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Dienstag, 14. September IMS. vil« wr 3800 rMM wumimi Rr. 213. Vierter Jahrgang. Kuer Tageblatt und Anzeiger Mr das Erzgebirge Verantwortlicher Redakteur: rrtti Ilredsia. jur di» Inserate verantwortlich: U-eiter Nr««». Beide in Aue i. Lrzgeb. mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Lonntagsblatt. Sprechstunde d« Redaktion mit Ausnahme der Sonntage nachmittags von s Uhr — Telegramm-Adresse: Tageblatt Au». — Fernsprecher «. Für unverlangt eingesandt« Manuskripte kann Gewähr nicht geleistet werden. ' Druck und Verlag kt««r vr«ch-«. viri»,r-S««<!I»LrN m. b. ff. in Aue i. Lrzgeb. Vezugspreis: Durch unser« Boten frei in» Sau, monatlich so pfg. 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November in den Ruhestand. Sein Nachfolger wird der Vor tragende Rat im KulluLmintsteriuni Geh. Rat I. Friedrich K r c tz s ch in a r. » Der sozialdemokratische Parteitag erteilte gestern dem Vorstand Entlastung und erledigte eine Anzahl Anträge, die die Agitation betreffen. Weiter wurde einstimmig ein Beschluß gefaßt, der zwecks Minderung des B r a n n t w e i n st e u e r e r t r a g s die Arbeiterschaft zum Schnapsboykott ausfordert. » Nach einer Depesche ausPorte au Prince hat der deutsche Gesandte o. Zimmerer von der Regierung in Haiti die Konzession zur Begründung einer deutschen Bank erhalten. Sie soll ein Gegengewicht gegen die englische Bank bilden. Den New Yorker Blättern zufolge brachte die Regierung der Vereinigten Staaten eine Nachtrags forderung von abermals 500 Millionen Dollar für den Panamakanal ein. IM»- Mutmaßliche Witterung am 15. September: Nordw.st- wind, bedeckt, kühl, zeitweise Regen. "BMI Wie die liberale Reichsfinauz- Reform ausgesehen hätte. X Die Konservative Korrespondenz hat mit einer Artikel serie über das Thema begonnen: Wie häte die liberale Reichs ¬ finanzreform ausgesehen? Darin sind so viele Unrichtigkeiten enthalten, daß wir uns notgedrungen mit dem Gegenstand noch einmal beschäftigen müssen. Die Gegner sind schuld, wenn immer dasselbe wiederholt werden mutz. Eine bemerkenswerte Feststellung schicken wir voraus. Von der Beschuldigung, daß die Liberalen nicht in genügendem Umfange in direkte Steuern bewilligen wollten, ist mit keinem Wort mehr die Rede. Obwohl dieselbe Kons. Kor. vor eini gen Wochen diese mangelnde Bereitwilligkeit der Liberalen feierlich als unumstößliche Tatsache proklamiert hatte! Wir ersehen daraus, daß die Konservativen es nicht mehr nötig zu haben glauben, die Sprengung des Blocks und den Sturz Bü lows vor ihren Wählern zu entschuldigen. Denn diesem Zweck diente ja die damals hundertfach wiederholte Erklärung, die ^Liberalen seien zur Bewilligung der notwendigen Verbrauchs- ' steuern nicht zu bewegen gewesen. Wir halten dies für politisch viel wichtiger als die anderen Auseinandersetzungen über die einzelnen Steuern und konstatieren also nochmals ausdrücklich: die Konservativen geben jetzt zu, daß sie bei dem Blockver- rat eine erfundene, haltlose Ausrede gebraucht haben, und daß sie — soweit es sich um die Linderung der Reichs finanznot handelte — die Reform äbenso gut mit den Liberalen hätten machen können. Der Pakt der Konservativen mit dem Zen trum und den Polen ist also nicht, wie die heuchlerische Redens art lautete, aus Sorge um das Wohl des Reichs, sondern allein im Parteiinteresse abgeschlossen worden. Wir sind der Kons. Korr. dankbar dafür, Laß sie uns Gelegenheit zu Lieser Feststel lung gegeben hat, die in den Herzen aller wirklich national empfindenden Männer länger nachwirken wird als der Zorn über die neuen Steuern. Doch werden wir uns auch mit den pesitwen Behauptungen der besagicn Artikelserie noch etwas b.schäfligen muffen. Hier ist zunächst schon die llebcrschr.fi irreführend, insofern sie von der liberalen Reichsfinanzreform spricht. Darunter kann man nur eine Finanzrelorm verstehen, die die Liberalen ganz nach ihrem Herzen gestalttn. Von einer solchen ist aber nie die Rede gewesen. Wenn die Liberalen die Mehrheit im Reichstag und entscheidenden Einfluß aus die Regierung hätten, dann wäre selbst verständlich die Ftnanzreform von Grund aus anders aufge» baut worden. In Wirklichkeit hat es sich - dem Stimmenver hältnis un Reichstag entsprechend — von Anfang an um ein K o m p r o m i ß g c b i l d c gehandelt und für die Liberalen darum, wie weit sie im äußersten Fall den Konservativen, die im Prinzip jede direkte Neichssteucr verwerfen, entgegen kommen konnten. Au» diesem Grunde kam man zu der Festsetzung des ungefähren Verhältnisses von 400 Millionen Verbrauchssteuern und 100 Mil- lionen Besitzsteuern, wobei die Liberalen allerdings von Anfang an die unerläßliche Bedingung stellten, daß unter den letzteren eine wirkliche und allgemeine Bcsitzsteuer sein müßte. Wie wenig die niedrige Grenze von lOO Millionen für die Besitzsteuern den eigent lichen Wünschen der Nationalliberalen entsprach, geht am besten daraus hervor, daß ihr Antrag auf Einführung der Reichs- Vermögenssteuer dem Reich allein 150 Millionen einbringen sollte. Bei der Einzelberechnung operieren nun die Gegner in geradezu frivoller Weise mit den Zahlen. Die Kons. Korr. stellt z. B. im Gegensatz zu der Bereitwilligkeit der National liberalen, 400 Millionen indirekte Steuern zu bewilligen, als bekannt fest: Daß die Reichstagsmehrheit zwar den Bedarf in voller Höhe bewilligt, aber nur 310 Millionen Verbrauchs steuern und 135 Millionen sogenannte Besitzsteuern beschlossen hat. Nach unserer Rechnung ergibt 310 plus 135 nicht 500 sondern 445. Die entgegen den Regierungsvorschlägen be schlossene Aufrechterhaltung der 55 Millionen an Zucker- und Fahrkartensteuer werden also einfach unterschlagen! Da zu kommt, daß die sogenannten Besitzsteuern zum größten Teil keine Besitzsteuern, sondern Verkehrs st euern sind, die den Mittelstand erheblich belasten und viele der reichsten Leute ganz frei ausgehen lassen. Selbst die Gegen überstellung von 365 Millionen indirekte und 135 Millionen Besitzsteuern wäre also noch stark irreführend. — Im übrigen sei bemerkt, daß die Kons. Korr. den Vergleich zwischen den liberalen Versprechungen und den tatsächlichen Bewillig ungen der neuen Mehrheit ihren Lesern überläßt. Mit nackten Worten ausgesprochen finden wir ihn dagegen in der Köln. Bolksztg. Da heißt es in der Mittagsausgabc vom vergangenem Freitag wörtlich, die Nationalliberalen wollten 400 Millionen indirekte Steuern bewilligen, 90 Millionen mehr als Zentrum und Konservative vereinbart hatten. Bei Berück sichtigung der oben dargelegten (und ja längst bekannten und schon' oft betonten) tatsächlichen Verhältnisse kann man es uns nicht verübeln, wenn wir es aussprechen, daß eine tollere Ent stellung der Wahrheit nicht mehr denkbar ist. Die letzten Badegäste. Rovellette von Ralph v. Rawitz. Nachdruck verbaten. Heinz Sievers faß auf einem Felsblock, der durch Wände und Halden etwas vor dem steifen Südost geschützt war und doch einen guten Ausblick auf die ganze Bucht gestattete. Der junge Arzt hatte die Strandmütze tief in das Gesicht gedrückt, den Paletotkrqgen emporgefchlagen und die Hände in die Taschen versenkt, denn es war trotz Sonnenschein und stellenweise blauem Himmel schon empfindlich kühl; der Herbst machte seine Rechte geltend. Auch die See mußte seine Herrschaftsgelüst« fühlen und tobte, grünen und weihen Schaum verspritzend, um die rot braunen Klippen der Insel. Der Dampfer, der etwa einen Kilo meter vom Lande entfernt, noch in geschütztem Wasser der Bucht lag, schwankte bedenklich hin und her. Dorthin richtete Sievers seine Augen, nachdem es ihm endlich gelungen war, die Morgen zigarre in Brand zu bringen. Sie werden keine lcjichte Ueberfahrt haben, die Herrschaften, die heute mit dem Asathor heimkchren, sagte er vor sich hin: Aber es wäre ungerecht, jetzt Ruhe und Vieilchenfarbe von dem lieben, alten Ozean zu verlangen, wie in Julitagen. Der Som mcr ist hin, der September regiert mit Macht. — Aha, da kom men schon die Boote mit den Abfahrenden! Mle Wetter, wie die schwanken! — Na! Nun hab ich Ruhe! Endlich Ruhe! Der nächste Dampfer geht erst und kommt in vierzehn Tagen! Extra fahrten gibt es auch nicht mehr! Ach! Welch' behagliches Ge fühl, der letzte Kurgast auf dieser schönen, weltfernen Insel zu sein! Ganz allein zu sein! Ganz allein zu sein mit den derben, treuherzigen Seebären und ihren Ehefrauen! Jetzt werde ich mein Leben herrlich einrichten! Morgens wird eine Klippen promenade um die Nordspitze herum und zum Leuchtturm ge macht; dann folgt Frühstück bei Emen Wirtsleuten, einfach aber kräftig. Daraus Siesta an dieser Stell«. Dann Mittag; hier nach ein Schläfchen. Nach dem Kaffee großer Abendbummel bis zur Dämmerung und Ibis der Leuchtturm aufblitzt. Dann frühe ins Bett mit einem guten nordischen Buch: Jonas Lie, Holger Drachmann oder auch die Edda. Ach! Das wird großartig werden! Um so großartiger, als mir dar ganz« Sommer in ei ner niederträchtigen Welle verbittert worden ist! Durch sie, die jetzt dort soeben den Asathor besteigt und den Winterfesten in der Heimat entgogendampst Bestrafe sie ordentlich, Neptun! — Mit welchen Hoffnungen kam ich im Juli hierher! Keine» Menschen aus meiner Heimat hoffte ich hier anzutröffen, kaum deutsche Landsleute! So einmal nichts zu höre» von dem Ha sten undTreiben der Großstadt, mich recht zu erholen nach den Anstrengungen der Praxis und der Gesepigkeit! Und kaum setzt mich der Dampfer, der dort fetzt die Anker lichtet, Hier ans Lano, kaum habe ich fünf Schritte auf di« Landungsbrücke gesetzt, da stHt sie vor mir! Sie —> die Person, die ich am meisten verab scheute! Die mir schon zu Hause so widerwärtig war, wie «in Basil-sk! Sie, Melanie von Seddin, die vielumschwärmte, sich selbst natürlich furchtbar interessant vorkommende Witwe! Bei diesem Slldost wird wohl alles Interessante flöten gehen! Er richtete das Glas nach dem Dampfer, der jetzt seine Fahr gäste an Bord genommen hatte, und mächtige Rauchwolken aus stoßend, in das offene Fahrwasser hinaussteuerte. Es ist zu weit, ich kann einzelne Personen nicht erkennen, fuhr Dr. Sie vers fort, aber ich kann sie mir doch recht gut vorstellen, wie sie jetzt inmitten eines Kreises bewundernder Kavaliere in maleri scher Pose dasteht und geistvolle Konversationen macht. Denn das ist ja der Inhalt ihrev Lechens: Sich bewundern lasten, Toiletten zeigen, Theater ILesuchen, — alles nur, um die eigene Persönlichkeit schauzustellen. Herz, Gemüt? Keine Spur! Blen den! Männer fangen! Das ist ihr ja auch hier gelungen, bis auf — mich. Und deshalb haßt st« mich! Deshalb die feindselig ironische Miene! Nein, verehrte Baronin! Mir imponiert weder Ihr Adel, noch Ihre Schönheit, di« ich freilich zugebe, weder Ihr Geist, noch Ihr Vermögen! Und ich danke Odin, dem' Herrscher über nordisches Land, daß Sie jetzt dort fortdampfen — immer 'rin ins Vergnügen! Adieu! Adieu! Er setzte den Krimstecher wieder an das Auge und sah dem stolzen Schiff nach, an dessen Bug weiße Wellenberge zerstiebten. Er blickte ihm nach, bis es nur noch ein Pünktchen geworden war. bis es ganz in der losenden Wasterwüste versank. Dann seufzte er: Adieu! Aber «s klang nicht wie völlige Befriedigung und erleichterndes Aufatmen. Langsam erhob er sich und schritt zum Dorf zurück, wo ihn ein melancholisches Bild erwartete: Die! Fischer gingen daran Lie Sommerwohnungen der Gäste für den Winter herzurichten. Hier wurden Möbel geklopft, dort Strand- köübe und Bänke in die leeren Stuben getragen, da Fenster und Düren gegen die Hauptwindrichtung Nordost mit Planken und Latten versetzt. Die Gastwirte nahmen die Aushängeschilder von den Türen, die Halle mit den Auslagen für Andenken und Reiseartikel war schon zur Hälfte abgebrochen, aus dem modischen Barbier und dem sprachgewandten Zigarrenverkäufer waren zwei derbe Seebären geworden, die mit Kneifzange und Hammer emsig hantierten. In den Vorgärten blühte nur noch hier und da eine tiefrote Georgine oder eine blaue Aster. Es war die Zett und die Stimmung der Resignation, die jetzt herrscht«. In Ge danken verzehrte Heinz Sievers sein Mittagesten, das ihm auf seiner Stube serviert wurde, denn der Speisesaal war schon ge schlossen und der deutsch-sprechende Kellner auch mit dem Asator schon abgefahren. Danach versuchte et ein wenig zu lösen, aber das Buch machte ihn nervös: Ä- war da der Untergang eines schönen Dampfers geschildert — — entsetzliche Szenen Pfui — wie kann man nur so etwas schildern! ji-gte der Arzt. Das Leben selbst ist schon ernst genug, und wenn ich lese, will ich mich erheitern! — Mi« weit der Asathor wohl fein mag? — Er nahm Hut, Paletot und Stock und ging wieder zum Strande hinunter. Der Mind war nach Steil-Ost herumgegan gen, die See brüllte. Hin und wicher ging auch «in Regenspritzer nieder, die Sonne hatte sich schon lange versteckt. Die Fischer saßen jetzt wohl geade beim Kaffeetopf, auf der Dorfgaste einig« Kinder, unbekümmert um Wind und Wellen in bloßen Hosen, flatternden Röcken und nackten Füßen. Sievves schwankte noch, ob er sich hierhin wenden, ob er einen ander«« Weg in das Innere de« Insel einlchlagen sollte, da erklang vom Strande her dar schrille Schrei einer Kinderstimme. Die Bedeutung des Rufes war nicht zu verkennen. Das war kein jubelndös Aufjauchgcn beim Spiel, sondern der Ausdruck eines Schmerzes oder der Angst. So schnell es der Sturm und der steinige Boden erlaubte, sprang Dr. Sie vers nach dem Ufer hinunter; schon auf halbem Wege begegnete ihm ein Kind, das ihm in gebrochenem Deutsch — die Kinder lernen leicht von den Kurgästen einige Brocken — und mehr noch durch Zeichen bemerkbar machte, es hab« sich unten jemand