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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration»- Preis 22; Sgr. THIr.» vierteljährlich, 3 Tblr. für da» ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. a g a für die Man prönumerirt auf diese! Beiblatt der Allg. Pr. StaatS- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren-Straße No. Z4>; in der Provinz so wie im Ausland« bei den Wohllöbl. PosI - Lemtern. Literatur des Auslandes. LOI^ Berlin, Montag den 24. August 18SS England. Das Englische Unterhaus im Jahre 1835. (Eon einem Irländer.) Die Räume, in welchen sich das Englische Parlament versammelt, gewähren nichl den theatralischen Anblick wie die Säle, die man in Frankreich, gleichsam zu politischen Schauspielen, für die Verhandlungen der dortigen Repräsentativ-Regierung erbaut hat. Treten wir ein in das Haus der Gemeinen. Da ist kein Amphitheater für die Damen, da stud keine Logen für die Pairs oder für das diplo matische Corps. Nur len Zeitungsschreibern ist eine schmale EaUcric Vorbehalten, und eine andere geräumigere dem Publikum geöffnet. Uebrigcns nicht der geringste Lurus; kein Marmor, keine Statuen, keine Vergoldung. Man kann cs wirklich eine.klammer nennen, eine unge heure Kammer, länger als breit, ohne Verzierungen und ganz kahl. Stellen wir uns so, daß unser Blick von der öffentlichen Tribune ans auf den Saal fällt. Uns gegenüber im Hintergründe ist eine Art von Altan, darüber das Königliche Wappen. Da sitzt auf einem mit grünem Lerer beschlagenen Armsessel der Sprecher in schwarzer Robe, grauen Handschuhen und einer gewaltigen Perrücke, deren Flügel ihm bis zum Gürlkl hcrabfallcn. Zu seinen Füßen befindet sich ein' kleiner Schreib-Tisch, an welchem der erste Kanzlei-Beamte des Hauses sitzt, fein breites Antlitz, das unter der Hufeisen-Form seiner kleinen Stutz- Perrüeke unveränderlich hcrvorlächclt, auf beite Arme stützend. Die Bänke, aus welchen die Mitglieder sitzen, sind im Viereck am- phitheatralisch ausgestellt, zur Rechten, zur Linken und dem Sprecher gegenüber. Nur für den Präsidenten ist ein Stuhl da, für die Redner nicht. Man kann sitzen oder stehen, wo inan will, und den Hut aus dem Kopfe behalten. Jeder halt seine Rede von dem Platze aus, wo er sich befindet, doch muß er sein Haupt entblößen, sobald er sprechen will. Es wird so angesehen, als ob man nicht die Versammlung, son dern den Sprecher anredct; auch wendet man sich an ihn und sagt: Sir, nicht GenNemen. Ich liebe bei den Vertretern des Boltes ein so ganz bürgerliches sind ungcnirtes Wesen. Es zeigt dies, daß die Gemeinen sich versam meln, nin die Geschäfte des Landes zu besorge», nicht um Komödie zu spielen. Um drei Uhr tritt der Sprecher in den Saal, vor ihm her' der oberste Thürhüter, mit dem Stab ans der Schulter und hinter ihm der Justiz -Beaune des Hauses, in schwarzer Kleidung nach Französischem Schnitt und einen Degen an der Seile. Sobald der Sprecher den Armsessel eingenommen hat, zählt er die anwesenden Mitglieder. Wenn vierzig da sind, so ist die Sitzung eröffnet. Der Kaplan spricht dann das hiebei, welches die Mitglieder stehend, mit entblößtem Haupt und das Antlitz gegen die Lebne der Bank gekehrt, anhören. Gewöhnlich werden in den erste» Stunden minder wichtige Arbei ten vorgenommcn, man dcbaltirl über Bills von bloßem Lokal- oder Privat-Jnlcressc. Zwischen acht und neun Uhr Abends fangen die Bänke an voll zu werden. Vor Mitternacht ist selten eine bedeutende Anzahl im Hause anwesend. Die wichtigste» Fragen, über die es zu oincr cntscbcidcndcn Abstimmung kommt,'werden gewöhnlich von Mit ternacht bis zwei Ubr Morgens verhandelt. Die Engländer sind mm einmal so, sic mißtrauen der Flüclnigkcu ihres Geistes zu sehr; sie wür den cs für gefährlich halten, sich ui ernste Geschäfte einzulaffew, wenn ihr Diner sic nicht erst hinreichcnd mit Ballast bcladcn hätte; sie müsse» bei Wein und Grog die gehörige Muße gehabt haben, ihre An sichten und Reden zu überdenken und äuszubrüttn. Lord Brougham ging in seiner guten Zeit, als er noch schlechtweg Herr Brougham' war, nie eher in'e Unterbaus, bevor er nicht zwei oder drei Flaschen Portwein gclccrt hatte. Aus dem Boden seines Glases schöpfte er damals seine Rube, Weisheit und Bcsonncnhcit. Seitdem er abcr dem Obcrbause angebört, welche» alle Geschäfte von fünf bis sechs Ubr abmachl. ist Lord Brougham genötbigt, nüchtern zu sprechen; die Nüchternheit seines Magens macht nun seine Zunge unbändig und seinen Kopf kraus. Diese beständige Dauer der Sitzungen bis in die späte Nacht hin ein verhindert das Unterhaus, sich bcs Sonnabends zu versammeln, kenn die Legislatur würde sonst unfehlbar die Gottlosigkeit begebe», ci»cn Theil des Sonntags zu entweihen, und es würde natürlich dem Parla ment schlecht anstelle», wen» cs allein die puritanische» Gesetze übertre ten wollte, die cs so streng aufrecht erhält, und die in den vicrund- zwanzig Stunden des heiligen Tages allgemein den unbedingtesten Mäßig ung verschreiben. Nun ein paar Worte über die Personal-Statistik des Hauses. Das Unterhaus zählt im Ganzen 471 Mitglieder für E„gl»»d, 29 für Wales, 5Z für Schottland und 108 für Irland, zusammen also 688. Bei wichtigen Gelegenheiten fehlen nur sehr wenige der Mitglieder auf ihren Posten. Zu Anfänge der jetzigen Session, als es sich nm die neue Sprecher-Wahl handelte, waren 622 bei der Abstimmung zugegen. Herr Abercromby, der Auscrwählle der Opposition, siegte mit einer Ma jorität von nur acht Stimmen über Sir Charles Manners-Sutlon, den Kandidaten des damaligen Ministeriums. - Das Haus ist also, wie man sicht, in zwci beinahe gleiche Hälften gethcill, auf der einen Seite das Ministerium und die Reformer, ans der anderen die Konservativen, die jetzige Opposition. Jede dieser großen Sektionen könnte wieder noch in Untcr-Abtheilungen geschieden werden. So könnte man die Reformer in Whigs, Radikal-Reformer, reine Ra dikale und Rcpealer theileu; diese letzteren sind diejenigen Irländischen Mitglieder, die den Widerruf (roznml) der Union zwischen Irland und England verlangen; die Konservativen in alte Tories und Halb-Konser vative. Wozu aber? Es würde keine leichte Sache schn, diese verschie denen unsicheren Schaltirungen zu sondern; überdies verwischt» sie sich täglich, indem sie in einander übergehen und bloß zwci deutlich unter schiedene Farben bilden. Gicbt cs nun zunächst wirklich eigentliche Whigs? Bilden die Whigs cinePartci? Kcineswcges. Die Vorfahren einiger großen Gutsherren, eini ger Minister - Lords 'waren zwar Whigs, sie aber sind es nicht mehr. Um noch ferner die Häupter einer wirklichen politischen Partei zu blei ben, mußten sic sich zum Radikalismus bekehren und sich zu Dolmet schern und Verlheidigern der Wünsche und Bedürfnisse des Volkes ma chen. Was war die Folge davon? Whigs und Radikale gingen gegen seitig in einander unter. Die Irländischen Katholiken, als sic England so viel freisinnige Zngeständnisse erlangen sahen, machten es wie die reinen Radikalen, sie vertagten ihre äußersten Forderungen; sie hörten auf, den Widerruf der Union jn verlangen. Unter O'ConneU's Befehlen marschircn sie hinter den ministerielle» Truppen her und unterstütze» dieselben aus solche Weise, daß diese nicht zurückkönnen, was auch kom men möge. Jni Lager der Opposition findet eine ähnliche Verschmelzung statt. Sir Robert Peel Hal alle Tories in die gleiche Uniform der Konserva tiven gesteckt. Selbst das kleine »»ciitschloffciw Bataillon Lord Stan- leVs bat mit seinem Ches in der letzten Zeit die neue Livröc der Ver- lheidiger der Kirche und des Thrones angelegt. Es ist dem Piers-zmrti diesseits des Kanals nicht besser gegangen als jenseits. So haben wir denn das jetzige Schlachtfeld vor uns, die Armee der Reformer auf der einen, und die der Konservativen ans dec anderen Seite, eine jede einem einzigen Losungswort gehorchend und nur ein einziges Panier anerkennend; die erstere stärker, kühner, doch vielleicht mit einem zu zahlreichen Gcncralstabc versehen und mit einer Arriörc- Gardc, die noch schncllcr vorwärts marschircn möchlc, als das Hauptcorps, dic letztere geschloffener, disziplinirier und gehorsamer gegen ihren einzi gen Feldhcrrn. So groß jedoch die Erbitterung von beiden Seiten auch schn mag, so wird man doch die kriegführenden Parteien in ihren Feindseligkeiten nie von der Sitte ritterlicher Lohalität abwcichcn sehen. Es ist eine Art von parlamentarischem Völkerrecht in dem Hanse in Ge brauch. Die Opposition wird nix dic Abwesenheit eines Ministers be- nutzen, um an scme Kollegen etwa Fragen zu richten, die nichl in ihr Fach gehören. Ein Minister wird eben so wenig jemals eine Bill un versehens cinbringen; in dieser Beziehung ist die Höflichkeit von beiden Scilm gleich groß. Die Herausforderungen werden ordnungsmäßig ausgcwcchftlt; der Tag, dic Stunde werden festgesetzt; erklärt Einer, daß er in dem bezeichneten Augenblick zu erscheine» verhindert sch, so wird dic Motion nach seiner Bequemlichkeit entweder beschleunigt oder aufglschoben. Handelt es sich uni eine wichtige Abstimmung, bei der man ein Schwanken der Majorität vorherstcht, so wird Niemand, welch wichtiges Geschäft ihn auch in Anspruch nehmen möchte, seinen Posten verlassen, er müßte denn unter seinen Gegnern ein Mitglied ge sunden haben, das sich ebenfalls zn entfernen wünschte. Ma» kommt dann überein, sich beiderseits des MitstimmenS zu enthalten, und diese doppelte Verpflichtung wird als heilig angeschen. Kommt cs zum Streit, so gäbt cs oft ei» tüchtiges Handgcmcnge, doch schlägt man sich stets niil Edelmuch und immer Linge in Auge. Der Lärm der beifälligen oder unzufriedenen Unterbrechungen muß freilich ein fremdes Obr, besonders wenn cs an die Abweichungen in der Englischen Aussprache nicht gewöhnt ist, in Staunen und Schrecken versetzen. Es ist wirklich ein unerhörtes, fürchterliches und um so selt sameres Getöse, als man anfangs gar nicht weiß, woher cs kömmt.