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— lAOMWÖLLU Die Absatzlage der internationalen Baumwollindustrie. Von Franz von Holtum. K ennzeichnend für die heutige Lage im internationalen Baum wollwarenhandel sind drei besonders augenfällige Tat sachen: 1. die starke Verdrängung der englischen Fabri kate von ihren früheren Absatzmärkten im Fernen Osten, 2. die ständige Zunahme der nordamerikanischen und japanischen Baum wollwarenausfuhr nach allen Weltteilen, 3. der Konkurrenzkampf der europäischen Baumwollindustrien um den deutschen Markt, der die Baumwollwaren deutscher Herstellung von ihrem eigenen heimischen Absatzgebiet zu verdrängen droht. Die englische Baumwollindustrie ist trotz aller Rückschläge auch heute noch an Produktionsstärke und Umfang des internatio nalen Absatzes die bedeutendste der Welt. Lancashire besitzt zur zeit 57 Millionen Baumwollspindeln bei einer Weltspindelzahl von 164 Millionen, also etwa 34%. Von 3 Millionen Baumwollweb stühlen in der ganzen Welt besitzt die englische Baumwollweberei 788 000 oder 26%. Vor dem Weltkriege ging die Erzeugung der englischen Baumwollindustrie zu etwa 80% ins Ausland und von diesen 80% etwa die Hälfte nach den Ländern des Fernen Ostens, vor allem nach Japan, China und Britisch-Ostindien. In diesen Absatzgebieten war Lancashire fast unbestrittener Lieferant. Die Monopolstellung, welche die englische Baumwollindustrie in Ost- asien innehatte, schien unerschütterlich zu sein. Eine gänzliche Umwälzung dieses Zustandes brachte jedoch der Weltkrieg. Die Länder Ostasiens, jahrelang im wesentlichen von den englischen Lieferungen abgeschnitten, vermochten eigene Baumwollindustrien aufzubauen bzw. die schon vorhandenen er heblich zu erweitern, begünstigt durch niedrige Löhne und son stige Produktionskosten, sowie durch die riesige Nachfrage eines menschenreichen Absatzgebietes. So vermehrte sich in Japan die Zahl der Baumwollspindeln von 2,4 Millionen im Jahre 1913 auf 7,3 Millionen im Jahre 1928. Die chinesischen Baumwollspinne reien zählten 1913 nur 964 000 Spindeln, 1928 aber 3 638 000. In Japan, China und Britisch-Ostindien zusammen vermehrten sich von 1920 bis 1929 die Baumwollspindeln von 10,5 Millionen auf 18,5 Millionen. Die Bedeutung dieser zahlenmäßigen Zunahme wird noch ver stärkt durch die Tatsache, daß die ostasiatischen Baumwollspinne reien und -Webereien, von gewissen unwesentlichen Unterbrechun gen abgesehen, in der Nachkriegszeit durchweg in dreifacher Schicht mit 120—132 Wochenstunden gearbeitet haben. Ihre Spindeln und Webstühle wurden also zu 300% ausgenutzt. Diesem Beschäftigungsgrad entspricht die Menge der verarbeiteten Baum wolle. Heute verspinnen die 18,5 Millionen Baumwollspindeln des Fernen Ostens im Jahre bei weitem mehr Baumwolle als die 57 Millionen englische Spindeln; nämlich die 2 bis 2 öfache Menge. Das ist ohne weiteres erklärlich, wenn man berücksichtigt, daß England seine Produktionsstärke kaum zur Hälfte auszunutzen vermag. Die geschilderte Entwicklung brachte es mit sich, daß im Fernen Osten der englische Import von Baumwollwaren immer mehr zurückgedrängt und auf die feineren Fabrikate beschränkt wurde. Gegenüber der Vorkriegszeit hat Lancashire heute 3 / 5 seines ostasiatischen Absatzes verloren. Dieser Verlust beläuft sich auf 2,4 Millionen Yards baumwollener Gewebe im Jahr, was der Produktion von 240 000 Webstühlen entspricht, also die jähr liche Erzeugung der gesamten deutschen Baumwollweberei über steigt. Die Anstrengungen der englischen Baumwollindustrie, der Konkurrenz der ostasiatischen Länder die Spitze zu bieten, muß ten — abgesehen von der günstigeren Verkehrslage der letzteren — an der einfachen Tatsache scheitern, daß die Spanne zwischen dem Preis der europäischen und dem der gelben Arbeitskraft un überbrückbar ist. Der ostasiatische Textilarbeiter erhält für den Arbeitstag 2—2,5 s, der englische etwa 8—10 s. Der Absatz eng- scher Baumwollwaren ist daher im Fernen Osten nur zu Verlust preisen möglich, soweit es sich nicht um Spezialartikel handelt, die einer dort heimischen Konkurrenz heute noch nicht ausgesetzt sind. Von dieser Entwicklung wurde vor allem derjenige Teil der Industrie von Lancashire betroffen, welcher amerikanische Baum wolle verarbeitet, weil er im wesentlichen auf die Ausfuhr nach Ostasien angewiesen und eingestellt war. Der langjährige Kon kurrenzkampf um die Märkte des Fernen Ostens hat diesen Indu striezweig ungeheure Opfer gekostet und zu der Krisis geführt, die wir heute in Lancashire beobachten. Der „Manchester Guar dian“ brachte am 11. Juni 1929 eine Aufstellung der Verluste der „amerikanischen Sektion“ der englischen Baumwollverarbeiter in den letzten 10 Jahren. Die in der Berechnung erfaßten Betriebe repräsentierten ein eingezahltes Kapital von 60,5 Millionen £ und zählten insgesamt 34 Millionen Spindeln. Diese verloren von 1919 bis 1929 ein Kapital von 50 Millionen £ und im Jahre 1928 allein mindestens 10 Millionen £. Wie bekannt, hat die englische Baumwollindustrie vor kurzem eine Aktion eingeleitet mit dem Ziele, die Herstellungskosten mög lichst so zu senken, daß eine Konkurrenz gegenüber den seinerzeit billiger produzierenden Auslandsindustrien möglich wird. Sie geht dabei von der Erwägung aus, daß die hohen Preise der eng lischen Baumwollwaren auf den hohen Löhnen, Soziallasten und Steuern, der Rückkehr zur Goldwährung, den hohen Kosten der Veredlung und der Verkürzung der Arbeitszeit beruhen. Hinsicht lich der Löhne hat die Senkungsaktion bereits insoweit zu einem Erfolg geführt, als das von Arbeitgebern und Arbeitnehmern im gegenseitigen Einverständnis eingesetzte Schiedsgericht vor kur zem den Lohntarif um herabsetzte. Ebenso hat der Antrag auf Steuerermäßigung bei der Regierung williges Gehör gefunden. Die Reedereien haben die Schiffsfrachten nach Übersee für Baum- wollwaren wesentlich gesenkt. Auch scheint es, daß die mit den Veredlungsindustrien eingeleiteten Verhandlungen zu einem gün stigen Ergebnis führen werden. Die Beantwortung der Frage, inwieweit diese Bestrebungen die Absatzlage der englischen Baumwollindustrie verbessern wer den, muß der Zukunft überlassen bleiben. Ihr Erfolg wird je doch, das kann man heute schon sagen, wohl kaum so weit gehen, daß die gesenkten Herstellungskosten die Wiedereroberung der verlorenen ostasiatischen Märkte ermöglichen, da die ungeheure Lohndifferenz wohl niemals ausgeglichen werden kann. Wie dem auch sei: auf jeden Fall wird die Sanierung — wenn sie gelingt — die Konkurrenzfähigkeit von Lancashire erhöhen und damit den Druck englischer Baumwollwaren auf alle Absatzmärkte, insbe sondere aber auf den des europäischen Festlandes als den nächst liegenden, in erheblichem Maße verstärken. Die Baumwollindustrie des europäischen Kontinents (außer Rußland) kommt an Produktionsstärke etwa der englischen gleich. Ihr besonderes Charakteristikum besteht darin, daß sie nicht gleichmäßig über die einzelnen europäischen Länder verteilt ist. Dies beruht zum Teil auf den geographischen Verschiebungen, welche der Weltkrieg zur Folge hatte. Der Übergang Elsaß- Lothringens mit seiner verhältnismäßig starken Baumwollindustrie an Frankreich, der Zerfall Österreich-Ungarns und der fast völlige Wegfall des russischen Marktes bewirkten erhebliche Verschiebun gen sowohl in der Erzeugungskapazität wie in den Absatzgebieten. Die Folge davon ist, daß fast alle Länder des europäischen Fest landes über eine größere Zahl von Baumwollspindeln und -web-