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Reue KompronWemShullgen in Genf. Rücktritt aller Nichtständigen und sofortige Neuwahlen? Der freiheitlich-nationale Gewerkschaslskongreh in Berlin. - Die vernichlea-e Krise -es preußischen Bergbaues. Die nichlofsizielle Aalsbesprechung. Die morgige Bölkerbnubsversammlung «ms Mittwoch verschöbe». tDvrch Funkspruch.j Geus, Ui. März. Die «ichtofsiziellen Besprechungen ber RatSmitglicder danertcn bis kurz noch 1 Uhr «ab solle» heute nachmittag nach einer ans t,8ü Uhr angcsetzte« öffentlichen Ratssitzung, die ieboch keinerlei Bezug aus die gegenwärtigen Verhandlungen haben wird, fortgesetzt werden. Die aus morgen angesetzte Sitzung der Bölkcrbuudöversanunlung «urdc aus Mittwoch vormittag verschoben. Aus -em Wege zum Kompromiß. Gens, IS. März. Wie der Sonderberichterstatter deS W. T. B. ans de« greisen der deutschen Delegation erfährt, hat sich «ach deutscher Auffassung eine gewisse Modifikation der Gcsamtlagc ergeben durch eine neue Anrcgnng Schwedens. Hierbei soll der Gedanke einer Zurverfügung stellung des schwedische« Ratssitzes gerade dazu dienen, den schwedischen Standpunkt unbedingt an<recht- zuerhalte«. Man geht dabei vom unbedingten Wunsche aus, im Interesse des Völkerbundes alles »» tu« und jedes auch nur denkbar« Opfer »n bringe«. Daß hierbei natürlich weitgehende Entschließungen von de« einzelne« Delegationen z« fasse» wäre«, lieat ans der Hand. UeberdicS steht auch die Stellungnahme der Völker» bundsvcrsammlunq zur eventuellen Renkandidatnr dnrchans noch nicht fest. Gegenüber alle« damit zusammenhängenden gombinationen ist daher Zurückhaltung aebote«. ob» gleich nicht z« leugnen ist. das, auf diesem Wege «öalicherweise eine Lösung gesunden werden könnte, die dem schwedisch« Standpunkt der unbedingten Erhaltung des Rates in seine« heutige« Umsange gerecht würde. » ES ist natürlich weder Schweden noch Deutschland daraus angekommen, einer Erweiterung des Rates — rein zahlen» mäßig — irgendwelche Schwierigkeiten in den Wog zu legen. Diese Frage ist vollkommen illusorisch. Es handelt sich bloß darum, zu verhindern, baß als Gegengewicht gegen Deutsch land Polenzugletchmiteintrttt. In dieser Stellung nahme des W. T. B. ist also der Sinn des Kampfes um die Natösitze völlig verdreht. Man befindet sich eben auf dem Weg« zu einem Kompromiß, und Unden, der so kräftig für Deutschland eingctreten war, wird faktisch setzt isoliert. Die Richtlinien, die Stresemann für die Kommission zur Prüfung der Raisfrage mttgcben will und die, wie er im »Journal de Geneve" schrieb, »die Ergebnisse eines positive« Erfolge» sichern-, zeigten jetzt gleichfalls, wie der Kurs -er deutschen Delegation in Genf langsam sich ändert. Auch in der nachstehenden Stellungnahme aus RegierungS- kreisen sind mit einer sonderbaren Art „Umgestaltung- de» Rates und „Ra iS v e r m eh r u n g" einander gegen» Übergcstellt. di« di« hier ausgesprochenen Befürchtungen nur verstärken kann. Der Standpunkt der dentschen Negierung. Berlin, 18. März. In RegierungSkreisen wird der Be hauptung entgegengetreten, daß die deutsch« Delegation in Genf umgefallen sei. Bo» eiuem Umsall kan» gar keiue Rede sei«. Deutschland habe von vornherein den Standpunkt eingenommen, daß es sich bei der NatSfrag« nur wn ein« Frage handle, die lediglich den Völkerbund angehe, nicht aber Deutschland. Die deutsche Regierung lehnt des halb auch Konzessionen aus anderem Gebiete ab. Wen« Deutschland vorgcschlagen habe, eiue Ko« misst«« «iu» zusetzen zur Prüfung der politischen und diplomatischen RS«» lichkeite» einer Umgestaltung des völkerbnudSratS, so habe es sich dabei nicht auf eine Ratsvermehrung scstgelegt. Zu den verschiedenen umlaufenden Kvmpromißgerllchten kann von deutscher amtlicher Seite kein« Stellung genommen werden, solange es sich nur um Gerüchte handelt. Etwa« Konkretes liegt noch nicht vor. Die Jnkrigen gegen Schweden. Französische RlLtter über Gens. Paris, 18. März. Wie der Vertreter deö „Matin- in Genf meldet, hat die gestern abend von Stresemann und Briand abgeyaltene zweistündige Unterredung noch zu keinem Ergebnis geführt. Gestern sei vorgeschlagen worden: Sämt liche sechs Inhaber der nichtständige« Sitze sollen zusammen zurücktreteu. Dadurch würde die im September nötige Neu wahl um sechs Monate vordaticrt, nnb Polen würde dabei ohne Zweifel seine Rechnung finden. Aber eS sei nicht leicht, die sechs Mächte davon zu überzeugen, daß es nötig fei, im ge meinsamen Interesse Harakiri zu machen. Der Vertreter des .Mattn" hebt jedoch hervor, daß seit Sonnabend Frankreich und Deutschland direkt miteinander verhandeln und daß Lhambcrlain als Zuschauer diesem freundschaftlichen Duell beiwohne. Die neue Wendung in der Krise fei. daß Frankreich und Deutschland sich in einem neuen tvto-ä-töt« befänden. Briand »«» Stresemann hätte« ihr gemeinsame» Interesse entdeckt. das Werk von Locarno anfrcchtzucrhaltcn. Für Brian- bedeuteten die Verträge vom 1 März 1Ü25 -te Sicherheit Frankreichs, garantiert durch Neben Mächte. Für Strese mann seien sie ein Zeichen, daß Deutschland leinen Platz im eruropäische Konzert wieder eingenommen habe und der Beginn einer Politik der Wicbererhcbung. Aber Frankreich glaube, daß dle Verträge von Locarno keine wirkliche Garantie seien, wenn Polen nicht neben Deutschland tm Rate säße. Deutsch land wolle die Bcsntzungöfristcn abkürze», Frankreich wolle die Reparationszahlungen beschleunigen. Beide Länder be dürften enger wirtschaftlicher Verbindung und beide seien darauf bedacht, der angelsächsischen Finanzvor- mnndschast zu entgehen. Der Berichterstatter des „Petit Parisien- glaubt, daß der ganze Kamps sich letzt nur noch um die Frage des Zeitpunktes drehe. Eine Vertagung märe allerdings für die Alliierten eine Kapitulation, und nichts deute darauf hin, daß sie erzielt werde. Nach dem „Oeuvre- wächst immer mehr die Aussicht, daß Schweden zngnnsten Polens im September aus seine» Sitz verzichte» wolle. Unden soll sich telearaphtlch mit der schwedischen Regierung in Verbindung gesetzt und gebeten haben, den Auswärtigen Ausschuß znsammenzuberufen, um neue Instruktionen für Genf herbeizuführen. Man erwarte die Antwort aus Stockholm stt» Montag abend. » Gens. 18. März. Am gestrigen Abend empfing Brtand nach seiner Rückkehr ins Hotel zunächst den polnischen Minister- Präsidenten Skrzvnski. später sprach er noch Mit dem spanischen Delegierten und endlich mit Bindervcl-e. Englische Machinationen. London. 18. März. „Daily Telegraph" meldet aus Gens, alle Bemühungen, Deutschland zu der Bervllichtung zu veranlassen, sich einer Vermehrung der Natsside nicht zu widersehen, hätten sich als erfolglos erwiesen. Wenn eine Mehrheit ber Bölkerbnn-sversammluna für die Schaffung eines neuen Ratssttzes außer dem beiitschen zustande käme, so könne Deutschland eine solche Entscheidung vielleicht an nehmen. „Datlp Ehronicle" berichtet, daß Briand nach einer Besprechung mit Dr. Stresemann gestern abend erklärt Hab«, baß selbst die sranzösssche« Delegierte« gegebenenfalls jetzt ihr Veto gegen die Aufnahme DentschlanbS einlcge« würde«. Der Berichterstatter schließt: Wenn die Erörterungen scheitern sollten, so würden die Intriganten zu beweisen ver suchen. daß ber Bruch deshalb erfolgte, weil Deutschland „versöhnliche" Angebote ablehnte. Wen» irgendein Gerechtig» keitsacstihl in der Welt vorhanden lei. so «erde dieser ver such sicherlich mißlinge«. Der diplomatische Korrespondent deS „Daily Tele graph- schreibt hierzu, daß die Geheimtuerei ber führenden Delegationen natürlich dazu beitragen müsse, diese dunklen Machenschaften fortdauernder Falschmeldungen, deren Haupt- opfer Schweben in den letzten Tagen gewesen sei, zu er- leichter«, um nicht zu sagen, zu ermutigen. So sei am Do«. nerStagabend in Genf erklärt worden, daß die sozialistischen Führer mehrerer der in Genf versammelten Mächte den schwedischen Premierminister gebeten hätten, seinem Außen- minister Unden neue Instruktion zu geben, um ihn von der Ausübung des Vetorechts abzuhalten. — Schlimmer aber sei baS, was sich am Sonnabend zugetragen habe. Eine gewisse Delegation Hab« ihre eigene und andere ausländische Nach- richtenagenturen veranlaßt, die Nachricht in die Welt zu setzen, daß Und«» und Bandervcldc beide ihre «ichtpermancnte« Ditze Pole« angebvte« hätte«. Ob der belgische Außenminister ein solches Angebot gemacht habe, hätte in London gestern nicht festgestellt werbe» können. Das schwedische Angebot sei jedoch von maßgebenden Kreisen als pur« Erfindung bezeichnet worden. In gewissen Kreisen in Genf sei man der Auffassung, daß diese- Manöver eine« Versuch darstelle. Un- denS Rücktritt zu erzwingen und das Veto zu verhindern. Der „Daily Telegraph- beschäftigt sich bann mit dem augenblicklichen Kompromißvorschlag und erklärt, Brtand kehre zu seiner ursprünglichen Absicht, Polen in den VölkcrbunbSrat zu gleicher Zeit mit Deutschlands Eintritt aus. zunehmen. zurück, um ein Gegengewicht für die deutsch« Stimme zu haben, und weiter, um sicher zu sein, daß tm Völker. bündSrat immer noch eine Stimme vorhanden sei, die eine ein mütige Entscheidung gegen Frankreich in irgendeinem Streit, in den Frankreich verwickelt werden könnte, verhindern. Polen würbe natürlich in gleicher Weise von Frankreich «er- treten werden. Die Aufstellung Spaniens und Brasiliens gleichzeitig mit Polen sei eine erst nachträglich aufgekommrne Idee. Als die Delegierten Spaniens und Brasiliens in Gens sich in Drohungen so ereifert hätten, baß sie selbst unter ihren Freunden aller Sympathie verlustig gegangen seien, habe vrianb sie prompt fallen gelassen und seine ganzen An- strengungen darauf konzentriert, Polen in den Völkerbund hinelnznbekommen. <TU.j Loudo«, 13. März. Die internationale Konferenz zur Er örterung »er ArbeitSzettfrage ist heute vormittag im ArbettSmtnisteri,mn von Premierminister Bald«, in er- öffnet morden. (S. D. v.) Glossen zur zweilen DSlkerbunds- Pleaarsihmig. Von Hermann Psaenber. Genf, IS. MSr». Fünf Tage nach der Eröffnungssitzung findet die zwett« Vollversammlung deS Völkerbundes statt. Man hatte sich dteseO zweite Ereignis in ber Salle de Reformation anders gedacht! Eintritt der Deutschen, brechend voller Saal, fieberhaft ge steigertes Interesse und über allem wie die GralStauhe schwebend der Geist von Locarno. Dazu Scheinwerferbelench- tung für das Kino- und Photographenkreuzfeuer und t« Hintergrund die ganze Welt an den Radio-Apparaten, zu denen die vier Mikrophone die historischen Reden dieser Sitzung durch den Aether tragen sollten. Statt dessen: ein höchstens dret- vicrtel volles Haus, merkliche Lücken aus den Delegierteu- bänken, Halbleere Reihen aus den Pressetribünen. Hier un interessierte Photographen und Kurbclleute, die mangels ber nicht eingeschalteten vier riesigen Projektoren und ber dunkel bleibenden Rampenlampen über dem Präsidialpodium nur aus Gewohnheit ein paar Platten riskieren oder ein paar Meter drehen und dann abbauen und abhauen. Tagesordnung: Gedächtnisreden für Leon Bourgeois und Beschluß über baS neue Bölkerhuud-PalaiS. Diese Themata werden dadurch nicht aktueller und interessanter» baß man jede Rede reglement»- mäßig je einmal in französischer und englischer Sprache höre» muß. Der englische Uebersetzer, ein junger bartloser Mauitz leiert die Wiederholung herunter: ber Franzose, ein rot- wangiger Herr vom Lebemannötyp, der nur einmal in Aktiv» tritt, wirkt persönlicher, vielleicht dadurch, daß er als einziger der ganzen Versammlung eine Blume im Knopfloch trägt, «in« kecke rotgesprenkelte Nelke. Der Deutsche denkt: für de» Funktionär einer so würdigen Versammlung eine unerhörte Dreistigkeit. Das hätte sich ein Mann in seiner Stellung ein mal in Deutschland erlauben sollenl Nicht auSzubenken. Da die Reden nicht bauernd fesseln können» steht man sich im Saal um. Welcher Architekt und Karben künstler hat diese Kombination von Mitztöne« erdacht? Die Wände in einer Art bräunlichem Altrosa; in derselben Farbe die sechs großen Lampenschirme, die über den Häuptern der Nationenvertreter baumeln. Bor dem quitte». gelben Hintergrund ein grauer Leinenvorhang, in de« Schlitze hineingeschnitten sind. Hier steckt bald einer der Herren auS dem Hintergrund den Kopf oder ein Photograph seine Kamera hindurch. Podium, Bänke und Rampen sind braun; eS ist ein richtiges Armeleute-Braun. Auf jedem Platz liegt ein weißer Aktenbogen und ein leuchtend roter Bleistift. Die Diener t» blauem Jackettanzug mit hellblauer Armbinde gehen herum und besorgen Aufträge der Delegierten. Eine Reihe weib- licher Wesen wird in dieser Gesellschaft mit einigem Staune» vermerkt. Eilt paar schicke Erscheinungen im Straßenkostü« sind auf -er Pobiumtribüne zu sehen, andere im ArbeitSdreß, mit einer Ausnahme Bubiköpfe, sitzen an de« Tischen ber Stenographen. Ein« mit langem blonden Haar hat ihre« Platz direkt neben dem Rednerpult und schreibt mit allen »eh« Fingern und bewundernswerter Bravour lohne Vorlage) ans einer schreibmaschtnenartigen Tastatur, die der Versammlung zu mit einer Art schwarzem Souffleurkasten verdeckt ist. Auf den Zuschauergalerien überwiegt das weiblicheG »- schlecht. daS auch aus den Pressetribünen vertreten ist. Aus dem Präsidcntenstnhl (grüngelbe Gobelin-Lehne mit Kvpfschnttzerei) sitzt ber Potugiese da Costa» weder et» AdoniS, noch ein besonders sympathisches, faszinierende» Ge sicht, oft mit der hier stark vertretenen Hornbrille geziert. Er spricht etwa» sonor-nasal ein keineswegs klingende» Fran« zöstsch. Sir James Allen als fungierender erster Bi-e- Präsident entledigt sich seines kleinen Parts in englischer Sprache. Dann sieht man sich im Saal um. Man erwartete heute nur die zweite Besetzung der Delegierten und ist er staunt, daß die erste Garnitur in ihren hervorragendsten Ver tretern anwesend ist. Chamberlatn liest bi» zum Beginn der Sitzung mit einer Brille Zeitung. Neben ihm «. «. BiScount Eectk. Die alphabetische Reihenfolge, in der die Delegationen sitzen, hat die Bank des Empire Britaniqu« in nächste Nähe der Franzosen gebracht. Hier ist alles vertrete«: ans dem Eckplatz Briand, neben ihm Paul Boneour mit dem grauen Wnschelkovs und Loucheur, dessen Glatze trotz kunstvoll gelegter „Sardinen" neben zwei noch voll- haarigen Köpfen aus der Vogelperspektive ber Tribüne stark in die Erscheinung tritt. Auf der Bank ber Abessinier sitzt neben einem ganz europäisch haarlosen Schädel ei» schoko ladenfarbener Delegierter mit Negerkopf. Ein paar Reihen dahinter fällt eine Frauengestalt auf: eS ist die rumänische Ersatz-Delegierte Helene BacareSco. Wer sich hier ein« nach Pariser oder Bukarester Mode zurechtgemachte fesche Rumänin vorstellt, irrt gewaltig. ES ist eine korpulent« Dame, die trotz des geheizten Raumes ihren unmoderne« blauen Mantel mit Pelzbesatz nicht ablegt und meist in ein« französische Zeitung vertieft ist. Auch dem einen persische» Delegierten scheint die Temperatur nicht zu warm zu setn; er sitzt al» einziger Delegierter mit bedecktem Kopf auf seinem Platz, und diese „Behauptung- fällt um so mehr auf, al» «S ein hoher Fe» aus Astrachan-Pelz ist. der einem dunkel» gebräunten echten Ortentalen-Antlitz die charaktertstische Folie gibt. Während ber Gedenkrede über Bourgeois ist die Cr« grtssenhett nicht allzu stark. Man nimmt diese Ehrenpflicht, mit lebendigeren Sorgen belastet, geduldig hin und erhebt