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33 Weißerih-Ieitung. Verantwortlicher Redacteur: Carl Jehne in Dippoldiswalde. Freitag. Erscheint Dienstags und Freitags. Zu beziehen durch alle Postanstal ten. Preis pro Quart. lONgr. 28/April 1854. Inserate werden mit 8 Pf. für die Zeile berechnet ch u. in allen Ex peditionen an- ' genommen. Ein unterhaltendes Wochenblatt für den Bürger und Landmann. Die türkischen Ulema's. Bekanntlich ist vor kurzem das Oberhaupt der türkischen Ulema'S oder der Chaik-ul-Jslam (sprich: Scheik) in Constantinopel wegen der Zugeständnisse, welche dem christlichen Glauben im türkischen Reiche gemacht werden sollen, von seinem gewichtigen Posten zurückgetreten. Wir geben daher im Nachfolgenden für unsere Leser einen kurzen Hinweis auf die Stel lung und Bedeutung derUlema's, dieser wich tigen Körperschaft im Schooße des Islam, die dessen sämmtliche lebendige Kräfte an sich gezogen hat und eine wahre Aristokratie nicht der Geburt, sondern der Stellung bildet. Ulema's heißt eigentlich so viel als „Gelehrte"; indessen versteht man darunter lediglich diejenigen ge lehrten Muselmänner, welche sich dem Studium und der Auslegung ihres heiligen Buches, des Koran's, gewidmet haben. Der Koran enthält nämlich für die Türken nicht bloö alle Bestimmungen über den reli giösen Glauben, sondern umfaßt zugleich auch alle Gesetze für das bürgerliche Leben, ist aber in seinem Inhalte nicht immer verständlich, sondern enthält Lü cken und Widersprüche aller Art. Daher geschah eS, daß bereits im nächsten Jahrhundert nach Muhamed's Auftreten eine besondere Classe von Gesetzeskundigen sich bildete, die man eben mit dem Namen der „Ule ma's" belegte. Es währte nicht lange, so wußten sich die Ulema's auch eine politische Bedeutung zu erringen, indem sie anfingen, einen besonderen Priester stand zu bilden. Je weiter sich nämlich das türkische Reich ausdehnte, um so mehr nahm die Verwaltung der weltlichen Angelegenheiten die Zeit und Kraft der Khalifen ausschließlich in Anspruch. Die letzteren waren ursprünglich Oberpriester, Gesetzgeber und Rich ter in Einer Person. Von nun an überließen die Khalifen die priesterlichen und richterlichen Befugnisse und Verrichtungen den Ulema's, und so geschah es, daß das Oberhaupt der Ulema's im Laufe der Zeil zu verschiedenen Malen der Gewalt der Sultane ent schieden entgegentrat, indem in seiner Hand das ge- sürchtete Fetwa ruhete. Um nämlich den wichtigsten Befehlen u. Regierungshandlungen dem Volke gegenüber die Weihe der Religion zn geben, ließen die Nachfolger Muhamed's denselben durch das Oberhaupt der Ule ma's, den Cheik-ul-Jslam, das heilige Siegel aufdrü cken, indem dieser sein Fetwa d. h. sein auf den Koran gegründetes rechtliches und religiöses Gutachten ab zugeben hatte. Unter dem Scepter eines willenskräf tigen Sultan'S freilich, blieb dex Einfluß deS Cheik- ul-Jslam immerhin ein unbedeutender, wie denn Sultan Murad IV, trotz dem Verbot? deS Gesetzes, eines Ulema's Blut zu vergießen, einen Cheik-ul-Js- lam enthaupten (nach Andern: in einem Mörser zer stampfen) ließ, weil er sich dessen Anordnungen wider setzt hatte. Sobald aber schwache, entartete Sultane an der Spitze des Reichs standen, wagten eö die CheikS, den kaiserlichen Befehlen (HattischerifS) ihr Siegel (Fetwa) unerbittlich zu verweigern; ja sie miß brauchten selbst die Ehrwürdigkeit deS Gesetzes und die Unverletzlichkeit ihrer Person dazu, die Sultane zu entthronen und von Janitscharen erdolchen zu lassen. Um die wohlgegliederte Körperschaft der Ulema's zu überschauen, ist zu bemerken,, daß sie aus zwei Classen besteht, der richterlichen und der religiösen. Zur ersten Classe gehören: I) die M u fti's, die Aus leger des Gesetzes und 2) die Kadi's, die eigentli chen Richter; zur zweiten: 3) die Jmam'S, die Die ner der öffentlichen Gottesverehrung. Anfänglich wa ren beide Classen vereint, so baß der Kadi ebensowohl priesterliche Geschäfte verrichten als der Mufti, nach- dem er die Moschee (das Gotteshaus) verlassen, Recht sprechen konnte. Doch es währte lange, so erhoben sich die Kadi'S zu einer besonderen Körperschaft von bedeutendem Ansehen, so daß den Jmam'S nichts' übrig blieb, als die Predigt und der Dienst in der Moschee. Die Jmam'S zerfallen wiederum in L Classen, nämlich I) in Cheik's oder Prediger der Moschee; 2) die Khatib'S oder Vorleser, welche als Vertreter des Sultans im Imam in seinem Namen das Fre>- tagsgebet vor dem Altäre abhalten; 3) die eigentlichen Jmam'S, welche die gewöhnlichen Dienste in der Moschee verrichten und die HeiralhS- und Lcichenfeier- lichkeiten vollziehen; 4) die Muezz in'S oder Ausru fer, welche (statt der Glocken) von den MinaretS (Thürmen) herab die Stunde der 5 Ramaz (öffent lichen Gebete) ankündigen; 5) die Cayim'S, die den inner« Dienst in der Moschee verrichten, die Stroh matten reinigen, Wacht an der Kirchthüre halten u. s. w.,' also Küster. Je bedeutender eine Moschee, je stärker ihr Einkommen, desto zahlreicher ist ihr Per sonal. Die kaiserlichen Moscheen, deren cS in Konstan tinopel allein 14 giebt, haben gewöhnlich I Cheik, 1 Khatib, 2—4 Jmam'S, Muezzin's und 2V Laytm'S. Nur die beiden ersten Classen (die Cheik'S und die Khatib'S) erfreuen sich einer gewissen Achtung im Ulema, so daß die Cheik's mit den Mufti's auf der gleichen, Nämlich auf der zweiten Stufe in der Hierar chie (Priesterherrschaft) deS Ulema stehen. Die 3 übrigen Claffefl der Jmam'S haben ein sehr geringes Ansehen. Wie gesagt, haben mit der Zeit die richterlichen Ulema's (die Mufti's und Kadi'S) über die Diener