Volltext Seite (XML)
Wöchentlich erscheinen dies Nummern. Pränumeraüon«- prei« 22j Dgr. (j Ttzlr.i oterteijSkriich, 3 Ttzater für da« ganze Jahr, ahne Er tz »Hun g, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt aus diese« Keiblatt der ÄUg. Pr. StaatS- Zeilung in Berlin in der Expedition (Mohren - Straß« Nr. 34); tn der Provinz so wie im Auslände hei den Wohilßbl. Post > Lemtern. Literatur des Auslandes. a-U' 137. Berlin, Freitag den 15. November 1833. Frankreich. Die neuer« Französische Literatur, »ach demUrIheil der 1^ üinhuVAIr li. vVtv ') ir« ist tlivar höchst Merkwürdiges um die Französtsche Literatur der letzicn drei Jahre. Alle ausgezeichnete SchrislstrUer dieser Na- lio» gestehe» das Shao« i» de» Idee» u»d die lächerlich» Ueberlrei- bung ei», weiche de» grossere» Theil ihrer »euere» Werke cniehre». Eie missbiUigen übereinstimilieiid de» frivole» Egoismus, den wider- «artigen Eyuismus, wovon jene Werke so traurige Beispiele liefern. Es findet eine Uebcreinstimmung von Qiagen und Verwünschungen gegen jenen Mangel an religiöser Uebcrzeugung, an Moralität und Geschmack statt. Da« Genie des Volke« gehl zu Grunde, sagen ste; nichts Tiefes, nichts Wahres, kein Gefühl; aber, wunderbar genug, diejenigen, welche dicse Theorie am lauteste» predige», weiche die beredtste» Worte finde», um den intellektuellen Zustand Frankreichs der Verachtung preiszugeben, find gerade die, welche den Abgrund graben, welche die Wnnbc verschlimmern, weiche neuen Samen der Verderbtheit aussirenen. Romane aus Romane, Dramen auf Dra men, vermehren nur immer noch die Eiemente der Zwietracht und die Verwirrung der Meinungen, Lenen jenes Land zur Beute gewor den ist. Immer Sccnen der Frechheit oder der Graufamkcil; im mer bald rasende, bald trunkene Ausdrücke, nicht«, was da« Herz tröstet, nichts, wa« die gesellschaftlichen Bande fester zieht; kein wahr haft moralische« Werl, weiches darauf hinauslicse, die Grundlage Leg christlichen Glauben« zu befestigen, an den sich Loch alle Gewohn heiten, alle Gefühle, alle neuere Sitte» knüpfen, und der so viele Revolutionen überlebt Hal. Wenn man die Literatur unserer Nachbarn betrachtet, wie sie sich seit einiger Zeil grstallel hat, so sollte man glauben, daß der Geist des Bösen, der Verwirrung und des Ehaes der einzige Golt fey, den sie anruseu, dir einzige Muse, der sic opfern. Wenn man sie genauer untersucht, so scheint es, man lehne sich »brr den Ab grund, in welchem alle Ungereimtheiten und alle Widersprüche sich stossen und drängen; eine Art grundlosen Sumpfes, wie die kreise de« Dante, von wo ertönen: Uivorso linAu«, uilibilv tavcllo, Oonüli üi ünluen, acmuti ü >ra, Vuei ulko v tünchu n «nun cli inan eon c-II«! Glücklicherweise kann man nicht bezweifel», dass dieser unselige Zustand nur ein rem transitorischer ist. Wenn man gegenwärtig die Franiösischr Literatur nur an und für sich betrachtet, so erscheint sie sehr erbärmlich und nichtig; es fehlt ihr zu gleicher Zeil jene Würde, jene Grösse und jene Fruchtbarkeit, die nur gläubigen Zeilen eigen sind, und dagegen auch jene zerstörende .Kraft, die die Zeilen der Revolutionen andeuict. Die Literatur de« l8len Jahrhunderts z. B. Haxe nur Einen Zweck: den de« Zerstört» s; aber wie stark zeigte sie sich, wie «nächtig, wie überzeugt war ste! Sir hailr Vertrauen auf die me»sch- liche Energie, in dir Persckiibiliiät unserer Natur. Indem ste den Bannstrahl schleuderte, eröffnete sic dcr Wcii cine Aussichl dcs Ruh- nie«, eine Zukunft dcr Kraft. Mil einer Hand vcrnichletc sie die Aussprüche der vergangenen Jahrbundcrrc, mil der andere» rröff»cle sie da« Buch der neue» Auslegungcn, jener pbUefophischc» Apoka- lvvse, welche alle Mensche» glücklich, alle Gesche weise und alle Völker wohlhabend machen sollte. Vollaire, HclvcUu«, Dikcrol, wuss ten wohl, wa« sic wolllrn; es war ihr Glück, c« war ihic Frcnte, well» das Gcmauer dc« altcn GcbäudeS erzitterte und zusammcnbrach; wen» die Götzenbilder und die Throne, die Hciligihümcr und die Frudalrcchie den Boden bedeckten und umcr ihrem mächtigen Ham mer in Stücke zerbrachen. Jene Manner bancn Lebe», die Nach welt wird sic al« Niesen betrachten. Sic halse» sich, sie ermunter te» sick zu dem gemeinsamen Werke. Europa erzitterte bei jeder neuen Ruine, welche Zcugniß von ihrer Macht avlcgtc; e« waren die Hohenpriester einer neuen Aera, die treuen und fanatische» Apo stel einer nöthig gewordene» Zerstörung. Versucht man es, die jetzt in Frankreich beliebten Schriftsteller Mit ihnen zu vergleiche,,, so erscheinen jene sehr klein, sehr »ichlsbc- ') Wir glauben, cine Mittheitung dieser interessanten nur hier und da einmal etwas scblgreisenden Bemerkungen um so weniger ;uruckl,alten zu dürfe»«, als dieselben in Frankreich ungewöhnliche« Aursehc« und — was wohl da« Dasenn eines wunden Fleckes, den sie getroffen, um so mehr an- tzentet — grosses Geschrei in den öffentlichen Blättern erregt Hatzen, deutend, sehr alle« Zweck« und Plaue« baar, sehr unfruchtbar an Ideen, sehr reich an einem lächerlichen Aufwand von Worten. Air« rührt daher, weil dir Zeit der La»genweile, der Hinfälligkeit und der Berzweifluilg gekommen ist. Die Erfahrung, diese furchtbare Raih- geberiii, hat das Feuer der Enthusiasten erkaltet. Ze mehr man sich blindlings unvernünftigen Hoffnungen in die Arme warf, je bitteprr und tiefer ist die Enlhmulhiglmg, welche dem Fieberansall folgt». Alte zweifeln heutzutage an Allem. kein Svstem findet aufrichtige Bekenncr; man sieht ein, daß da« alte Gebäude in Trümmern liegt, und daß lein dauerhafte« Denkmal au« der Asche emporgrstiegrn ist. Man hat kein Vertrauen mehr in Lie Güte, in die Kraft, in den Adel dcs Mciischciigcschlrchle«. Furchtbare Reaktion, die nicht etwa dazu dient, di« Intelligenz und die Seele de« Menschen zu ihrem allen zcrsiöncn Glauben zurückzusühren, sondern au« welcher jene übertriebene Nichtigkeit, jene Lileralur ohne Mittelpunkt, ohne Wahr heit, ohne innere Kraft hervorgeht, dir Lie Schande einer Nation ausmachen würde, wenn nicht alle Nationen nach der Reihe gezwun gen wären, die gleiche Schmach zu erleiden. Versuchen wir e« indessen, die Lileralur de« jetzigen Frankreich« genauer zu prüfe», so werden wir im Zustande derselben, wie vcrzweiselt er auch erscheint, Loch die Aussicht auf eine bcffere Zukunft finden. In diesem Augenblicke kämpfen zwei mächtige Ströme gegen einander an. Von der einen Seile der Maierialismu« von 4760 und von der andere» Ler moralische Spirilnalismn«, welcher, lange Zeil besiegt, seine Stellung wieder zu erobern strebt. Später wird sich ohne Zweifel die Aufregung beruhigen; der Strom wird wieder seinen friedlichen Lauf verfolgen; glücklichere fruchtbarere User werden sich tcm Blicke enthüllen; aber bi« jetzt sicht nicht« fest, kein daucrhasirs Bclt ist gegraben; wir sehr» noch nicht« als Sturm und Kampf. Man sage nicht, daß die spiritualistische Tendenz, von der wir sprechen, eine Ehimäre unserer Einbildung sey; sie giebt sich von allen Seiten zu erkennen; die Nothwcndigkcit eine« Glauben« blickt auch aus den wunderlichsten Systemen hervor, die man in »euerer Zeil erfunden hat. Theophilanthrope», Mystiker, Tempelherren, Sanu-Simonisten, Alle gestehen ein, daß die gesellschaftliche Sicher heit keine andere Grundlage und die Resignation keine andere Stütze al« die Religion hat. Lassen wir ste c« noch eine Zeit lang versu che», die allen christliche» Lehren in ihrem philosophischen Schmelz- ticgrl umzugicßen; erlauben wir ihnen, jene Scifcnblasen zu werfen, die, einen Augeublick alle Farben de« Regenbogen« spielend, bald zerplatzen und sich in Nichls auflvsen. — Die Schriftsteller, dir sich die Französische Lileralur jetzt zur Ehre anrechntl, und deren Werke ihre Enkel auf eine fcllsame Weise i» Erstaunen setzen und ihnen ein Lächeln der Verachtung abzwingen werken, sind Taleule zweilen Range«, denen die Juli-Revolulion eine sür ihren Ruhm verderbliche Richtung gegeben hat. Seit jener Zeit siebt cs au«, al« ob alle Dämme niedergeriffen, al« ob die Sie gel ke« Salomo zerbrochen wären, als ob man der Frechheit und der Unsiitlichleit einen allgemeinen Freibrief gegeben Halle. Aber man glaube deshalb nicht, daß die drei Juli-Tage diesen heftigen Ausbruch verursacht hüllen; sie haben nur die schlechten Elemente cniwickelt, welche seil langer Zeit im Schoße dcr Gesellschaft schlum- menen. Unler der Restauration finden wir dieselben Grundsätze, oder vielmehr denselben Mangel an Grundsätzen, denselben Geschmack, oder vielmehr denselben Mangel an Geschmack. Man darf »« nichr leugne», die Bourbon« haben seit 1815 nichl« für die moralische und gesellschaftliche Verbesserung Frankreichs gelha»; seit 16 Jahren ba- bcii sic vcrsuchl, sich zu befestigen, abcr wciler nichl«. Wir wissen nichl, ob es ihnen möglich gewesen wäre, den Geist h,s Volke«, über da« sie zu herrschen berufen waren, zu reinigen und zu regene- riren; aber dadurch, Laß sic mit Pomp einen eitlen Schein des ab- gcstorbrnc» Katholicismu« wieder herzustellen suchten, daß sie ein» Armee von Jesuiten und Kapuzinern anwarbcn, dadurch konnten sie jener Masse, über die in einem Vicneljahrhundert mehr al- ;,hn Rcvoluuoncn sorlgegangcn waren, keine Energie und Reinheit, keine Rcchlschaffcnbeit ünk> keinen Glauben «iedergebrn. Unter der Re- gierung Karls X. setzte man Prämien fi'-: die Heuchelei au«; Lie Erzichimg der Jugend wurde fortwährend in dem alte» lächerlichen Schlendrian betrieben; man tbat nicht«, um jcnr große Verbindung kcr Moralität mit dcr Aufklärung zu bewirken, ohne welche e« keine National Tugenden gicbl. I», Gegentheil, Leute, die c« ohnc Zwei fel aufrichtig meinten, aber mit dem inneren Wesen de« Menschen durchaus unbekannt und von einer beispiellosen Ungeschicklichkeit wa reu, versucht»« r«, dirstlben Mißbrauch», Lieselben Thorheitrn, dis-