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WöchcnUich «rslkcmen drei Nummern. Pränumerntione - Drei« 22h SNörrgr. (j THIr.) vicr<eU>>!>rUa>, 3 Tb». iü, do« ganze Iakr, ahne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Manarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Tom»., Iägerftraße Nr. 28), so wie von allen -königl. Posl - Aemiern, angenommen. Literatur des Auslandes. ^1/ 133. Berlin, Dienstag den 5. November 1844. Ungarn. Wanderungen in Ungarn. Das vor kurzem unter obigem Titel in Berlin (bei G. Reimer) erschienene Buch, dessen Verfasser ein Deutscher, Herr Wilhelm Richter, ist, welcher längere Zeit in Ungarn gelebt hat, gehört nicht zu der großen Zahl der seit einem Jahre in Norddeutschland gedruckten Oesterreich-Schriften, wie nament lich deren bei Herrn Philipp Rcclam jun. in Leipzig wohl über drei Dutzend schon erschienen find. Nicht wollen wir damit sagen, daß nicht auch unter letzteren einige mit Geist und Sachkenutuiß abgefaßte, ihren Zweck eben so erreichende als fest im Auge habende Schriften sich befinden, aber größtentheils besteht diese Literatur doch aus leichter Waarc, die wohl um des Skandals halber gelesen, aber eben auch des Skandals wegen bald wieder vergessen wird. Soll die Wahrheit Eingang finden, so muß sic in einem würdigen Gewand erscheinen, und dieses fehlt den meisten jener GelegcnheitS- oder viel mehr Speculationsschristen. Indessen ist dadurch eine Masse von Material angchäust, aus dem der künftige Geschichtschreiber wohl das Brauchbare zur Bcurtheilung der heutigen Zustände Oesterreichs wird herauszufinden wissen, und so mögen wir ihnen denn auch nicht alles Verdienst absprcchen. Positi veres Lob verdienen, wie gesagt, die „Wanderungen in Ungarn, die, von dem gewöhnlichen Schlendrian abweichend, nicht von Preßburg, d. h. von westlich-deutschem Standpunkt aus, ihre Musterung unternehmen, sondern umgekehrt von Orsova aus den Lauf beginnen, unS in die von Fremden wenig besuchten und daher auch wenig bekannten inneren Regionen Ungarns ein- . führen und uns hier mit den vier verschiedenen Nationalitäten des Landes, den Magparen, den Slawen, den Wachen und den Deutschen, wie sie dort noch in ihrer Ursprünglichkeit und vollen Eigenthümlichkeit zu finden, bekannt machen. Der Verfasser ist ein entschiedener Freund der Magparen, deren unbestreitbare Hegemonie unter den Nationalitäten des Landes er vollständig anerkennt, während er die Slawen, wegen ihrer Hinneigung zu ausländischen Tendenzen, mit Mißtrauen betrachtet und auch die Deutschen Ungarns, denen er ein innigeres Vatcrlandsgcfühl zugesteht, ermahnt, bald auch der Form und Sprache nach Ungarn zu werden und kräftig handelnd ihren magparischen Brüdern im Kampfe für Freiheit und Recht, für Licht und Fortschritt getreu lich beizustehen, „worin fie" — wie er sagt — „um so thätiger handeln würden, wenn die ungarische Constitution nicht rein für den Adel geschaffen, diesen nebst der Kirche, der es doch gar nicht zukommt, vor Allem vertritt, wobei die deutschen Millionen am meisten leiden, da sie als Bürger nur man gelhaft, als Bauern aber gar nicht vertreten werden." Wir lassen, um den Geist des Verf. und seiner Schrift darzustcllen, dessen Schlußbctrachtungen über die gegenwärtige Richtung des Landes an und für sich so wie über dessen Berührungen mit außen folgen: „Der eigcnthümliche Kampf der Meinungen und Ansichten, der jetzt in Ungarn sich so bemerkbar macht, diese ununterbrochene Reihefolge von und Ueaetio; wie fie in den Versammlungen der National-Repräsentanten in jeder Debatte zu Tage treten, ist die Ursache, daß das ganze gebildete Europa gegenwärtig mehr als früher seine Blicke auf dieses Land wirft und man sich Mühe giebt, seine Verhältnisse im Innern, wie gegen Außen, näher kennen zu lernen. — Der absolute Magparismus, unduldsam gegen jedes fremde und doch in Ungarn einheimische Leben, in seiner scharfen Journal-Polemik gegen slawische wie deutsche, wallachische wie siebenbürgisch.sächsischc Corporation, er weckte sich so selbst bisher schlafende Gewalten, die, durch behagliche Ruhe von Jahrhunderten eingewiegt, es gar nicht für nöthig erachtet hatten, ihr eigenes nationelles Leben, ihre selbständige nationelle Eristenz zu beschützen und zu vertheidigen. Als aber das junge Ungarn mit der Forderung auftrat, daß Jeder, der Ungarns Gauen bewohnt, ihm auch mit Leib und Seele, mit Sprache und Sitte angehörc, daß in dem Völkerkonglomerat fortan jeder Staat im Staat fortfallen müsse und, um das große Ziel des zeitgemäßen Auf schwunges zu erreichen, allgemeine Einheit, also auch absoluter Magparismus nöthig sey, da, sage ich, — erwachten die Oppositionen und natürlich am stärksten und heftigsten unter den Völkern slawischer Abstammung, deren wichtige Lage im Königreich Ungarn daraus hervorgeht, daß in den folgenden Komitaten gar keine rein ungarische Ortschaften sind, die obcnein noch die entscheidende Gränzlinie gegen auswärtige slawische Nationen als Stützpunkt besetzt halten i Jin Westen gegen Mähren: Treuch in, im Norden gegen Polen:Arva,Liptau, — an diese mehr gegen Süden sich anlegend -Sohl Thurocz, dann weiter an der polnischen Nordgränze fich fortdehnend: ZipS, SaroS; endlich im Südosten gegen Siebenbürgen und den rein illprischen Banat: Krasso, — weiter die Südgränze umgreifend im slavonischen und kroatischen Reviere: Posega, Agram, Darasdi», Kreuz. — So fehlt also in dem weiten Kreise an den Gränzen angelagcrt ganz das vorherrschende magparische Element und steht noch im Nachtheil und Minorität in den, von diesen rein slawischen Gespannschaften nach dem Inneren zu sich ausdehnenden 17 Komitaten, so daß die über 4 Millionen starken slawischen Stämme in 2» Komitaten dominiren, während die magparischen Stämme in 23 Gespann- schasten die Oberhand haben, und zwar in einer Anzahl von 3,SOO,VW Köpfen, also beinahe um eine Million geringer. Von einer Geltendmachung des deutschen Elements kann aus zwei sehr wichtigen Gründen keine Rede seyn, erstens weil die Deutsche» hier wie überall kein rein deutsches Element bewahrt haben, sondern so wie in der Heimat cs auch hier nur deutsche Schwaben, Franken, Sachsen, Thüringer, Elsaffen, Tyroler, Oesterreicher giebt und folglich die Gesammtzahl nicht ein Ganzes bildet, noch wichtiger ist aber zweitens, daß die Deutschen, nur 4 Million stark, gegen die siebenmal stärkeren, an Geist empfänglicheren und lebhafteren Magparen kaum i» Betracht kommen können. Die mehr als eine Million starken Wallachen fallen noch mehr bei dieser Frage in den Hintergrund, sowohl der Zahl nach, als namentlich wegen ihrer tiefen und untergeordneten Bildungsstufe, die ihnen ganz die einstweilige Möglichkeit einer politischen Bedeutung raubt. So kann also bei der Erläuterung, wie dieser Meinungskampf enden und welche Macht die Oberhand behalten wird, nur von Magparen und Slawen die Rede scpn. Wir haben oben gesehen, daß auch das slawische Element nicht rein ist, sondern daß es, mehr noch als die in Ungarn ansässigen Deutschen, aus vielen Atomen zusammengesetzt und gebildet ist, wobei aber der gewal tige Unterschied stattfindet, daß während die Deutschen nie eines Sinnes, als höchstens in Stunden der größten Gefahr find, die Slawen wie eine eiserne Kette zusammenhalten und namentlich jene, die den Rückhalt der russischen Kirche haben, viel mehr durch ihre Interessen, religiöser wie politischer Form, an dem russisch-slawischen Ganzen, als an ihrem Vaterlande Ungarn hängen. Diese verschiedene religiöse Richtung ist die einzige Störung in der fest zusammengewachsenen slawischen Einheit, und fie zeigt sich am stärksten in den südlichen illprischen VolkSstämmcn, wo, mehr als Schimpfwort, denn als ehren volle Bezeichnung, die griechischen iwn-mütus Gemeinden Raazen, die grie chischen müt»8 Gemeinden aber Schokaczen genannt werden. — Das süd liche, rein griechische Ufer, mit seinem Hauptstützpunkt in Serbien, und durch dieses im Zusammenhänge mit der Wallachei und Moldau und Rußland, ist ein lebhafter Schauplatz des Hasses zwischen Raazen und Schokaczen, — wo man Letztere als Abtrünnige betrachtet und die Bezeichnung, als den selben angehörend, das Gegenthcil eines Komplimentes ist. Anders ist cs allerdings im Norden, wo das polnische Nationalgefühl und also auch der katholische Ritus herrscht, dort find sämmtliche slawische Stämme römisch- katholisch und stehen also auch entfernter von den reingriechisch konfessionirtcn Russen, obwohl die Ruthenen oder Oroszok russischer Abkunft sind. DaS überwiegende Gebäude der slawischen Nationalität hat also nunmehr schon einen wichtige» Fehler in seiner inneren Construction, indem das russische Prinzip gerade nur auf der von Rußland entferntesten Südwest - Gränze und Süd-Gränzc austritt, während in den Nord-Provinzen und nordöstlichen, die Rußland am nächsten stehen, polnische Gesinnung, fester Katholizismus und ungeneigte Stimmung für den slawischen Koloß sich sichtbar machen — dafür aber geistiger Zusammenhang mit Allem, was an Polen hängt, was dieses unglückliche Volk nur im Geringsten angeht. Der zweite wichtige und entscheidende Punkt bei der Betrachtung über das slawische Uebergewicht und Annäherung nach Außen an Rußland geht aus dem ersten hervor. Die katholische Geistlichkeit, dieser innig verwachsene Knoten, geschürzt an den römischen Stuhl Petri s, hat eine» unbeschränkten und gränzenloscn Einstuß über den slawischen Bauer, sep er rein katholisch oder »nku8-katholisch; er ist es, der die geistige Entwickelung des Bauer» be fördert oder verhindert; er ist cs, der durch Glauben oder Aberglauben, durch Furcht und Bedürfniß denselben an sich knüpft und von sich abhängig macht, seinen Anwalt gegen die Herrschaft spielt, den Vermittler beim Komitate macht, kurz er ist das, was in de» Jesuiten-Missionen Süd-Amerikas diese den Indianern waren. — Nun hat aber die katholische Geistlichkeit durch die ungarische Gesetzgebung eine sehr ehrenvolle und entscheidende Stellung im Staate bekommen, jeder katholische Pfarrer nimmt Theil an den KomitatS-