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MsdmfferTageblati Fernsprecher Wilsdruff Ar. ü Wochenblü^ fÜs UNd ^MgegLNd Postscheckkonto Dresden 2640 Dieses Blatt enthält die amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschaft Meißen, des Amtsgerichts zu Wilsdruff, de» Stadtrat» -u Wilsdruff, des Forstreutamts Tharandt und des Finanzamts Nossen. Berttrer Asch»»« tu Wilsdruff. «rrmrvoortlicher Schriftleiter - He«««»» LLsslg, für de» Inseratenteil: »,1H«« 8sch»»>^e, »eide 1« Wiledrnss. ..... , ' —W—SSE I . I, ' '! _ Rr. 12 Sonnabend den 14. Januar 1S22. 81. Jahrgang Der Sieg der Reaktion in Frankreich. Das Ministerium Briand gestürzt. Der Deutschen fresser Poincare Nachfolger. — Schluß in Cannes. Was will Brian- in Paris? Ein Zwischenspiel zur Konferenz von Cannes. Eine unerwartete und aussehenerregende Wendung ist in Cannes eingetreten. Briand ist ganz plötzlich nach Paris abgereist, will dort an einer Kabinettssitzung teil nehmen und dann sofort nach Cannes zurückkehren. Was steckt dahinter? Den Anlaß zu dieser Reise haben eine Masse von Telegrammen gegeben, mit denen Briand aus Paris bom- bardiert wurde, Telegramme, in denen der Senatspräsi dent Poincarö, der Kammerpräsident und viele andere Politische Führer der großen Sorge Ausdruck gaben, daß Briand in Cannes irgend etwas von Frankreichs Rechten mrfgeben könnte. Sogar der Präsident der Republik, Millerand, M eine Depesche nach Cannes gerichtet haben, die mit folgenden Worten begonnen habe: „Nicht ohne Bedauern und Besorgnis . . . usw.* Darin habe er die Befürchtung ausgesprochen, die jeder das Recht habe zu empfinden, wenn Frankreich sich aus einer internatio nalen Konferenz Deutschland gegenüber setzen solle. Diese „Stimmungsmomente* haben Anlaß zu den weitestgehenden Vermutungen gegeben. Man spricht so gar davon, daß binnen kurzem Briands Rücktritt bcvorstehe. Er sei verärgert darüber, daß man ihm von Paris aus so enge Fesseln anlege. Es gibt aber auch Stimmen, die die Reise Briands als ein abgekartetes Spiel hinstellen. Die ganze Komödie der Besorgnistelegramme sei nur dazu da, um Briand in die Lage zu versetzen, in Cannes um so energischer aus den französischen Forderun gen zu bestehen. , Briands Re-tseriisuU vor der Kamer Paris, 12. Ian. Briand führte in seiner Rede vor der Kammer aus, daß er die Unruhe zerstreuen wolle, die im Lande wegen der Konferenz von Lannes herrsche. Diese Unruhe sei durch tendenziöse und lügenhafte Informationen hervorgerufen. Der Ministerpräsident kam auf die Tagesordnung der Konfe renz zu sprechen, die es sich zur Hauptaufgabe gemacht habe, den Weltfrieden auf eine sichere Grundlage zu stellen. Dieser Weltfrieden könne nur durch die internationale Solida rität gerettet werden. Das Reparationsproblem werde durch die Wirtschastskonferenz von Genua keineswegs behandelt werden. Kein Angriff auf den Versailler Vertrag werde er folgen und Frankreich werde alle Sicherheiten behalten, die ihm zustünden. Auch von den Sowjetvertretern habe man ernste Garantien bekommen. Die Konferenz von Genua dürfe daher keineswegs abgehalten werden, ohne daß Frankreich auf ihr ver treten werde. Briand legte sodann das Programm dieser Wirt- schaftskonferenz dar, die ausschließlich wirtschaftlichen und finan ziellen Charakter haben werde. Er verwies darauf, daß alle Lander, die nach Genua berufen worden sind, weitgehende Sicherheiten zugestehen müßten, daß sie die Grenzen ihrer Nach barn anerkennen und nicht verletzen wollen. Derartige Sicher heiten dürsten von niemanden gering geachtet werden. Das zweite Problem, mit dem man sich in Cannes beschäftigt habe, sei das der Reparationen. Als Briand nunmehr die Tätigkeit der Reparationskommission schildert, erregt seine Erklärung, daß innerhalb der Reparationslommission für die Gewährung eines Moratoriums an Deutschland eine Mehrheit bestehe, auf zahlreichen Bänken eine große Erregung. Zahl reiche Zwischenrufe werden laut: „Was machen Sie mit dem Abkommen von London?^ Briand beschränkte sich darauf, zu erwidern: Im Schoße der Reparationslommission ist eine Majorität für das Moratorium und eine Abänderung der Deutschland auferlegten Zahlungsbedingungen vorhanden. Die französische Regierung habe sich diesem Moratorium widersetzt und Sicherheiten gefordert. Unsere Delegierten und Sachver ständigen in Cannes haben fruchtbare Arbeit geleistet. Frank reich werde keinen Centimes von dem, was ihm zusteht, ver lieren. Es werde alles erhalten. England habe in der Repa- rationssrage große Opfer gebracht. Es habe auch zugestimmt, daß das Wiesbadener Abkommen in Wirksamkeit gesetzt werde, obwohl es ursprünglich nicht gewillt war, dieses Abkommen zu ratifizieren. Briand führte weiter aus: Frankreich habe große Vorteile zu erwarten, wenn die Konferenz zu Cannes zu einem gedeihlichen Abschluß gelange. Werde sie aber abgebrochen, dann verliere Frankreich alle ihm zugesicherten Vorteile. Briand erinnerte dann an seine Unterhaltungen mit Lloyd George und schilderte, wie das englisch-französische Abkommen zur Sprache kam. England habe keinerlei Bedingungen gestellt, die Frankreichs Sicherheit berühren könnten. Derartige Sicher heiten würde er, Briand, auch niemals angenommen haben. Es sei selbstverständlich, daß zwischen beiden Ländern gewisse Fragen in freundschaftlicher Weise geregelt werden müßten. Die Be deutung dieses Abkommens liege in der Hauptsache darin, daß England sich verpflichtet habe, in dem Augenblick, in dem die Sicherheit Frankreichs bedroht sei, diesem zur Seite zu stehen. Briand kam dann zum Schlüsse seiner Ausführungen und er klärte, daß er nicht die notwendige Autorität besitze, die Be sprechungen von Cannes fortzusetzen. Unter allgemeiner Erregung des Hauses verläßt Briand, gefolgt von allen Ministern, den Saal. Auf der Linken erhebt sich stürmischer Beifall. Bei den So zialisten werden Rufe laut: „Kammer auslösen! An das Land appellieren!" Die Sitzung wird unterbrochen. * Der Rücktritt -es Kabinetts. Paris, 12. Ian. Nachdem Briand in der Kammer seine Erklärung abgegeben hatte, in der er seine Haltung in Cannes rechtfertigte, begab er sich ins Elysee, um die Demission des Mi nisteriums mitzuteilen. Der Präsident der Republik, Millerand, hat die Demission des Kabinetts angenommen. Poincare mit der Neubildung beauftragt. Paris, 12. Ian. Um 8 Uhr wurde Poincare zu Mille rand berufen und mit der Neubildung des Kabinetts beauftragt. Seine Kabinettsliste ist fertiggestellt. Man nimmt an, daß Poin- cars das Außenministerium und das Finanzministerium über nehmen wird. Um 6 Uhr hat der Präsident der Republik den Kammerpräsidenten Peret empfangen. * Eine furchtbare Verantwortung. Zürich, 13. Ian. (tu.) Zur Demission des Kabinetts Briand schreibt die „Neue Züricher Zeitung": Der Sturz Briands im jetzigen Augenblick bedeutet für die Völker Euro pas eine bittere Enttäuschung, eine Zerschlagung der Hoff nungen, die sie auf die Konferenz von Cannes gesetzt haben. Die Reaktion in Frankreich hat gesiegt. Alle Reformen Lloyd Georges sind in Frage gestellt. Frankreich nimmt vor Europa eine furchtbare Verantwortung auf sich, sehe es zu, baß seine Starrheit nicht zuletzt ihm selber zum Schaden gereicht. Ser Staub der Beratungen, die in Cannes über die Reparationsfrage geführt werden, wird in einer Pariser Meldung kurz folgender maßen zusammengefaßt: Deutschland soll im Jahre 1922 in Gold 720 Millionen bezahlen und in natura 1450 Mil lionen Goldmark, von denen 950 an Frankreich kommen sollen. Nach dem verbesserten Abkommen vom 13. August soll Frankreich in Gold 140 Millionen Goldmark L conto seiner Okkupationslasten erhalten. Den Rest erhalte Bel gien. Deutschland zahle also im Jahre 1922 mindestens 2200 Millionen Goldmark, das seien 700 Millionen weni ger als der Londoner Zahlungsplan vorgesehen habe. * Androhung der ersten Zwangsmaßnahmen. Cannes, 12. Ian. Den deutschen Delegierten wurde bereits mitgeteilt, daß die ersten Zwangsmaßnahmen für den Fall, daß Deutschland seinen Verpflichtungen nicht nachkommen sollte, in der Aufhebung des zu bewilligenden Moratoriums bestehen würden. Eine weitere Strasmaßnahme würde darin bestehen, daß der Oberste Rat die Fortdauer des Zinsendienstes für die deutschen Renten verbieten würde. Abreise der französischen Delegierten und Lloyd Georges. Cannes, 12. Ian. Deutscherseits wird offiziell gemeldet: In der heutigen Nachmillagssitzung des Obersten Rates beendete Reichsminister a. D. Dr. Rathenau seine Ausführungen, in denen er besonders die von der Reichsregierung ins Auge ge faßten Maßnahmen zur Beseitigung der finanziellen Schwierig keiten darlegte. Während der Sitzung ging aus Paris die Nach richt vom Rücktritt Briands ein, worauf Loucheur den Obersten Rat verließ. Nach Beendigung der Ausführungen Dr. Rathenaus erklärte der Vorsitzende Lloyd George, daß angesichts des Fehlens einer alliierten Regierung die Beschluß- und Verhandlungsfähigkeit des Obersten Rates zweifelhaft sei. Die Frage müsse erst in einer internen Sitzung geklärt werden. Die Sitzung wurde dar auf gegen 6^4 Uhr vertagt. Kleine Zeitung für eilige Leser. * Rathenau gab In Cannes vor der Reparationskommission Erklärungen über die wirtschaftliche Lag eund die Zahlunas- sähigkeit Deutschlands ab. " * Reichstag und Preußischer Landtag beginnen am 19. Januar wieder ihre Sitzungen. * Die Verhandlungen der Negierung mit den Eisenbahn- arbeitern über die Lohnforderungen haben zu einer Einigung geführt; Einigung mit den Beamten steht bevor. * Der Parteitag der U. S. P. D. wurde in Leipzig ge schlossen. * Briand hat die Konferenz von Cannes plötzlich verlassen; um in Paris im Ministerrat und in der Kammer über seine Politik zu berichten. * Lloyd George hat in einer langen Denkschrift den Franzo sen ein militärisches Schutzbündnis unter Ausschaltung eines Angriffsbündniffes angeboten. Der Sonderberichterstatter der Agence Havas meldet aus Cannes: Loucheur erklärte dem Chef der alliierten Delegationen, er befinde sich in der Notwendigkeit, Cannes heute abend zu verlassen. Trotz des Versuches von Lloyd George verharrte Loucheur dabei, abzureisen. Der Oberste Rat hat die Mitglieder der Reparationskommission angegliedert, um nach der Abreise Loucheurs die Verhandlungen mit den deutschen Vertretern fort setzen zu können. Erst nach der Bildung des neuen französischen Kabinetts könne die Rede von einer Einberufung eines neuen Obersten Rates sein. Ein Teil der französischen Delegierten verläßt heute abend mit Minister Loucheur Cannes. Der Rest wird morgen abend abreisen. Lloyd George verläßt Cannes am Sonntag. Raihenaus Erklärungen in Cannes. Verhandlungen in der Reparativnskommiffion. Zwar nicht vor dem Obersten Rat, sondern zunächst vor der ebenfalls in Cannes anwesenden Neparatious- kommissiorr ist nunmehr der Führer der deutschen Abord nung, Dr. Rathenau, im Nahmen der Konferenz von Cannes zu Wort gekommen. Er gab dabei einzelne Dar legungen über die wirtschaftliche und finanzielle Lage Deutschlands, d-as. infolge seiner passiven Handelsbilanz ge nötigt sei, sich aus eigenen Mitteln zu ernähren. Er führte aus, Deutschlands Rohstoffe und Nahrungsmittel reichten nicht aus, um normal Leben zu können. Es müsse deshalb für fünf Milliarden Rohstoffe und Lebensmittel einführen. § Daraus entstehe für Deutschland ein jährliches De fizit von 750 Millionen. Die deutsche Ausfuhr, die 1913 zehn bis elf Milliarden Goldmark betragen habe, sei auf -dreieinhalb bis vier Milliarden Goldmark herab gesunken. Deutschland könne das nur ändern, indem es seinen Verbrauch einschränke, was fast unmöglich sei, da Deutschland schon ein Minimum verbrauche. Auch eine Er höhung derindustriellen Erzeugung und der Ausfuhr sei unmöglich, da in den Zollschranken ein saft unüberwindliches Hindernis zu erblicken sei. Auch die landwirtschaftliche Erzeugung sei trotz großer Anstrengung in- verhältnismäßig geringem Maße gesteigert worden. Die Lage Deutschlands könne sich nur verschlech tern, wenn es gezwungen werde, ungeheure Summen- für die Reparationen zu zahlen. Gewiß weigere Deutschland sich nicht, die Reparationen zu zahlen, aber es habe große Schwierigkeiten, sich ausländische Devisen zu verschaffen. Auf die Frage, was Deutschland 1922 zahlen könne, erklärte Dr. Rathenau, er könne nicht antworten, bevor er wisse, welche Sachlieferungen dieses Jahr von Deutschland gefordert werden würden. Die deutsche Re gierung fei bereit, in diesem Jahr das Defizit der Eisenbahn und der Post zub e s eiti gen. Es werde auch alles mögliche unternommen, um die Unterstützungen kräf tig herabzusetzen, die für die Volksernährung aufgewendet würden. Eine wesentliche Erhöhung der Steuern auf die deutsche Kohl« sei nicht möglich, da der deutsche Kohlew- vreis schon fast den Weltmarktpreis erreicht habe. — Der Zeitpunkt der zweiten Verhandlung mit der deutsch m De- »egation wurde noch nicht festgesetzt. 200 Millionen Goldmark. Nach anderen Meldungen soll Rathenau erklärt haben, züm 15. Januar und 15. Februar könne Deutschland nicht mehr als zusammen 200 Millionen Goldmark zahlen, und zwar in Raten von 80, 90 und 30 Millionen. Einige der Garantien, die die Alliierten für das Moratorium fordern, könne Deutschland annehmen. Verschiebung der weiteren Befragung Dr. Rathenaus. Cannes, 12. Ian. (Havas.) Die Reparationskomission ersuchte Dr. Rathenau heute, am Donnerstag, seine Aussüh-