Volltext Seite (XML)
8MMU z« AWslic« AmtsBmß Nr. 126. zu Nr. 24 des Hauptblattes. 1924. Beauftragt mit der Herausgabe: Regierungsrat Brauße in Dresden. LandtaMtrhandlungen. (Fortsetzung der 82. Sitzung von Donnerstag, den 24. Januar.) Volksbildungsminister »r. Kaiser (Fortsetzung): Ich rnusr aber trotzdem in gewisser Beziehung aus das Wesen des Stückes eingehen, denn es sind auch Vorwürfe gegen die künstlerische Verwaltung der Staatstheater erhoben worden, und ich fühle die Ver- pslichtung in mir, ein Wort zu reden für die Herren, die hier in erster Linie gestanden haben, und zu er klären, wie die Annahme des Stückes zustande ge kommen ist. Ich must also teilweise auf Inhalt und Tendenz des Stückes eingehen. Bevor ich das tue, will ich Ihnen aber eine ganz kur^e geschichtliche Darstellung der Annahme geben, bannt Legendenbil dungen, die auch inzwischen ausgetaucht sind, von vornherein der Boden entzogen wird. Es ist gesagt worden, die Annahme dieses Stückes sei er folgt auf Grund des Drängens meines Amtsvor gängers Fleissner und wohl auch des Herrn Zeigner Ich habe nicht allzuviel Grundj alles das zu decken was mein Vorgänger getan hat. Aber in diesem Falle must ich doch die Tatsache feststellen, daß Minister Fleißner nicht entscheidend auf die Annahme des Stückes eingewirkt hat, ja, daß es sogar angenommen worden ist, bevor er sich um das Stück bemüht hat. Es liegen mir die bestimmten Erklärungen der Herren vor, die für die Annahme des Stückes verantwortlich sind, und ich habe kernen Anlast daran zu zweifeln, vor allen Dingen, weil auch der Referent des Ministeriums mir die Richtigkeit dieser Darstellung bestätigt hat. Danach hat die Sache so gelegen: Es ist ja immer darüber geklagt worden, daß der Spielplan unseres Schauspielhauses zu dürftig war, und ich gebe Frau Büttner darin ohne weiteres recht. ES wird das Bestreben sein müssen, diesen Spielplan zu erweitern. Ob es gerade in der Zeit des Abbaues mit großem Eriolg geschehen kann, ist die Frage. Aber die Empfindung, daß wir vor allen Dingen zu wenig modernen lebenden Dichtern das Wort gönnen, ist in den Kreisen des Regiekollegiums doch zutage getreten. Cs ist nun bereits im Anfänge des Jahres 1923 das Buch Hinkemann von dem TreimaSkcnverlag nach Dresden gekommen. Es haben damals Herr vr. Wolf und Herr Direktor Wiecke das Buch gelesen und — wie ich ausdrücklich betonen will — haben sie sich von dem starken Ethos des persönlichen Bekennt nisses ergrissen gefüblt. Sie haben das Stück als sinlich werivoll gefunden, haben aber nicht ge glaubt, daß es bühnenwirksam ist und deshalb das Buch zunächst zurückgcsandt. Mitte des Jahres hat ein weiteres Mitg ied des Regiekollegiums des Schauspielhauses starkes Interesse an der Hinkemann tragödie geäußert und man hat das Buch von Berlin wieder zurückkommen lassen rind es durchstudiert und ist einmütig zu der Überzeugung gekommen, daß die Tragödie angenommen werden soll, und hat am 27. Oktober in diesem Sinne an den Verlag tele graphiert. Damit war der Vertrag über die Annahme des Stückes abgeschlossen. Nachträglich, am gleichen Tage — vielleicht wird gesagt, es ist ein komisches Zu- sammentresscn; aber ich habe keinen Grund zu zweifeln — fand im Ministerium für Volksbildung eine alb cweine Aussprache über die Spielplansrage statt, an der der Minister Fleißner, Ministerialdirektor Kittel, Geheimrat Heyne, W'ecke, Vr. Wolf und Reuker teil nahmen. Jir diesem Zusammenhang äußerte der Minister Fleißner den Wunsch, mau möchte erwägen, ob man nicht ein Stück von Toller aufnehmen könne, er schätze Toller hoch und er habe seine Auffassung be stätigt gehört auch von Vertretern der rechtsstehenden Pi esse, die insbesondere die Leipzigei Hmkemann-Auf- führung erlebt hätten. Arif diese Airregung des Ministers Fleißner konnte damals erwidert werden, daß sein Wunsch bereits erfüllt sei und daß Hinkemann ange nommen sei. Das ist die Tatsache der Annahme dieses Stückes. Man kann also nicht behaupten, daß die An nahme des Stückes aus politischen Gründen erfolgt ist. Nun die Frage der Ausführung. Tie Auffahrung des Stückes war für den 18. Jarruar geplant. Es wurde mir wenige Tage vorher, und zwar Freitags — ich wußte überhaupt nicht, daß das Stück ausgesührt werden sollte — von durchaus wohlmeinender Seite mitgeteilt, es wäre beabsichtigt, wenn die Aufführung am 18. Januar am Tage der Reichsgründung stattfinde, dann einen großen Skandal im Schauspielhause herbei- zuführcn. Ich habe drraufhin in der Erkenntnis, daß diese Aufführung am 18. Januar eine schwere Belastung für manche Kreise darstellt, die Herren vom Schau spielhaus und den Herrn Generalintendanten gebeten, daß sie vom 18. Januar abseben und das Stück an einem anderen Tage erstmalig anfsühren möchten Es wurde mir das zugestandrn. Man erklärte mir dabei, daß man allerdings an den 18. Januar nicht gedacht hätte und aus Gründen des inneren Be triebes die Ansetzung erfolgt sei. Einer der Herren sagte allerdings, er hätte daran gedacht, daß es der 18. Ja nuar wäre, aber er hätte nicht geglaubt, daß kabei etwas gefunden werden könnte. (Hört, hört! rechts. — Sehr richtig! links.) DaS Stück ist nicht am 18. Januar aufaekübrt worden, 'andern vorverlcgt worden auf den 17. Januar. Damit glaubte ich allerdings dem berech tigten Wunsch jener Kreise zu genügen, das Stück nicht gerade am Reichsgründungstage aufführen zu lassen und damit die beabsichtigte Störung, oie mit der Tatsache des 18.Januar begründet war, aus der Welt zu schassen. (Abg. vr. Kretschmar: Daß man es am Voi abend des 18. Januar aufführt!) Nun, da kann mir gesagt werden, hinterher ist es genau so, mitten in die Begeisterung des 18. Januar hinein und wenn das Stück um den 1 April herum aufgeführt werden soll, da heißt es wieder zu Bismarcks Geburtstag, und am 2. September ist es dasselbe Auf folche Argumente wollen wir uns nicht versteifen, wenn wir über den Wert eines Stückes und die Frage der Ausführung sprechen wollen. Nun möchte ich zu der Ausführung, die am 17. Ja nuar statlsand, im bewußten Gegensatz zum Abgeord neten Ur. Kretschmar die Behauptung aufstellen, daß, wer ein Werk in seiner Wirkung auf das Volk beur- teilen will, es nicht beurteilen darf nach dem Buch, sondern nach der Ausführung, denn nach der Auf- führung, so, wie sie gestaltet werden soll, entscheidet sich doch auch die Frage, ob das Stück angenommen wird, oder nicht. (Sehr richtig!) Ist der Regisseur in der Lage, ein Stück, das vielleicht ungekürzt einige Unmöglichkeiten enthält, doch mit Strichen versehen, ohne daß die Tendenz verkürzt wird, auszuführen, fo handelt er im Interesse des bildungsbedürftigen Publi kums. Wir haben also das Stück so zu nehmen, wie es in Dresden aufgeführt worden ist. (Sehr richtig!) Es ist mit einigen starken Strichen aufgeführt worden, und fast alles, was Herr Ur. Kretschmar hier vorgetragen hat, ist m der Aufführung des Dresdner Schauspiel- Hauses nicht enthalten gewesen. (Sehr richtig!) Es ist sonderbar, in dem Flugblatte, das gestern durch Motorradfahrer — die Herren haben sich die Cache etwas kosten lassen — in der Stadt in vielen tausend Exemplaren verteilt worden ist — (Zuruf: Mit Genehmigung des Reichswehrkommandos?) Vas glaube ich nicht —, in diesem Flugblatte sind die meisten Dinge solche, die gestrichen worden sind, und nur wenige sind darin, die aufgeführt worden sind, die stärksten Stellen, die geeignet sein konnten, manche kreise zu verletzen, find nicht aufgeführt worden. Als dieser Skandal im Schauspielhause vor sich ging, hat, um die weitere geschichtliche Entwicklung zu geben, sowohl die künstlerische Verwaltung des Theaters sowie das Volksbildungsmimsterrum den ernsten Versuch ge macht, das Stück zur Wiederholung zu bringen. Wir haben das Stück für heute angesetzt und haben aller dings nach Mitteln und Wegen gesucht, um der groyen Erregung, die durch die Verhetzung, auf die ich noch zu sprechen kommen werde, eingetreten ist, entgegen- zutreten, um es nicht mehr zu solchen Szenen kommen zu lassen, um eine ruhige Ausführung zu er zielen; das mußten wir tun, um die Künstler zu schonen und um einem reifen, urteilsfähigen Publi kum die Vorstellung zu zeigen. Wir haben deshalb den Weg gewählt, daß wir eine Einzeichnung in Listen vornehmen ließen, so daß wir kontrollieren konnten, wer auf den einzelnen Plätzen faß, so daß wir auch auf die Verteilung der Plätze erneu Einfluß hatten und nicht wieder 800 Karten von den Herren ge nommen und verteilt werden konnten, daß wir die Möglichkeit hatten, durch dre Verteilung der Plätze auch Schutzpersonal im Theater anwesend sein zu lassen, Leute, die nicht erst durch das Publikum hindurch- rennen mußten, die also in der Lage gewesen wären, unmittelbar zuzugreifen (Bravo!) Das ist keine Maßregel gewelen, tim uns ein Publikum zu schaffen, das kritiklos dem Stücke zustimmte, sondern eine Maßregel, um denjenigen, die mit dem ernsten Willen, cs kennen zu lernen, in das Theater gingen, die Kenntnis zu ermöglichen. Meine Damen und Herren! Als diese Wiederholung angesetzt war, ging eine Reihe von Drohbriefen ein, beim Theater und bei mir. Ich habe mich dadurch nicht einschüchtern lassen. Aber es wurde durch diese Drohbriefe doch eine solche Atmosphäre höchster Be unruhigung und Spannung in den Künstlerkreijen er zeugt, daß es schon seit einigen Tagen sraglich wurde, ob die Aufführung ermöglicht werden könnte. Tie Drohbriefe, die gekommen sind, wirkten auf die Künstler ganz anders als auf jemand, der in Volksversammlungen oder nr diesem Hause gewohnt ist zu sprechen (Sehr richtig!), sic wirken um so mehr, als diese Briefe doch offenbar nach der ganzen Fassung von Leuten gekommen sind, denen von Künstlerkreiien auch eine Ernstlichkeit solcher Absichten immerhin zugetraut werden mußte. Meine Dan en und Herren! Diese Briese sind von demelben Kreisen gekommen, die sich als Hüter von Anstand und Sitte im Theater aufgespielt haben; aber wenn Sie den Inhalt dieser Briefe sehen, fo muß man üch fchämen, daß die Leute, die diese Briefe geschrieben haben, Anstand und Sitte wahren wollen. Es kommt noch dazu, daß sie alle anonym gewesen sind, keiner hat cs gewagt, seinen Ramen darunter zu setzen (Pfui- Rufe bei den Sozialdemokraten und Kommunisten.). Es ist genau so gewesen, wie im Theater: wenn das Licht angedreht wurde, dann waren die Jungen ruhig, aber wenn es dunkel wurde, dann fingen sie wieder zu lärmen an. (Lebhafte Zustimmung in der Mitte und link« Widerspruch recht-. — Zuruf bei den Deutsch nationalen: Kein Mensch von uns hat sie in Schutz genommen! — Tas sind Insinuationen gewesen!) Lassen Sie mir einige Minuten Zeit, unr mit den Zwischenrufen fertig zu werden. Der Herr Abgeordnete Siegert hat eben gesagt, die Drohbriefe wären uns sehr willkommen gewesen; ich muß auch hier ernstlich darum bitten, daß dasjenige, was ich Ihnen sagen werde, als wahr ausgenommen wird. Einzelne Künstler — nicht alle, aber einzelne Künstler — haben erklärt, daß sie sich unter keinen Umständen zu solchen Vorstellungen nochmals verstehen würden, und zwar haben sie es damit begründet, daß sie sich zu schade da.u fühlen, sich zu Krüppeln schießen zu lassen, aber auch zum anderen damit, daß sie es mit ihrem Innern nicht ver. iubaren könnten, die Aufführung dieses Stückes zu ermöglichen, das zu Blutvergießen führen könnte Beide Künstler, die unbedingt für die Aufführung nötig sind, haben aus drücklich erklärt, daß sie innerlich nach wie vor ebenso wie vor her zu dem Stück und zu ihrer künstlerischen Ausgabe stehen. Ich habe vei jucht, als mir diese Tat sache mitgeteilt wurde — und die Herren, die mit mir verhandelt haben, werden das bezeugen — den Künstlern das auszureden; ich habe mit starken Mitteln einzuwirken versucht und habe sie vor die Tat sache gestellt, daß daS Volksbildung-Ministerium, das auch in dieser Sache unbedingt mit den Künstlern ge gangen war, dadurch schwer politisch belastet würde, wenn es jetzt diese Ausführung nicht ermöglichen könnte. Ich habe auch darauf hingewiesen, daß ich unter Um ständen bereit wäre, die Leute, die sich weigern zu foielen, gemäß den abgeschlossenen Verträgen zur Rechenschaft zu ziehen; ich habe dem Vertiauensmanne der Bühnengenossenschast die Frage vorgelegt: „Wie würde es stehen, wenn ich jetzt verlangte, daß die beiden Herren spielen, und sie nun nicht spielen? Wenn ich sie dann für kontraktbrüchig erklärte, würde ich dann vom Bühnenschiedsgerlcht Recht bekommen oder die Schauspieler?" Ter Herr hat mir erklärt, es sei nicht daran zu denken, daß die Schauspieler unter diesen Umständen gezwungen werden könnten, zu spielen; es könne ihnen nicht zugeMutet werden, bei der mangelnden Sicherheit und dieser politischen Siedehitze sich dort hinzustcUcn; kein Bühnenschiedsgericht würde sie verurteilen. Darauf habe ich noch einmal den Herren Generalintendant Reuker gebeten, mit den Herren zu verhandeln und mir am Abend das Ergebnis zu sagen, ob das Stück noch einmal amgesührt werden können oder nickt, vr Reuker hat in voller Loyalität mit diesen Herren verhandelt und mir das Protokoll übermittelt, wonach sie endgültig ablehnen, an dieier Vorstellung mirzuwirken. Bei oiesem Sackverhältnis blieb mir nichts anderes übrig als mein Einverständnis damit zu erhären, daß diese Vorstellung abgesagt wurde; es gab keinen Ersatz für dicie Künstler, und rck konnte sie nicht mit Polizeigcwalt auf die Bühne schleppen; das werden Sie mir auch nicht zumuten. (Nein! auf oer linken Seite.) Daß mir die Absetzung des Stücks persönlich außerordentlich unangenehm ist, weil sie mir in der Volkszeitung den Vorwurf der Feigheit zuge- zogen hat, können Sie mir glauben. Ten Vorwurf der Ferghert weise ich wert zurück. Sie können mir vielleicht von politischer Seite manches von Ihrer Seite aus Vor werken, aber den Vorwurf der Feigheit wird mrr niemand, der mich kennt, in meiner politischen Lausbahn machen können. (Zustimmung in der Mitte und links.) Meine Damen und Herren! Diese endgültige Wei» gerung der Künstler, die vorläufig für heute dre Affäre Hinkemann zum Abschluß gebracht lwt — ich »age aus drücklich, für heute —, war nicht auf ein Verha.ten der Regierung oder des Volksbildungsministeriums zurück- zusühren, sondern sie ist auf das Verhalten der Leute zurückzusuhren, die im Theater nicht bloß den Dichter sondern auch die Künstler den stärksten Angriffen aus gesetzt baden. (Zuruf links: Und die sich dcuychuational nennen!) Vorhin hat Herr vr Kretschmar gesagt, daß es zum guten Ton gehöre, daß man den anderen aus- rcden läßt; wenn es aber schon hier zum guten Ton gehört, daß man den anderen ausredcn läßt, dann gehört cs für die Bühne noch viel mehr zuni guten Ton, die Künstler ausredcn zu lassen. (Bravo!— Sehr gut! bei den Demokraten und Sozia demokratcn.) Meine Herren! Ist es nicht — und ich habe diese Empfindung dort deswegen besonders stark gehabt, weil cs vor allen Dingen zu meinem tiefsten Bedauern zum gioßen Teil Studenten gewesen sind, die sich gegen das Stück auf- gclchnt haben — ein außerordentlich unritterliches Duell, wenn der Künstler auf der Bühne nur mit dem Florett des Geistes und des Wortes kämpfen kann, und auf der anderen mit dem Knüppel des Radaus zugeichlagen wird? Es ist bemakne so wie in den Wildwestst ckcn, wenn der Bösewicht auf der Bühne erscheint, knallt unten der Cowboy mit dem Revolver, weil ihm der Bösewicht nicht gefällt. Dazu wellen doch wir nicht kommen. Meine Damen und Herren! Also der Wunsch, die Auf führung zur objektiven Beurteilung in einer beschiänkteren Ari zu ermöglichen, ist vorläufig zufolge des Terrors ge scheitert, der in der Vorstellung heute vor acht Tagen ausgeübt worden ist. Es ist alw ausdrück.ich zu kon statieren, daß über die heutige Ausführung des Stückes nicht wehr die berufenen Instanzen, die nach der Verfassung, nach der Ordnung der Staatsthcater zu entscheiden haben, sondern daß tatsächlich einmal, man kann wohl sa^en, die Straße entschieden hat. (Zuruf bei den Kommunisten). Aber ich möchte Sie warnen, diesen