ans dem Katholikentag rn Essen, wo die gegnerische Presse die Worte „sovxüt es sich ans die Religion bezieht" tvegließ, um die Macht des Papstes als eine unbeschränkte auch in bürgerlichen Dingen erklären zn können. Ahr Hoensbroech behnptet cs heute noch. Daß Hoensbroech die Zwei-Schlvertertheorie der Bulle „llnam fanctam" vom 2. November 1902 zur Sprache brachte, um zn beweisen, dem Papste seien Staaten. Könige und Fürsten untertan nnd er tonne sie absetzen, ist selbstredend. Schreiber dieser Zeilen hat sie am 20. Febr. 1906 in einem van Hoensbroech gehltenen Vortrage zn Pirna vervxrten gehört; in der De batte widerlegte er dem Herrn Grafen die damit verknüpfte irrige Behnptnng. 2llso nochmals: Es ist unwahr, daß die genannte Bulle dogmatischen Charakter habe. Bei Brück, , .Kirchiigeschichte, 420, hätte Hoensbroech Nachlesen können, daß nur der letzte Satz der Bulle dogmatisch ist. Diese Bulle des Papstes Vonifatius Vlll. ht bereits zn schrsen Kontro versen Veranlassung gegeben. Die Kirche bat niemals das ^ Verhältnis zwischen Staat nnd Kirche zum Gegenstände einer direkten dogmatischen Feststellung gemacht (Hinschius. Handbuch deS öffentlichen Rechtes der Gegenwart, 1889, I., 1., 210). Nicht einmal der Syllabus ht eine prinzipi- ! ekle Festsetzung dieses Verhältnisses beabsichtigt, am aller- I wenigsten im Sinne einer dogmatischen Definition. Ter I beste Beveis, daß die Bulle llnnm punctum in Bezug ans ihre Darlegung der Beziehungen zwischn Staat und Kirche keinen dogmatisch» Charakter besitzt, ist die Lehrfreiheit darin. Denn tväre die direkte oder auch nur indirekte Ge- vxilt der Kirche über den Staat zum förmlichen Glaubens sätze erbohn, so wäre es offenbar Ketzerei, die theologisch nnd kirchnrechlliche Berechtigung einer der hidcn Theorien in Zweifel zn zieh». Trotz SyllabnS und vatikanischem Konzil ist die Diskussion unter den Katholiken vollständig freigegeben. Es würde nnS zn iveit führen, ans den Unterschied zwi- scheu der direkten und indirekten Gewalt der Kirche in zeitlichen Angelegenheiten einzugehcn. Unter 1^ ä lo l'- l< a I< Ll O Hgrsritiert cein, leicht tüüich, */§ lflunä 35 lflsnnigL, höchster liöhrvoert. EerÜnq 8< flocßstroh, Dresden, Verkautssteileri >r> alieri 5ta<tN«iler>. direkter Geivalt versteht man, Kaiser und Könige könnten ohne päpstlich Autorität keine Gesetze gehn, könnten be. Vorhandensein eines vernünftigen Grundes abgesetzt wer- den »sw. Nach der Lehre von der indirekten Gelvalt kann der Papst nicht direkt in weltlich» Angelegenheiten Gesetze erlassen oder bestehende w.'ltliche Gesetze aufhben oder das Nichteramt ansühn; mir mit Rücksicht auf das Seelenheil kann er das tun. Von der dritten Thorie. der direktiven Geuxilt. sprach Hoensbroech gar nicht. Sie besteht darin, daß die Kirch die Gewissen der Fürsten und Völker anfklärt, die Pflichten gegen Gott nnd die Religion ins Gedächtnis ruft, im Falle einer Pflichte,Kollision ent- scheidet. U>a8 vor Gott nnd den. Gewissen verpflichtend ist. Derart wird die K irche auch über göttlich Gesetze, ivelche mit den göttlichen in Widerspruche stehen, ihr Urteil abgeben und den Gläubigen hinsichtlich derselben Weisung zugehn lassen. Abzulehnen ist die Lehre von der direkten Gewalt der Kirch. Zwischn den beiden anderen Lehren herrscht bei den kirchlichen Schriftstellern Streit. Nach unserer Ansicht hsteht zwischen der indirekten nnd direktivcn Geivalt kein großer Unterschied. Fürstenabsetz,ingen können gar nickt als Ausfluß der indirekten (hwalt betrachtet werden, weil sie mir dort vortame», wo das öffentliche rechtlich Verhält nis zwischen Staat und Kirch es znließ. Also auch hier ist hr Bevx'is des Herrn Grafen mißglückt. Ahr der Herr Graf nxirtet mit ' i Bcispiclcn aus der jüngsten Geschickte auf, um nachzuvx'isen, daß sich die Kirche in politische An- gelcgeuheitei, gemischt hbe, indem sie Staatsgesetze für null und nichtig erklärt habe. 1807 bestand in Oesterreich noch das Konkordat. Trotz dieses Uebereinkommens beschloß der Neichsrat interkonfessionelle und Schulgesetze, die hm Konkordat znwiderliefen. -Hat Pins lX. als Kontrahent gw Konkordat nicht das Recht, solch Gesetze für null und nichtig zu erklären? Durch den Protest und die Ungültigkeitser klärung nxwrle er nur den prinzipiellen Standpunkt. Der Herr Gras verschwieg aber wohl,veislich, das; Pius IX. als bald eine Mitwirkung zn diesen Gesetzen erlaubte, ja, diese von den Bischsen ihren Untergebenen sogar aufgetragen ivnrde. - Der zweite „Eingriff" in die Gesetzgebung unter, nahm derselbe Papst, als in Preußen durch die Kulturkampf, gesetze das Gewissen der Katholiken geknebelt wurde. Der "Papst protestierte gegen diese Gesetze und erklärte sie für die Katholiken als nickt bindend nach den, Worte der heiligen Schrift: Du sollst Gott mehr gehorchen als den Menscben. "Also auch hier hat Hoensbroech stark danehn gebauen; im ersten Beispiel bandelte es sich mn einen von einem Teile werletzten Vertrag, im zvx'iten Beispiele mn ein Hinein- regicren der iveltlickeu Gewalt in ein kirchliches Gebiet. Nachdem der Redner auf diese Weise den Oberstch mit "vieler Sophistik bewiesen zn haben glaubte, daß nämlich hr Papst die Macht besitze, sich i» alle Politisch» Angelegen heiten zu mischen, kam er znm Beweis Hs Uniersatzes: Nun ^ aber ist das - Znckritm riiik nnsgesprochrn katholisch-konfkssioiicllr Pcirtri. Man erlasse uns den Aufwand von Spitzfindigkeiten, deren sich der .Herr Graf bediente. Eine Unzahl Aiissvrnckx' von Zentriimssührern brachte er vor. Damit aber diese Widerlegung auch des heiteren Teiles nicht entbehre, wollen wir nur folgende drei Beweise hraushhn: Tein Zemrmn M'hören außer drei „Renoimmerprotestanten" nur Käthe- liken an -- also ist es eine konfessionelle Partei. Wir er widern: der konservativen Partei gehören nur Protestanten an - also ist sie eine konfessionelle Partei. — Zentrums- ! 'Männer gehorchen als Katholiken hm Svllahiis und hr Autorität des Papstes — also ist das Zentrum eine konses- ^ schnelle Partei. Wir erwidern: Die Nationalliberalen ge horchen den Vorschriften des Etx,ngelischeu Bundes, hr Fleisch von ihrem Fleisch ist, Kirchenrat I> Mehr in : Zwickau schickt an die bürgerlich» Reichstagsabgeordneten Sachsens seine Schrbaltmigsmaßregeln in Sacken des Reichs- vereinsgeietzentwnrses — alw ist die nationalliberale Var- Ki eine konfessionelle Partei. — Aber der schönste Benx-is des.Herrn Grafen ist folgender: In Berlin und Köln sind die ZentrmnsteilkomiteeS nach den Pfarrkirchen genannt — also ist das Zentrum eine konfessionelle Partei. Hier über- lassen wir es dem Leser selbst, die nötigen Glossen dazu zn macken. - - — Wie tagt doch Goethe in seinen zatnnen Temen? „Im Anslegen seid frisch und munter! Legt ibr's nickt ans, so legt Nxis unter!" Die Geschichte des Sevtennats kam auch an die Reibe. - - Aber auch dieser wohnt keine Belveiskrast imie; sie zeigt, daß dg? Zentrum eine klnh politische Partei ist. Um den konfessionellen Frieden hm 20 Millionen Staatsbürgern herbeizliführen. muß man es auch verstehn, zur reckten Zeit staatsmännisch Taktik einznbalten. Am Schlosse seines Betix-iseS sprach Redner mit starker