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87. Jahrgang. AL ISS. Donnerstag, 22. Mai 1913. V,iug«-Letütr »Glchllhrl. für Vre». I>>» bet »glich l.et» maNger.luiragung <<m iZonn. »n» Llontaarn nur elioiiLl) P»c> M, durch a u»w>! rlige Nom- miilioullre bl»8.l>0 M. Pri einmaliger ,1». liellung durch dt« Polt »MiolineBclirllgeldj. P » olaud: prftcr- reich.lingarn 5. «5 »>.. Schwei; äuü, strls., Italien 7,17 Lire. - Nachdruck nur mtt deutlicher Quellen» an,,al>e <„Dre,dner Nachrb'szulllssig. IIn» nrrlangie Manullrtpia ward, „tchiousbcwahkt. Keg^LLrrHeL 18SS Druck und Verlag von Liepsch öc Reichardt in Dresden. Telegramm-Adresse: Nachrichten Dresden. Fernsprecher: 11 * 2088 » 3601. ^euiiakmaclier: fone/sn/--cstoco/acko ^ tterli^ Oreirmq. ^onosnr-i-noaorsoo > Ksftm- c/ioco/scke, -er 7»fel chFES/^ek'" Lstoeolsck« 1 Loeso s>rr ö, ltg. Lore 2,40 ill. />»r Lsrkcm 2, Z v.4 KI Anietaen-rartf. Nnnatznie non Tinten- digungen dio uachni. !i Uhr. Sonntag nur Marienstrabc """ I > bio >/-, Uhr. 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Las Ministerium des Inner» hat die Fluchtlinien- Ünderung an der Wi' sdruffcr Straße nach den Beschlüssen der städtischen Kollegien genehmigt. -heute vor hundert Jahren wurde Richard Wagner in Leipzig geboren. In der Dresdner Frauenkirche fand gestern zugunsten des in Dresden zu errichtenden Richard- Wagner-Tenkmalö eine große, eindrucksvolle Musikansfü ü r n n g statt. In München wurde gestern in Gegenwart des Prinz-Regenten die Enthüllung des N ichard- Wagner-Denkmals vollzogen. Der Reichstag wird voraussichtlich nach Wiedcr- ansiiahine seiner Arbeiten im Plenum am 27. Mai zunächst die H e c r e s v o r l a g e nnd den Wehr bei trag er ledigen. Das preu gische Abgeordnetenhaus, das am 8. Juni endgültig gewählt wird, wird unmittelbar darauf zu einer kurzen geschäftlichen Tagung zusammen- tretcn. Tie deutsche Botschaft in A o n st a n t i n o p e l teilte der Pforte mit. das, Deutschland bereit sei. das eng lisch-türkische A bto m in c n anzuerkennen. Die tschechischen Agrarier verhandeln mit slowenischen, kroatischen lind polnischen Abgeordneten über die Bildung einer s lawi s ch en Unio n zum Sturze deS Kabinetts Stürgkh. Richard Wagner. Zur Hundcrtjahrscier der Geburt des Meisters. Sv seiern wir denn den groben Bahnbrecher in der Wildnis des entarteten Paradieses! Aber feiern wir ihn würdig — nicht minder würdig als die Liege deutscher Tapferkeit: denn dem Weltbeglücker gehört der Rang noch vor dem Welterobercr! Diese von Richard Wagner im groben Kriegsjahre vor anderthalb Menschcnaltern ans Beethoven gemünzten Worte wenden wir h c n t. e, am l> nnüertstcn Geburtstage des Mcistcrs. auf Wagner selber an. Er war in der Tat ein Weltbeglückcr, wft- cs kaum einen zweiten gegeben hak. Dreißig Jahre trennen uns von seiner lebendigen Per sönlichkeit,- dreißig Jahre, die zwar in der Weltgeschichte wie ein nichtiger Hauch verwehen, die aber für die Fort dauer der Geisteskraft einer einzelnen Erscheinung un geheuer viel bedeuten —, und lebt der Meister nicht noch mitten unter uns? Wirkt sein Wort und Sang, sein edles Beispiel nicht heute io kräftig wie nur jemals? Als eine gigantische Schöpfer-Persönlichkeit steht Richard Wagner, dem selbst Sie Gcistcsriesen der Renaissance an gewaltiger WirknngSmacht nicht glcichzukommcn vermögen, im Brennpunkt der Gegenwart, Musik. Dichtkunst, Philo sophie und Knnstlehrc. sa die gesamte Kultur unserer Tage ist von ihm berührt, großenteils von seiner Tat crftillt, ist Geist von seinem Geist. Als das traurigste Notjahr des Frühlings und Som mers 18lg sich im Herbste zum siegreichen Rächer an Dentichtaiids Ehre wandelte, als in den Stämmen unseres Vaterlandes die beitigstc Liebe zur blntsbrüderlichen Ein heit entbrannte, da ven'nchte Richard Wagner zum ersten Male Laute in der deutschen Sprache hervvrznbringe», die er später so »ttveigleichlich zu meistern verstand. Ter holde Mai hatte an seiner Wiege gestanden, aber gleichzeitig auch Kriegs- und GeistcSnvt. Die Völkerschlacht, die um die Ohren des KnäblcinS toste, schien in ihrer gewal tige» Vcdciitnng auch in seine Seele cingegraben. Denn als ein Streiter für Germaniens Ehr' und Gut zog Richard Wagner in die Welt hinaus. Und wie eine prophe tisch'' Voraussage für fti» klingt Jean Pauls Honmann zngedachter Willkvmmgrnß ans „Bayreuth 1814" für den Mann, der eine rechte Oper zugleich dichten und sehen werde. Wie sei» Jurig-Ticgsrled, hatte auch Wagner das Fürchten nicht gelernt. Ei» eiserner Wille, dc»vor keinem Wagnis zurückschente, - das war das Geschenk des Kriegs jalftes an ihn gewesen. Klein von Körper »nd nicht mit bei festesten Gesundheit begabt, schni er sich eine eigene Welt der Ideen, in der er hauste wie ein unbezwingticher Streiter. Wenn Jakob Grimm in seiner Deutschen Mytho logie den germanischen -Helden desinicrt als einen Men schen, der gegen das Böse streitend unsterbliche Taten ver richtet und zu göttlicher Ehre gelangt, so wird man Wagner als eine der vollwertigsten unter die Hcldencrichetnungen unserer Büter einreihc». Lein Leben schon gestaltete er zu einem unvergleichlichen, romantischen Kunstwerk, daö reich ist an Hellen »nd dunklen Karben, an blendenden Lichk- efsekten und Kinsternissen. an dramatischen Wirkungen von hinreißender Steigerung und Kraft. Friedrich Nietzsche sprach aus, daß dieses fruchtbare, reiche und erschütternde Leben ganz abweichend und unerhört sei unter mittleren Sterblichen. Die Lebensschule, die Wagner dnrchmachen mußte, war gleichwohl ungeheuer hart. Der später Fürsten an seiner reichbedeckteu Tafel sitzen hatte, war oftmals kaum im Besitze trockenen Brotes gewesen. Bom jungen, in Deutschlands Gauen hin und her geworfenen, elend bezahlten Kapellmeister, vom deutschen Musiker, der mittellos ein klägliches Dasein führte im glänzenden Paris, dessen Herz blutete bei den von geschäftsgierigen Musikverlsger» um Judaslöhne geforderten handwerker- lichen Kompositionsarbeiten, rang er sich empor zum Königk. Sächsischen Kapellmeister,- die revolutionären Tage vou 1349 gaben ihm Gelegenheit, sich aus der Brotstellung in daS gedaukenfreie und plänereiche Exil der Schweiz hcnüberzubefreien: ein idealer deutscher König rief ihn in edler Gesinnnngssreundschast sich zur Seite und half ihm das Gewaltigste schaffen, das seine Künstlerseele geträumt hatte: Baureuth. Als wenn ein guter Gott ihn geführt hätte von Stufe zu Stufe, von Läuterung zu Läuterung, so steigert sich dieses Leben zu Freiheit und Glanz ohne Beispiel. Und doch ganz allgemach nur wuchs aus dem Künstler der Meister heraus. Zuerst war er in der Mode der Zeit besangen dann blühte aus dem generellen Typus unter dem Gelöbnis: „Ich glaube an Gott, Mozart und Beethoven" in unerhörter Machtcntsaltuug das Indivi duum hervor, das in der germanischen Kunst einen nicht wieder erreichten Kulminationspunkt darstellt. So ist uns daö Genie Wagner am innigsten und teuersten ans Herz gewachsen, weil es so kerndeutsch war. Der Meister, der von seinem Botke sprach alS dem zum Beredter dieser Welt bestimmten Scammc, hat deutsches Wesen in seiner Kunst veredelt wie keiner seiner Zeit. Der Künstler mit dem eisernen Willen dachte von den Deutschen so grvß wie der Kanzler mit der eisernen Faust: sagt er doch von Bismarck, das; nur der Glaube an den deutsche» Geist diesen mit dem ungeheuren Mute beseelt habe, das erkannte Geheimnis der politischen Kraft der Nation durch kühne Taten aller Welt aufzudecken. Nnd hat jener seinen Leutnant als einen vaterlandSbegeisterten Typus bingcstettt, „den »ns niemand nachmacht", so preist Wagner den deutschen Jüng ling, indem er um Theodor Körners Haupl, den Streiter, der zum Klange von Lener und Schwert seine Schlachten schlug, eine Gloriole webt. Wagner ist nicht blind für die eigen tümlichen Vorzüge alrdercr Kulturvölker: er schätzt bei den Engländern die KausmannStttchtigkcit, bei den Franzosen den Sinn sür den Wert der Form in Leben nnd Kunst. Aber der Deutsche, dessen Reichtum sich ans der Energie aller Zeiten gestaltet, dem mehr am Erhalten als am Gewinne» liegt, der nichts von außen begehrt, aber im Innern unbehin dert sein will, der nichts erobert, aber sich auch nicht angrcifcn läßt — der Deutsche, der seil der Regeneration des europäischen Vülkcröliitcs der Schöpfer und Erfi»der«Mar, „während der Romane sich zum Bildner und Ausbeuter ent wickelte", der erscheint ihm an Charakter- und Gcmiits- träslen reicher. Die Erzählungen der Mutter vom Freiheits kriege gaben ihm vom deutschen Volke die schöne Vorstellung als dem Inbegriff aller derer, die eine gemeinsame Not emp finden: diese Slot allein brachte den Ausschwnng, wie ihrer seits die ideale Not des Künstlers sich das Kunstwerk be freiend abringt. Er erkannte zugleich deutlich, daß es eine echt germanische Eigentümlichkeit sei, das Schöne und Edle nicht um des Vorteils, selbst nicht um des Ruhmes und der Anerkennung willen, sondern um der Sache selbst willen iu die Welt treten zu lassen, nnd er proklamierte diesen edlen Zug auch für sein Kunstschaffen. Die Hingebung des Dcu!- schcn au die Ideale, der Ernst und die Ticse, mit der sich der Deutsche in seine Ausgaben versenkt, die Ursprünglichkeit und Äernhaftigkelt seines Empsindcns — dies alles sind für Wagner Elemente des deutschen Geistes. Ter deutschen Mutter, die die erhabensten Genies der Welt hervorgedracht hat, gilt seine Bewunderung. Und die Gründlichkeit und Vielseitigkeit der Deutschen, die immer „»»endlich viel zu tun haben", erfahren in Wagner selber eine Steigerung, wie sie wohl einzig dastcht. Denn neben dem Künstler als Musiker uirü Dichter wirkt der Gelehrte als K u n ft- und W e l t p h i l o s o p h und A csthctiIcr. Wenn auch der Denker hinter den dichterischen Plastiker lritt, dee die Ideen auflöst in Bilder und formt iu Gestalten, so Hai uns Wagner doch in seinen Schriften Zeugnisse seines scharfen kritischen Geistes hinterlasseu, die sich in einzelnen Beispielen zur Monumentalität erheben. Die teilweise Durchsetzung mit Ideen Schopenhauers, vor allem der sie voll durchdringende Gedanke, daß die Musik ein ideelles Ab bild der Welt selber sei, steigern noch ihren Wert. Der deutsche Geist, den Schiller und Goethe über das Vaterland ansgegossen hatten, war durch Napoleon Bona- parte „depaysiert" worden. Was keiner der tkermanisten wie die Grimm und Simrock, was kein Dicluer damals ierng gebracht, das sollte Wagner in ungeahnter Weise gelingen: diesen deutschen Geist wieder zu sammeln, zu verdichten ui erhabenen Werken, die vvn unseren Urvätern erzählen und die Liebe des deutschen Volkes sich nnveräuderlich erlialieo haben nnd. erhalten werden. „Vaterland, Muttersprache, wehe dem um sie Verwaisten!" ruft er ans, und er ichentl uns ans dem schon verloren gegangenen Schatze ihrer Urkraft wieder eine Fülle lebendig blühender Wune, schöpft ans Sen Tiefen ihres NrsiuneS neue Prägung, weckt von neuem Liebe zu den Dichtungen des Mittelalters. „O einziges, t,.-rrftches Volk, das hast du gedichtet, du selbst bist dieser Wielano! Schwinge deine Flügel »nd schwinge dich auf!" so begrüßte er den deutschen Idealismus der germanischen Hcli>e>lO.'sial Die aus der Volksseele geborenen Sagen hat er neu eing.' pflanzt in die Volksseele. In seiner , wnrzelhaft kernigen Sprache erweckt er daS germanische Mythos, als iei» schönstes die Gralssage, als sein heldenhaftestes die Nioe- lullgensage, als sein zartestes die Lohengrinsage. Die mine-- alterliche Ritterpoesie erglänzt neu, und die letzte Erscheinung des produktiven Volksgeistes, Hans Sachs und die üentsche Meistersingerstadt Nürnberg werden nnserin Herze» durch ihn innigst nahegebracht. Tie Naturliebe des deutschen Märchens wacht auf im Waldgeüicht Siegfried: die vlüüende Au, der plätschernde Quell, der rassnde Slnrm, das lösende Gewitter — der Pantheismus des Meisters läßt uns ihr göttlich Wesen schallen. Gott auch gab ihm in seinen Werten zu sage», was er leide. Nicht ästhetische oder unterhaltsame Stoffe, wie sie die Mode liebte, nahm sich der Meister zum Vorwini. sondern weltbewegende Werte guollcn und drängten sich aus seinem Herzen und schufen sich selbst die Formen, die sic brauchten. Ewig Menschliches, ewig Natürliches, das er leben wir durch ihn. Sein eigenes Sehnen, seine eigene Wehmut, sein eigenes Temperament ergoß sich d» und formte sich zum künstlerischen Ganzen, rücksichtslos alle traditionellen Hemmnisse ans dem Wege räumend und »in sich selber als gewolltem Kunstwerk dienend. Ta mußte freilich vieles fallen, als die Oper sich zum Drama per tiefte, das Musikdrama znm Spiegelbild der Welt, zur „ersichtlich gewordenen Tat der Musik" wurde! Ans Liebe zur Kunst empörte sich Wagners idealer Sinn und riß die Zierate nnd das unechte Geschmeide der Konveiitionsope. vom Thronscsscl der Bühne. „Ich kann den Geist der Musi! nicht anders fassen als in der Liebe" sprach der Meister, und so veredelte er in seinen Werten daS landläufig Achlbare zum reforniatorisch Neuen von höchster, eigc'ner Stiftnltni. Die alte Arie, der so oft dröhnender Beifall getftingri'. zerbarst vor der Wahrheit und Lauterkeit der Wagnersthe» Melodie, in der der dichterische Gedanle z»m nnwilftürticb ergreifenden Gefühlsmomciite wurde. Gluck „nd Mozan ebneten als Leitsterne den Weg der Lichtgewalt Wagners, vor der sich die üblen Orchesteressekte, die bösen Tbealer gestcii, die Rouladen der seichten Sängcrvirtnvien, die traurigen Handiverkerkapellmeister in die scheue Finster nis verkrochen. Das Orchester bekam seine ewige Melodie, die Aktion ihre lebendige Gebärdensprache, und in de» Hauptgestalten der Wagncrschen Dramen feierten die dein scheu Eharakterziigc der Treue und Liebe, der Hingeüin'g und des Opfermutes ihre Triumphe. Das gesamte Wert aber bekam durch das Moment der ErlösnngSschnsnchl civi- Weihe, die es säst zur religiösen Bedeutung erhebt. Kunst rettet hier den Kern der Religio»: „die Symbole, die die Religion alS wahr geglaubt wissen will, ersaßt sie ihrem sinnbildliche» Werte nach und läßt durch ihre ideale Ta> stellnng die in ihnen verborgene tiefe Wahrheit eitennen " Tie erlösende Kraft des Mitleids, ans der alle Sfttftchteii begründet ist, hat in Wagner ihre meisterlichste künstlerische Verwertung gefunden.