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Domerstag, 7. Februar 1!>07. 30ÜÜ «b°2 «r, 32. Zweiter Jahrgang. 5luer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Sonntagsblatt. (H»l>.: Paul Bcuthner) t?pccchstn»r>c l>cr Redaktion mit Ausnahme der 5oantage nachmittags von 4—5 Uhr. — Trlegramm-Adrcf«: Tageblatt Aue. — Fernsprecher 202. Für nnvecianat eingesandtc Manuskripte kann Gewähr nicht geleistet werden. Verantwortlicher Redakteur Fritz Arnhold. Fltr dir Inserate verantwortlich. Arthur Kupfer. beide iu Aue. Bezugspreis: Durch unsere Voten frei ins paus monatlich so Pfg. Bei der Geschäftsstelle abgeholt monatlich b>'g und wdchentlich >0 pfg. — Bei der Post bestellt und selbst abgeholt vierteljährlich z.so Mk. — Durch >» Briefträger frei ins Daus vierteljährlich i.»2 litk. Einzelne Biimmc, P,a - deutscher Post,citnnao katatog - Erscheint täglich in den Miilagsiiuuden. uni Ausualnne von :ouu n>id Feieliage». r»w»»»»»«»^»»EM^»M»M«»Wi««M«MiM>-»-«««»»«iwr>>i>i>vr-«>»» rsANiXnrE» u,»,u>»i«-r»«rr» li», ii»i i »iii i„»«,ii» Annahine von Anzeigen bis spätestens g>s, Uhr vormittags. Für Ausnahme von größeren Anzeigen an bestimmte» Stellen kann nur dann gebürgt werden, wenn sic ain Tage vorher bei uns cingehen. ) n sc r I i 0 n sp 1 e i 5 : Die stebcngcspaltene Korpuszeile oder deren Raum >n pfg-, -rckla iien 2L Ptg Bei grdtzcren Austrägen entsprechender Rabatt. Vief« rr»ttt»n»»w u«rf«rtzt 6 Seiten Das Wichtigste vom Tage. Der Z u s a m m e u l r i t l der Fr i e d c n s k o n s c i c n z soll, falls kein Zwischenfall ciulrill, in der letzte n Hülste des Juli stallsindeii. Die Truppen des Sultans haben den V e fehl erhalten, vvriänsig die Verfolgung RaisuliS c i n zu- st c > I e ii. Furcht vor einer Niederlage soll der Beweg- strn nd hiersür sein. In Odessa sind von der w eiste n Pi arde des Ver bandes des russischen Volkes der V ürsters ch asi blutige Schlachten geliefert morden. * ) Näheres siehe unten. Nach vor Schlacht. - Der Wahlkamps ist zu Ende, und die neugewählten Relchsboten rüsten sich bereits zum Einzug in Wallots Prunk gebäude am Berliner Königsplatze, das solange verwaist war zu einer Zeit, wo es sonst von dem parlamentarischen Leben und Treiben mächtig durchflutet wird. Alle bürgerlichen Parteien können mit Befriedigung auf den Ausgang der heisten Wahlschlacht zurückblicken, denn nur die Reichspartei liest einen Toten auf der Walstatt; die übrigen Fraktionen jedoch kehren sämtlich zahlreicher aus der Wahlkampagne zu rück, als sie hineingezogen waren. Aber sehr abgenommen hat die Sozialdemokratie, die nicht weniger als 3V Mandate verlor! Ihr gegenüber hat Fürst Bülow glänzend gesiegt, vor dem Zen trum aber mutzte er die Flagge streichen. Nunmehr richtet sich der Blick in die Zukunft, und die Frage drängt sich auf: Welchen Kurs wird das Reichsschifs jetzt nehmen? Eehts wie bisher mit Volldampf nach rechts, oder gibt der Reichskanzler dem Steuerruder einen Ruck nach links? Oder segelt er ganz mitten durchs — Zentrum? Aber nicht nur mit diesen Erwägungen beschäftigt sich der Kombi nationspolitiker, sondern es wird auch vielfach die Befürchtung laut, datz sich die Konservativen und die ihnen nahestehenden kleinen Fraktionen wie Reichspartei, Antisemiten und Bauern- bündler mit dem Zentrum zu einem mächtigen re aktionären Blocke zusammenschlietzen werden, um die po litischen Freiheiten Deutschlands zubeschneiden und wenn möglich gar, das gegenwärtige Reichstagswahlrecht zu ver- F schlechter«. Höchst überflüssige Betrachtungen! So sehr hat sich das Stärkeverhältnis der einzelnen bürgerlichen Parteien wahrlich nicht geändert, datz sich im neuen Reichstage eine so mächtige Majorität zusammenschlietzen könnte, um ein Attentat aus die Verfassung mit Erfolg zu unternehmen. Zudem hat man jetzt, wo die Sozaldemokratie aus 43 Mann vermindert ist, wahrlich keine Ursache, an eine Acnderung des gegenwärtigen Reichstagswahlrechts zu denken. Nur dann läge die Befürch tung nahe, das reaktionäre Umsturzgelüste greifbare Gestalt an nehmen könnten, wenn die Reichstagswahlen der Sozial demokratie einen namhaften Mandatenzuwachs verschafft hätten. Fürst Bülow aber befindet sich in der denkbar glücklichsten Lage, denn er hat stets die Möglichkeit zur Hand, nach zwei Seiten hin sich die nötige Regierungsmehrheit bilden zu können. Ge stützt auf die beiden konservativen Parteien uno auf die Nn- tionalliberalen, die ja nur in der Regel nach der Regierungs parole marschieren, vermag er sich entweder mit dem Zentrum oder mit den Freisinnigen zusammen eine Majorität zu schassen. Die Sozialdemokratie steht ihm dabei mit ihren 43 Stimmen nicht mehr im Wege, denn eine Parteienkombination, in ver pe den Ausschlag geben könnte, ist kaum zu denken. Allerdings ist es eine notwendige Voraussetzung für die zukünftige Politik des Reichskanzlers, datz er sich mit dem Zentum aussöhnt. Nun haben zwar die Zentrumsblätter vor der Wahl den Munv schrecklich voll genommen und ganz unverblümt die Demission der beiden Bernhard gefordert. Aber ein glänzender Erfolg pflegt den Sieger milde zu stimmen, und wir glauben nicht zu irren mit der Prophezeiung, datz schließlich das Zentrum aus eine so hohe Kriegsentschädigung verzichten werde. Es hat seine Klaue zweimal gezeigt, das eine Mal am l3. Dezember und das zweite Mal am 25. Januar, beziehungsweise 5. Februar. Diese beiden Kraftproben dürsten wohl genügen, um an matzgebender Stelle den Eindruck zu vertiefen, datz ohne den Willen des Zen trums kein Sperling vom Reichshause fallen darf. Also darj man wohl erwarten, dast der Kanzler und das Zentrum einander im neuen Reichstage so unbefangen gegenllbertrclen werden, als wären sie in bester Freundschaft vor zwei Monaten auseinander gegangen. Gefühle und persönliche Empfindungen haben eben mit der Politik nichts zu schaffen, denn diese läßt sich nur von Interefsen-Egoismus leiten. Reichsregierung und Zentrum sind aber aufeinander angewiesen wie zwei Kompagnons, die sich nicht zu trennen vermögen, weil sie die Kapitalien, die sie in das gemeinsame Geschäft hineinsteckten, nieyt zu realisieren vermögen. Aber wie dem auch sei, der neue Reichstag ist nach seiner Zusammensetzung entschieden befähigt, sowohl eine ge sunde Wirtschaftspolitik wie auch eine kräftige na tionale Reichspolitik zu treiben. Hoffen war, datz die Er wartungen erfüllt werden, die das deutsche Bürgertum in die von ihm gewählten Vertreter setzt. Hoffen wir vor allem, dast der Reichstag endlich dazu gelangt, die Interessen aller produzierenden Stände in harmonischen Einklang zu bringen und dast er bei der Bewilligung des Heer- und Marie-Etats die Steuerkrast der Bevölkerung genau absch»tzt. Es würde eine böse Enttäuschung geben, wenn das neue Reichsparlament nicht mehr taugte, als das aufgelöste, und wer weist, ob sich dann nicht wiener das Blatt zu Gunsten der Sozialdemokratie wenden würde. Denn nicht durch Ausnahmegesetze und polizei liche Matzregeln kann die sozialdemokratische Bewegung über wunden werden, sondern nur durch die ausgleichende Gerechtig keit einer streng volkstümlichen Politik und durch gesunde wirt schaftliche Reformen. Der Sonntag als Wahltag. Vor den Reichstagswahlen und im Verlause des Wahl kampfes hat die Regierung wiederholt in der Nordd. Allg. Ztg. darauf hingewiesen, datz es darauf ankomme, die säumigen und lauen Wähler zur Ausübung ihres Wahlrechts zu veranlassen, und es ist dann das Schlagwort von der Partei der Nicht wähler geprägt worden, das im soeben verflossenen Wahlkampfe eine grotze Rolle gespielt hat. Mit Recht hob oic Nordd. Allg. Ztg. hervoi: Will man von den drei Millionen Nichtwählern selbst eine Million als durch Krankheit, Reisen, besondere Um stände entschuldigt gelten lassen, so hat der Rest von 2 MiNionen bei den Wahlen noch immer ein solches Gewicht, datz man sagen darf: Wie das Zentrum bisher die ausschlaggebende Partei im Reiche war, so ist die Partei der Nichtwähler die ausschlag gebende Partei bei den Wahlen .... In dieser Erkenntnis hatten die Regierungen eine Reihe von Anordnungen getroffen, um den Beamten und allen anderen in staatlichen Betrieben beschäftigten Wählern die zur Ausübung des Wahlrechts erforderliche Zeit zu gewähren. Derartige Matz nahmen sind nicht nur von den Reichsbehörden, sondern auch von den Regierungen in den Bundesstaaten ausgegangcn. Auch vonprivater Seite war im gleichen Sinne Fürsorge getroffen worden. Alle diese Vorkehrungen sind zweifellos geeignet ge wesen, das Heer der Nichtwähler am 25. Januar zu schwächen und die Wahlbeteiligung zu verstärken. Es gab jedoch einnochviel wirksameres Mittel, die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Der Reichskanzler, auf dessen Anordnung hin in der Nordd. Allg. Ztg. so eifrig die Bedeutung der Nichtwähler für den Ausgang des Wahlkampfes hervorgehoben worden ist, halte nur zu be stimmen brauchen, datz die Reichstagswahl statt an einem Wochentage an einem Sonntage abgehalten wurde. Die Anberaumung der Wahlen auf einen Sonntag ist eine alte Forderung der Liberalen. In vereinzelten Fällen ist bei den Reichstagswahlen auch schon der Versuch gemacht morden mit der Verlegung des Wahltermins auf einen Sonntag. So har im Jahre 1898, nachdem die Wahl des sreikonservativen Kreis direktors Poehlmann für den 6. reichsländischen Wahlkreis Schlettstadt für ungültig erklärt worden war, die Ersatzwahl des Sonntags, am 9. August 1896, stattgesunden. Dies war die erste Probe mit einer Sonntagswahl in Deutschland. Sie siel aus, wie anzunehmen war: die Beteiligung an der Wahl nahm ganzerheblichzu. Von 15 428 Wahlberechtigten haben bei der Hauptwahl 1893 nur 11 809, bei der Ersatzwahl am Sonntag aber 13 409 Wahlberechtigte ihr Wahlercht ausgeübt. Diese Zu nahme der WnhtRteitgung war um so bemerkenswerter, als bei Nachwahl» in der Regel die Beteiligung schwächer ist als bei den Der Dichter der Dorfgeschichten. Ein Erinnerungsblatt an Berthold Auerbach. 1882 — 8. Februar — 1997. Von Dr. Jos. Schratt. (Nachdruck verboten.) Der Name B e r t h o l d A u e r ba ch ist nun bereits ein hal bes Jahrhundert lang einer der beliebtesten im Reiche deutscher Epik und Nvvellistik. Mag sich hier und da auch ver Geschmack unseres Lesepublikums geändert haben, im grctzen und ganzen ist man seiner liebevollen, poetischen und anheimelnden Art treu geblieben. Und das ist Zeichens genug dafür, datz wir es in Bert hold Auerbach, der heute vor einem Vierteljahrhunvert uns durch den Tod entrissen wurde, mit einem wahren und echten Dichter zu tun haben. Berthold Auerbach wurde am 8. Februar 1812 zu Nord stetten im Schwarzwald geboren. Seine Eltern waren Juden und er selbst war von ihnen zum Beruf eines Rabbiners bestimmt worden. Allein bereits aus der Tübinger Universität, wohin ihn die Eltern geschickt hatten, sattelte er um. Und zwar ver- tauschte er die jüdische Theologie zuerst mit der Rechtswissen- schäft, und dann diese mit der Philosophie. Auf den Universitäten in München und Heidelberg geriet er in burschenschastliche Be strebungen, die ihm (1837) eine zweimonatige Festungshaft aus dem Hohenasperg einbrachten. Seine ersten literarischen Publi- ktionen stammen aus der Heidelberger Zett. Nahrungs sorgen zwangen ihn, zur Feder zu greisen und sich aus diese Art den Lebensunterhalt zu verdienen. Den ersten grossen Erfolg aber brachten ihm (1843) die Schwarzwälder Dorfgeschichten. Nun war Berthold Auerbach der gesuchte Mann, der Held des Tages geworden. Für dar weiteste Bekanntwerden seines Namens sorgte «. a. auch der vtelgelesen« Volkskalender Der Gevattrrsmann, den l er von 184b—1848 mit grotzem Geschick redigierte. Nach dem Tod« seiner ersten Fra», mit der er nur ein Jahr lang (1847— 1848) zusammen lebte, zog Auerbach nach Wien. Allein in der schönen Donaustadt hielt es ihn nicht allzu lange, 1859 finden wir unseren Dichter bereits in Dresden und 1859 gar in Ber lin, wo er in lebhaften Verkehr mit Gelehrten, Künstlern, sowie auch mit dem Hose stand. Auerbach stand jetzt aus der Höhe seines Ruhmes. Er hatte inzwischen zum zweiten Male geheiratet, und zwar eine Schwester von Hyoronimus Loven, mit der er sehr glücklich zusammen lebte. In reichem und regem Schassen, zu der u. a. auch die Herausgabe des Volkskalenders (1858—1869) ge hört, lebte der Dorfgeschichtenerzähler von allen geehrt und ge achtet in der preutzischen Metropole. Und die Beliebtheit, die man ihm zollte, lieh nicht nach, bis den Schafsenssreudigen, aber noch nicht Siebzigjährigen, morgen vor 25 Jahren in den Tov abrics. Seine sterblichen Ueberreste wurden in feinem Geburts ort Norost tten beigesetzt. Bertholli Auerbach hat sich durch seine Dorfgeschichten in der deutschen Literatur — ja man kann behaupten: in der Welt literatur — einen so berühmten Namen gemacht, wie ihn nur wenige besitzen. Und in diesem Sinne überragt er die Zett, der sein eigentliches Schassen angehörte, um Haupteslänge. Er bahnte dem die Wege, was erst Jahrzehnte nach ihm kommen sollte: der deutschen Hei matskunst, wie wir sie heute unser eigen nennen oü.fen. So wurde Berthold Auerbach zum Schöpfer der deutschen Dorfgeschichte. Sein Hauptverdienst war dabei, datz er den Typ der erzählenden Literatur mit als einer der ersten von der politi schen Tendenz befreite und zum Idyll zurllckkehrte. Sei i Blick für das Rein-Menschliche der Dorsleute war lebendig und scharf. Die Mannigfaltigkeit der Menschencharaktere und Lebensschickiale nur- ten es ihm angetan. Aus ihnen holte er geschickt das künstlerisch Interessante heraus. So gelang es ihm mit einer gewissen naiven Freude am bäuerlichen Leben der deutschen Literarur eine neue Welt zu erschlietzen, die bis dahin dem deutschen Lesepublikum eine Aera inkognito geblieben war. Wer als Literaturkenner Auerbach liest, denkt unwillkürlich an Griwmclebaiilen, den man als einen der ersten Vorleuier seiner Art bezeichnen kann. Deutsches Leben finvet sich in allen diesen Sachen, die uns nunmehr im Laufe der Jahrzehnte lieb und wert geblieben sind. Wir erwähnen hier nur Der Tolpatsch, Schlotzbauers Vefele, Befahlarles, Die Kriegspseife, Ivo der Hajrle, Diethelm von Vuchenborg, Der Lehnbold, Florian uns Kieszens, Barsiitzele, Die Frau Professorin, Die Straf inge, Lu- ciser u. a. m. Bald ist es der katholische Semniarzögling, der sich gegen den Willen der Eltern zu einem weltlichen Beruf durchdringt, bald der Dorflehrer, bald der unbeugsame bauern stolze Emporkömmling, bald das in städtische Verhältnisse ver pflanzte Bauernkind, die unser Interesse wachrufen. Mit einem wunderbaren poetischen Liebreiz hat Auerbach alle seine Gestalten un w'ben. Mit fester Hand führt er sie aus allen Jrenngen und Konflikten des Lebens heraus. Und immer ist es ein natür licher Ausweg, den er findet. Und das gerade ist es hinwieder- um, was uns am ersten und letzten Ende so überaus sympatisch an unserem Dorfgeschichten-Dtchter ist. Aber Auerbach ist nicht nur Erzähler von Dorfgeschichten. Auch an meisterhaft geschriebenen Romanen hat er sich mit Erfolg gemüht. Auf der Höhe, das Landhaus am Rhein, Wald fried, find Perlen der deutschen Novellistik. Nur überwiegt in die sen lang ausgesponnenen Dichtungen leider allzu sehr die Re- fl e x i o n , zu der Auerbach stark neigt. Aber die ursprüngliche gesunde Freude an der Welt und am Leben waltet auch hier vor, wenn auch das ethisch-didaktische Moment mit einer gewissen Selbstgefälligfpit allzu ost und allzu breit in den Vordergrund tritt. BertbMWluerbachs Schriften liegen uns heute in einer GesamtausMWMn 22 Bänden vor. Von seinen weniger kn das breite Pubnemn gedrungenen Publikationen seien hier genannt: Biographie Friedrich d. Trotzen, Der gebildete Bürger, ein Buch für den denkenden Menschenverstand, Dramatisch« Eindrücke, Ta gebuch au» Wie«, von Latour bis Windischgrätz, Schrift und Volk, vrundzllge der voUstümltchen Literatur und eine Spinozaüber-