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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«- Preis 22^ Sgr. tj Thir.i vierteljährlich, Z Thlr. s»r daS ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. a g a für die Man prännmerirt auf dieses Beiblatt der Allg. Pr. Sraais Zeitung in Berlin in der Exvcdition lMchrcn - Straße No. 34l; in der Provinz so wie im Anslande bei den WohNöbl. Pvst-Acmtcrn. Literatur des Auslandes. 78. Berlin, Mittwoch den 1. Juli 1835. England. Edward Lytton Bnlwer. °) Sollte mau gegenwärtig in England einen Schriftsteller aufweiscn, der die Philosophie des achlzehnten Jahrhunderts repräsentier, so ist es Edward Lytton Bnlwer. Ausgegangen in den Geist der allgemeinen Reform, als Mitglied des Parlaments, ein eleganter und frivoler Schrift steller, ein geistreicher Romanen-Dichter, gewandt in der Benutzung des Augenblicks, nm seinen Namen über die Oberfläche der Modcwelt zu erheben und ihn glänzend zu machen, wußte er von den beiden Gene rationen sich loszureißcn, die ihm vorausgcgangen. Bulwer halt sich eben so wenig an die Addison'S und Johnson s, als an die Southey« und Byron'«. Er ist cs, der gegenwärtig in England die Herrschaft der Literaten mit Gewalt heranfbeschwort. An die Stelle der verjährten Praxis will er die neue Theorie aus den Thron erheben. In den mei sten "seiner zuletzt erschienenen Werke eifert er nach allen Kräften gegen jenen matten, geistlosen ErfahrungSsinn, der bis zur Zeit die öffentlichen Angelegenheiten in seinem Baterlände geleitet, sowie gegen dessen Moral und häusliche Sitten. Er bespöttelt jenes Genie des Positiven und Mechanischen, das doch einer handeltreibenden und gewerbfleißigen Na tion so natürlich ist; endlich aber nimmt er für seine literarische Welt eine Stellung in Anspruch, die weil einflußreicher, weil energischer und erhabener seyn soll, als je. Es ist immer vorbedeutungsvoll und weist auf eine innere Krank heit hin, wenn sich bei irgend einem Volke ein Verzichten aus die Ge genwart, eine Unzufriedenheit mit dem, was besteht, und ein wildes Sichhinstüczen in entfernte, luftige Speculatione» kund giebt, wenn es anfängt, das Ideale auszusuchku und sein Heil in die sogenannte Philosophie zu setzen, kurz, wenn die Sophisten und Literaten in dem selben dervorlretcn, um ihre untrüglichen Universalien gegen die Leiden und Ungemüchlichkeiten der großen Menge anzupreisen' ' Der Staats mann, die Magistratsperson und der Politiker schaudern zurück vor dem Drange solcher Ereignisse, sie erzittern und erbleichen im Angesichte der Begebenheiten, die sich vorzuberciten scheinen; bekannt mit dem Wesen und dem gewöhnlichen Gange der Geschäfte, lassen sie sich weni ger täuschen, geben sich nicht leicht dem Glauben an ein fernes Utopien preis, und selbst das schönste System ist immer in ihren Augen ein Ge genstand des Schreckens. Der Literat hingegen fürchtet nichts, er schwebt stets im Reiche seiner glänzenden und leichtfertigen Hoffnungen und er hat zu lange in der Sphäre idealer Regionen gelebt, üm zu begreifen, wie leicht lind schnell die Dinge in der Wirklichkeit erschüttert werden und die glänzendsten Spekulationen sich verflüchtigen. Darum erscheint zu Anfänge einer jeden großen Revolution, so lange die Krisis droht und es noch nicht zum Ausbruche gekommen ist, auf allen Seiten und in allen Ecken die Masse der Literätoren, jene empirischen Aerzte mit ihren stets seriigen Heilmitteln, im vollen Vertrauen auf die Gewißheit ihrer Axiome und Lehrsätze. Wer wüßte nicht, wie cs in Frankreich zur Zeit des Ausbruchs der Revolution bergegangcn. Da sah man eine Menge von Schrift stellern und Philosophen, die, ganz ähnlich dem Herrn Bulwer, der ge blendeten Menge ein Eldorado vorspiegcllcn. Und das war gerade ihre gute Zeit, die Epoche ihres Ruhmes und ihrer Macht, wo sic in die öffentlichen Versammlungen zur Berathung zugelassen worden. Da sah man Mercier, Thomas Payne, Raynal auf de» Bänken der Legislatoren, wo sie leider nur eine ziemlich untergeordnete und traurige Rolle spiel ten, und wo ihre stets schwankende Unentschlossenheit, die Ungewißheit und Schwachheit ihrer Meinungen und Reden gar bald bewiesen, daß ein Talent zum Schreiben noch keincSwegeS eine Garantie für politisches Talent gewähre. Die Metsrik behauptete damals einen großen Einfluß. Die Ro- ') Nachdem wir schon öfters in diesen Blättern Gelegenheit gehabt, die einzelnen Werke des Englischen Roman-Dichters einer Bcurtheilung zu un terwerfen, lassen wir hier eine über die sämmtlichen Leistungen des Schrift stellers stch erstreckende und besonders die volitische Seite desselben in's Auge raffende Kritik folgen Bulwer stammt aus einer sehr alten Familie in der Grafschaft Norfolk, wo er im Jahre t»ü geboren wurde. Da er seinen Vater verlor, so erhielt er die erste Erziehung unter den Augen seiner Mut ter, diS er nach Ler Universität Cambridge abging, wo sein Gedicht über die Bildhauerkunst den ersten Preis in der Poesie davontrug «eine lite rarische Carriere begann Bulwer mit einem Gedichte über die Blumen, dem bald mehrere andere folgten, unter denen O'Neill oder der Rebell besonders hervorzuheben ist. Falkland war das erste prosaische Werk, dem Bulwer seinen schriftstellerischen Rus verdankt; indeß ward jener Versuch bald durch den Roman Pelham, der 1828 erschien, verdunkelt. Das leytc Werk har dem Autor seine große Popularität verschafft und ihm eine der ersten Stellen unter den Roman-Dichtern der neueren Zeit errungen bespicrre's und die Marat'S erhielten sich nur durch ihre Tbeorieen, durch ihre dogmatischen Axiome und hochtrabenden Speculalioncn; man ahmte die Rcdcn Sallust's nach; man bildete stch nach Thucydidcs und De mosthenes; die Kunst, zu sprechen, oder vielmehr mit einer gewissen äußeren Eleganz und blendenden Leichtigkeit Nichts zu sagen, diese Kunst bemächtigte sich alles Ruhmes und brachte den Gang der poli tischen Maschine in Verwirrung. Der Sophismus herrschte sowohl bei den Jakobinern als im Konvent, und es bedurfte mehrerer Jahre, um zu erkennen, daß diese ganze schöne Sprache nicht vermöge, das Geschick der Republik zu beschirmen, daß man da« Wohl der Französischen Na tion schrecklich kompromittirt, und endlich, daß man nicht im Stande sey, mit den großen Worten allein ein Land zu erretten oder irgendwie neu zu beleben. «, Herr Bulwer spielt im Englischen Parlament ungefähr dieselbe Rolle, die Mercier und Marmontel zu Anfänge Ler Französischen Re volution spielten. Und gerade so, wie Jene, hält auch er in seiner gut- müthigen Weise seine Träumereien für Projekte und seine sentimentalen Chimären für Politik. O, arme trügerische Poesie, die du in der Ge schichte der Völker fast dieselbe Stelle entnimmst, die der abenteuerliche Roman und die platonische Liebe in der Geschichte eines jungen Mäd chens behaupten! Gleich Marmontel und Mercier, gleich Louvet und mehreren Anderen, Hal auch Bulwer seinen ersten Ruf frivolen Roma nen zu verdanken. Und eben so, wie diese, sieht er die Folgen der stürmischen Bewegung nicht voraus, die er zu vcrtheidigen wagt. Bnlwer'« Talent wird durch den Charakter der Neuheit, der Ele ganz und eines den Franzosen so ähnlichen Witzes bezeichnet, zu denen man das Musterbild bei seinen Vorgängern vergeblich suchen würde. Mit ihm beginnt eine neue Epoche und eine neue Literatur in Eng land. Sein glänzender Stil, das leichte Gewebe seines Planes, das wenig Gezwungene in den Situationen, das Fließende und Witzreiche in seinen Dialogen, erinnern weder an Tom Jones, noch an Richard son. Unser Autor scheint vielmehr für Lesage und Cröbillo» den Jün geren begeistert zu seyn. Seine Charaktere sind wie in Wasserfarben aufgclragen, ohne Solidität, ohne Kraft und Tiefe, wiewohl man ge stehen muß, daß ihnen Bulwer ein geistreiches, leichtes, ost graziLjes und lebendiges Gewand umzuhüllcn weiß. Geboren zu einer Zeit, wo die vorgeschrittene Literatur in Journalistik und Zeitungsstil auSgearlel, faßt der Rvmandichtcr alle seine einzelnen Kapitel wie eine Neihefolge von mehreren Artikeln oder Abhandlungen ab, die jede für sich ein glänzendes Ganzes bilden; diese Gallerte soll nun amüstren, diese La- terna magica erglänzt vor Deinen Augen, und Du läßt Dich hier von dem Rolhwälsch herumstreifender Banditen, dort von dem Echo des Mode-Tons und noch weiter durch die Details der Toilette oder das Drama des Asstsen-Gerichts bethören; die« genügt. Die Englische Li teratur besteht heutzutage, wenn man so sagen darf, aus einem rein mechanischen Fabrikwesen; es wird hier ein Buch fabrizirt, cs mag gut oder schlecht scyn, wenn cs nur die Aufmerksamkeit des Publikum« auf sich zieht, wenn e« nur gelesen und gekauft wird, so ist der Ver fasser immer damit zufrieden. Offenbar ist die« ein Zeichen de« Ver fall«, die äußerste Form einer von ihrer Höhe herabsinkeuden Literatur. Demi das echte Genie wird sich nie dazu hingebcn, eine Menge glän zender Bnlchstücke an einen Faden anzureihcn, damit da« Ganze al« ein Halsband oder sonst ein besonderer Schmuck diene. Alle große Romandichtcr sind stet« von einem vorherrschenden Hauptgedanken, von einem Ideale und einer geheimen inneren Bewegung anSgegangen, die das Ganze wie an« einem Gusse hcrvoxgetrieben. Cervantes setzt den Heroismus dem Jiilercffc, das poetische Leben dem materiellen und da« Ideal der Wirklichkeit entgegen. Er hat ein Vorgefühl von dem Hin- sterben des Spiritualismus, und lebend in der unglücklichen Epoche, die die katholische Welt von dem um sich greifenden Skeptizismus scheidet, bemächtigt er stch beider Erscheinungen, um sie dem Publikum vorzu- sühren. Rabelais, zwar nicht so groß und weniger moralisch, bietet denselben Gesichtspunkt und dieselbe Idee dar. Richardson ist da« Organ de« Protestantismus. Fielding, dessen Feind, bekämpft die Schein- Heiligkeit der Puritaner. Dagegen bietet Bulwer'« Intelligenz nicht« dar, wa« jener Kraft oder Tiefe irgendwie sich näherte; sie greift ge rade so wie ein Kind nach dem Spielzeuge, nach allen Gemälden, Bildern und Ideen, ohne zu wählen oder zu ordnen; Alle«, was glänzt, das genügt ihr. klebrigen« ist dieser fragmentarische und zusammenbangslvse Charak ter fast allen modernen Romanschreibern cigcnthümlich. Das Band, welches ihre Gedanken zusammenhält und verbindet, ermangelt der Kraft, und vergeblich sieht man stch bei ihnen nach einem Alles anziehenden und in sich konzentrirenden Mittelpunkte um. Freilich läßt sich dieser