Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.01.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-01-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980107016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898010701
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898010701
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-01
- Tag 1898-01-07
-
Monat
1898-01
-
Jahr
1898
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezug-'Prei- Al L« Hauptexpedittoa oder de» tm Stadt« bezirk und den Vororten errichteten AuS« aabestellen abgeholt: vierteljährlich^»4.50, vet zweimaliger tLgttcher Zustellung in» Han» 5.50. Durch die Post bezogen für Dentschland und Oesterreich: vierteliäbrlich S.—. Directe tägliche Kreuzbaudsendung in» Ausland: monatlich 7.50. Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,7 Uhr, dir Abend-AuSgabe Wochentag» nm 5 Uhr. Nedactton «nd Lrpeditto«: JohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uh^ Filiale«: lvtt» »le««'» Serti«. (Alfred Hayn), UniversitätSstraße 3 (Paulinum), Lsui» Lüsche, Katbarinenstr. 1< -art. und KönigSplatz 7. Morgen-Ausgabe. MWr. Tageblatt Anzeiger. Amtsölatt -es H'önigkichen Land- und ÄmLsgerichtes Leipzig, des Ruthes und Nolizei-Äwtes -er Ltadt Leipzig. Anzeigen'Pret- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem RedactionSstrich (»ge spalten) 50^4, vor den Familiennachrichteu (6 gespalten) 40/4. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Vei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Gr-editty« zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. s. Freitag den 7. Januar 1898. 92. Jahrgang. Amtlicher Thetl. Bekanntmachung. Seitens der Allgemeinen Deutschen Lredit-Anstalt und der Leipziger Bank, Beide zu Leipzig, ist der Antrag eingereicht worden: 5M0MV 4°/<> Schuldverschreibungen von 18S7 der MauSfeld'fchen -npferfchteferbauenden Gewerkschaft zu Siöleben t«n Handel und zur Notiz an der Leipziger Börse zuzulassem. Leipzig, den b. Jannar 1898. Dte Sulaff«ng»fteue für Werthpapiere an der Börse zu Leipzig. SteSkind SteSkind, stellvertretender Vorsitzender. Aufgebot. 1) Herr Rittergutsbesitzer Kammerherr Carl Bernhard Ferdinand Edler von der Planitz auf Naundorf bei Oschatz, 2) Herr Kaufmann Adolf Victor Emil Pretzier» Inhabers der Firma r. A. Dretzler in Leipzig, haben das Aufgebot behufs Kraslloserklärung zu 1) des ihm abhanden gekommenen 3'/,V» Pfandbriefe- deS Erbländischrn ritterschaftlichen Creditvereins im Königreiche Sachsen vom 1. Juli 1886, Ser. XIV, lüt. 6, Nr. 0301 über 500 .6, za 2) des auf die Firma C. A. Dreßler in Leipzig durch Giro übergegangenen. von dem Schlossermeister Arno Gentzsch zu Leipzig- Gohlis unter dem 10. April IMS auf Ernst Bernd in Leipzig. GohliS gezogenen und von diesem acceptirten, am 1. Juni 1895 zahlbar gewesenen Primawechsels über 130 beantragt. Der In- Haber der Urkunden wird aufgrfordert, spätestens in dem auf den SV. April 18S8, vormittags 11 Uhr vor dem unterzeichneten Gerichte, Zimmer 165, anberaumten Auf- gebotStermine seine Rechte anzumrlden und die Urkunden vorzulegen, Widrigenfalls die Kraftloserklärung der Urkunden erfolgen wird. Leipzig, den 23. September 1897. Königliches Amtsgericht, Abth. II'. Flohr. Nachlaß-Auktion. , Sannatend, de« 8. Januar 18S8, von früh '/,lO Uhr an, soll in Leipzig, Zeitzerstr. 30, im Garten part. ein besserer Nachlaß, bist, in Bettstellen mit Roßhaarmatratzen, Federbetten, Schränken, Sopha, Tischen, Stühlen, Kommoden, Spiegel, Gardinen, Porzellan, darunter Meißn. Service, 1 gold. Damenuhr m. Kette, 1 Granateuschmuck, silb. Löffel, Frauenklrider, gute Wäsche u. a. m., sowie gute Weine gegen Baarzahlung versteigert werden. IrnmmUtr, Lokalrichter. Bekanntmachung. Die Hundesteuer für das Jahr 1898 ist spätestens bis zum 31. dieses MonatS bei Vermeidung zwangsweiser Beitreibung an die betreffenden Zahlstellen zu entrichten. Als Stichtag zur Aufnahme des Hundebestandes im ganzen Lande gilt der IS. Januar. Die volle Jahressteurr beträgt 2V .4l Für Hunde, welche aus schließlich zum Ziehen und zur Bewachung von Haus und Hof br- nutzt werden, kann jedoch auf schriftlichen Antrag hin die Steuer bis auf den Betrag von 10 ermäßigt werden. Solche ErmäßigungSanträge sind spätestens bis 31. Januar dieses Jahres anzubringe«; später eingehende Gesuche können keine Be rücksichtigung finden. Der Wechsel tm Besitze und die Veränderung in der Der- Wendung von Hunden, für die steuerfreie oder Marken für einen ermäßigten Steuersatz «rtheilt worden sind, ist zur Vermeidung von Weiterungen bezw. Strafe« dem Stadt-Steuer-Amte in jedem einzelnen Falle anzuzeigen. Die über bezahlte Hundesteuer ertheilte Quittung ist aufzu bewahren, weil sie in manchen Fällen, z. B. bei Rückerstattungen, Anträgen auf Ersatzmarken rc. unerläßlich gebraucht wird. Im Uebrigen verweisen wir auf das bei der Bezahlung der Steuer zur Aushändigung gelangende Regulativ. Leipzig, am 5. Januar 1898. Der Rath der Stadt Leipzig. vr. Georgi. Koch. Die Hussiten in Sachsen. Nachdruck verboten. -ck Der Feuertod, den Huß in Constanz erlitten hatte, war seinen Anhängern in Böhmen Veranlassung, sich fester zu Schutz und Trutz zusammen zu schließen; bis 1420 verhielten sie sich innerhalb Böhmens verhältnißmäßig ruhig, sie hatten mit den in ihrem eigenen Lager entstandenen Meinungsverschiedenheiten vollauf zu thun. Als sie aber von außen her angegriffen wurden, da trugen sie mit Mord, Brand und unsagbaren Greuel- thaten, die einzig und Verabscheuenswerth in der Geschichte da stehen, die Fackel des Krieges hinüber über die böhmischen Grenz gebirge. Ihre Mord- und Raubzüge galten besonders den Ländern, deren Oberhäupter für den Feuertod des Huß gestimmt hatten. Das Vorgeben, Rache an denen zu üben, die ihren ge liebten Lehrer getödtet, war oft nur Vorwand, der Hauptgrund der hussitischen Ausfälle und Raubzüge lag meistens ganz wo anders, die Führer wollten die Massen, von dem inneren Verfall durch einen Beutezug ablenken und durch die gemachte Beute die rohe und verrohte Menge wiederum an sich ketten. Ums Jahr 1429 befanden sich die Hussiten in Prag in arger Zersetzung und der innere Zwist drohte verderblich für die ganze Bewegung zu werden. Um eine Ablenkung herbeizufiihren, machten sich die beiden Prokope auf, denen vielleicht auch die Er reichung politischer Ziele vorschwebte, und führten ein nicht sehr starkes Heer unter Brand und Verwüstung durch die Oberlausitz, sie kamen bis vor Dresden und Großenhain, wendeten sich dann nach der Niederlausitz, wo die Stadt Guben dem Ansturm erlag und in einen Trümmerhaufen verwandelt wurde, von hier zogen sie vor Görlitz. Dieser schreckliche Einfall des hussitischen Heeres verbreitete nicht nur in Sachsen, sondern auch in Brandenburg, Erfurt und Magdeburg Furcht und Schrecken, und mit Zittern sah man dem Kommen der frechen, entmenschten Raubgesellen ent gegen. Zudem hatte sich die Kunde verbreitet, daß Hunderte von hussitischen Spionen, scheinbar harmlose Handwerksburschen, ausgesandt seien, um Verrath und Brandstiftung in Deutsch land anzurichten. Wilder Haß und Grimm loderte da in den Herzen der bedrängten Deutschen auf. Man suchte sich an dem unheimlichen Feinde, wo man ihn fassen konnte, zu rächen. In Bautzen ward der Stadtschreiber als Verräther gerichtet, in Görlitz ein hussitischer Abgesandter ertränkt. Dieser Einfall der Hussiten war nur ein Vorspiel zu dem, was in noch viel schrecklicherer Weise unserem Vaterlande be schicken sein sollte. Ehe noch die Hussiten aus Sachsen heim kehrten, hatten sich die Prager sammt ihren Bundesgenossen und den Radikalen gerüstet und traten ihren Vormarsch nach dem Erzgebirge an. In Prag fand eine Versammlung der hussitischen Führer statt, man einigte sich über den vorher schon vorbereiteten Zug über das Erzgebirge, Prokop der Große, das anerkannte Haupt der Hussiten, leitete das Ganze und der Schrecken Zizka's ging vor ihm her. Ein böhmischer Chronist giebt die Stärke des Zuges auf 4000 zu Roß, 40 000 zu Fuß und 3000 Wagen an. In Sachsen hatte man einen weiteren Raubzug erwartet, deshalb hatte man die Hände nicht achtlos in den Schooß ge legt, die Verbindung mit den benachbarten Ländern war zu ge meinsamer Abwehr hergestellt. Erzbischof Günther von Magde burg, Markgraf Johann von Brandenburg, Herzog Wilhelm von Braunschweig, Landgraf Friedrich von Thüringen, die Bischöfe von Naumburg, Merseburg, Halberstadt und Hiloesheim zogen ihre Streiter zusammen; die Stcwt Erfurt sandte ihren ganzen reisigen Zug, auch Halle stellte Hilfstruppen. Den Oberbefehl übernahm Graf Ludwig von Dettingen, er wandte sich an die übrigen Fürsten und Städte und forderte sie zur Kriegsbereit schaft auf, ganz besonders wies er darauf hin, daß Sachsen die Vormauer der Christenheit sei, würde diese fallen, so würde sich ein lähmender Schrecken Aller bemächtigen. Die Nürnberger sandten eine schwache Hilfstruppe nach Meißen. Ende Decem der 1429 standen im Meißnischen zwei stattliche Heere, die dein hussitischen an Zahl überlegen waren. Nach dem FeldzugSpla i hatten sich die sächsisch-thüringischen Truppen bei Naunhof, die norddeutschen bei Belgern an der Elbe zu sammeln. Von diesen Stellungen wollte man beiderseits elbaufwärts vorrücken, fick zwischen Pirna und Dresden vereinigen und den Hussiten eine Schlacht liefern. Das rasche Vordringen der Hussiten verhinderte die Aus führung dieses Planes; sie umgingen die Städte Pirna, Dresden und Meißen und zogen unter schrecklicher Verwüstung am linken Elbufer abwärts. Am 29. December 1429 eroberten und ver brannten sie Oschatz, der Markgraf von Brandenburg, der schon bis hierher vorgerückt war, zog sich auf Leipzig zurück. Nun drangen unaufhaltsam und in größter Eile die Hussiten nord westlich vor, die Stadt Wurzen ging im Feuer auf, Riesa, Strehla, Belgern und Torgau wurden gebrandschatzt und zmn Theil eingeäschert, ja, die Hussiten sollen damals bis nahe vor Magdeburg gestreift haben. In Eilmärschen wandten sich die Hussiten der Mulde zu, um die hinter derselben stehenden feind lichen Streitkräfte anzugreifen; ein Nürnberger faßt die Stirn mung, die in dem deutschen Heere herrschte, in folgendem Ausruf zusammen: „Der allmächtige Gott stehe seiner Christenheit bei!" Bei Grimma überschritten die Hussiten unangefochten die Mulde, hier wäre eine schöne Gelegenheit gewesen, die Hussiten zu ver Nichten, denn es hatte sich ihre wandelnde Wagenburg gelöst und die Wagen mußten in einer Reihe den Uebergang bewerkstelligen. Als die Hussiten auch über die Mulde setzten, kamen deutsche Reiter, um zu recognosciren, die wurden von den Hussiten zer sprengt. Umsonst erwarteten die Hussiten den weiteren Angriff der Deutschen, da dieser hier nicht erfolgte, so nahmen sie die Verfolgung auf und kamen dabei bis zu den Vorstädten von Leipzig, die der Herzog von Sachsen hatte anzünden lassen. Nun drangen die Hussiten weiter nach Westen vor. Thii ringen war zunächst bedroht, vor Allem Erfurt, das sich ja lebhaft an der Rüstung gegen die Feinde betheiligt hatte. Es ward diese Stadt in aller Eile befestigt und mit einem Wall umgeben, und streitbare Kräfte wurden herangezogen, dies Alles war vergeblich, denn die Hussiten umgingen Erfurt und zogen mehr nach Süden. Ihre Heeresmacht hatten sie in fünf Heere getheilt, diese durchzogen, in weiter Breite sengend, mordend und plündernd die deutschen Lande und stießen nur selten auf Widerstand. Das Schloß Altenburg widerstand, die Stadt selbst fiel der Zerstörung anheim. Auf dem Zuge nach Süden kamen die Hussiten auch an das wohlbefestigte Plauen. Zunächst ward versucht, eine friedliche Lösung herbeizuführen, in der es sich Fenilletsn. Gute Vorsätze. Ein« Geschichte von Emma Merk (München). Nachdruck vkkt»t«n. An einem Sylvester-Abend saßen vier junge Maler in einem Atelier beisammen. Der Besitzer dieses kunstgeweihten Raumes, der hübsche Heinz Becker, hatte sich mit allerlei beim Trödler ge kauften Teppichen und Stofffetzen, mit einer durch Decken, Kissen und Felle zur Ottomane herausstaffirten Kiste, eine „orientalische Ecke" hergestellt, die bei Lampenbeleuchtung, wenn man die Mottenlöcher nicht sah und die stark verblichenen Farben von rosig gedämpftem Licht überstrahlt wurden, ganz fabelhaft prächtig wirkte. Um dieses gemüthlichen Winkels willen war sein Atelier zu diesem festlichen Kneip-Abend gewählt worden, zu dem jeder der vier Freunde beigestcuert und ein paar besondere Leckerbissen mitgebracht hatte. Die meisten guten Sachen und vor Allem den Rotspohn und den Rum zur Bowle hatte der dicke Otts Melcher gestiftet, und jedes neue Packetchen, das er aus den Taschen seines weiten Ueber- ziehers hervorgezogen, war mit einem Freudengebrüll und lautem Halloh begrüßt worden. Otto war freilich auch von Natur zum Proviantmeister des Abends bestimmt. Sein Vater hatte eine Weinrestauration in einer der belebtesten Münchener Straßen. Der junge Mann saß gewissermaßen an der Quelle. Nun war Alles aufgezehrt; nur ein paar Scheiben Pumper nickel garnirten noch den sterblichen Rest eines Edamer Käse, und ein Stückchen Aspic zerfloß melancholisch in der Wärme. Auch die Bowle ging schon auf die Neige. Der Rauch der vier Ci garren lagerte sich in einer dichten blauen Schicht über den er hitzten jungen Köpfen und aus dem Dämmerlicht, das den ent fernteren Raum einhüllte, leuchtete ganz mystisch und traumhaft von der Staffelei herab ein weißer Frauentörper. Im Anfang war die Stimmung sehr lustig und animirt gewesen. Man hatte ein wenig „Fach gesimpelt" und disputirt, dann später neue saftige Anekdoten erzählt, und als der Stoff ausging, hatte sich Heinz an das Clavier gesetzt, und „Schnadahüpfeln" und Tingel langellieder gesungen — er machte das ganz famos — und der Refrain war mit voller Lungenkraft von Allen wiederholt worden. Aber plötzlich schlug's um. Der dicke Melcher hatte zuerst tiefsinnig auf die Uhr geschaut: „Schon halb Zwölf!" und dann düster vor sich hingebrütet. Allmählich wirkte sein plötzliches Verstummen, die Trauermiene auf dem sonst so heiteren dicken Gesicht ansteckend auf Heinz. Und nun seufzte auch der Jüngste, der blonde Homberg, ein niedlicher Sachse, wie aus sorgen beladener Brust. „Herrgott, was habt Ihr denn auf einmal? Ihr sitzt ja da lvie die Leichenbitter!" lachte Paul Reimer, der vorher am stillsten gewesen war, sich seine Laune aber am besten bewahrt hatte. „Eine Luft ist freilich hier zum Schneiden!" Er trat an das Fenster, schob den Vorhang zurück und öffnete »in wenig die große Scheibe. „Da schaut her, wie schön daS ist!" rief er ins Zimmer zurück. Die Neujahrsnacht war licht und mondhell. Man konnte von dem hochbelegenen Atelier, wie aus der Vogel-Perspective, auf das überschnelle München herabschauen. Die Frauenthürme erhoben sich mächtig au» dem Gewirr von Häusern, von Thürmen und weihen Dächern, zwischen dem wie kleine Monde die elek trischen Bogenlampen leuchteten. Hinter den Straßen der Alt stadt, an der Isar hin, zog sich ein feurig durchschimmernder Nebel, der dem Bilde etwa» Geheimnißvolle» gab, al» dehnte sich Pa» Häusermeer bi» in'» Unendliche, al» flimmerten in der Ferne strahlende Paläste, als wogten unten den Schleiern weite Ströme von Licht. Und der Anblick der nächtlichen Stadt wirkte um so feierlicher in dieser Mitternachtsstunde, in der Tausende und Tausende noch wachten und auf den Glockenschlag harrten, mit dem ein Jahr endet, ein neues beginnt. Von dem Festlärm, mit dem man sich da unten in den Straßen wohl die bangen Ge danken übertäubte, klang kein Ton herauf in die lichte Höhe. In tiefem Schweigen schien die weiße Stadt da unten zu liegen, harrend auf das Schicksal, das über sie hinzog. Melcher war wieder in seinen Stuhl zurückgesunken. „Heut geht's wohl Manchem, wie mir!" sagte er fröstelnd. „Heut wird so Mancher einen bösen Moralischen haben! Geh, mach das Fenster zu, Reimer! Es ist kalt!" „Ja, ja, einen bösen Moralischen!" klang's wie ein Echo aus der Ecke, in der Heinz Becker saß und trübselig an seinem flotten Schnurrbart zerrte. „Aber so darf's nicht weiter gehen!" rief Melcher und schüt telte seinen dicken Kopf und dehnte seine breite Brust. „Nein, es muß anders werden!" stimmte Heinz ihm zu, indem er mit wilder Energie ein Zündhölzchen anstrich. „Ich mag mir nicht ewig vorsagen lassen, daß ich mit sieben undzwanzig Jahren noch meinem Vater auf der Schüssel sitze wie ein Schulbub!" grollte Melcher. „Aber warum hat mein Alter auch eine Weinrestauration? Das ist mein Verderben! Wenn da täglich ein Tisch von Bekannten beisammen sitzt und man nur die Stiege herunter zu gehen braucht, um eine nette Gesellschaft zu finden, — na, da möcht' ich den sehen, der da solid wäre! Und dann bleibt man halt sitzen bis gegen Morgen und kneipt, weil das Trinken nichts kostet, — natürlich steht man dann spät auf und hat in der Frühe wieder Durst und keine Lust zur Arbeit. Aber — Ihr Alle seid Zeugen! — ich schwör's, ich werd' ein anderer Mensch! Morgen, — nein, morgen ist ja Feiertag! — also übermorgen fang' ich ein neues Leben an und arbeite wie ein Wilder! Ich zieh' von meinen Eltern weg, ich schlafe im Atelier! Ich geh' überhaupt nicht mehr aus! Abends wird Thee getrunken! In der Früh' um acht sitze ich an meiner Staffelei! Mit der Bummelei hat's ein Ende!" „Geh', Melcher", seufzte Heinz Becker, „Dein bischen Trinken und Kneipen, das ist nicht das Schlimmste! Aber wenn man, wie ich, so eine dumme verliebte Natur hat! Die hübschen MädelS! Ich sag' Euch! Im Winter die Redouten! Jeden Abend ist ein Vergnügen los. Und dann macht man Bekanntschaften, und die ausgelassenen Dinger kommen in's Atelier hergelaufen und schwatzen dummes Zeug, bis man den Pinsel wegwirft und sich an's Clavier setzt und einen Gassenhauer spielt. Herrgott: die vielen vertrödelten Vormittage! Aber Du hast bei Gott Recht, Melcher! So kann's nicht weiter gehen! Ich bin auch fest entschlossen! Ich verkaufe mein Clavier! Ich schreib' an mein Atelier: „Brauche kein Modell! Nehme keinen Besuch an! Bin überhaupt niezu sprechen!" Ich male einfach keine Frauenzimmer mehr! Nein, ich werd' Thiermaler! Ein paar Dackerln oder junge Kas^n, — daS ist so nett und friedlich! Ein Pereat den Weibern! — Ich fdg' mich los von ihnen! Es ist höchste Zeit, ein vernünftiger Mensch zu werden!" „Du sprichst so frivol von der Liebe", wendete der junge Homburg vorwurfsvoll ein. „Bei Dir ist da» Alle» nur Ulk. Und da» ist ja eigentlich viel gescheidter . . . Aber wenn man daS Unglück hat, ernstlich verliebt zu sein, und noch dazu in eine feine junge Dame auS guter Familie — o, da» ist zeitraubend, das nimmt Einem die Schaffenskraft! Stundenlang muß man an einer Straßenecke warten, um einen Gruß zu erhaschen; täglich auf den EiSplatz laufen, in der Hoffnung, sie zu treffen! — Aber ich mag nicht mehr. Ihr Vater giebt'S ja doch nicht »zu! Wovon sollen wir auch leben? „Er war Maler und sie I hatte auch nichts", — haha, die alte Geschichte! Aber das soll »auch aufhören! Von jetzt an will ich kein Allotria mehr treiben und nur einer Göttin mich weihen, der Kunst! Die duldet halt einmal keine Rivalinnen!" Er war ganz elegisch geworden. Melcher stand nun auf und füllte mit tragisch gefalteter Miene die Gläser. Im gleichen Augenblick hörte man die zwölf Schläge vom Frauenthurm drüben hereindröhnen in langsamer, feierlicher Wucht. „Meine lieben Freunde!" rief der dicke Melcher mit einem gerührten Pathos, das in wunderlichem Gegensätze stand zu seinem runden, gutmüthigen Gesicht. „Wir Alle wollen dieser Mitternachtsstunde eingedenk sein. Ein neues Leben beginnt! Und darauf stoßen wir an! Unsere guten Vorsätze, die wir heut in weihevoller Stunde, — in kameradschaftlichem Ein vernehmen — in heiliger Begeisterung gefaßt haben, — sie leben hoch, — hoch — und noch einmal hoch!" Becker überlegte, ob er nicht zur Bekräftigung dieses Ge löbnisses das Glas, aus dem er zum zweiten Mal als leicht sinniger Mensch getrunken, an die Wand werfen sollte. Aber es fiel ihm rechtzeitig ein, daß er die Gläser von seiner Hausfrau geborgt hatte, und daß sie ohnehin nicht gut auf ihn zu sprechen war. Paul Reimer war der Einzige, der ohne würdevollen Ernst, mit respectlos lachendem Gesicht in das „Hoch" einstimmte. „Du hast ja ganz geschwiegen, Reimer! Glaubst am Ende, daß Du's nicht nöthig hättest, gute Vorsätze zu fassen?" fragte Melcher in wohlwollend väterlichem Tone. „Du bummelst ja etwas weniger als wir! Zugegeben! Aber man sieht Dich doch auch auf Redouten und in der Kneipe, und Deine Bergfexerei, die kostet Dir heidenmäßig viel Zeit!" „Schön, alter Sohn, aber wenn ich mir auch im Winter vornehme, sie aufzugeben, im Sommer hält der Entschluß ja doch nicht!" lachte Paul. „Ich bin^nicht so hart gegen mich selber, daß ich gleich einen ganz neuen Adam von mir fordere, wie Ihr!. Ich habe heute den guten Vorsatz gefaßt, künftig jeden Abend meine Pinsel zu putzen, was ich leider bisher nicht immer that, und in diesem Winter Französisch zu treiben, weil ich im nächsten Jahre nach Paris will. Aber gar nicht mehr lustig sein, nie mehr trinken, mich gar nie mehr verlieben, — nein, Kinder, so was Dummes kann ich nicht versprechen!" „Er hat's eben nicht nöthig!" spottete Melcher. „Wenn man einen Hamburger Kaufherrn zum Papa hat und jeden Monat einen brillanten Wechsel ohne Strafpredigt, wie Du, — ja, dann weiß ich auch nicht, ob ich die Kraft zu meiner Entsagung ge funden hätte!" „Freilich! Der Reimer thut sich leicht!" bestätigte Heinz. „Uebrigens —" er zog den Freund etwas bei Seite — „da gerade von Geldsachen die Rede ist, Paul, könntest Du mir nicht ein wenig aushelfen? Sieh mal, wenn ich nun doch ernstlich zu arbeiten anfange, dann muß ich vor Allem Seelenruhe haben, nicht wahr? — Ein sorgenentlastetes Gemüth! Und es sind da noch ein paar kleine . . „Mach' doch nicht so viele Worte, Heinz! Wieviel brauchst Du?" fragte Reimer leise und zog seine Börse. „Es geht mir zwar nicht so glänzend, wie Ihr meint, aber für einen Freund habe ich doch immer Etwas übrig!" Die beiden Anderen schauten mit einem gewissen Neid auf die zwei Goldstücke, die Reimer ihrem Gastgeber zuschob. „Ein kecker Kerl, dieser Becker! Der hat wirklich Routine im Pumpen!" dachte Jeder von ihnen. „Unsereiner hätt' es auch nöthig, aber man genirt sich doch!" „Also hier treffen wir uns wieder am nächsten Sylvesterabend, als andere Menschen, als strebsame Künstler, die ohne Katzen jammer zurückschauen können auf das vergangene Jahr!" er klärte Melcher beim Abschied und deutete mit einer tragikomischen Gebärde auf die Ecke, in der sein altes Selbst begraben lag. Aber als wieder ein Jahr vorüber war, saßen die Freunde nicht mehr in der orientalischen Ecke mit ihrer fadenscheinigen Pracht. An den Teppichen waren übrigens die Löcher geflickt, und es sah jetzt in dem Atelier viel weniger „malerisch", aber sauberer aus. Heinz Becker, der sich am Sylvesterabend feierlich von den Weibern losgesagt, hatte nämlich im Frühjahr ein bildhübsches Modell geheirathet. Und viel fleißiger war er nun geworden. Seine Frau trieb ihn energisch zur Arbeit an und ließ ihm zum Bummeln keine Zeit mehr. Der blonde Homberg war seinem guten Vorsatze länger treu geblieben. Er hatte nicht mehr stundenlang auf die junge Dame gewartet, die er verehrte, er war nicht mehr auf den Eisplatz gegangen. Aber sie grüßte ihn nun liebenswürdiger als früher, seit er sie vernachlässigte. Und an diesem Sylvesterabend war er sogar zu einer Gesellschaft bei ihren Eltern eingeladen worden. Das ganze Jahr war er stark gewesen wie ein Held; warum sollte er sich nun vor ihrer Nähe fürchten? Aber die schöne Lilly war sehr lieb, und als es zwölf Uhr schlug, machte sich ein Spaß vogel den Jux, das elektrische Licht für einen Moment auszu drehen. In diesem secundenlangen Dunkel, in der feierlichen Stunde, da ward er schwach. Er zog sie an sich und küßte sie auf den Mund. Sie zürnte nicht. Sie lächelte ihn sogar an, als es wieder hell wurde. Nun war er heißer verliebt denn je, und ebenso aussichtslos. Und der dicke Melcher? — Er hatte sich in seinem Entschlüsse, fleißig zu werden und dem Alkohol zu entsagen, thatsächlich mit seinem Vater überworfen. Er zog von den Eltern weg, er malte eifrig und war überzeugt, daß es nun am Erfolg nicht fehlen könne. Aber als seine Bilder keine Käufer fanden, als er sie schließlich um einen erbärmlichen Preis losschlagen mußte, nur um nicht zu hungern, da wuchs doch in seiner breiten Brust eine bohrende Sehnsucht nach den Fleischtöpfen des Elternhauses. Und als der verlorene Sohn endlich, Versöhnung heischend, heimkehrte, schlug der erzürnte Vater ihm, ziemlich kurz an gebunden, vor, er solle jetzt das Malen ganz bleiben lassen und in sein gut gehendes Geschäft eintreten. „Ein Lenbach oder ein Stuck wird doch nicht aus Dir!" sagte er. „Ein armseliger Fretter wirst Du, und ich — weißt Du, welchen Reingewinn das Geschäft jetzt abwirft?" . . . Das war allerdings eine Summe, die Otto's Herz erweichte, das durch selbsterlebte und fremde Malernoth schon weidlich mürbe geworden war. Die Eltern versprachen, ihm im Haus ein Atelier einzurichten, in dem er in seinen Mußestunden so viel Leinwand verpinseln könne, als er nur wolle. So ward Melcher, der das Trinken abgeschworen hatte, ein Weinwirth. Paul Reimer dagegen schien seinen Pinsel nicht bloS fleißig geputzt, sondern auch fleißig gebraucht zu haben. Er hatte im Frühjahr ein Bild in der Ausstellung gehabt, das große Aner kennung, das sogar einen Käufer gefunden. Seitdem sagten die Freunde, er sei „hochmüthig" ... Er hätte immer schon so Etwas von einem Streber gehabt . . . Man sehe ihn nicht umsonst am Werktag im Cylinder Herumlaufen . . . „Ein rechter Heimtücker!" hieß es. Reimer aber flanirte in dieser Neujahrsnacht einsam durch die taghell erleuchteten Straßen von Paris. Da fiel ihm plötzlich der letzte Münchener Sylvesterabend ein. Und halb lachend, halb wehmüthig erinnerte er sich an den Schwur der Freunde, die geglaubt hatten, es wäre so leicht, mit einer neuen Jahres- zahl aus der alten Haut herauszuschlüpfen ...
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite