Volltext Seite (XML)
Wöchentlich erscheinen drei Nunnmm. Pränumeration--Preil 22h Silbergr. Thtr.) vlertellährtich, 3 Thtr. ftir da» gan,e Jahr, ohne Erhöhung, i» allen ^heilen der Prenßisidcn Monarchie. Magazin für die ll r dcs A « s Pränumeraiioneii werden non icder Buchhandlung (in Berlin bei Beil u. Eomo., Iagcrstrahe Nr. 25)/ so wie non allen König!. PöN - Ämilcrn, augenonuuc». 01 Berlin, Dienstag den 30. Juli 1844. Rußland. Der gegenwärtige Zustand der russischen Marine. (Noch dem Duilt-ä 8erviee Der Zustand der russischen Seemacht ist noch wenig bekannt, so wie man überhaupt nicht recht weiß, welchen Nang man derselben cinräumcn soll, da sie noch nicht die Feuerprobe eines Kampfs mit England bestanden hat. Wir geben im Nachstehenden einige Mitthcilungcn über diese, welche zunächst Ruß lands politische Stellung unter gewissen Konjunkturen der Zukunft auveuteu und sodann auch einen Beitrag zur Charakteristik der sittlichen Zustände dieses Landes liefern. Zuvor einige Bemerkungen über das Berhältniß der See mächte überhaupt England gegenüber. Wenn man den gegenwärtigen Zustand der Marine bei den verschiedenen Nationen betrachtet, so wie die durch die Einführung der Dampfschifffahrt hcrvorgebrachten Veränderungen, so kommt man zu einem doppelten Schluß: erstens, daß das Ucbcrgewicht Englands zur See nie größer und entschiedener war alck jetzt, und zweitens, daß die relative Bedeutung dieses UebergewichtS wesentliche Modisicationen erfahren hat, insofern jeder Kampf gegen dasselbe jetzt mit der raschen und vollständigen Vernichtung.des Gegners enden niuß. Bisher war eine besiegte Marine noch nach ihrer Niederlage furchtbar ; selten war sic ganz vernichtet oder auch nur auf völlige Ohnmacht rcduzirt; die Flotten deS Siegers waren Jahre lang genöthigt, den Hafen zu bewachen, in den sich ihre Trümmer geflüchtet hatten. Das wird in Zukunft anders scpii. Der Dampf, die Anwendung der hohlen Wurfgeschosse, die größere Vollkommenheit, die man täglich in der Concentralion der Borbfcucr erreicht, neutralisiren die Vortheile jener von Forts geschützten Häfen, in welchen eine geschlagene Flotte sonst ein sicheres Aspl fand. Welcher Wind, welche Strö- mungen werden den Sieger bei der Verfolgung deS Feindes hindern, sich rasch mit Hülfe des Dampfs nach jedem beliebigen Punkt hinzubegeben? Welche Befestigungen können der Artillerie der Schiffe widerstehen, sobald man derselben jede beliebige Stellung geben kann? Dabei sprechen wir hier noch nicht von den ungeheuren HülfSqucllen, die der Danipf als ZcrfförungS- mittel bietet, in Verbindung mit dem Gebrauch des Eisens statt des Holzes, des Eisens, das, mit mehr Kraft als das Holz, je nach der Gestalt, die man ihm zu geben weiß, wie Kork schwimmen kann: ein ganz neuer Zweig der Kriegskunst ist hier im Werden begriffen. , Die Geschichte giebt uns Beispiele von feindlichen Marinen, von denen die minder mächtige oder minder glückliche ihrer Nation im Ganzen mehr Bortheile verschaffte, als ihre siegreiche Nebenbuhlerin der ihrigen. Solche Anomalien werden in Zukunft nicht mehr vorkommen; denn es ist klar, daß von jetzt ab jedem Staat, der gegen eine überlegene Seemacht Krieg führt, seine Marine nicht etwa verhältnißmäßig, sondern absolut nutzlos seyn wird. Diese Wahrheit, so wie die Schwäche aller fremden Seemächte ohne Aus nahme in einem Kampf mit Großbritanien, sind Thatsachen, die sich allen verständigen Geistern aufgedrängt haben. Obwohl zuzugebcn ist, daß die dänischen, holländischen, griechischen und schwedischen Seeleute als solche denen aller anderen Völker, mit Ausnahme der Engländer, überlegen sind, so giebt es doch nur drei Mächte, welche, in Betracht des UmfaugS ihrer maritimen Streitkräfte und ihrer Hülfsquellcn, als eigentliche Seemächte betrachtet werden, nämlich Frankreich, Rußland und die Vereinigten Staaten. Daß dieselben einzeln gegen England nichts auS- richtcn, bedarf keines Beweises; es ist also nur die Frage, ob sic vereinigt etwas vermögen. Jedenfalls muß England, wenn eS eine dieser drei Mächte angrcift, darauf gefaßt sepn, sich mit allen dreien in einen Kämpf verwickelt zu sehen, der auf immer über die Herrschaft deS MecrcS entscheidet. Denn je mehr ihnen das Ucbcrgewicht der englischen Seemacht zum Bewußtscpn kommt, desto mehr werden sie fühlen, wie wichtig eck für sie ist, so oft eine von ihnen mit England in Kampf sepn wird, eine Gelegenheit zu benutzen, die sich nicht mehr mit gleichem Vorlheil darbieten wird, sobald eines von den Mitgliedern der Coalition erdrückt ist. Zwischen dieser Politik und der Ausgebung jeder Idee, der englischen Uebermacht gegenüber eine Marine zu unterhalten, ist ihnen allein die Wahl gelassen. Vergleichen wir nun die Streitkräfte und HülfSqucllen dieser drei Mächte mit denen Englands, so sindcn wir, daß dieses letztere dreimal so-viel See leute besitzt als seine drei vereinigten Gegner, daß cs zur Noth viermal so viel Dampfböte ins Meer schicken könnte, als die ganze übrige Welt, und endlich, daß cs allein in sich die pekuniären HülfSqucllen finden würde, die zur Bestreitung so riesenhafter Rüstungen erforderlich sind. Die Handels-Marine GroßbritanienS besteht in runden Zahlen aus 27,000 Segelsahrzcugen von über dreißig Tonnen, deren gesammter Tonncn- gchalt sich auf drei Millionen beläuft. Die Handels- und die Kriegs-Marine beschäftigen mehr als 220,(><>0 Matrosen ; dazu kommen noch 150,000 Mann auf den Fischcrbötc» und den Fahrzeugen unter dreißig Tonnen, was also einen Totalbcstand von 370,000 Seeleuten crgicbt. Die vereinigten Handels-Marinen von Frankreich, Rußland und den Vereinigten Staaten belaufen sich nur auf >,700,000 Tonnen (wobei natür lich die innere oder Flußschifffahrt nicht mitgcrcchnct ist). Die Gcsammt- zahl der in diesen Staaten bei der Schifffahrt beschäftigten Individuen übersteigt nicht 240,000, wovon 100,000 wenigstens den Namen Seeleute nicht verdienen. So hat Frankreich 5000 Fahrzeuge von über 30 Tonnen, die zusammen 600,000 Tonnen repräsentircn. Die Mannschaften seiner Hanvcls- und KriegS- Marine, seine Fischer, Fährmänner u. s. w. belaufen sich, mit Inbegriff der Leute, die ihren Dienst zur See abgelegt haben, nicht aus 00,000 Individuen. Das Tonncngchalt der HandclS-Marinc der Bereinigten Staaten beträgt »ach den offiziellen Registern zwei Millionen, wovon ans die Seeschifffahrt nur die Hälfte kommt; die Zahl der Mannschaften beträgt 00,000, wovon die Hälfte bei dcr Flußschifffahrt beschäftigt ist und 25,000 englische Untcrthancn sind, die man vermittelst eines starken Soldes auf englischen Schiffen ange worben hat. Doch sind gerade diese Republikaner noch die furchtbarsten Gegner Englands, namentlich durch die vielen Ateliers, welche bei ihnen zur Erbauung dcr Lokomotiven und Maschinen für die zahllosen Fahrzeuge ihrer Seen und Flüsse beschäftigt sind und vermittelst deren sie leicht große Dampf schiffe Herstellen können, Rußland hat kcinc Handels-Marine, mit Ausnahme einiger Böte und anderer Fahrzeuge, die nur ungefähr 10,000 Finnen beschäftigen, während seine KriegS-Marine 50,000 Matrosen oder Marine-Soldaten zählt. Großbritanien besitzt 120 Linienschiffe und 140 Fregatten. Im Jahre 1840 zählte man in der ganzen übrigen Welt nur 175 Linienschiffe und 105 Fre gatten; hiervon kamen auf die Vereinigten Staaten, Frankreich und Rußland zusammen 120 Linienschiffe und 117 Fregatten. Die Thatsachen und Zahlen beweisen also erstens, daß die englische Ge- sammt-Marine denen jener vereinigten Mächte numerisch überlegen ist, und zweitens, daß die KriegS-Marine Englands im Berhältniß zu den HülfS- qnellen, die seine HandclS-Marinc darbictct, die kleinste ist, und daß, wenn cS diese HülfSqucllen in gleichem Grade, als seine Rivalen, benutzen wollte, cS auch numerisch allen Marinen der Welt zusammen überlegen wäre. Wir gehen jetzt zur russischen Marine insbesondere über. Es ist schwer, von dcr russischen Marine und überhaupt von den Einrichtungen Rußlands zu sprechen, ohne au Denjenigen anzuknüpfen, welcher dcr Gründer derselben war und dessen Biographie die ruhmvollste Periode ihrer Geschichte enthält. Als Petcr l. den Plan faßte, auf den jüngst eroberten Inseln des Ncwa- Dclta'S, unter den Kanonen der Schweden, eine Stadt und eine Flotte zu erbauen, so lag in diesem Gedanken eine Kühnheit, die dcr Erfolg gerecht fertigt hat. Wenn wir einige Jahre später sehen, wie er seinen,Triumph- Einzug in die Hauptstadt hält, die aus dem Schoße dcr Sümpfe cmporgc- sticgcn war, mit gerechtem Stolz jene Wohnungen und Paläste betrachtend, die an dcr Stelle der Binsen sich erhoben hatten, begrüßt von dem Zuruf eines Volkes, da, wo er sonst nur das Geschrei der Möwen und das Quakcn der Frösche gehört hatte; wenn die Geschichte uns erzählt, daß dieser Einzug »ach einem Secstcge stattsand, der über die Schweden mit derselben Flotte erfochten worden, die einige Jahre früher noch nicht eristjrt und deren Schöpfung er geträumt hatte, ohne einen cinzige» Arbeiter zu haben, um seine Schiffe zu erbauen, die noch aufrecht im Walde standen, ohne einen Matrosen, sie zu lenken, ohne einen Hafen, sie aufzmwhmen; wenn wir solche Wunder betrachten, so müssen wir gestehen, daß u»S die Geschichte dcr Vergangenheit nichts AehnlichcS darbietct, außer etwa die Entwickelung der römischen Seemacht gegenüber dem maritimen Ucbergcwicht der Karthager. Es ist bekannt, daß Peter selbst einer der kühnsten und geschicktesten See männer seiner Zeit war, und daß er alle auf den Schiffbau bezügliche Kennt nisse bis in das tiefste Detail besaß, daß er mit cincm Wort selbst Zimmer- männ, Matrose und Steuermann war. Daher wußte er auch besser als jeder Andere die Tauglichkeit der Matrosen und Offiziere, die er aus dem Ausland kommen ließ, zu beurtheilcn. So schlug er mit der ncugcschaffcnen Flotte die