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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 09.08.1912
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1912-08-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19120809021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1912080902
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1912080902
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-08
- Tag 1912-08-09
-
Monat
1912-08
-
Jahr
1912
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BezugS-Prei- »r und P,i,rr« «mich »nl«, Iräaei und Evrdttrur» 2mal tüaltch U,, paa» «kbiuchl: « Pt. monatt.. r.7v «». ,i,n«Uährl. «et unlen>Lttial«n » La» nahm«k«Len adaehoU' 7S V!- monalU, L»Är. otertettadrl. D»vtz »t« P»tt: innerhalb Deutlchlond» und der deutschen Kolonien vteneliahrl. 3.VU Mk.. monatl. l.At Mk. auujchi. Poftdrstellgeld Ferner in Belgien, Dänemark, den Donauiiaaten, Italien. Luxemburg, Niederlande, Nor» wegen, Oesterreich» Ungarn Nustland, kchweden und Schwel». 2n alle» adrigen Staaten nur direkt durch die ibeichait— stell« de» Blatt«» erdältlich. Da» U«t»»tg«, Lagedlau «rlch«rn, »mal täglich. Sonn» a. FeieNag» nur morgen». Üldonn»m»n«»-Lnnahm» 2«da»,i,g,ll, 8, bet unseren Tragern. Filialen. Spediteuren »nd BnnahmesteU«.,. lowt« Postämtern »ad Bneftragern. «»»»«lv«rra»t,,r«»» w Pt. Abend Ausgabe. UtMgcr Tagtblaü «el.-A»schl. 14 «92 lU«chta»IchU^) 14 89» 14 894 Handelszeitung. Lankkonto: Allgemein« D«-t!ch« Er.dtt» Anstalt Brühl ^77 Deutlche Bank. Filiale U«ip,t, , De» »Kall« (briinm. Steinweg A PoftschriNont» Leip.i, 8Z8. Ämlsblatl des Rates und des Rotizeiamtes der Ltadt Leipzig. Poft,ch,«out» S«l»,i, NL Anzeige«» Preis für Inlerat« au» L«ip»tg und Umgebung di« llpaltig« P,rit»«il« LPf-di« ««Name» ,«il« l Mk. von a«»«ärt» 30 Ps. NeNamen U» Ml. Inl«rat« »an Behörden im amt» lich«n Deil di« Petitgeile SV Pf. <d«Ichäft»an»«igen mit Platzvorschrift«» im Preise erhöht Nada« nach lartl. Beilogegebübr Selamt» auslag« L Mk. p Lautend «rkl. Postgebühr. Terldeilage Höher. Festerteilt« Auitraar können nicht »urllit- arrogen werden Für da» Erscheinen an bestimmten Tagen and Plagen wird kein« Garantie übernommen. An,«tg«n» Annahme. Sodann,,,ass» 8> bet sämtlichen Filialen u. allen Annoncen» L»p«dition«n de» In» »nb Au»lande». Lrust nn» Veri«, »»» Fisch«, L Kürst«» Inhadir: Paul Kürst en. N«»»tt«.» uu» Aeschästistell«: 2ohanni»gas>e L -a«»t»Fitiat« Dr«»»«»: Seestrage t. l (Telephon 4821). Nr. 404. 106. Zshrgsng Metts-, üen 9. Uuyult 1912. Die vorliegende Ausgabe umfaßt 8 Setten. Oss MchtWr. * Der neue deutsche Botschafter Freiherr von Wangenheim wurde vom Sultan in Audienz empfangen. (S. Ausl.) * Zum Präsidenten von Haiti wurde General Tancreoe Auguste gewählt. (S. Ausl.) * Die Zahl der bei der Erubenkatastrophe aus der Zeche „Lothringen" Getöteten be läuft sich jetzt aus 128. (S. d. bes. Art.) Ile lürkkeke Xn§i§. Die Lage in Albanien beginnt sich, wie aus Saloniki gemeldet wird, zu klären. Die Annahme, daß doch eine größere Anzahl von Offizieren der verschiedenen Armeekorps den von Offizieren in Saloniki ausgehenden Appell unterstützen, um sich der Eegenbewegung des jungtürkischen Komitees an- schließen könnten, erweist sich als unzutreffend. Die Offizierkorps von Monastir, Janina, Uesküb, Avrianopel und Smyrna antworteten auf die Zirku lardepesche der Offiziere, daß sie damit ein verstanden seien. Laß die Meuterer bestraft würden: was jedoch ihre Stellung nahme zur Auflösung der Kammer und zum neuen Kabinett betreffe, so erklärten alle Osfizier- korps kategorisch, die Ansicht der Offiziere in Salo niki nicht zu teilen. Man habe volles Ver trauen zur Regierung und werde sich keiner politischen Partei anschließen, sondern nur den Be fehlen des Kriegsministers gehorchen. Diese Er klärungen haben in Saloniki eine gewisse Er nüchterung heroorgerufen. — Die meisten hervor ragenden Mitglieder des jungtürkiichen Komitees, darunter Talaat, Dschavid und Nazim, sind in Salo niki eingetroffen, um das weitere Vorgehen zu be raten. Das Zentralkomitee wird dort wieder seinen Sitz aufschlagen. Die Haltung Südalbaniens. Aus Saloniki wird ferner gemeldet: Die Südalbanesen haben sich bereit erklärt, ihre Scharen wieder aufzulösen und in die Dörfer zurückzusenden, falls die Regierung versichert, daß alle Zugeständnisse, die in Nordalbanien gemacht würden, auch den Südalbanesen zuteil werden. Außerdem fordern sie, in dieser Angelegenheit mit ihren nordalbanesischen Genoffen unbehindert tele graphisch verkehren zu dürfen. Militärische Telesunkensula- mobtle in Deltercetch. Auch die österreichische Heeresverwaltung ist gleich der deutschen ernsthaft damit beschäftigt, die Funken telegraphie dem Heere und besonders der Kavallerie dienstbar zu machen. Wie die deutsche Heeresverwal tung, die bekanntlich gegenwärtig für Kavallerie zwecke leichte Heereskraftwagen mit funkentelegraphi- scheu Ausrüstungen versehen läßt, um rm Sommer eine größere Ilebung damit zu veranstalten, hat auch die Leitung des österreichischen Heeres den Kraft wagen zur Anbringung der Funkenapparate gewählt. Zuerst ist die österreichische Verkehrstruppenbrigade, die aus dem Eisenbahn- und Telegraphenregimenl, der Militäraeronautischen Anstalt und dem Auto« mobilkader besteht, mit einer automobilen Funken station versehen worden, die dem Eisenbahn- und Telegraphenregiment zuerteilt wurde. Als System wurden die tönenden Löschfunken gewählt. Inter» essant ist die Verwendung der Eigentümlichkeiten des Automobils für diesen Zweck. Der Motor bildet näm lich die Kraftquelle für die Dynamomaschine, die ihrerseits di« elektrische Energie zur Erzeugung der Funken liefert. Der Hochfrequenz-Wechselstrom dynamo nebst dem Erregergleichstromdynamo ist unter dem Führersitz angebracht. Durch eine selbst tätige Reguliervorrichtung werben alle beim Antrieb des Dynamo auftretenden Tourenschwankungen ge regelt, und die Tourenzahl kann je nach der nötigen Länge der Wellen bemessen werden. Di« Schalttafel und die Empfangs- und Sendeappavate sind hinter dem Führersitz angebracht. Die Antenne wird von einem 30 Meter langen Mast «tragen, der zusam menlegbar ist, um die Verwendbarkeit der fahrbaren Station bei Eisenbahnviadukten ufw. wicht zu beein- trächtigen. Der Antennenträger wird bei dem Trans port auf dem Dach untergebracht, seine Aufstellung erfordert Stunde. Der Wagen ist völlig schalldicht gemacht, so daß eine Störung durch Geräusche von außen so gut wie ausgeschloffen ist. Er bietet Raum für eine Besatzung von 5 Mann und bedarf keines Begleitwagens, da alle notwendigen Vorrichtungen auf ihm Platz finden. Der Tätigkeit solcher Station, di« zweifellos einen hohen militärischen Wert haben wird, darf mit großem Interesse entgegengesehen werden. Vie Srubenkatarlrophe bei Sscbum Schwere Trauer ist über den Bochumer Bezirk gekommen gerade an dem Tage, an dem von Ellen her die Böllerschüsse zur Begrüßung des Kaisers widerhallten. Auf der Zeche „Lothringen" in Gerthe, einer unserer besten Musteranlagen des Bergbaues, ist am Morgen ein schweres Unglück hereingebrochen, gerade zu der Zeit, als der Kaiser über Bochum nach Essen fuhr. Zuerst lautete die Meldung über eine Grubenexplosion auf der Zeche „Lothringen" nicht gerade bedenklich. Man sprach von drei Toten und einer größeren Anzahl von Verletzten, die in das Bergmannsheil gebracht seien. Aber als die Nachrichten bedenklicher wurden, und man keine befriedigende Auskunft auf die Frage bekommen konnte, was passiert sei, als Krankenwagen der Stadt Bochum und des Krankenhauses Bergmannsheil zu Hilfe gerufen wurden, und als nichts mehr ver schwiegen bleiben konnte, als man Vorbereitungen traf, eine große Anzahl von Toten und Verletzten zu bergen, da wußte man, daß die Trauerbotschaft sich von Stunde zu Stunde verschlimmern würde. Bald hieß es auch, daß durch die schlagenden Wetter zwei Stellen zu Bruche gegangen feien, und daß unter den Steinbergen eine große Anzahl Knappen von der Zeche abgeschnitten seien. Schnell wurde die im be sonderen Maße für den Rettungsdienst ausgebildete Mannschaft von „Hibernia" und „Schamrock" zu Hilfe gerufen und das Rettunaswerk, schon am Morgen begonnen, mit verdoppelten Eifer weiter geführt. Berginspektor Koch, einer der Helfer in Courrisres, zuckte mit den Achseln, wenn man ihn fragte, welche Ausdehnung das Unglück haben könnte. 60 Mann könnten wohl noch unten sein. Man hielt das zuerst für über trieben. Aber leider haben die Tatsachen die düstere Prophezeiung bestätigt. Zuerst waren es die Verletzten, die man heraus brachte, aber die Zahl der Verletzten vermehrte sich nicht mehr, sondern die der Toten wurde immer größer. Zn dem Beramannsdorf Gerthe herrscht große Aufregung. Au) dem Zochenplatz jammern die Frauen und Kinder um ihre Ernährer, während die Rettungsmannschaften immer neue Leichen mit geschwärzten Gesichtern und verbrannten Körpern heraufbrmgen, um sie in die schnell hergerichtcten Totenkammern hineinzutragen. Es ist das schwerste Unglück, das die Zeche betroffen hat. Es ist auch nach der schweren Kata strophe auf „Karolinenglück", bei der m-hrere hun dert Bergleute den Tod fanden, di« )chwerste Heimsuchung, die das Bochumer Revier erlebt hat. Die Nacht auk üem Jechenplatz. Den Zechenplatz umlagerte noch in den späten Abendstunden «ine tausendköpfige Menge. Kein lautes Wort ist vernehmbar, alles steht unter dem Eindruck des furchtbaren Ereignisses. Auf dem Zechenplatz steht Krankenwagen bei Krankenwagen, Automobil bei Automobil. Bergleute und Tag arbeiter umlagern die Türen zu dem Sckmvpen. der zum Verbandsraum umgewandelt ist. Ueberall er blickt man gespannte ängstliche Gesichter. In der Verbandsstube sind drei Aerztc tätig. Die meisten Verwundeten sind mit Brandwunden bedeckt, sie sind ohne Aus nahme bewußtlos, eine dicke, feste Kohlenschicht liegt auf den Gesichtern, die Haare sind versengt, alle haben die Auqen geschloffen, nur der röchelnde blutrote Mund, der gierig nach Luft schnappt und den einstigen Farbenton in das Schwarz« des Antlitzes trägt, verrät Leben. Die Rettungsmannschaften der Zeche „Rheinelbe", die unter Leitung des Branöinspektors Koch aus Gelsenkirchen bald nach der Katastrophe auf Zeche „Lothringen" eingetroffen sind, flößen den Verletzten unter Leitung der Aerztc Milch und Sauerstoff ein. Sobald die Verwundeten so weit sind, daß der Trans port vor sich gehen kann, werden sie nach dem Krankenhaus Bergmannsheil in Bochum gebracht. Die bischer geborgenen Leichen sind in einem Schuppen in drei Reihen aufgebahrt. Die Leichen sind entsetzlich verstümmelt und bilden eine bräunliche verkohlte Masse. Den meisten fehlen einzelne Glieder. Vielen ist der Kopf vom Rumpf gerissen. Fast alle sind an Er stickung gestorben und erst dann verbrannt. Die Leichen sind big zur Unkenntlichkeit entstellt, so daß eine Rekognoszierung vielfach völlig ausgeschloffen ist. Erst durch «in« Feststellung der Kontrollisten werden sich die Namen der Opfer der Katastrophe er mitteln lasten. Die Zechenverwaltung hat bisher keine Totenlisten anfertigen können. An den Kleidern der unglücklichen Opfer ist zu erkennen, daß sie sich das Zeug in Fetzen vom Leibe gerissen haben, um das Einatmen der giftigen Schwaden durch Zeugstücke, die sie sich in den Mund steckten, nach Möglichkeit zu verhindern. Im Schacht. Gerthe, 9. August. Dem Spezialberichtcrstatter der „Pretz-Zentrale' wurde es durch die Liebens würdigkeit der Verwaltung der Gewerkschaft „Lothringen" gestattet, mit den Rettungs mannschaften in den verunglückten Schacht einzufahren. Oie -rotze Karriere. 15j Roman von A. von Klinckowstroem. (Nachdruck verboten.) Sein bräunliches, bartloses Gesicht war sehr an ziehend, besaß einen Stich ins Französische. Eine feine Röte der Wangen ließ es merkwürdig jung er scheinen, aber in dem schwarzen Haar, das, schief ge scheitelt, sich unterhalb der Ohren ein klein wenig und ganz natürlich lockte, fanden sich schon einzelne weiße Fäden, und wenn er die Brauen emporzog, bildeten sich auf der Stirn eine Reihe tiefer Quer falten. Zuweilen sah er langsam, groß und hin gerissen zu dem geigenden Kollegen auf. Man hatte dann den Eindruck, daß er jeden Ton als etwas Köst liches, Vollendetes empfand. „Das ist Louis Haller!" flüsterte Lene erregt der Gefährtin zu. „Er spielt das Cello. Paß nur auf, nachher. So was hast du sicher noch nie im Leben gehört." „Er sieht gut aus." „Entzückend! Und dann ist er so durch und durch musikalisch. Jeden Augenblick könnte er in den größten Konzerten auftreten." „Warum tut er's denn nicht?" „Za, siehst du, er ist eben hier hängen geblieben. Gr hat keinen Ehrgeiz. Wer dem schlimmen Zauber des Bohemelebens verfällt, dem kommt allmählich die Energie abhanden, die zum Strebertum gehört." „Schade!" sagte Esther flüchtig und etwas gleich gültig. Und nun wurde Louis Haller der beiden Mädchen ansichtig. Er lächelte sanft und winkte Len« zu, di« mit einem Male wie verklärt dasaß, ganz rosig über gossen, und winkte und dankte. Da wußte Esther plötzlich, weshalb die kleine Malerin gerade heute an einem Freudentage hierher gewollt. „Lene, ich hab' was gemerkt eben", sagte sie schalk haft, sich nahe zu der anderen hinbeugend. „Ach, bitte, red' nicht darüber. — Laß!" „Sag' mir nur, ob er auch —" „Nein, nein! Gar nicht. — Es ist überhaupt gar nichts. Weißt du, ich seh' ihn nur so gern an. Es ist eine rein künstlerische Freude. Die Musik steht ihm auf der Stirn geschrieben und in den Augen. Den würde man sofort als Musiker herauskennen, auch wenn man gar nichts von ihm wüßte." Aber Esther wußte Bescheid. Das lustige Ding, das fick) immer kopfüber und flatterhaft ins Leben hineinstürzte und dabei prinzipiell allen Liebes- angeleaenheiten abhold zeigte, batte also auch sein heimliches, weiches Stellcken im Herzen. Während der ersten Pause setzte sich Haller für kurze Zeit zu den beiden Mädchen. Sein Wesen strömt« «in« sanfte Heiterkeit aus. Er war wie ein liebenswürdiges Kind, richtete auch mit freundlichem Takt öfter das Wort an Esther. Aber diese hielt sich zurück, gönnte der Freundin den Löwenanteil an der Unterhaltung, die, wie sie fühlte, für jene den Höhe punkt des Abends bildete. „Sie husten ja schon wieder, Haller!" sagte Lene streng, als er zwischen dem Sprechen ein paarmal hüstelte. „Es kommt wohl vom Tabaksqualm." „Wann werden Sie sich endlich hier heraus machen?! Diese Stickluft ist Ihnen gar nicht gut." „Bald, wirklich, sehr bald. Ich dachte schon an ein Sommerengagement in einem großen Badeorchester." „Das kenne ich schon. Daraus wird doch wieder nichts. Wenn es sich darum handelt, mit einer Agen tur zu verhandeln, scheuen Sie zurück und finden nie den Entschluß." „Za, ja, es kann sein, daß Sie recht haben", gab er fröhlich zu. „Was soll man da machen, wenn man so veranlagt ist?" Und sie rang in komischer Verzweiflung die Hände über ihn. Wie die Nacht vorrückte, wurde der Ton im Lokal ungebundener. Die ernste Musik verstummte, und die graziöse Frivolität kam zu Wort. Neue Menschen masten strömten herein, Offiziere in Zivil, elegant« junge Studenten ohne Couleur, durchreisende Fremde. Und das Wunder geschah, daß alle irgendwie doch noch weggestaut wurden. Frau Zenzis Feloherrn- talent schaffte Rat, wo jede Hoffnung ausgeschlossen schien. Allerdings hätte jetzt kein Apfel mehr zu Erde fallen können. Auf allen Tischen standen kupferne Bowlengefäße, silberhalsige Flaschen lugren >a und dort aus Eiskübeln hervor. Zn den Gläsern schimmerten rosig die ersten frisch importierten Erd beeren des Zahres. „Du!" sagte Lene und stieß ihre Gefährtin mit dem Ellenbogen an. „Sieh doch die beiden in grauen Anzügen dort. Sind das nicht die Leutnants, die wir mal vor kurzem mit Herrn von Haidek zusammen im Cafo Luitpold sahen?" Esther konnte sich nicht entsinnen. Sie hatte da mals für die anderen keine Augen gehabt, aber die von Len« bezeichneten Herren schienen ein bester«« Gedächtnis zu besitzen und fixierten st« anhaltend, so daß es ihr peinlich zu werden begann. Es fiel ihr auf die Seele, daß es 1 Uhr nachts sei, und eigentlich nicht ganz Stil für junge Damen, zu dieser Stunde ohne genügenden Schutz hier zu sitzen. „Laß uns heimgehen!" drängte sie, „sonst sind wir morgen nicht frisch im Atelier " Doch Lene amüsierte sich, jauchzt« förmlich über ein Couplet, das jetzt vom Podium herabklang, und wollte von keinem vorzeitigen Aufbruch hören. Ihrer elastischen Natur machte es auch nichts aus. erst gegen Morgen nach Haufe zu kommen und doch mit dem Glockenschlag neun wieder frisch in der Malklaffe zu sitzen. „Wir bleiben noch!" entschied sie. „Du kannst bei mir auf dem Divan schlafen, denn nach der Kefer- straße laß ich dich natürlich nicht mehr allein hinaus gehen." Siebentes Kapitel. Zn den verschiedenen Münchener Zeitungen fanden sich sie üblichen Besprechungen der Wochenausstellung im Kunstverein, und sie nannten zum erstenmal den Namen Esther Frosenius. Es geschah nicht in wohl wollender Weise. „Wie wir hören, ist die Dame eine Schülerin unseres hochgeschätzten Meisters Professor von Bcrtoldi" hieß es in dem einen Blatt. „Ist es schon an und für sich eine mißliche Sache, wenn Schüler sich die Handschrift des Lehrers anzueignen versuchen, ohne aus Eigenem schöpfen zu können, so scheint uns dieser Versuch besonders verfehlt hier, wo überhaupt gar keine Individualität vorhanden ist, sondern nur ein — mitunter nicht ungeschickter — Nachahmungstrieb. Esther Frosenius hätte besser ge tan, ihre Bildchen still im eigenen Kämmerlein auf- zuhüngen, Leun es will uns beoünkcn, als feien ihre Leistungen noch lange nicht reif für die Oeffentlichkeit. Ob das je der Fall sein wird, muß die Zukunft zeigen und Jahre weiteren angestrengten Studiums." Herr von Bertoldi war ausgefahren wie ein ge reizter Löwe, als er das las. Wie? Man wagte es. eine Schülerin von ihm, die er in den Kunstverein gebracht hatte, in dieser Weise herunterzureißen? Er hatte selbst die beste Hand an ihre kleinen Genre bildchen gelegt, in dem freundlichen Bestreben, sie so bald als möglich schon nach halbjährigem Unterricht als selbständig verdienende Malerin hcrauszubringen, und da sprachen diese Leute von einem verfehlten Versuch, sich die Handschrift des Lehrers anzueignen? Er eilte sofort zu verschiedenen Kunsthändlern, die im Laufe der Jahre Unsummen an ihm verdient hatten, und äußerte seinen allerhöchsten Unwillen über die Kritiken, die seiner Schülerin zuteil wurden, sprach von dem großen Talent, das Fräulein Frosenius besitze, und gab den Wunsch kund, die Herren möchten einige Genrebildchen der jungen Dame direkt von der Wochenausstellung weg kaufen. Die Herren waren auch sehr entgegenkommend, besonders da er durchblicken ließ, daß er als Gegen dienst bereit sei, bei den nächsten eigenen Bilder verkäufen besondere Zugeständnisse zu machen. Infolgedessen trugen schon am folgenden Tage drei von den Arbeiten der Esther Frosenius. di« im Seitensaal des Vereins hingen, Zettel mit dem an- genehmen Wort „Verkauft". Di« Geschäftsleute kanntest ihr Publikum und wußten, daß sie derartig« glatte „geschleckelte" Dingelchen bei durchreisenden Fremden weit leichter anbrachten, als Sachen von wirklichem künstlerischen Mert. Allzu hoch war ja auch der Preis nicht gewesen, den sie dafür gezahlt hatten. (Fortsetzung in der Morgenausgabe.) Seimweh. Ein Skizze vom Niederrhein. Von Josef Buchhorn. Der Hüskes Pitler und sein Weib, die Kattrin, hatten ihre liebe Not, all die neugierig-wißbegierigen Fragen zu beanlworteu. die ihnen die Hälfte der Hammer Bcoöllerung wioser und immer wieder vor legte — „Also, dat s en Tatjach, bat der Mönchs Weitem wieder ze Hus es?" — „Wie lang wo he doch fort? ich schätz 15 Jahr." — „Un kranr es he? Hm — Wat? Fieber? Jesses Marjojes, am End steckt dal an?" „Ob he jetzt bei uns blievt? Hier tonnt mer pn Geto georauche? Wieviel? so'n half Milljon, wat? Aknn dal sin Mutter noch erlävt hält! Ja, ja!" „Weiß oat Lies vom Kurzenbach als die Neuigkeit? Nä? meint ihr n«t? Dann well ia) ens zu em — dal — E Glück, oat dat Witweniahr bald öm es) jetzt können sich die Jugendfreund am End' — Adzüs also — ech Han nix getagt —" So ging das Wechselspiel der Fragen hin und her — dem Hüskes Pitler brummle der Kopf, als wär ein Bienenschwarm in ihn gefahren. Ein Wun der nur, daß di« Kattrin diesem Wirbelsturm nicht erlag. Aber nein, die fühlte sich schließlich noch wohl in diesem Wetter, tat geheimnisvoll und wichtig und blähte und spreizte sich — zum Donnerwetter noch einmal. Jetzt wuro's oem Pitter aber zu dumm — Grad' drängte ein halbes Dutzend neuer Besucher in die schmale Tür und beschmutzte mit den derben Wasserstiefeln, wie sie die Schiffer und Fischer tragen, die blankgefcheuerten, mit frischem und weißem Sand bestreuten Dielen. „Später", knirschte der Hausherr, dem allgemach der rote Zorn in's sonngebräunte Gesicht stieg, „später; jetzt muß ich mein Ruh Han — sonst gon ich vor lauter Besuch und Gefrag und Getu noch vor dem Osterfest kapores — Jaja, hä es do — hä es krank — hä es Milljonär — ja, ja, er stemmt alles — nu mach de Mul zu, Hennings, und klappt de Kiefer tosammen, Frau Martens — ech Han ken Ziel mehr, — Adjüs —" Bums, schlug die Türe zu — der alte verrostete Schlüssel knarrte im Schloß, und es herrscht« ein« Ruhe im Haus«, die wie ein tiefes Aufatmen über die Diele in di« Küche lief, oie im Dunkel der Stiege lag, die in das obere Stockwerk führte. Pitter stapfte in oie gute Stube linkerhand, in di« er sich sonst nicht leicht gewagt hätte, setzte sich auf das kattunbedeckte Sofa, über dem hinter Glas und Rahmen sein Hoch zeitsstrauß und der Brautkranz der Kattrin hing uno Ichielte nach dem Heiland, der in der rechten Ecke über einer rotglastgen ewigen Lampe seine Kreuzesschmer zen trug. Ob der's diesmal wieder aut mit ihnen meint«? Einmal schon hatten sie den Segen seiner Verehrung gespürt. Damals, als sie sich zusammentun wollten, weil di« heiß« Liebe mächtig in ihnen war, aber der
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