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Hörern dadurch weniger vertraut ist. Dennoch offenbart das Brahmssche Doppel konzert, in dem sich kammermusikalische, konzertante und sinfonische Elemente organisch verbinden, eine Fülle mannigfaltiger Schönheiten und steht als wür diger Ausklang des orchestralen Schaffens des Meisters gleichberechtigt neben seinen anderen großen Orchesterwerken. Von zwingender Einheitlichkeit ist der erste Satz des Konzertes, dessen Charakter durch Kraft und trotzige Energie bestimmt wird. Nach einer kurzen Orchester einleitung, die bereits das Hauptthema andeutet, beginnt das Solo-Cello unbegleitet mit einem rezitativartigen, präludierenden Umspielen des Themas. In den darauf folgenden fünf Takten Bläsersatz und dem ersten Einsatz der Solo-Violine klingt schon das zweite Thema des Satzes auf. Es schließt sich ein Dialog zwischen beiden Soloinstrumenten an, dann erst ertönt im Orchester die ausführliche Exposition der beiden Hauptthemen, zu denen im Verlaufe des Satzes noch verschiedene Nebengedanken treten. Die Durchführung bringt ein kontrastreiches, vor allem rhythmisch sehr differenziertes Wechselspiel zwischen Solisten und Orchester. In dreiteiliger Liedform ist der langsame, von Hornrufen eingeleitete zweite Satz des Werkes angelegt, dessen thematische Grundlage ein weitgeschwungenes, kantables Thema bildet. Besonders charakteristisch für dieses besinnliche Andante ist die häufige, klangsatte Parallelführung der zwei Soioinstrumente in Oktaven. Der Mittelteil des Satzes moduliert von D-Dur nach F-Dur; das Seitenthema mit seinen Terzen- und Sextenparallelen erklingt durch Flöten, Klarinetten und Fagotte und wird von den Solisten aufgegriffen und verziert. Scherzocharakter trägt das in freier Rondoform aufgebaute virtuose Finale. Das tänzerische, sehr einprägsame Hauptthema wird zunächst vom Solo-Cello vor gestellt und geht dann zur Solo-Violine über; es fesselt namentlich durch seine prickelnde Rhythmik und seinen immer wiederkehrenden Wechsel zwischen Legato und Staccato und verleiht dem Satz zum Teil etwas dämonische Züge. Auch das gesanglich-innige zweite Thema, das neben weiteren ausdrucksvollen Seitenthemen im sinfonischen Geschehen des Finalsatzes wirksam wird, führt zuerst das Violoncello ein. In freudiger, kraftvoll-zuversichtlicher Stimmung wird das Konzert schließlich, in strahlendes A-Dur gewandelt, beendet. Die 1885 vollendete programmatische Orchesterkomposition, die der Komponist „Manfred, Sinfonie in vier Bildern nach Byrons drama tischer Dichtung“ nannte, ist die umfangreichste aller sinfonischen Werke Peter Tschaikowskis. Aufgebaut auf einem literarischen Pro gramm, gehört sie eigentlich zum Genre der von Berlioz und Liszt begründeten Sinfonischen Dichtung. Wie Berlioz in seiner „Phantastischen Sinfonie", mit der sie inhaltlich verwandt ist, bedient sich auch Tschaikowski eines in allen vier Sätzen erscheinenden „Leitthemas" (einer „idee fixe) zur Symbolisierung seines von hohen Idealen durchdrungenen und für sie kämpfenden, aber von Zweifeln, Qualen und Widersprüchen zerrissenen Helden, mit dem er sich identifiziert. Die programmatische „Manfred"-Sinfonie besteht aus vier Sätzen, deren Inhalt der Komponist selbst erläutert hat. Der erste, großartigste, in drei Blöcke gegliederte Satz schildert, wie Manfred, von Qualen des Zweifels gefoltert, in den Alpen umherirrt. Das Stück beginnt düster mit dem ausdrucksvollen, zerklüfteten „Manfred"-Thema (der „idee fixe"), aus dem ein ungeheuer leiden schaftliches Ringen entwickelt wird. Im lyrischen Mittelteil ist dargestellt, wie sich der Held in „Erinnerung an Astarte, seine schöne Schwester, deren Leben er durch sündhafte Liebe vernichtet hat, verzehrt". Der Schlußteil drückt aus, daß der seelische Kampf aufs neue entbrannt ist. „Fried- und ruhelos irrt Manfred durch die Welt, ein Opfer der furchtbarsten Verzweiflung." Im düsteren h-Moll, wie er begonnen, endet der Satz. Der zweite Satz ist ein dreiteiliges Scherzo: „Die Alpenfee erscheint Manfred unter dem Regenbogen". Glänzend schildert der Tondichter das Glitzern, Sprühen und Rauschen des im Sonnenlicht flimmernden Wasserfalls. Im Trioteil charakterisiert eine liebliche, harfenumspielte Melodie das Erscheinen der guten Alpenfee. Hier wie auch in der Reprise, die den ersten Scherzoteil mit seiner zauberhaften Naturstimmung reizvoll abwandelt, erklingt mehrmals das „Manfred"-Thema. Das Scherzo ist eines der glanzvollsten Stücke Tschaikowskis. Zum dritten Satz (einer Pastorale) schreibt der Komponist: „Schilderung des einfachen, freien und friedlichen Lebens der Bergbewohner". Bei den Bauern und Hirten vermeint Manfred Genesung von seinen Leiden zu finden. Vergeblich. Verzweifelt stürzt er sich in den „unterirdischen Palast des Höllenfürsten Ahriman". Dort gerät er mitten in eine wüste Orgie, die im wilden Allegro fuoco des Finalsatzes geschildert wird. Eine lyrische Episode kennzeichnet die Beschwörung der Astarte,. die Manfred das Ende seiner Leiden verkündet. Der Schlußteil stellt des Helden Tod und Auferstehung dar. Das „Manfred"-Thema gewinnt monumentale Größe und wächst zum heroischen Hymnus. Das abschließende Largo huldigt dem faustisch ringenden Menschengeist, der „immer strebend sich bemüht". Zum zarten H-Dur aufgehellt, verklingt das Werk. Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1971/72 — Chefdirigent: Kurt Masur Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Die Einführung in die Manfred-Sinfonie von Tschaikowski stammt von Dr. Karl Schönewolf Druck: veb polydruck Werk 3 Pirna - 111-25-12 3 ItG 009-107-71 * Hi i I Hr a nr~r-i oro i 4. PHILHARMONISCHES KONZERT 1971/72